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Profil

Architekturstudium an der TU Graz
Mitarbeit in Architekturbüros in Wien und Graz (Hermann Czech, Alfred Bramberger, Manfred Wolff-Plottegg und Heinz Wondra)
1990 Ziviltechnikerprüfung
Seit 1992 Architekturpublizistin in in- und ausländischen Fachzeitschriften, seit Herbst 2000 auch für das Presse Spectrum
1997 Hochschulkursus für Kulturjournalismus und kulturelle Öffentlichkeitsarbeit am ICCM in Salzburg.
1997 – 1998 Öffentlichkeitsarbeit für die Sektion Architekten der Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten.
2001 – 2004 Chefredakteurin der Zeitschrift Zuschnitt
2004 – 2009 Inhaltliche Redaktion von www.gat.st
2008 Gründung von architektouren-graz/ljubljana

Lehrtätigkeit

Seit 1996/97 in loser Folge Lehraufträge an der TU Graz, z.B. Grundlagen der Gestaltung, Architekturkritik und Ausgewählte Kapitel Architekturtheorie

Mitgliedschaften

Mitglied von Guiding architects

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Artikel

10. Dezember 2016 Spectrum

Alles im grünen Bereich?

Ein im Stadtgebiet von Graz geplantes Flusskraftwerk würde die wild gewachsene Uferlandschaft der Mur durch Rodungen und Dammbauten weitgehend zerstören. Politik und Betreiber reden das schön. Nun fiel der Beschluss zum Bau.

Im Juni 2010 reichte die Energie Steiermark AG als Energieversorgerin im Mehrheitsbesitz des Landes Steiermark das Projekt eines Laufwasserkraftwerks zur Umweltverträglichkeitsprüfung ein. Als Kooperationspartner wurde der Verbund genannt. Als am besten geeignete Lage des Kraftwerks an der Mur, die Graz von Nord nach Süd durchzieht, wurde das südliche Stadtgebiet festgelegt. Mit der Realisierung des Kraftwerks wurde die gleichzeitige Errichtung eines zentralen Speicherkanals verknüpft, der die Entleerung überlaufender Abwässer in die Mur bei Starkregen kanalisieren soll.

Im August 2012 erteilte das Land Steiermark als erste Instanz im UVP-Verfahren die Genehmigung zum Bau des Murkraftwerks Puntigam. Der Umweltsenat des Bundes als Berufungsinstanz wies die darauf folgenden Eingaben von zahlreichen Umweltschutz- und Naturschutzorganisationen und Bürgern im Wesentlichen ab. Einzig einige weitere Auflagen, beispielsweise zum Schutz der im Uferbereich lebenden, geschützten Würfelnatter, wurden erteilt. So weit, so gut?

Keineswegs, denn schon die UVP zeigte, dass die Staustufe auf einer der letzten freien Fließstrecken von zehn Kilometer Flusslänge nur mit Ausnahmegenehmigungen zu gültigen Gesetzen und Verordnungen und mit aufwendigen Auflagen genehmigt werden kann. Zahlreiche Verstöße gegen das allgemeine Verschlechterungsverbot wurden so legitimiert – etwa die in der Folge notwendige Herabstufung der Wassergüte der Mur von gut auf mäßig –, weil aus dem derzeit frei durchs Stadtgebiet fließenden Gewässer ein Stausee wird, aufgestaut bis zur Höhe des Kunsthauses. Mit dem alles schlagenden Argument des höheren öffentlichen Interesses wurden Naturschutzgesetze und die Baumschutzverordnung außer Kraft gesetzt. Das Sachprogramm „Grünes Netz Graz“, das die Maßnahmen und Ziele für die städtischen Grünraume zusammenfasst, die im Stadtentwicklungskonzept und im Sachprogramm Grünraum per Gemeinderatsbeschluss festgelegt wurden, wurden in die Begutachtung der UVP nicht eingeschlossen, ja nicht einmal erwähnt.

Mit allen behördlichen Genehmigungen ausgestattet, hat der Betreiber nun diese Woche den Beschluss gefasst, das Kraftwerk zu errichten, und den Baubeginn noch im Winter angekündigt. Dies, obwohl nach dem Ausstieg des Verbunds und der verschobenen Beschlüsse der Wien Energie nun kein weiterer 50-Prozent-Investor an Bord ist. Offensichtlich soll das Kraftwerk um jeden Preis errichtet werden, trotz eines negativen Gutachtens zur Wirtschaftlichkeit und trotz einer von zahlreichen Umwelt- und Naturschutzorganisationen angestrebten Volksbefragung, die von der Stadtregierung im Herbst dieses Jahres mit dem Argument, dass alle Bewilligungen bereits erteilt sind, abgelehnt wurde. Auch die frühzeitige Neuwahl der Stadtregierung im Februar 2017 steht in direktem Zusammenhang mit dem Kraftwerksbau. Die notwendige Mehrheit für den Beschluss des Haushaltsbudgets wurde nicht erreicht, weil die Finanzierung des zentralen Speicherkanals, der fast so viel kosten würde wie das Kraftwerk und rechtlich gar nicht gebaut werden müsste, abgelehnt wurde.

Wer verstehen will, warum die Staustufe im Stadtgebiet von Graz von so vielen Organisationen abgelehnt wird, obwohl man der Wasserkraft doch generell zubilligt, dass sie zur sauberen Energiegewinnung zählt, muss bei den Auswirkungen der Baumaßnahme beginnen. Und er sollte sich persönlich ein Bild machen von jenem grünen Band, das als wildwüchsiger, forsttechnisch nicht genutzter Naturraum die Murufer südlich der Radetzkybrücke noch säumt. Tausende von Radfahrern – nicht nur jene, die den beliebten Radweg vom Mur-Ursprung bis zur slowenischen Grenze jährlich befahren – machen dies. Besonders das linke Murufer ist ein beliebter, vom Augartenpark bis zur Puntigamer Brücke durchgängiger Wanderweg von mehr als vier Kilometer Länge.

„Die räumliche Qualität der Stadt wird von ihren charakteristischen natürlichen undbaulichen Elementen und den daraus gebildeten Strukturen bestimmt“ (STEK 3.0). Was geschieht, wenn Bagger auffahren? 16.500 Bäume aller Größen, die gefällt werden müssten, wurden im November sachverständig gezählt, darunter 824 ökologisch wie stadtklimatisch bedeutende Bäume mit einem Umfang von mehr als 150 Zentimetern und Höhen bis 15 Meter – doppelt so viele, wie im Grazer Stadtpark stehen. Geschützte Tiere verlieren ihren natürlichen Lebensraum. Die dreijährige Bauzeit der Riesenbaustelle wird die Lebensqualität der Anrainer massiv beeinträchtigen. Biker, Läufer und Spaziergänger, die den Grünkorridor jeden Tag als Erholungsraum nützen, verlieren nicht nur während der Bauzeit ihren Naherholungsraum, sondern werden ihn auch danach nie mehr in seiner „unkultivierten“, naturnahen Form wiederfinden.

Experten bekräftigen: Was an mindestens 60 Jahre lang gewachsener Biotopfläche verloren geht, lässt sich auch mit allen angekündigten Maßnahmen zur Renaturierung der Uferbereiche nicht wiederherstellen, auch wenn der Amtssachverständige in seinem Gutachten in der UVP schreibt, dass sich „im Lauf der Jahre größtenteils wieder eine dem heutigen Erscheinungsbild gleichende Vegetation einstellen wird“. Diese auch zeitlich vage Behauptung stimmt schon deshalb nicht, weil in Zukunft auf den Dämmen aus Stabilitätsgründen nur Bäume bis 15 Zentimeter Stammdurchmesser erlaubt sein werden.

All diese Fakten sind in Graz kaum bekannt, auch weil die Stadt bei diesem Projekt ihrer Verpflichtung zur frühzeitigen Information, die in den „Leitlinien zur BürgerInnenbeteiligung bei Vorhaben und Planungen der Stadt Graz“ beschlossen wurden, nicht objektiv nachkommt. Ein Forum zur Meinungsbildung einzurichten war dem Bürgermeister kein Anliegen, war er doch schon vor dem Ergebnis der UVP in einem Werbeinserat der Betreiber an der Seite des damaligen Landeshauptmanns als Befürworter der Staustufe zu sehen. Erstaunlich, denn noch 2009 hatte er sich skeptisch zu vier damals geplanten Kraftwerken an der Mur nördlich und südlich von Graz geäußert. Der jetzt beschlossene massive Eingriff in das Stadtbild ist das Ergebnis politischen und nach Gewinn strebenden Kalküls. Das darf nicht sein.

Was zählt, ist, dass die Stadt mit der dichten Uferbepflanzung einen sie charakterisierenden, erhaltenswerten Landschaftsraum verlieren wird. Dass Graz, 2015 erneut Österreichs Feinstaubhochburg, ökologisch hochwertigen Grünraum innerhalb seiner Stadtgrenzen dringend braucht, um die schlechte Luftgüte auszugleichen und das örtliche Kleinklima zu erhalten. Auch die derzeit massive bauliche Verdichtung der Stadt mit täglich neuem Verlust an innerstädtischem Grünraum kann mit einem klaren Bekenntnis für den Erhalt des unantastbaren Naturraums kompensiert werden. Müsste sein Schutz daher nicht gerade in Graz als gleichwertig hohes öffentliches Interesse gesehen und diskutiert werden?

29. Oktober 2016 Spectrum

Architekt wie aus dem Buche

Peter Zinganel, Architekt, Mitgestalter der „Grazer Schule“, Leiter des Architekturreferats im Forum Stadtpark in Graz, kunst- und musikinteressiert: Nachruf auf einen Umtriebigen.

Vor wenigen Tagen ist der in Graz tätige Architekt Peter Zinganel gestorben, überraschend im Alter von 57 Jahren. In Graz war er kein Unbekannter. Viele hatten mit ihm studiert in den prägenden Jahren einer Bewegung, die Graz und die Steiermark in den Fokus internationaler Aufmerksamkeit rückte, weil hier Architektur abseits des damals herrschenden Mainstreams der Postmoderne entstehen konnte. Andere waren einen Teil des Weges mit ihm gegangen, als er über einen Zeitraum von zehn Jahren praktische Erfahrungen im Büro von GüntherDomenig und in der Kooperation von Domenig mit Hermann Eisenköck sammelte. Es gibt zahllose Studierende, die seit 1991 an der Technischen Universität in Graz von Peter Zinganel nicht nur über Prinzipien und Konzepte des Entwerfens aufgeklärt wurden, sondern anschaulichen Unterricht darin erhielten, über die Persönlichkeit ihres Lehrers zu erkennen, dass Architektur als Disziplin neben reinem Fachwissen auch soziale Verantwortung, Empathie und Begeisterung braucht. Peter hatte all das.

Seit 1996 führte er als Architekt ein eigenes Büro. Ehemalige und aktuelle Mitarbeiter beschreiben ihn als Arbeitgeber, der Teamarbeit und flache Hierarchien bevorzugte und freundschaftlichen Umgang mit seinen Angestellten pflegte. In einem grundsätzlichen Statement auf der Website des Architekturbüros lässt sich seine Überzeugung nachlesen, wonach Meinungsvielfalt im Diskurs, gefolgt von klarer Entscheidungskompetenz, zu besseren Problemlösungen führt. Aus Stückwerk formt sich so ein stimmiges Bild. Um Aufschluss über die Arbeit und den Lebensweg dieses Architekten zu erhalten, braucht es keine schlussfolgernde Interpretation. Allein aus der Zusammenstellung von Einzelheiten in einem zeitlichen Rahmen ergibt sich eine Lebenslinie, in der sich eins ins andere schlüssig fügt.

Peter Zinganel wächst in Zell am See auf und besucht die Höhere Technische Lehranstalt in Saalfelden. 1979 geht er nach Graz, um Architektur zu studieren. Es ist eine Zeit des Aufbruchs, der auch die Technische Hochschule erreicht, als Günther Domenig 1980 dort das Institut für Gebäudelehre übernimmt. Peter muss dem ungestümen Professor, der seinen Studenten höchsten Einsatz abverlangt, als talentiert aufgefallen sein, denn ab 1985 arbeitet er regelmäßig im Architekturbüro Domenig. Daneben studiert er und übernimmt 1986 als Co-Leiter das Architekturreferat im Forum Stadtpark, das sichzu jener Zeit neben dem eben gegründeten Haus der Architektur erst wieder neu erfinden muss. Er erkennt den Vorteil des Hauses in seiner Mehrspartenstruktur und forciert die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den anderen Referaten.

Auf die noch auf Architektur fokussierte Ausstellung mit dem Titel „Wem nützt schon ambitioniertes Bauen?“ folgt 1989 die disziplinenübergreifende Ausstellung „Trash City“. Im Büro Domenig trägt er 1987 federführend zum Wettbewerbsgewinn für den Neubau des Krankenhauses in Bruck an der Mur bei. Dieser damals beispielgebende Entwurf für eine neue Qualität im Krankenhausbau wird bis heute ihm zugeschrieben. 1990, im Jahr des Baubeginns, beendet er beinahe beiläufigsein Studium und beginnt neben der Bürotätigkeit mit eigenen Arbeiten. Es sind äußerst produktive Jahre. Er leitet das Architekturreferat im Forum allein, konzipiert 1993 die Ausstellung „Kunst als Revolte. Von der Fähigkeit, Nein zu sagen“ und ein Jahr später die zweite Auflage der legendären Architekturausstellung „Standpunkte“. 1996 gründet er sein eigenes Büro. 1997 wird er Vorsitzender und damit Leiter des Forum Stadtpark, das er in der Folge mit Ernst Giselbrecht umbauen und um ein Obergeschoß erweitern kann. 2003 beendet er seine Tätigkeit dort und konzentriert sich fortan auf Büro und Familie, die zu diesem Zeitpunkt auf fünf Mitglieder angewachsen ist. Seit der Internationalen Gartenausstellung IGS 2000 ist er immer wieder Projektpartner von Hermann Eisenköck und der Architektur Consult, in die er 2008 als teilhabender Partner eintritt; vermutlich auch, um sich abzusichern und auftragsschwache Zeiten des eigenen Büros durchzustehen, ohne Mitarbeiter entlassen zu müssen.

Beides läuft, so wird erzählt, parallel und wird aktiv und produktiv vom Chef, der seinen Mitarbeitern kein konventioneller Vorgesetzter sein will, begleitet und bearbeitet. Arbeitsprozesse werden durch gemeinsame Kaffeepausen strukturiert, die allen als Diskussionsrunden oder Erzählungen über architektonische Entdeckungen und favorisierte Architekten in Erinnerung bleiben. Peter Zinganel bevorzugt für sein Büro Leute, die „architektonisch etwas am Hut haben“. Detailwissen ist kein Einstellungskriterium, weil er weiß, dass man sich dieses aneignen kann. Er selbst ist interessiert an zeitgenössischer Kunst und Musik. In Vorstellungsgesprächen testet er Stellenbewerber mit der Frage nach dem Mastermind der Rockband Radiohead.

Der gebauten Architektur aus dem Büro Zinganel kann man ablesen, dass sie mit den Jahren pragmatischer, in ihrer Form unspektakulär und einfach wird. Der Weg der „Grazer Schule“, die er als Student aktiv mitgestaltet, ist nicht seiner geworden. Innovative Aspekte der Architektur treten in der Arbeit des Büros in den Hintergrund, was vielleicht daran liegt, dass das Büro zwar unzählige ambitionierte Projekte für Wettbewerbe entwickelt, aber kaum einen gewinnt. Im Statement zu den Grundsätzen der Büroausrichtung werden veränderte Anforderungen an die Architektur thematisiert und wird die stärkere Berücksichtigung ökonomischer und ökologischer Erfordernisse betont. Im Sozialwohnungsbau „Massive Living“ im Grazer Stadtteil St. Peter setzt Zinganel diese Maxime exemplarisch um und zeigt, was in einem engen Budgetrahmen dennoch möglich sein muss: gut funktionierende Grundrisse anzubieten und durch bedachte Gliederung der Baukörper individuellen Rückzugin halb private Außenräume von Terrassen und Balkonen möglich zu machen.

Jetzt, da die Erinnerung an Begegnungen mit ihm seine starke Präsenz ersetzen muss, wird mir klar, dass er keineswegs unzufrieden darüber gewesen sein kann, in diesen Zeiten nur in kleinen Schritten kleine Erfolge erzielt haben zu können. Immer wirkte er ausgeglichen und fröhlich. Architektur war nur ein Teil seines Lebens – eines mit der Familie, mit gutem Essen und Reisen, mit einer ausgeprägten Liebe zu Italien und Musik. Nun ist es jäh vorbei und lässt uns traurig zurück.

3. September 2016 Spectrum

Der ideale Bauherr

Versuch einer Charakterisierung: Was sind die Voraussetzungen, die zu einer geglückten Beziehung zwischen Bauherren und Architekten führen – und zu guten Bauwerken?

Ein Bauherr ist Auftraggeber für die Planung und Errichtung von Bauwerken. Dass der Begriff Bauherr über all die Jahrhunderte männlich geprägt blieb und bis heute so eindimensional verwendet wird, ist historisch vom Status des Bauherrn in der Gesellschaft abzuleiten. Das Bauen war immer Ausdruck von Macht und Planungshoheit, und diese waren männlich dominiert, egal, ob es sich um den Kaiser, um Könige oder die Kirche als Auftraggeber handelte. SchlossVersailles wurde errichtet, um als gebautes Manifest die Macht Ludwigs XIV. darzustellen, und wurde deswegen zum Inbegriff des französischen Barocks. Nach Ludwig XVI. wurde gar ein Stil, der Louis-Seize, benannt, der in ganz Europa Furore machte. Auch die Veränderungen der Welt durch die industrielle Revolution rüttelten nicht am Bedürfnis der neuen Herren, Status und Ansehen in feudal anmutenden Fabrikgebäuden und Handelshäusern auszudrücken. Es ging weiter: Als monumentale, staatstragende Geste ließ Hitler von seinem Architekten Speer die neue Reichskanzlei planen, und kaum anders agierte der Sozialist Mitterrand, als er in absolutistischer Manier selbst jene Architekten beauftragte, die mit den Grand Projets in Paris Ruf und Ruhm festigen sollten.

Die Geschichte ist ein Fundus an unzähligen großen Namen, die mit Aufträgen für monumentale Bauwerke in erster Linie ihre eigene Unsterblichkeit im Auge hatten, ohne Rücksicht auf Etats oder Nutzen. Sie nennt uns aber auch einzelne Persönlichkeiten, die in ihrer Bauherrenfunktion als Vertreter des Staates oder der Institutionen weit über das übliche Maß hinaus Engagement für Baukultur und die Bereitschaft zum Experiment zeigen. Im besten Fall tragen Bauherren solcherart zu Innovation und Fortschritt bei, und es kann Baukunst entstehen, die auf gesellschaftliche Erfordernisse zeitgemäße Antworten gibt. Als Beispiel sei Hannes Swobodagenannt, der als Wiener Planungsstadtrat in den 1990er-Jahren das Schulbauprogramm 2000 initiierte. Nicht nur, dass es über die Landesgrenzen hinaus beachtet wurde. Der Anspruch, Reformen in typologisch neuen Schulhäusern erproben zu können, hätte ein Modell mit internationaler Reputation werden können. Zurzeit sind Experimente im Schulbau schon durch den restriktiven Rahmen der nun in Wien üblichen PPP-Verfahren (Public Private Partnership) extrem gefährdet.

Ist der ideale Bauherr also einer, der alles abnickt, was sich Architekten ausdenken? Mitnichten. Im Leben wie im Bauen gilt, dassein Verhältnis dann nicht fruchtbar ist, wenn einer immer der Bestimmende ist und sein Gegenüber der immer nur Zulassende. Vielleicht erklärt dies auch, warum Architekten so selten für sich selbst bauen (und sich lieber in Altbauwohnungen einrichten). OffenerDialog und die Kenntnis anderer Sichtweisen sind als Reibeflächen wichtig, um aus einem selbst das Beste herauszuholen.

Loos irrte jedoch, wenn er um 1930 behauptete, dass das Geheimnis für gute Architektur ein fachkundiger Bauherr ist. Um einander auf Augenhöhe zu begegnen, muss der Bauherr kein Fachwissen haben. Was es im heute immer komplexeren Prozess des Bauens braucht, sind Offenheit und das Bewusstsein, dass ein gemeinsames Ziel verfolgt wird. Konrad Ott, ein deutscher Philosoph mit einem Forschungsschwerpunkt zur Umweltethik, unterstreicht in einer Betrachtung über das Verhältnis von Bauherr und Architekt die Bedeutung gegenseitigen Vertrauens, die über das rein Fachliche hinausgeht. Es ist ein Gemeinplatz, aber: Was in unseren Beziehungen zu Fachleuten wie Ärzten selbstverständlich scheint, dass wir an ihrer Fachkompetenz nicht zweifeln, scheint für Architekten, die eine ebenso lange Ausbildung hinter sich haben, nicht zu gelten.

Immer wieder erzählen Kollegen, dass ihnen zumindest am Beginn eines Planungsprozesses vonseiten der Auftraggeber ohne Wertschätzung, sogar mit tiefem Misstrauen begegnet wird, und dass man ihnen jegliche Kompetenz abspricht, wenn sie sich nicht schon über frühere Bauaufträge einen guten Ruf als Spezialisten für ein Fachgebiet erworben haben. Es erschwert Arbeitsverhältnisse, besonders für ambitionierte, aber wenig erfahrene Architekten, wenn Bauherren Architekten nicht als gleichberechtigte Partner sehen.

Was aber, wenn Bauherren Immobilienfonds, verschachtelte Bauträgerkonstrukte oder Aktionäre sind, wenn man den Bauherrn als direktes Gegenüber gar nicht zu Gesicht bekommt? Undurchschaubare Eigentümerstrukturen und das Delegierenöffentlicher Bauaufgaben an private Bauträger haben eine ganze Reihe von Nebenbauherren entstehen lassen. Diese übernehmen Aufgaben zur Steuerung, Kontrolle und Kostenminimierung und handeln, immer ihre berufliche Selbsterhaltung im Hinterkopf, als kühle Kalkulierer, die ausschließlich dem Bauherrn verpflichtet sind. Können frühere Kernkompetenzen der Architekten – Innovationsgeist, das Infragestellen herkömmlicher Strukturen und das Erarbeiten neuer, zeitgemäßer Lösungen – so zu Entfaltung und Hochblüte kommen? Es ist fraglich, ob den Architekten unter solchen Umständen die Zuschreibung als Erneuerer, die historisch gesehen immer daran beteiligt waren, die Gesellschaft weiterzuentwickeln, bleiben kann.

Nun, wir wollen nicht schwarzmalen, gabes doch einerseits immer Architekten, die ihr Tun als reine Dienstleistung verstanden haben, und gibt es andererseits offensichtlich auch noch die idealen Bauherren. Die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs lässt diese jährlich durch eine Jury aus Fachleuten im ganzen Land auffinden und ehrt auch heuer wieder die besten mit dem Bauherrenpreis.

Wie und wer ist aber der ideale Bauherr? Es gibt weder Anleitungen noch Rezepte für die Aufgabe als Bauherr. Aber es scheint einige Grundsätze zu geben, die die Beziehung Bauherr/Architekt gut gelingen lassen. Wertschätzung und Vertrauen wurden hier schon angesprochen. Wenn Loos den Bauherren auch zugestand: „Für eure Wohnung habt ihr immer recht“, so kann man ihnen doch raten, auf diesem Recht nicht von Anfang an zu beharren. Das Ergebnis eines solcherart dominierten Planungsprozesses kannselten außergewöhnlich werden.

Seid offen, seid neugierig und ermuntert, ja, fordert eure Partner heraus, möchte man Bauherren zurufen. Was daraus glückhaft entstehen kann, braucht als Voraussetzung weder unbeschränkte Geldmittel noch den Fachmann als Gegenüber. Es kann eine kleine Gemeinde wie Krumbach im Bregenzerwald, deren Bürgermeister Landwirt ist, in den Blickpunkt internationaler Aufmerksamkeit rücken. Oder erfolgreiche Strategie und beste Werbung für ein Unternehmen wie die Tiroler Handelskette M-Preis werden, das seine Bauten nicht ohne Bedacht auf Ökonomie und Effizienz errichten lässt. Kein Zweifel, an ihren preisgekrönten Bauten lässt sich nachvollziehen, was ideale Bauherren ausmacht. Die Verleihung des Bauherrenpreises findet im Übrigen am 4. November in der Anton-Bruckner-Privatuniversität in Linz statt.

6. August 2016 Spectrum

Wie man sich's mit Geld richtet

Muss Raumordnung mehr sein als die Verortung von Zentren und Räumen? Gedanken zur steirischen Raumplanung anlässlich eines aktuellen Entscheids des Verfassungsgerichtshofs zur Rechtslage der Shopping City Seiersberg.

Gemessen an der Zahl seiner Einwohner, weist Österreich EU-weit den höchsten Wert an Verkaufsflächen für den Einzelhandel auf. Einen beträchtlichen Anteil daran machen die Supermarktketten aus, die hierzulande sowohl in den Großstädten als auch im ländlichen Raum deutlich dichter auftreten als etwa in Paris, Mailand und in vergleichbaren Regionen anderer Länder. Einkaufszentren wie die SCS in Vösendorf mit knapp unter 200.000 Quadratmetern oder die Shopping City Seiersberg vor den Toren von Graz sind Teil dieser immer weiter wachsenden Angebotsdichte.
Kein Wunder, dass der Kampf um den größeren Anteil am Kuchen zwischen den einzelnen Zentren in einer Stadt wie Graz groß ist. Wer nun glaubt, dass die derzeit massiven Probleme rund um die Shopping City Seiersberg dem Konkurrenzkampf mit den Kaufleuten der Innenstadt und den Betreibern der anderen Grazer Einkaufszentren geschuldet sind, die ihren mächtigen Konkurrenten in der ehemaligen Schottergrube schon seit Anbeginn im Jahr 2003 immer wieder mit Anzeigen eingedeckt haben, der irrt. Diese Klagen wegen unlauteren Wettbewerbs durch Verstöße gegen die Bau- und Raumordnung wurden abgewiesen oder laufen noch in der Berufungsinstanz. Dabei ging es um die Errichtung angeblich illegaler Parkplätze, um die Nutzung einer Rampe und um Verbindungsbauten, die aus den in mehreren Baustufen errichteten Einzelbauten eine Mall machte, die mit genannten 85.000 Quadratmetern vermietbarer Flächen die ursprünglich genehmigte Größe weit überschreitet.
Es kam anders. Ein kürzlich auf Antrag der Volksanwaltschaft ergangener Spruch des Verfassungsgerichtshofs hob nun die rechtlichen Grundlagen jener baulichen Bindeglieder auf, die die Gemeinde Seiersberg – vermeintlich schlau – zu öffentlichen Interessenswegen zwischen Einzelzentren erklärt hatte. Damit sollte der Verstoß gegen die Größenbeschränkung verschleiert und die Shopping City in ihrer jetzigen Größe legalisiert werden.

Da die Landesregierung in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben der überörtlichen Raumplanung Kenntnis von dieser Genehmigung durch die Gemeinde gehabt haben müsste, könnte sie sich auch selbst bald in höchst prekärer Lage befinden. Die Drohung der Eigentümer der Shopping City, sich im Falle einer erzwungenen Schließung per Amtshaftungsklage am Land Steiermark schadlos zu halten, kam postwendend.
Verständlich, dass nun alle Beteiligten bestrebt sind, den Schaden möglichst gering zu halten. Flugs wurde ein Absatz im steiermärkischen Raumordnungsgesetz herangezogen, der das Land durch Verordnung ermächtigt, Erweiterungen von Einkaufszentren und deren Größe unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall festzulegen. Die sogenannte Einzelstandortverordnung soll den illegalen Status beenden. Sie wird ihn vermutlich bis zum Ende der genehmigten Sanierungsfrist im Jänner 2017 auch „reparieren“ – und das, obwohl einige der Voraussetzungen, die das Gesetz für die nachträgliche Genehmigung nennt, sicher nicht gegeben sind. Die Shopping City Seiersberg ist absolut autoaffin. Mit leistungsstarker Erreichbarkeit im öffentlichen Nahverkehr und der Vermeidung unzumutbarer Immissionen und großräumiger Überlastung der Verkehrsinfrastruktur kann sie nicht punkten. Wer nicht über die Autobahn, sondern von Osten aus der Stadt kommt, der schlängelt sich über eine schmale Ortsstraße mitten durch kleinteilige Einfamilienhausbebauung, die Abfahrten zu den zahlreichen Parkplätzen erzeugen Verwirrung und Stau. All das hatte schon bei früheren Erweiterungen eine Bürgerinitiative auf den Plan gerufen.

Ausschlaggebend für die Wahl des Standorts und den Ausbau des Zentrums war wohl die Anbindung an die Autobahn und die Möglichkeit, auf Bestand, einen früheren Großmarkt, aufzubauen. Rücksichtnahme auf die Umgebung, auf Immissionsvermeidung und die Auswirkungen auf Verkehr und Nahversorger waren um die Jahrtausendwende kein Thema, und das Instrument der Umweltverträglichkeitsprüfung gab es noch nicht. Doch heute sollte es Gültigkeit haben und auch angewandt werden, wenn es darum geht, nachträglich Legalität herzustellen.
Die Sorge der Gemeinde, ihre wichtigste Einnahmequelle zu verlieren, ist nachvollziehbar. Das immer strapazierte Argument der Gefährdung von mehr als 2000 Arbeitsplätzen im Falle einer durch Höchstrichter angeordneten Schließung zeigt zwar das Dilemma auf, doch heiligt es als Zweck die unlauteren Mittel nicht. Und es stimmt auch nicht, denn längst weiß man, dass immer neue Einkaufszentren nur zu Verdrängungswettbewerb und Verlagerung von Beschäftigung und Gewinnabschöpfung führen. Wer ohne Standort- und Bedarfsanalyse Genehmigungen auf der grünen Wiese erteilt, trägt dazu bei, aus Stadtzentren Kaufkraft abzuziehen und sie mittelfristig veröden zu lassen.

Fachleute fordern daher längst, die Raumordnungspolitik grundlegend zu ändern. Zuständigkeiten wie Flächenwidmungen, die heute noch bei der Gemeinde als Baubehörde erster Instanz liegen, sollten längst auf eine andere, überkommunale Ebene gehoben werden. Nur wenn überregional und bedarfsorientiert Flächen geordnet und beplant werden, kann überbordender Flächenverbrauch mit all seinen ökologischen Nachteilen eingedämmt werden. Bürgermeister müssten froh darüber sein, wenn der Druck, Bauland zu widmen, von ihnen genommen wird. Dazu müsste jedoch dem Wettbewerb unter Nachbargemeinden, Gewerbebetriebe in ihrem Gemeindegebiet anzusiedeln, die Grundlage entzogen werden. Gelingen kann das, wenn Kommunalabgaben überregional eingehoben und nach neuen Kriterien an die Gemeinden verteilt werden.

Nun ist Seiersberg bereits gebaut und daher als Sanierung zu betrachten. Kein Politiker wird riskieren, als Vernichter von Arbeitsplätzen gebrandmarkt zu werden, sollte die verlangte Einhaltung von Rechtsvorgaben dies bewirken. Die Reparatur wird eine Quadratur des Kreises werden und partikulare Interessen weiterhin unberücksichtigt lassen. Gerade deshalb müssten strenge Vorgaben erlassen werden, die bei der ursprünglichen Widmung offensichtlich nicht berücksichtigt wurden, aber heute noch umsetzbar wären. Etwa eine leistungsstarke Anbindung an den öffentlichen Verkehr und an das Radwegenetz, weiterreichende Einschränkungen für den Individualverkehr, auch wenn dies unpopulär ist, oder eine großräumig gedachte neue Anbindung für den Individualverkehr, die umweltverträglicher ist.
Im Sinne der immer lauter geforderten Kostenwahrheit für Infrastruktur und Erhaltung abgelegener Standorte müssten selbstverständlich jene dafür zahlen, die die erhöhten Kosten verursachen – in diesem Fall die Eigentümer der Shopping City Seiersberg. Nur so würde Seiersberg als Reparaturfall nicht ein Exempel dafür werden, wie man sich's mit Geld richten kann, sondern auch eines, wie man es künftig besser machen muss.

2. Juli 2016 Spectrum

Auf dem Wasser gehen

Drei Kilometer lang, 16 Meter breit, auf dem Wasser schwimmend, bestehend aus Polyethylen-Hohlkörpern, bedeckt mit gelbem Nylonstoff: Christos „Floating Piers“ am oberitalienischen Lago d'Iseo. Rezeptionsversuch eines Kunstwerks.

Kann ein Kunstwerk unbeschadet ein Kunstwerk bleiben, wenn es in den 16 Tagen seiner physischen Existenz von 700.000 oder gar bis zu einer Million Besuchern und Besucherinnen geradezu überrannt wird? Über die „Floating Piers“, die jüngste Land-Art-Installation von Christo, die er einst mit seiner 2009 verstorbenen Partnerin Jeanne-Claude konzipierte, wurde in den letzten Wochen viel berichtet. Was die beiden ursprünglich für den Rio de la Plata erdacht und später für eine Bucht in Tokyo adaptiert hatten, wurde nun von Christo auf dem lombardischen Iseosee Wirklichkeit: ein drei Kilometer langer und 16 Meter breiter, auf dem Wasser schwimmender Steg aus Polyethylen-Hohlkörpern, lose bedeckt mit einem kräftig gelben Nylongewebe.

In drei Teilen verbindet er den Ort Sulzano auf dem Festland mit Peschiera Maraglio auf der Insel Monte Isola, sticht dann von der ebenfalls mit Stoff bedeckten Uferpromenade hin zur winzigen Privatinsel San Paolo, die mit den schwimmenden Pontons eingefasst wurde, um nach präziser Richtungsänderung zurück zur kleinen Ansiedlung Sensole ans Ufer der Insel mit dem höchsten Berg Europas in einem Süßwassersee zu führen. Die Linienführung der Stege, die Christo in höchster Präzision festgelegt hat, zeigt sich selbst auf Satellitenbildern eindrucksvoll. Dieser Anblick ist jedoch nicht des Künstlers Ziel.

Bei all ihren Arbeiten – ob beim Valley Curtain, dem Running Fence, dem verhüllten Berliner Reichstag oder den Gates im New Yorker Central Park – hatten Christo und Jeanne-Claude stets im Sinn, etwas zu schaffen, das die Betrachter berührt und ihnen Freude macht. Menschen aller Couleurs, auch solche, in deren Leben Kunst bis dahin keine Bedeutung hatte, werden als integraler Teil jedes Projekts gesehen – egal, ob sie beteiligt sind am Entstehen eines Projekts, oder Besucher, die das Werk in der kurzen Zeitspanne seiner Präsenz vor Ort erleben wollen. Das unterscheidet Christo von James Turrell, der seine große Vision vom Licht, das Räume magisch verändert, an abgelegenen Orten realisiert und dem Publikum nicht zugänglich macht.

Formvollendete Ästhetik, die alle technisch höchst aufwendig und perfekt realisierten Installationen von Christo kennzeichnet, ist ein Ergebnis dieser lebenslangen Arbeit, ist jedoch, folgt man seinen eigenen Erklärungen, weder Ausgangspunkt noch Ziel seiner Projekte. Hinter dem sinnesfreudigen Erlebnis, das Christo den Besuchern wünscht, steckt ein stringent durchdachtes Konzept. Es geht wohl darum, Orte, Landschaften und das Gewohnte, das uns umgibt, bewusster wahrzunehmen durch eine Irritation des täglich Erlebbaren. Das schafft jener Künstler am unmittelbarsten, der aus der privaten Abgeschiedenheit des Ateliers heraustritt, sich nicht begnügen will mit der Rezeption seines Werks durch eine Minderzahl an Besuchern von Ausstellungen und Museen, und der daher im öffentlichen Raum arbeitet und sein Werk allen zugänglich macht.

Wenn Christo am Iseosee schwimmende Stege von A nach B und nach C legt, so ist dies ein artifizieller Akt, der die natürlichen Orte und ihr Verhältnis zueinander hervorhebt. Die Beziehung vom Festland zur großen und zur kleinen Insel als auch ihre Distanz zueinander werden physisch unmittelbar spürbar im Schwanken der Pontons. Ihr sanftes Schaukeln auf den Wellen bei Wind und durch vorbeifahrende Boote bewirkt, dass man jeden Schritt bewusster setzt. Man geht auf dem Wasser.

Die sinnliche Wahrnehmung macht Erklärungen durch Kunsttheoretiker entbehrlich, wenngleich es natürlich erhellend ist, Zusammenhänge zwischen Christos Anfängen als Künstler des Verhüllens in den 1960er-Jahren und seiner Herkunft herzustellen. Gut möglich, dass er, als Bulgare aus einem Land kommend, in dem in der sozialistischen Nachkriegsära keine andere Dimension der Kunst als die Abbildung des Realen erlaubt war, die Wirklichkeit durch Verhüllen verfremden und zugleich bewusster machen wollte. Vermutlich rührt auch sein Streben nach Unabhängigkeit und autonomer künstlerischer Entscheidung daher und führte den Künstler zum Grundsatz, jedes seiner von langer Hand vorbereiteten und aufwendig umgesetzten Projekte ausschließlich durch den Verkauf seiner Zeichnungen und Collagen zu finanzieren.

Die „Floating Piers“ haben Christo 15 Millionen Euro gekostet. Kritiker meinen dennoch, es sei unseriös, so viel Geld und Energie in ein Projekt fließen zu lassen, das nur 16 Tage als vollendetes Werk besteht. Dass Installationen wie diese zeitlich limitiert sein müssen, um ihre Wirkung zu entfalten, ist klar. Wären sie immer da, so nützte sich der Aspekt der außergewöhnlichen Perspektive und der Irritation des Gewohnten und Normalen ab. Wer nur in ökonomischen Kategorien denkt, wird dieser Begründung für das Vergängliche nicht folgen können. Sucht man jedoch nach Erklärungen für die unfassbar große Anziehungskraft, die die „Floating Piers“ auf Menschen aus allen Teilen der Welt in diesen Tagen ausüben, so kann man sie vielleicht gerade darin finden: im scheinbaren Ungleichgewicht zwischen ökonomischem Aufwand und ökonomischem Effekt. Die wirtschaftliche Gegenüberstellung von Einsatz und Gewinn ist hierbei nicht anwendbar.

In der Warteschlange an der Schiffsanlegestelle in Iseo und auf dem Mäuerchen am Uferweg der Insel sitzend, von dem aus ich zwei Stunden lang die dicht gedrängt vorbeiziehenden Menschen beobachtete, festigte sich meine Vermutung, dass für Alt und Jung auch dies Reiz und Anziehung ausmacht: Christo hat etwas Außergewöhnliches, in jeder Hinsicht Großes geschaffen, das er ohne jegliches kommerzielles Interesse allen zugänglich macht. Ich hörte keine Beschwerden, kein Raunzen, las in den Gesichtern nur fröhliche Erwartung und Freude darüber, dies erleben zu dürfen: das Gehen über das Wasser auf leicht schwankendem Boden, das immer wieder andersfarbige Schimmern des dahliengelben Stoffs, der die Piers und Uferwege verschwenderisch im unregelmäßigen Faltenwurf bedeckt und nachdunkelt, wo das Wasser die abgesenkten Randzonen der Stege umspült (was auf der Schwarz-Weiß-Abbildung hier leider nicht einmal zu erahnen ist). Die „Floating Piers“ sind auf der „Architektur & Design“-Seite dennoch richtig platziert, denn es gilt in der Architektur wie in der Kunst: Das Außergewöhnliche schärft unsere Wahrnehmung der Welt. Es stillt zudem das Bedürfnis, als Individuum Teil von etwas Besonderem zu werden.

Selbst wenn es schön wäre, noch einmal im milden Licht eines Nachmittags im Spätherbst auf den „Floating Piers“ lustwandeln zu können, dann auch vielleicht mit weniger Gleichgesinnten und der Chance zu innerer Einkehr: Es ist nach dem 3. Juli schlicht nicht mehr möglich. Dem flüchtigen Augenblick muss man die nachhaltige Impression und Erinnerung an das Außergewöhnliche, das außergewöhnlich Schöne entgegensetzen.

16. April 2016 Spectrum

Die neue Vitalität

Nachhaltiges Handeln, wie heute von uns verlangt, wird an Zweckbauten der Nachkriegsmoderne demonstriert. Das ehemalige Chemie-Institut der TU Graz: Beispiel für eine differenzierte Sicht auf Denkmalschutz.

Ein repräsentatives Bauwerk der in den 1960er-Jahren entstandenen Erweiterungsbauten der Technischen Universität in Graz wirdfunktionslos, da seit 2010 ein neu errichtetes Ersatzgebäude alle labortechnischen Standards bietet, die wissenschaftliches Arbeiten auf hohem Niveau einfordert. Das nun leer stehende Gebäude stammt von Professor Karl Raimund Lorenz, dem Graz markante Bauwerke wie das Elisabethhochhaus verdankt. Nach Friedrich Achleitner zeigen der enge, in die steinverkleidete Wandeingebundene Raster des Chemischen Instituts und die Behandlung von Sockel- und Dachgeschoß „jenen Verschnitt von Traditionalismus und Modernismus, der für die repräsentative Architektur der Fünfzigerjahre so charakteristisch war“.

Als Denkmal im Eigentum des Bundes gilt das öffentliche Interesse an seiner Erhaltung als gegeben und steht der markante Bau in einem Ensemble von unterschiedlichsten Institutsbauten der TU Graz unter Schutz, solange ihm nicht über einen Antrag auf Feststellung per Bescheid Gegenteiliges zugestanden wird. Dies geschieht nicht. Offensichtlich stehen architekturhistorischer Wert und der Standortvorteil auch für die Bundesimmobiliengesellschaft außer Zweifel, denn schon 2008 wurde ein Architektenwettbewerb zur Adaptierung des Gebäudes in ein Institut für Biomedizinische Technik ausgeschrieben. Für dieses junge Studium, in dem Methoden der medizinischen Bildgebung erforscht werden, werden keine Labors gebraucht, wohl aber Büros, Seminarräume und Hörsäle wie jener, der im Lorenz-Bau, angedockt als eigener Baukörper an der Geländekante, vorhanden ist. Die Umwandlung erfolgt seit 2014 nach den Plänen der Arbeitsgemeinschaft der BürosIngenos und Gangoly &Kristiner. Die Herausforderungen für den Umbau sind nicht anders als bei den meisten Bauten der Nachkriegsmoderne. Entstanden ganz imGeist des unerwartet raschen Wirtschaftswachstums und geformt durch ein schier unbegrenztes Fortschrittsdenken, das sich auch in der Wahl von wenig erprobten, damals neuen Fassadenmaterialien wie Sichtbeton, Zement- oder Polyester-Faserplatten zeigte, wurden Rathäuser, Schulen, Verwaltungsbauten errichtet.

Die Fassade am Gegenstand der heutigen Betrachtung – ein Raster aus schlanken Sichtbetonstützen – war solide und überstand mehr als 50 Jahre unbeschadet. Themen wie die Ökonomie im Umbau und im späteren Betrieb des Gebäudes, eine deutliche Verbesserung der Energiebilanz und die Abwägung von Forderungen nach Funktionalität einerseits und Erhaltung im Sinne des Denkmalschutzes andererseits waren prägend für das Gestaltungskonzept. Interessant ist, wie in steter Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt vorgegangen wurde. Die Fassade musste in ihrer Außenwirkung unangetastet bleiben, zu ihrer thermischen Verbesserung entwickelte man einen innen liegenden Schichtaufbau aus Dämmplatten mit Vormauerung und Lehmputz. Sie beweist, dass es Alternativen gibt zu der angeblich unumgänglichen Maßnahme der energetischen Sanierung von Altbauten, bei der durch eine monströs dicke Verpackung mit Dämmplatten und -putz und den Einbau von neuen Fenstern mit massiven Rahmen die fein gestaltete Gliederung und Proportionalität dieser Bauten verloren geht.

Hier wurden die Fenster sorgfältig saniert und mit einer neu eingefrästen Isolierglasscheibe thermisch aufgerüstet, was auch günstiger gewesen sein soll, als neue Fenster einzubauen. Anderes musste hingegen rigoros weichen. Wo neue Funktionen es notwendig machten, wurden weitgehend Trennwände, Installationen und Einrichtungen entfernt und wurde nur die Tragstruktur belassen. Ein prägendesQualitätsmerkmal des Lorenz'schen Baus wurde jedoch erhalten: die zentrale Eingangshalle, die sich nach oben in ein einladend helles Stiegenhaus erweitert. NeueZugänge zu den Instituten verstärken den Eindruck der räumlichen Großzügigkeit zusätzlich. Dass jeweils am Kopf des Gebäudes Fluchtstiegenhäuser vorhanden waren, kam dem Bestreben nach einer Beschränkung der Eingriffe in die Gebäudehülle auf das Notwendigste zugute. Nichts musste angebaut werden.

Das gilt auch für die neu eingerichtete Mensa im obersten Geschoß. Wo heute mit traumhafter Aussicht auf den Schlossberg die Mittagspause verbracht werden kann, war früher die aufwendige Technik untergebracht; der Rücksprung gegenüber den Regelgeschoßen wurde zur attraktiven Dachterrasse. Eine kleine Hinzufügung erlaubten sich die Architekten mit einem Vordach über der Terrasse für das neue Café im Erdgeschoß, das die Adaptierung des Gebäudes von außen dezent andeutet.

Das bestimmende Kriterium des Erhalts solch guter Zweckbauten der Nachkriegsmoderne ist nicht die Einzigartigkeit des Objekts, wenngleich Fortschrittsglaube und Prosperität darin zeittypisch ausgedrückt sind. Eher ist ihre Erhaltungswürdigkeit darin zu sehen, dass sie unverzichtbar eingebettet sind in ein städtisches Ensemble. Der größte Vorzug dieser Gebäude aber liegt in der strukturellen Ordnung und der Großzügigkeit ihrer Raumkonzepte – ein enormes Potenzial für eine Transformation in etwas Neues, anders Funktionierendes. Das spielt unserer Zeit in die Hände, in der wir mehr denn je gefordert sind, Mittel ressourcenschonend und ökonomisch einzusetzen. Ann Lacaton und Pierre Vassal wurden bekannt dafür, dass ihre architektonischen Interventionen immer diesen Prinzipien folgen. Wenn sie in Bordeaux in drei Hochhäusern einer riesigen Wohnsiedlung aus den 1960er-Jahren mehr als 500 Apartments aus schlecht erhaltenem Mittelmaß in moderne, lichtdurchflutete Heime mit Wintergarten verwandeln, so kommt noch ein anderer Aspekt dazu: Die in diesen Quartieren alt gewordenen Menschen können in ihrer gewohnten Umgebung bleiben.

Erhaltung statt Abriss setzt einen neuen Blick auf die Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre voraus. Was bis vor Kurzem als hässlich, monströs und inhuman empfunden wurde, wird heute als der humanere Gesellschaftsentwurf gesehen. Dazu zähle ich auch Siedlungsstrukturen und die Gestaltungvon Gemeinschafts- und Freiräumen, die es zu erhalten gilt. Das braucht eine Sichtweise und Bewertung von Gebäudeschutz, wie sie bei der Umwandlung des Chemiegebäudes in das Institut für Biomedizinische Technik angewandt wurden. Weder die architekturhistorische Bedeutung noch die Forderung nach Erhaltung des Originals steht im Vordergrund, sondern das Potenzial für eine maßvolle Veränderung, die sich aus den Qualitäten des Bestehenden entwickelt und dabeiseine Eigenheiten schätzt und schützt.

5. März 2016 Spectrum

Heiter und leicht

Volker Gienckes „Great Amber“: ein Haus für Proben und Aufführungen des städtischen Symphonieorchesters, das zudem durch Musikschüler, Gastspiele, Konferenzen und sogar Hochzeiten belebt wird. Zu Besuch nach der ersten und wichtigsten Bauphase des Kulturdistrikts in Liepaja, Lettland.

Lässt man sich darauf ein, zu einem Zeitpunkt über die räumlichen Qualitäten eines Gebäudes zu schreiben, da dieses erst als Entwurf und räumliches Modell existiert (wenn es auch als solches einen großen internationalen Architekturwettbewerb für sich gewinnen konnte), so gebietet nicht vordergründig der Wunsch, als seriöse Fachjournalistin und Kritikerin wahrgenommen zu werden, es sich nach seiner Fertigstellung anzuschauen, sondern sind es Neugier und die Lust, zu sehen, was aus der Planung mit präziser Raumvision entstanden ist.

2004 schrieb ich an dieser Stelle, dass sich an der Konzerthalle in Liepaja, Lettlands drittgrößter Stadt, zeigen wird, ob Leidenschaftlichkeit, Verve und das sprichwörtliche Beharrungsvermögen ihres Architekten, des Grazers Volker Giencke, ausreichend groß sind, um das schier Unmögliche möglich zu machen. Lettland war eben erst in die EU aufgenommen worden, das Land war arm, die große Zeit der Stadt und ihres Hafens vorbei.

Nun ist der „Great Amber“, der großeBernstein, als erste, wichtigste Baustufe eines Kulturdistrikts seit November des letzten Jahres in Betrieb. Das Symphonieorchester von Liepaja, das älteste des Landes, hat endlich ein Haus für Proben und Aufführungen. Musikschüler beleben das Haus am Nachmittag, es gibt Gastspiele, Konferenzen finden statt, und es werden Hochzeiten gefeiert im Saal hoch oben, wo der Zauber der Lichtwirkung durch die orange bis rot changierende Glashülle sich mit dem grandiosen Ausblick über den Hafen, das Meer und die russische Vorstadt paart.

Nähert man sich der Altstadt über die Brücke, erscheint der mächtige, alle Speicher und Wohnbauten seiner Umgebung überragende Baukörper (noch) mit solitärer Dominanz – je nach Lichtverhältnissen und Tageszeiten verschieden in Farbton und Durchlässigkeit der doppelschaligen Fassade. Bei Sonne: ein Strahlen, schwer zuordenbare Reflexionen auf der schräg geneigten äußeren Glashaut mit vier fein abgestimmten, übereinander geklebten Folien in Orange- und Rottönen – ein betörender Gesamteindruck. Bei Tagesgrau: ein ruhiges Warmrot, das als abschließende Hülle wirkt. Nächtens bei Betriebsamkeit: differente Transparenz zwischen beleuchteten und dunklen Ebenen und ein Durchblick zum innen liegenden Volumen, das Funktionen wie den großen und denkleinen Saal, eine Experimentierbühne, die Fluchttreppen und Nebenräume über- und nebeneinander schichtet.

Ein kompakter, aus Stahlbeton gebauter und nach außen weitgehend verschlossener Körper – organartig, aber präzise skulptural geformt – wird umgeben von einer transluzenten schiefzylindrischen Hülle, die atemberaubende Zwischenräume schafft. Diese Lufträume über mehrere Geschoße sind Foyers. Von den Treppen, Brücken und Galerien aus, die das Parkett, die Ränge und Seitenbalkone des großen Saals erschließen, ist das Hauptfoyer von wechselnden Blickpunkten aus immer wieder neu und überraschend zu entdecken. Diese Grundidee vom Raumerlebnis im Durch- und Umwandern von fließend geformten Räumen, von unten nach oben, von innen nach außen, von hell zu dunkel, die Giencke in den Grazer Gewächshäusern als „promenade rural“ umgesetzt hat, gelang dem Architekten und seiner Projektleiterin Petra Friedl ohne Abstriche auch in Liepaja. Dabei musste der Wettbewerbsentwurf in der Finanzkrise deutlich verkleinert und mit der Musikschule eine neue, raumfüllende Funktion untergebracht werden. Einzig die Vorstellung, von den Foyers aus auch den Himmel betrachten zu können, konnte nicht realisiert werden. Noch nicht, denn vom Auftraggeber gab es das Versprechen, als folgerichtige Konsequenz des Konzepts später den Hüllkörper auch auf dem Dach hin bis zum kompakten Kern zu verglasen.

„Gienckes Raummodell ist fließend, aber reflexiv, diszipliniert, aber ungezwungen“, schrieb der englische Literat und Theoretiker Roger Connah einst in einem Essay über Haltung und Arbeit des Architekten. Dem sind Attribute wie Heiterkeit und Leichtigkeit hinzuzufügen. Beides kann man auch in der Civita Nova, dem großen offenen Raum auf Straßenniveau, empfinden, der nach Gienckes Intention von den Stadtbewohnern wie jeder öffentliche Raum genützt werden kann. Heitere Leichtigkeit schafft die schräg gestellte Fassade, eine frei stehende, geknickte Wand und eine gekurvte Rückwand, dann der Blick nach oben über eine große Deckenöffnung, Blickkontakte – und das, obwohl dieser Raum die Basis für alles bildet, was sich darüber auftürmt. Und die Lichtstimmung durchdas orangerote Glas? Das Zauberhafte zu beschreiben ist schwierig. An jenen Tagen zwischen Nebel und spärlichem Sonnenschein schien zuerst alles irreal entrückt vom Geschehen auf den Straßen, später das Gemüt aufhellend und fröhlich machend.

Ähnlich heiter wirkte der große Saal auf mich. Seine Schwere sieht man ihm nicht an, eher noch die enorme Höhe von etwa 20 Metern für die Tribüne im Parkett und zwei Ränge darüber, die sich als Balkone auch über die geknickten Seitenwände ziehen. Hier versagt die Beschreibung ebenso, denn die Raumform, in produktiver Zusammenarbeit mit dem Akustiker optimiert, ist von großer Komplexität. Ein riesiger variabler Schallreflektor unter der Decke und akustisch wirksame Wandelemente tragen dazu bei, auf jedem Platz ein besonderes Hörerlebnis zu haben. Wer erfährt, dass das gesamte, in den ersten Reihen sanft in Stufen ansteigende Parkett mit ausgeklügelter Bühnentechnik auf die Höhe der Bühnenfläche gehoben werden kann und damit als Tanzpodium genauso wie für Tagungen oder Präsentationen Verwendung findet, staunt nur kurz. Waagner-Biro, heute weltweit Marktführer in dieser Sparte, zeichnet für die Technik unter und über der Bühne, die den Saal zum Mehrzwecksaal macht, verantwortlich. Kein Zweifel – Giencke glückte, was er anstrebte: einen vielgestaltigen, dabei präzise plastisch geformten Raum zu schaffen, der – überwiegend in Weiß mit sparsamer Farbigkeit – heiter und einladend und dabei frei von jedem Pathos wirkt.

Hans Scharoun, den vielleicht wichtigsten Vertreter einer organischen Architektur, und seine Berliner Philharmonie nennt der Architekt als Vorbild. Dass die Gabe und das Talent, ein Gebäude aus dem Wesen der Bauaufgabe heraus zu entwickeln, auch ihm gegeben ist, hat er uns schon in Aigen im Ennstal mit einer wundervollen Kirche und im Stift Seckau mit dem bezaubernden Choralraum bei der Landesausstellung bewiesen –und es zeigt sich nun erneut am „Great Amber“ in Liepaja

2. Januar 2016 Spectrum

Stufen der Intimität

Architektur und Atmosphäre – was man sich untrennbar vereint wünscht, scheint in der Realität ein Glücksfall. Was aber schafft eigentlich Atmosphäre? Eine Nachforschung.

Zugegeben, es gäbe Themen mit größerer Aktualität und Brisanz, die am Anfang dieses Jahres die Architekturseite füllen könnten. Allenfalls spricht für die Wahl, über Atmosphäre in der Architektur zu schreiben, ihre zeitlos große Bedeutung, lohnend, immer wieder von Neuem ergründet und überdacht zu werden – ganz so wie die guten Vorsätze zum Jahresbeginn.

Spricht man das Thema an, ganz gleich, ob im Freundeskreis, unter Architekten oder mit Studierenden, und fragt, was unter Atmosphäre oder als atmosphärisch verstanden wird, so kommen meist Antworten aus dem Bauch heraus. Gefühl wird ins Spiel gebracht, argumentiert wird mit Emotionen, mit einem Berührt- und Bewegtsein, das hervorgerufen wird (oder einen überkommt) in atmosphärisch dichten Räumen. Manch einer behilft sich mit der Benennung von realen Beispielen solch atmosphärisch aufgeladener Räume, in der Hoffnung, dass die anderen diese Orte auch kennen, ihre Wirkkraft in ähnlicher Weise erlebt haben und verstehen, was man selbst unter Atmosphäre versteht.

Denn das ist auch erstaunlich: Ein Raum mit Atmosphäre wird häufig positiv assoziiert und mit Attributen wie Schönheit, Harmonie und sogar mit dem Erhabenen gleichgesetzt, obwohl der Begriff an sich gänzlich wertfrei ist. Es gibt auch sie: atmosphärische Kälte, Unbeseeltheit oder öde Langeweile. Es scheint schwierig, architektonische Atmosphären, die einen emotional anrühren, präzise mit Worten zu fassen, und schier unmöglich, ihre Genese analytisch nachzuvollziehen und bis ins Letzte zu erkennen, was sie ausmacht und uns im besten Fall verzaubert. In seinem 2006 erschienenen Buch „Architektur und Atmosphäre“ kommt der deutsche Philosoph Gernot Böhme nicht darum herum, etwas unscharf Atmosphären als „gestimmte Räume“ zu definieren, in die „man sich hineinbegibt und ihren Charakter an der Weise erfährt, wie sie unsere Befindlichkeit modifizieren oder uns zumindest anmuten“.

Als Großmeister des Atmosphärischen habe ich Peter Zumthor tituliert, lange bevor der Schweizer Architekt 2013 mit dem „Nike-Preis für Atmosphäre“ des Bundes Deutscher Architekten ausgezeichnet wurde – für das von ihm gestaltete Diözesanmuseum Kolumba in Köln (siehe „Spectrum“, 23. November 2007). Auch seine Annäherung an das Thema ist hoch persönlich, wie er im Band „Atmosphären“ (Birkhäuser, 2006) ausführt. Seine Antworten bezeichnet er als persönliche Empfindlichkeiten. Er schreibt von „Stimmigkeit, die auch mehr ein Gefühl ist“, und empfindet es als tröstlich, wenn er aus dem Zitat eines russischen Musikwissenschaftlers über die musikalische Grammatik bei Igor Strawinsky ableiten kann, dass es auch eine handwerkliche Seite gibt in der Aufgabe, (architektonische) Atmosphären zu erzeugen. „Es muss Verfahren, Interessen, Instrumente und Werkzeuge geben in meiner Arbeit“, notiert er auf seiner Suche. Antworten findet er in Zuschreibungen wie „Zusammenklang der Materialien“, „Spannung zwischen innen und außen“ und „Stufen der Intimität“.

Wenn Atmosphäre also nicht etwas glückhaft Entstandenes ist, etwas, das man gar nicht rational planen kann, so müsste man im Umkehrschluss, kennt man die richtigen Ingredienzien, auch relativ einfach atmosphärisch aufgeladene Räume schaffen können. Aber solche Räume, die unsere emotionale Wahrnehmung im Bruchteil von Sekunden ansprechen, weil sie etwas ausstrahlen, das uns fern von jeder analytischen Ursachenforschung berührt und all unsere Aufmerksamkeit fordert, sind seltener, als ich es mir wünschen würde. Unddoch hat der Architekt objektive Hilfsmittel zur Verfügung, um Atmosphären dieser Art zu erzeugen. Sie zu kennen ist Voraussetzung; sie im rechten Maß und im richtigen Verhältnis für einen jeweils spezifischen Ort zusammenzufügen ist Kunst. Schon die Definition der Werkzeuge bedeutet, sich auf glattes Parkett zu begeben.

Hier ein Versuch, dem die Behauptung zugrunde liegt, dass Atmosphäre aus dem In-Szene-Setzen einzelner Elemente entsteht. Dinghafte und auch nicht gegenständliche Mittel werden in einen kompositorischen Zusammenhang gestellt. Inszenatorische Wirkung entsteht aus der im Entwurf gefundenen Raumform oder Gestalt, die geprägt ist von Geometrie und Proportion, einst Ebenmaß genannt. Dann durch Raumfolgen, die Abwechslung und Überraschung in sich bergen. Wichtig scheint mir die Materialität oder Stofflichkeit von Räumen – was für Innenräume wie für Stadträume gleichermaßen gilt. Maßgebend ist auch hier nicht der einzelne Werkstoff, sondern sind die Gegenüberstellung und das harmonische Zusammenspiel der gewählten Materialien – ihre Textur. Zu den nicht stofflichen Erzeugenden zählen Licht und Schatten, Farben und Töne. Was hier prosaisch Licht oder Lichtführung genannt wird, kann im besten Fall in seiner Wirkung beglückend sein. Immer wieder tauchen vor meinem Auge Le Corbusiers Spiel mit dem in den Sakralraum der Kirche von Ronchamp einfallenden Licht auf und die daraus entstehende heiter-festliche Atmosphäre.

Töne oder bestimmte wiederkehrendeGeräusche formen bei Zumthor den spezifischen Klang eines Raumes. Hier greift er auf Erinnerungen an Räume der Kindheit zurück. Auch Zeichen und Symbole können eine Atmosphäre prägen, wenn sie kulturell konnotiert sind und Assoziationen hervorrufen – ebenso Materialien, die dadurch Symbolkraft erhalten. Denken wir an die Verarbeitung und den Einsatz von Holz im alpinen Bauen, das von den meisten Menschen als stimmig empfunden und gleichgesetzt wird mit Gemütlichkeit. Selbst Loos hat, das Ornament als überflüssig verdammend, Marmor mit kraftvoller Zeichnung und stark gemasertes Wurzelfurnier eingesetzt, um sinnliche Eleganz auszudrücken.

Durch individuelle Inbesitznahme entsteht Atmosphäre, nachdem die Arbeit des Architekten abgeschlossen ist. Zumthor nennt dies „die Dinge um mich herum“. Die Planer von Räumen, Häusern und ihrer Umgebung können dafür nur die Basis schaffen, die Aneignung erlaubt, ohne die Qualität ihrer Arbeit zu überdecken. Natur ist eines der sich zeitlich verändernden Elemente, die durch ihre inszenatorische Wirkung eine Atmosphäre stark prägen können. Es beginnt damit, ein Gebäude gut in seine Umgebung einzubetten, das vorhandene und das hinzugefügte Grün zum gestaltgebenden Element zu machen, das unmittelbar erlebt werden kann. Alles weitere formt die Zeit.

Einen verbindlichen Leitfaden für die Erzeugung von Atmosphären, die in allen Menschen ein Wohlgefühl hervorrufen, gibt es nicht, weil Menschen unterschiedlich empfinden. Ihre Emotionen sind geprägt von ihrer Kultur und Herkunft, von ihren Erfahrungen und Erinnerungen. Der Versuch, Atmosphären zu erzeugen, bleibt trotz objektiver Werkzeuge ein subjektiver Akt. Voraussetzungen zum Gelingen sind vermutlich nicht nur kreatives Talent, sondern auch emotionale Einfühlungskraft und Lebenserfahrung.

30. Oktober 2015 Spectrum

Auf dem Weg zum Klassiker

Mit einfachen, feinen Bauten im kleinen Vorarlberg heimst der Architekt Bernardo Bader Preise ein, die ihm internationale Anerkennung bringen. Zuletzt die Auszeichnung „Haus des Jahres 2015“ für ein Objekt namens „Behauste Scheune“. Brief an einen Vielgeehrten.

Geschätzter Bernardo Bader, Ihre Arbeit als Architekt stößt auf mein ungebrochenes Interesse, seit ich in einer für den Anlass erstaunlich kleinen Zeitungsnotiz las, dass einem gewissen Bernardo Bader den „Aga Khan Award for Architecture“ zugesprochen wurde, und zwar für den Entwurf des islamischen Friedhofs in Altach. Das war 2013, und ich muss gestehen, dass ich bis dahin weder etwas gehört hatte von einem Architekten namens Bernardo Bader noch von der Gestaltung eines Friedhofs in Vorarlberg, die für einen so hochrangigen Preis der islamischen Welt – vergleichbar mit dem amerikanischen Pritzker-Preis – in Betracht gekommen wäre. Seitdem weiß ich, dass Sie aus Vorarlberg kommen, dass Sie in Innsbruck Architektur studierten, dass Ihre Lehr- und Wanderjahre Sie auch nach Paris ins Büro von Dietmar Feichtinger geführt haben und dass Sie ein eigenes Büro in Dornbirn leiten.

Ihr Œuvre, Ergebnis der Arbeit von nicht viel mehr als einem Jahrzehnt, erstaunt sowohl in seinem Umfang wie auch in seiner durchgängigen Qualität, soweit Bildmaterial diese wiedergeben kann, und die Anzahl renommierter nationaler und internationaler Preise, die Sie für Ihre Einfamilienhäuser, Kindergärten, Schulen und eben auch Friedhofsgestaltungen bis jetzt erhalten haben, ist beeindruckend.

Nun wurde Ihr Wohnhaus für eine junge Familie, das Sie „Behauste Scheune“ nennen, auch zum „Haus des Jahres 2015“ gekürt – eine Auszeichnung, die vom Callwey Verlag in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Architekturmuseum zum fünften Mal vergeben wurde und, ja, die zum ersten Mal nach Österreich ging.

Anlässlich einer kurzen Fachreise zu Holzbauten in Vorarlberg wollte ich nun Ihre Arbeit an Ort und Stelle besser kennenlernen und Ihr jüngst ausgezeichnetes Werk hier, auf dieser wöchentlich der Baukultur gewidmeten Seite, präsentieren. Meine Anfrage in Ihrem Büro zur Besichtigung des Wohnhauses wurde mit einer Begründung abgewiesen, die nachvollziehbar ist: Die Bewohner seien vor Kurzem Eltern geworden und bräuchten ihre Privatsphäre. Doch was tun, wenn man als Architekturkritikerin aus Prinzip nicht über Bauten schreibt, die man nicht eingehend besichtigen konnte? Ihr Bürohatte mich mit umfangreichem Bild- und Textmaterial versorgt, und auf unserem Reiseplan stand die Besichtigung von drei anderen, von Ihnen geplanten Bauten.

Doch unumgänglich für eine fundierte Auseinandersetzung schien mir die Möglichkeit, Ihnen gezielt Fragen über die Motive und Umstände Ihrer Arbeit stellen zu können. Ich wollte Hintergründe erfahren, um dieses preisgekrönte Haus in einen Kontext zu betten, um seine Qualität zu verstehen und beurteilen zu können. Die Veröffentlichungen zur Preisvergabe, die mir von Ihrem Büro überlassen wurden, schienen mir allesamt Auszüge aus einer Presseaussendung zu sein. Die Wiederholung des immer Gleichen wollte ich keinesfalls, unmöglich aber auch, von Ihnen einen Gesprächstermin oder auch nur ein Telefoninterview zu bekommen.

Jenen, die mit dem Brustton der Überzeugung behaupten, dass jedes Gebäude innerhalb zeitlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und Diskurse einem Qualitätsurteil standhalten muss, ohne dass man konkrete Anforderungen an Bauaufgabe und Bau kennt und vom Bauprozess und seinen Widrigkeiten Kenntnis hat, kann ich nur bedingt zustimmen. Es ist erhellender und spannender, Geschichten um die Genese eines Hauses zu erfahren und es dann unter unterschiedlichsten Aspekten zu betrachten.

Nun also doch der Versuch, die Qualität der „Behausten Scheune“ in Doren fassen zu können: Wir sehen ein breit und satt auf eine Wiese gesetztes Bauvolumen mit wenigen Öffnungen, die in ihrer Höhe und Proportion wohl aufeinander abgestimmt sind. Äußerste Reduktion in der Gestaltung – kein Dachvorsprung, keinerlei Zierrat – lässt auf ein Gebäude mit landwirtschaftlichem Nutzen schließen. Aber es ist, wie vorangestellt, ein Wohnhaus für eine noch kleine Familie. Hat man die Möglichkeit, eine Serie von Bildern anzuschauen, die auch die beiden vom Betrachter abgewandten Seiten des Hauses und Innenräume zeigen, so kann man erkennen, dass die vom Dorf abgewandte Seite, mit Blick ins freie Feld, große verglaste Öffnungen zu einer ins Volumen eingeschnittenen gedeckten Terrasse hat. Kein Vorsprung, keine Nebenbauten, etwa für eine Garage. Diese ist ein integrierter Teil des Erdgeschoßes, in dem zurzeit gekocht, gewohnt und geschlafen wird.

Hätte ich die Möglichkeit gehabt, Sie als Architekt zu befragen, die Frage lautete: War die Entscheidung, die Garage ins Haus zu integrieren, eine formale, um den Baukörper kompakt und stringent zu formen? Ihre mögliche Antwort finde ich in einer Beschreibung, die Sie selbst unter „Sehnsucht nach poetischer Normalität“ zu diesem Haus verfassten. Es schien Ihnen wichtig, sich der sparsamen und funktionellen Tugenden des traditionellen Bregenzerwälder Hauses zu bedienen. Das alte Bauernhaus in familiärem Besitz, an dessen Stelle Sie das neue setzten, vereinte Wohnen und landwirtschaftliche Funktionen unter einem Dach.

Sie schreiben auch, dass ein mit dem Geist des alten Hauses und dem Ort verwachsener Bau das erklärte Ziel war. Damit und nicht nur mit geringeren Kosten ist zu erklären, dass das Holz im eigenen Wald ausgesucht und beim „richtigen“ Mond geschlägert, gesägt und verbaut wurde. Dass der Holzboden, der überall im Haus verlegt ist, aus den Balken und Dielen des abgetragenen Hauses gesägt wurde.

Jener aus der früheren bäuerlichen Lebensweise und Bautradition kommenden Einstellung zu Einfachheit, Zurückhaltung und Angemessenheit ist wohl auch der Umstand geschuldet, dass es in diesem Haus zwischen dem jetzt bewohnten Erdgeschoß und dem später noch auszubauenden Dachraum keine visuelle Verbindung gibt. Unten ist unten, und oben ist davon ganz getrennt, verbunden nur durch eine schmale, einläufige Treppe zwischen Wänden. Befragen kann ich Sie dazu nicht, aber ich glaube zu erkennen, dass auch dies ganz auf die Bedürfnisse der Bauherren zugeschnitten ist.

Selbstverwirklichung als Architekt ist Ihre Sache nicht. Was Sie vorgeben und offensichtlich auch von Ihren Bauherren verlangen, ist, einen Weg mit Ihnen zu gehen, der zu einer Klarheit und Modernität führt, die sich zwar an Traditionen orientiert, diese Grundgedanken aber mit heutigen Materialien wie Sichtbeton und heutigen Mitteln der Bearbeitung transformiert. Was daraus entsteht und an diesem einfachen Haus gut ablesbar ist, drückt eine überraschende Dualität aus: Kritischer Regionalismus in Holz paart sich mit Innenräumen, die moderner nicht sein könnten. Diesen Eindruck hautnah zu erleben, blieb mir vorenthalten. Mit Gruß auf ein Später, wenn Jahre ins Land gezogen sind und Ihre Häuser Klassiker geworden sind!

15. August 2015 Spectrum

Reden wider die Wand?

Für die einen ist sie Schutz und Verbesserung der Lebensqualität, für andere ein Ärgernis, das die freie Sicht einschränkt. Kaum ein anderes Bauwerk wird so unterschiedlich aufgenommen wie die Lärmschutzwand.

Die Lärmschutzwand – für die einen ist sie Schutz und eineVerbesserung ihrer Lebensqualität, für die auf der anderen Seite eine ärgerliche Einschränkung der Wahrnehmbarkeit von Landschaft und der Teilhabe am Geschehen jenseits der Wand. Kein anderes Bauwerk wird so divergierend aufgenommen, abhängig davon, auf welcher Seite man steht (oder fährt). So ist sie – im wahrsten Sinne des Wortes – einerseits ein Segen, andererseits ein Ärgernis, das die individuelle Freiheit des Schauens reduziert und das uneingeschränkte Umherschweifen-lassen des Blicks unmöglich macht.

Mauern werden immer gebaut, um das Unerwünschte dauerhaft auszublenden und fernzuhalten. Damit ist die Errichtung von Lärmschutzwänden legitimiert. Die Einschränkung der im Auto oder im Zug an ihr entlang Fahrenden (und Gehenden), die zugegebenermaßen von kurzer Dauer ist, wird als das kleinere Übel gesehen, das hingenommen werden muss.

Nicht ein Hügelzug als natürlicher Horizont von Siedlungsraum und freier Landschaft oder ein Waldsaum bilden die Grenze unseres Blicks, sondern alles verdeckende Aluminiumelemente mit dem überdimensionierten Schriftzug „Laaer Wald“, „Böhmischer Prater“ oder „Alte Donau“ – das der Geschwindigkeit der Autofahrer geschuldete Angebot der Hersteller an ortsgebundener, „individueller“ Gestaltung. Die Bezeichnung steht für das Eigentliche, das nur erleben kann, wer die nächste Ausfahrt nimmt.

Interessante Frage, was für uns Dauermotorisierte heute das Exterritoriale, Fremde ist. Sind es die Autobahnen und Schnellstraßen, die über weite Strecken zum Zwecke von Lärmschutz eingehaust sind und das Land als eine Art Endloswanne oder Halbtunnel durchziehen – oder das, was hinter den Wänden liegt? Als abgesonderte, geradezu auf das Auto süchtig machende Welt hat der österreichische Maler Max Peintner die Autobahn bereits in einem 1984 verfassten Text beschrieben.

Er, der in seinen Zeichnungen früher als jeder andere die Veränderung unserer Wahrnehmung in einer übertechnisierten, mehr und mehr verbauten Umwelt aufmerksam gemacht hat, schreibt: „Bei den neuen Fernverbindungen quer durch die Alpen ist in engen Tälern die Straße völlig vom Gelände abgesetzt auf Betongalerien den Hang entlanggeführt, vier- bis sechsspurig und komplett mit Pannenstreifen. Man ist auf der dem Boden näheren Seite noch immer in Höhe der Baumwipfel und fährt also durch eine Landschaft, die in einem neuen Sinn unberührt ist. Im Autobahntal ist in blanker Bedeutungslosigkeit versunken, was unterhalb des Fahrbahnniveaus liegt. Es gehört zu den Aufgaben der großen Straße, einem jede Anteilnahme an Leben und Tätigkeit der Menschen zu ersparen, durch deren Land man fährt. Ein Gefühl von beschwingter Verantwortungslosigkeit, von Überlegenheit kommt auf, wie im Schnellzug, wenn er ganze Siedlungen wegzaubert, indem er in ihren Bahnhöfen dieselbe Geschwindigkeit hält wie im freien Feld.“

Wie würde Max Peintner – gut 30 Jahre und eine verbaute Länge von 1300 Kilometern an Lärmschutzmaßnahmen später – dieses nun noch umfassender von seiner Umgebung isolierte Terrain sehen? Als Möglichkeitsraum für das hemmungslose Ausleben von Überlegenheit und Verantwortungslosigkeit? Beobachtet man, wie Geschwindigkeitsbeschränkungen von Dauerrasern gnadenlos ignoriert werden, so ist man geneigt, im Tunnelblick einen Mechanismus zur Distanzierung von allem zu sehen. Was schert mich hier die Welt „draußen“?

Mag sein, dass es diesen psychologischen Effekt gibt; häufiger fühlen sich Menschen beim Fahren zwischen Wänden wohl eingeschränkt in ihrem Freiheitsbedürfnis oder stören sich an ihrem Anblick. „Schreiben Sie doch über die Verschandelung von ganzen Landschaften durch Lärmschutzwände“, regte ein Leser an und belegte diese mit Bildern von Lärmschutzvorkehrungen anlässlich der Verlegung der Bahn in Spital am Pyhrn. „Die Trassenführung auf einem teils mit groben Flussbausteinen aufgeschichteten Damm. Darüber, zwischen hohe Steher eingeschoben, Metallelemente in Rot, Grau und Grüntönen – grelle Farben, bunt und zufällig zusammengesetzt. Dahinter am Hang sattes Wiesengrün und Wohnhäuser in traditioneller Bauweise, Holzgiebel, eingewachsen und halb verdeckt von altem Baumbestand. Dieses entsetzliche Bauwerk verschandelt die Gegend für immer“, schreibt Peter K., dabei hätte es sicher schönere Lösungen gegeben – Einfarbigkeit, landschaftsgerechte Materialien oder Verzicht.

Der Verzicht auf einen gebauten Lärmschutz müsste ein gemeinschaftlich entschiedener Akt der Ablehnung sein, um eine besonders schöne Landschaft unversehrt zu erhalten. Sie wird dort kaum zustande kommen, wo die Lärmbelästigung von Anwohnern am Tag mehr als 65 Dezibel beträgt, denn jeder, der in der Nähe einer Lärmquelle wie der Autobahn oder Schnellstraße wohnt, kann einen Lärmschutz beantragen. Der österreichische Autobahnbetreiber fördert diesen und greift auf im Handel erhältliche, geprüfte Systeme zurück, auch wenn ein Gestaltungswettbewerb für ganze Streckenabschnitte durchgeführt wird.

Zweifellos sind Lärmschutzbauten auch eine ästhetische Herausforderung. Die vielen neuen Massivwände aus Holzbeton auf den österreichischen Strecken vermitteln nicht den Eindruck, dass diese befriedigend bewältigt ist, auch wenn die Asfinag sich das Ziel gesetzt hat, „das Erscheinungsbild der heimischen Autobahnen und Schnellstraßen in Bezug auf architektonische Qualität und Einbindung in die Landschaft zu verbessern“ und seit 2010 einen Gestaltungsbeirat hat. Auf der Autofahrt von Köln zur Museumsinsel Hombroich fiel mir einmal ein außergewöhnlich dezenter Lärmschutz mit Glaswänden auf Erdwällen und bewusst davor gestreuten Baumgruppen und Büschen auf. Glas, das auch den Blick weitet – ein zweifacher Gewinn! Vom österreichischen Autobahnbetreiber erfahre ich, dass Glas aufgrund der zwei- bis dreimal so hohen Kosten und der reflektierenden Eigenschaft nur in geringem Ausmaß eingesetzt wird.

Und hier haben wir es wieder, das alles schlagende Argument: Wirkung und Kosten müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen; dazu wird die Asfinag vom Staat verpflichtet. Als Maß für die Zweckmäßigkeit des gebauten Lärmschutzes werden immer noch vorrangig Lärmverminderung und Kosten gelten, und kaum landschaftsverträgliche Lösungen, wenn sie mehr Aufwand und Mehrkosten bedeuten. Genau das sollte sie uns aber wert sein:

Denn wer mit Tunnelblick zwischen Lärmschutzwänden fährt, der kann die Schönheit von Landschaften gar nicht erkennen und wird keinesfalls animiert, das Schild Ausfahrt als Einladung zu sehen, tiefer ins Land vorzudringen und zu verweilen. Das gilt für Fremde wie für Heimische gleichermaßen und sollte selbst Touristiker auf den Plan rufen, die Gestaltung von Lärmschutz, der wirklich im Einklang mit der Landschaft ist, zu fordern und zu fördern.

11. Juli 2015 Spectrum

Worüber man doch schreiben muss

Beurteilen verlangt, selbst Stellung zu beziehen, und das kann schmerzhaft sein – besonders in der überschaubaren Szene eines kleinen Landes wie Österreich. Über Architekturkritik zwischen Beschönigung und Applaus von der falschen Seite.

Friedrich Achleitner, der große Chronist und Archivar der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts, hat in einem der zahlreichen Gespräche anlässlich seines 85. Geburtstags die Architekturkritik als unlustiges Geschäft bezeichnet. Unter anderem hat er auch damit begründet, warum er nach mehr als zehn Jahren der Architekturkritik in der „Presse“, von 1962 bis 1972, die Erkundung und Aufzeichnung österreichischer Bauqualitäten vorzog. Kritik werde verletzend wahrgenommen, und Applaus bekomme man immer von der falschen Seite, etwa von den „Feinden“ desjenigen, dessen Arbeit man kritisch beurteile.

Dass Sachkritik oft auf eine persönliche Ebene herabgestuft wird, mag daran liegen, dass Diskurs und Diskursfähigkeit hierzulande nicht auf hohem Niveau ausgebildet werden. Wir sind nicht geübt darin, Kritik erst einmal als konstruktiven Akt der Auseinandersetzung mit Fakten zu betrachten, und vergessen, dass sein Wortstamm, das altgriechische „krinein“, (unter-)scheiden, trennen, entscheiden heißt und „kritiké téchnē“ die Kunst des Auseinanderhaltens von Fakten, der Infragestellung und der Beurteilung ist.

Beurteilen verlangt, selbst Stellung zu beziehen, und das kann fallweise unangenehm sein – schmerzhaft für jene, deren Bauwerke kritisch im Sinne von nicht positiv gesehen werden, aber auch für diejenigen, die diese Einschätzung (publik) machen. Das gilt besonders in der überschaubaren Szene eines kleinen Landes wie Österreich, in der man einander kennt und als Architekturkritiker und Architekturkritikerin auch über Gebäude von Freunden oder Kollegen schreiben muss, wenn sie von öffentlichem Interesse sind.

Nun könnte man sich als Architekturkritiker mit dem Argument behelfen, dass man es in der Tageszeitung mit einer Leserschaft zu tun hat, deren Interesse für das zeitgenössische Bauen erst geweckt werden sollte oder deren Begeisterung dafür vertieft werden kann, wenn sie regelmäßig mit interessanten Bauten oder Begebenheiten bekannt gemacht wird. Den Aspekt des Vermittelns in den Vordergrund stellen? Ja, doch. Und kritische Anmerkungen dann weglassen? Die weit verbreitete Distanz und Ablehnung gegenüber dem, was Fachleute als schöne und interessante Bauwerke ansehen, unter Umständen noch verstärken durch eine Betrachtung, die auch das thematisiert, was das fachlich geschulte Auge als misslungen empfindet?

Damit sind wir bei einer weiteren Schwierigkeit. Wir müssen uns eingestehen, dass unser Urteil über Qualität trotz der Gesetzmäßigkeiten und Regelwerke, denen das Bauen unterworfen ist, immer auch subjektive Empfindung bleiben wird, weil wir heute, gottlob, keinen allgemein gültigen Bewertungskanon zur Ästhetik haben.

Kritisch berichtet wird über Kostenüberschreitungen, Baumängel, Kniefälle vor Investoren und andere unsaubere Machenschaften. Seltener jedoch thematisieren wir das Misslingen eines architektonischen Konzepts, eine ungekonnte Ausführung oder ästhetische Zumutung. Was in der Theater-, Film- oder Literaturkritik gang und gäbe ist, wird in den Berichten über Architektur oft vermieden. Verrisse, die einen Diskurs anheizen könnten, finden sich kaum einmal in Fachmagazinen. Offene kritische Auseinandersetzung in der Tagespresse wird schnell als Nestbeschmutzung abgetan und gilt vielen als kontraproduktiv.

Sicher: Was kein Architekturkritiker wollte (Konjunktiv!), ist, dass seine kritische Haltung dazu verwendet wird, einen ganzen Berufsstand zu verunglimpfen. Andererseits halte ich auch nichts vom Schönschreiben durch Auslassungen oder Umschreibungen mit bedeutungsschweren Metaphern. Menschen mit Interesse am zeitgenössischen Baugeschehen lernen durch Teilhabe selbst, Stärken und Schwächen von Bauten zu erkennen. Ihnen sei ein kurzes Schlaglicht auf die Arbeitswoche einer Architekturkritikerin gewidmet, in der alles anders kommt als geplant.

Ein Beitrag für das „Spectrum“ ist zu schreiben. Lange schon als Thema reserviert ist die Erweiterung des Museums Liaunig im Kärntner Neuhaus durch Querkraft Architekten. Sie haben auch das erste Gebäude mit einer markanten, durch den Hügel gelegten Röhre geplant. Mein erster Eindruck des neuen Raums für Sonderausstellungen: eine bis ins Detail sorgfältig gestaltete Erweiterung mit stark eigenständigem Charakter, als dreieckiger Raum eine in sich geschlossene Form und dennoch, funktionell gut gelöst, gleich vom Foyer aus zu betreten. Die Raumfiguration mit dem leicht schräg gestellten Zutritt ungewöhnlich und überraschend, großzügig und unverstellt, was die Wirksamkeit der Objekte verstärkt.

Licht scheint gleichmäßig verteilt von oben einzufallen, auch wenn man die Lichtöffnungen auf den ersten Blick nicht sehen kann, weil ein den Raum beherrschender Trägerrost aus schlanken Stahlbetonrippen ihn dominiert. Er ist der Blickfang, der zum genauen Hinsehen zwingt. Worin liegt seine Systematik? Ist er den konstruktiven Anforderungen geschuldet, oder treiben die Architekten ein Spiel mit der Geometrie des Dreiecks, aus der sie die Verteilung der Oberlichten ableiten? Querkraft hat hier einen spannenden, schönen Raum gestaltet.

Warum dieser Architekturbeitrag dann doch nicht ausschließlich das sehenswerte erweiterte Museum thematisiert? Etwas kam der Architekturkritikerin, die sich auch als Chronistin dem aktuellen Baugeschehen ihrer Heimatstadt Graz verpflichtet fühlt, dazwischen, ein öffentliches Gebäude, das kurz vor seiner Fertigstellung besichtigt werden konnte – das zentrale Werkstätten- und Laborgebäude der Landesberufsschule Graz-St. Peter von Architekt Michael Wallraff.

Wie hier eine durchaus nachvollziehbare Idee der stadträumlichen Aufwertung einer heterogenen Ansammlung an Bestandsbauten durch einen markanten Solitärbau umgesetzt wurde, hat mich nachhaltig geschockt. Das Konzept, noch ablesbar: ein Laborgebäude, hoch und schmal, wird durch eine Dachlandschaft mit einem liegenden, flachen Baukörper verbunden, der Großwerkstätten enthält. Die Verbindung soll sichtbarer und damit sinnfälliger werden durch den Übergang der artifiziellen Landschaft in die Vertikale der Fassade. So weit, so gut.

Aber mit welchem Aufwand – grob im Materialeinsatz und ungekonnt in der Detailausbildung – hier Aufenthaltsqualität und ästhetische Wirkung erzielt werden sollte! Angesichts einer äußerst komplizierten Tragkonstruktion der Fassade, die zwar das Treppenhaus als zentralen Innenraum dominiert, jedoch keinerlei zusätzliche Innenraumqualität schafft, stellt sich mir sofort die Frage nach der Angemessenheit der Mittel, um eine Idee umzusetzen. Ich stelle mir Fragen, die allesamt den Prozess der Entstehung von Architektur betreffen. Und ich stelle mir die Frage, ob man darüber schreiben darf, schreiben muss.

Es ist das Dilemma der Architekturkritik, die hierzulande so unterentwickelt ist, dass jedes kritische Urteil eine Verurteilung zu sein scheint, die ich mir nie anmaßte.

18. April 2015 Spectrum

Narzissen sind nicht alles

Gut gemeint heißt nicht gut gelungen, wieder einmal: das neue Wellnesshotel Vivamayr von Hohensinn Architektur im steirischen Salzkammergut.

Ein erfolgreicher Industrieller, der einst als jüngster österreichischer Finanzminister Bekanntheit erlangte, errichtet in Altaussee ein Gesundheitszentrum als Ganzjahresbetrieb. Auch wenn sich der Tourismus im steirischen Salzkammergut bis heute kaum zweisaisonal etablieren konnte, könnte dieses Projekt erfolgreich werden. Seine Gäste konzentrieren sich auf innere Einkehr, Entschlackung und Ernährungsumstellung. Ungünstige äußere Bedingungen – im Ausseer Becken liegt an 100 bis 120 Tagen im Jahr Schnee – und kurze Zeiten der Sommerfrische sollten Gäste von dieser Form der Erholung nicht abhalten. Investments wie dieses braucht ein Ort, in dem das jährliche Narzissenfest das größte touristische Ereignis darstellt.

Der Investor plant gründlich. Er setzt ein beratendes Projektteam ein, lässt gut aufbereitete Projektunterlagen zusammenstellen und lädt fünf renommierte Architekturbüros ein – zur Erstellung eines Gesamtkonzepts (Giselbrecht, Hohensinn, Jabornegg und Pálffy, Johannes Kaufmann, Wissounig). Übliche Regeln des Architektenwettbewerbs kommen ebenso wenig zum Einsatz wie eine Fachjury. Entscheidungen behält man sich selbst vor. Das erworbene Grundstück in Ufernähe des Sees, unmittelbar an die naturbelassene Uferpromenade angrenzend, enthält Teile, die als allgemeines Wohngebiet und Erholungsgebiet ausgewiesen sind, darf also bebaut werden.

Als Intellektueller und Ortsansässiger weiß der Investor, dass Bauen in einer Kulturlandschaft, die zum UNESCO-Welterbe zählt, an einem Ort, der seine Bedeutung aus dem mehr als 800 Jahre währenden Salzbergbau erlangte und schon im 15. Jahrhundert als Luft- und Salzkurort genannt wurde, nach hoher Sensibilität verlangt. Die Erstellung eines Bebauungsplans und zahlreiche Verordnungen der Gemeinde und der Landesregierung, die den Altausseer See 2002 zum Naturschutzgebiet erklärt hat, waren die rechtliche Grundlage des Projekts. „Die Baukörper sind in Proportion, Situierung und äußerer Gestaltung dem Ortscharakter beziehungsweise dem Landschaftsbild entsprechend auszubilden“ lautet der Kernsatz der Bebauungsrichtlinien der Gemeinde, was für Altaussee hieße, Gebäudehöhen auf zwei Etagen und ein ausgebautes Dachgeschoß zu beschränken. Dementsprechend hielt man in den Ausschreibungsunterlagen fest, dass davon ausgegangen werden könne, bei Ausnutzung der größtmöglichen Bebauungsdichte eine Hotelanlage in drei Geschoßen zu errichten.

Mit diesen Vorgaben und einem detaillierten Raumprogramm ausgestattet, machten sich die fünf Geladenen an die Arbeit. Zum Zeitpunkt der Projektvorstellung scheint die Gemeinde mit an Bord geholt worden zu sein, denn vom Bürgermeister ist der Ausspruch überliefert, dass ein Gebäude mit einer mehrfach geknickten Dachform, wie es das Projekt des Büros Hohensinn aus Graz vorsah, überall, aber sicher nicht in der Gemeinde Altaussee errichtet werden kann. Vier der fünf Teilnehmer unterwarfen sich dem Wunsch nach Überarbeitung ihres Entwurfs, Jabornegg und Pálffy stiegen aus, obwohl ihr Vorschlag die Vorgabe von Dreigeschoßigkeit und Satteldach erfüllt hatte.

Letztendlich wurde das Projekt von Hohensinn Architektur zur Realisierung ausgewählt. Seine Grundfigur war in der Dachform, der Fassadengliederung und der Fassadengestalt so lange abgeändert worden, bis die Vorstellungen aller Beteiligten von einer gelungenen Einfügung in das Orts- und Landschaftsbild befriedigt waren. Über die zu erwartende Höhenbeschränkung hatte sich der Architekt schon in seinem Erstentwurf hinweggesetzt. Wie Gesamtnutzflächen von rund 8.000 Quadratmetern in funktionell zusammenhängende Baukörper bringen, die den Charakter der historischen Bauten im Ort wiedergeben? Der Architekt hatte dreigeschoßige Zimmertrakte – aufgeteilt auf drei Baukörper, die durch eine innen liegende Y-förmige Erschließung zu einem Ganzen verbunden sind, auf einen Sockel gesetzt. Diese horizontale Schichtung unterbrach ein Zwischengeschoß für die medizinischen Einrichtungen des Hotels. Mit seiner verglasten Fassade, die zurückspringt, sollte es eine horizontale Zäsur sein und zu einem Ausdruck von Kleinteiligkeit beitragen. Die Gesamthöhe der fünf Geschoße konnte nicht geleugnet werden, ihre Wirkung sollte durch die gliedernde Gestaltung jedoch gebrochen und gemildert werden. Auch die Teilung der Dächer in kleinere, unterschiedlich flach geneigte Flächen im Erstentwurf war ein Beitrag dazu.

Überraschenderweise stieß sich niemand an der Höhenentwicklung des Projekts. Mag sein, dass man schon bei der Präsentation des Erstentwurfs eingesehen hat, dass sich ein derartiges Volumen nicht in der Typologie eines Ausseer Hauses unterbringen lässt. Dennoch wird zu diesem Zeitpunkt die Forderung nach dem ortstypischen Satteldach in Steilform zur unabänderlichen Macht des Faktischen, wie es der Architekt ausdrückt. Und so macht er seinen Entwurf „ortsverträglich“. Die Chance auf den Auftrag, der in greifbarer Nähe ist, will er nicht verlieren. Kann man ihm das verübeln? Der Kanon an Formen und Materialien, den er entwickelt, orientiert sich nun stärker an traditionellen Elementen.

Geschnitzte Holzsteher werden neu interpretiert und das Bild von ornamentierten Holzbrüstungen in gepixelte Holzschalungen transformiert. In vermeintlicher Analogie zum massiven Sockel aus rosafarbigem ortsüblichem Bruchstein an einem historischen Nachbargebäude, dem Parkcafé, wird das Sockelgeschoß des Neubaus als „Steinsockel“ tituliert, obwohl nur ein Rahmen, der mit Marmorplatten im gleichen Farbton verkleidet ist, um den weitgehend verglasten Sockel gezogen wird. Zitate ruraler Gebäudeausstattung finden sich auch zahlreich an der Innenraumgestaltung, für die das Architekturbüro BWM verantwortlich zeichnet.

Am gebauten Ergebnis lässt sich exemplarisch ablesen, dass sich die Orientierung an regionalen Eigentümlichkeiten nicht auf jede Bauaufgabe übertragen lässt. Ein Projekt in der Größenordnung des Anfang April eröffneten Hotels kann schon wegen der großen zusammenhängenden Flächen, die das Ergebnis funktioneller Vorgaben sind, und aufgrund seines daraus entstehenden Volumens nicht nach Maßstäben und Richtlinien beurteilt werden, die von den Baumassen traditioneller Ein- und Zweifamilienhäuser abgeleitet werden. Vorgaben zur traditionellen lokalen Formensprache führten zu einem Ergebnis, das nun in Höhe und Volumen – subjektiv empfunden – massiver wirkt als der Erstentwurf. Der Architekt hat guten Willen gezeigt und den Begehrlichkeiten der Gemeinde und der Auftraggeber entsprochen. Sein Bestes konnte er nicht geben.

Man muss den Diskurs über die Zukunft des touristischen Bauens nicht über ein Extremvorhaben wie den 381 Meter hohen Turm, der ins Schweizer Bergdorf Vals gesetzt werden soll, führen. Diskurs ist auch anhand von gebauten Beispielen möglich, die anschaulich demonstrieren, dass strikte Bebauungsrichtlinien für landschaftsverträgliches Bauen zur Farce werden, wenn sie maßstabslos angewandt werden. Neue Tourismuskonzeptionen brauchen die Möglichkeit, neue Typologien und Gestaltformen zu entwickeln. Fragen nach der Angemessenheit eines Bauvorhabens dieser Größe an einem besonderen Ort wie dem Altausseer Seeufer müssten am Anfang stehen.

7. März 2015 Spectrum

Natur pur mit Stahl und Beton

Der Osttiroler Architekt Gerhard Mitterberger entwirft seit einem Vierteljahrhundert in der Steiermark seine Bauten. Einfachheit und Robustheit zeigen die Dinge, wie sie sind.

Weder der Bauboom in fernöstlichen Metropolen noch einzelne medial gehypte Leuchtturmprojekte in Europa können darüber hinwegtäuschen, dass die Tätigkeit der Architekten krisengeschüttelt ist, auch wenn, wer mit offenen Augen durch die Lande fährt und durch unsere Städte geht, den Eindruck gewinnt, dass die Auftragsbücher der Bauwirtschaft prall gefüllt sein müssten. Zweifelsohne wird viel gebaut, und es wird auch mehr denn je über das „Gute Bauen“ geschrieben. Das Marx'sche Theorem, wonach das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt, scheint jedoch in Bezug auf die Forderung nach gutem Bauen und Baukultur nicht anwendbar. Das Bewusstsein für hohe Bauqualität durch Fachleute – die Architekten – scheint, anders als bei Chirurgen oder Haustechnikern, nicht sehr ausgeprägt. Wie sonst ist zu erklären, dass der Anteil an Planungsleistungen von Architekten in Österreich immer noch so gering ist und sie nur bei geschätzten fünf Prozent der gesamten Bauvorhaben hinzugezogen werden?

Vor allem für frisch vereidigte Architekten wird es immer schwieriger, zu Aufträgen zu kommen und an Architekturwettbewerben teilzunehmen. Das liegt sicher nicht am fehlenden Engagement der Jungen – nein, es gibt einfach kaum Verfahren, die offen sind und nicht so hohe Zugangshürden vorgeben, dass Büros ohne große Referenzbauten sie erfüllen könnten. Nachdem Architekten, nicht anders als andere fachlich Qualifizierte, ihr Wissen durch Studium und erforderliche Praxis erworben haben, zeigt sich nicht zuletzt darin mangelndes Vertrauen in das Können dieser Berufsgruppe. Auch deshalb ist es interessant und aufschlussreich, die Berufsbiografie eines Architekten im Zusammenhang mit der Zeit seiner Tätigkeit und ihren soziokulturellen Gegebenheiten zu betrachten. Prägen individuelle Erkenntnisse und Biografien oder gesellschaftliche Diskurse ein Architektenleben stärker, oder wirkt beides gleichermaßen?

Gerhard Mitterberger betreibt seit einem Vierteljahrhundert in Graz als selbstständiger Architekt ein Büro mit zwei bis drei Mitarbeitern. Was er planen und bauen konnte, steht vorwiegend im ländlichen Raum der Steiermark, manches in seiner Heimat Osttirol. Mitterbergers architektonische Sozialisation fand zweifelsohne in den Zeichensälen, den Diskutierstuben der Grazer Technischen Universität in den 1980ern statt. Peter Blundell Jones führt ihn 1998 in der ersten theoretischen Aufarbeitung von „New Graz Architecture“ als Vertreter einer kommenden Generation an, die darauf hinweise, dass die Geschichte der Neuen Grazer Architektur noch nicht zu Ende geschrieben ist. Als Vertreter der Grazer Schule wird man ihn, dessen Bauten durch Einfachheit und werkstattartigen Charakter gekennzeichnet sind, kaum einordnen, selbst wenn man diese Zuschreibung wie der Autor weit fasst und die Heterogenität der Arbeiten dieser Gruppe berücksichtigt.

Gerhard Mitterbergers Zugang zum Bauen ist direkt, er bleibt im thematisch Grundsätzlichen einer Bauaufgabe. Diese Haltung ist vermutlich weniger der Opposition als Reaktion auf die Künstlerattitüden mancher „Väter“ der Grazer Architektur geschuldet als der biographischen Herkunft des Architekten. In der Natur und den Bergen Osttirols aufgewachsen, ist er Bergsteiger, der den Weg zum optimalen Ziel exakt bemisst und alles Überflüssige vermeidet. In seiner Arbeit scheint ihm nicht das Erklimmen höchster Gipfel wichtig zu sein. Das Ergebnis seiner kreativen Anstrengung soll eine einfache, robuste und gut funktionierende Form der Behausung sein, die viele Möglichkeiten ihrer Aneignung und Benutzung offen hält. Dass der „Naturbursch“ Mitterberger dabei mit Vorliebe die Leichtigkeit einer knappen, ephemer wirkenden Hülle anstrebt,die vor Wind und Wetter schützt, dabei den direkten Zugang zur Natur, zu Licht und Sonne hervorhebt, ist aus dieser Sicht verständlich. Dass Auftraggeber im ländlichen Raum seine unkonventionellen Vorstellungen und sein Materialverständnis akzeptieren können, ist hingegen erstaunlich.

Mitterberger verwendet Materialien mit Vorliebe pur – unbehandelt, unveredelt, unverkleidet. Er arbeitet mit konstruktiv wirksamen Massivholzelementen, die als Tafeln mit fertiger Sichtholzoberfläche auf die Baustelle kommen, er verwendet rauen Beton nicht nur als Sockel und baut Stahlträger auch unlackiert ein. Sieht er im Außenbereich Holzschalungen vor, so dürfen diese natürlich verwittern, grau und auch mal fleckig werden. Dennoch ist Holzbau für ihn keine Frage der Ideologie, sondern eine der Erzeugung atmosphärischer Räume, und so hat er auch keinerlei Scheu davor, als Außenhaut seiner Holzkonstruktionen witterungsbeständige, kunststoffbeschichtete Fassadenplatten zu verwenden – neuerdings sogar mit Blattdekor.

Auch wenn der Architekt, wie er selbst betont, die vier Sportanlagen, die er bis jetzt in Landgemeinden realisieren konnte, auf materialtechnischem Low-Level geplant hat („Sportplätze können Würstelbudenatmosphäre haben“), darf man nicht daraus schlussfolgern, dass seine Arbeit grob ist. Ein transparentes Dach aus gewelltem Polycarbonat wirkt zwar lapidar, wird aber fein detailliert und solide montiert, genauso wie Innenwände aus Massivholz, die in abgewinkelter Zusammensetzung fein auf Gehrung geschnitten werden oder die gut durchdachten Möbel aus Dreischichtplatten in Holz, die er für den Kindergarten in Stallhofen bauen lässt, um nicht Spanplatten verwenden zu müssen.

Design, meint der Architekt, habe in seiner Auffassung von Architektur keinen Platz. Das Bedürfnis, ein Funktionsprogramm auf seine wesentlichen Anforderungen hin zu optimieren und dabei zugleich einfach und zweckorientiert zu bleiben, verlange nach intelligenten Konzepten, die keine Behübschung brauchen. Das ist vielleicht das Geheimnis des Erfolges des Architekten: In seinen Bauten zeigt er die Dinge, wie sie sind. Seine Sprache kann offensichtlich verstanden werden. Dass er dabei, wie im Musikheim in Stallhofen, außergewöhnliche Räume schafft, reiht ihn doch als Nachfolger der Grazer Schule ein. Im Gegensatz zu jenen, die heute lossprinten wollen, hatte Jungarchitekt Mitterberger seinerzeit die Gelegenheit, sich über Wettbewerbe zu profilieren und Vertrauensvorschuss zu bekommen. So ist steirische Baukultur entstanden.

31. Januar 2015 Spectrum

Dicke Mauern für alte Schätze

Die kunsthistorischen Schätze des Kärntner Diözesanmuseums haben in der Propstei Gurk eine neue Heimat gefunden. Winkler + Ruck gelang eine restauratorische Neufassung der gotischen Räume.

Wovon hier berichtet wird, erreicht uns nicht über den elektronischen Newsroom der architektonischen Superlative, die uns täglich mit den Bildern gebauter und geplanter Landmarks in unglaublich machtvollen Dimensionen überschwemmen – trotz Krise und Sparbudgets. Was hier gewürdigt werden soll, schafft es nicht auf die Titelseiten, selbst wenn es 2014 mit dem Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der Architekten ausgezeichnet wurde. Es ist schlicht (und) unspektakulär. Für ein Diözesanmuseum, von dem die Rede sein wird, wäre das Spektakuläre auch gar nicht geeignet.

Seit April 2014 haben die kunsthistorischen Schätze des Kärntner Diözesanmuseums in der im 15. Jahrhundert errichteten Propstei Gurk, die einen Hof weit entfernt vom berühmten romanischen Dom steht, eine neue Heimat – die Schatzkammer Gurk. Die Einrichtung eines Museums in den vorwiegend gotischen Wirtschaftsräumen verlangte nach besonnener Herangehensweise, kreativer Gestaltungsqualität und die Fähigkeit, auf das Vorhandene einzugehen und dabei die Eigenheit und Qualitäten der historisch aufgeladenen Räume zu nützen. Außerdem die Gabe, konzeptionell zu denken und das Ganze im Blickfeld zu behalten. Weiters die Gratwanderung zwischen der Zurücknahme des eigenen Gestaltungsdrangs und der Eigenständigkeit und Wirkkraft eines Entwurfs für eine so „starke“ Hülle. Und schließlich die genaue Kenntnis der eingesetzten Materialien und das Vertrauen auf handwerkliches Können, das im Umfeld des Gurktales noch zu finden ist.

Im Adaptierungs- und Ausstellungskonzept der Klagenfurter Architekten Roland Winkler und Klaudia Ruck sah die Jury des geladenen Wettbewerbs diese Anforderungen bestens bearbeitet. Die Architekten legten einen neuen Eingang in den Museumbereich fest, der Durchgang zum Hof des Gevierts wurde geschlossen und so zum Teil des Ausstellungsrundgangs. Besucher betreten die einzelnen Räume nun über die Arkaden, die dem Hof im Barock hinzugefügt wurden, auf einem Weg, der sie in Schleifen von einem Raum zum nächsten führt. So konnten die Gewölberäume, die immer schon von außen betreten wurden, ohne neue Durchbrüche erhalten bleiben. Was dem Denkmalschutz geschuldet ist, bekam auch eine zweite sinnfällige Bedeutung, die den Besuch der Schatzkammer einzigartig macht: Jede dieser zehn unterschiedlich geformten Raumschalen wird nach dem kurzen Außenweg bewusster wahrgenommen. Das kommt auch den ausgestellten Objekten zugute, die nach unterschiedlichen Kriterien geordnet präsentiert werden.

Die gotischen und barocken Gewölbe über teils mächtigen Säulen wurden restauratorisch behandelt, aber weder für die Präsentation noch für die erforderliche technische Infrastruktur angetastet. Der Unschärfe des historischen Bestands – es scheint keinen einzigen rechten Winkel in Wand und Decke zu geben – begegneten die Architekten mit der Stringenz ihres Ausstellungskonzepts. Das zeigt sich in einem Fußbodenaufbau, der sich in allen Räumen ohne aufwendige Anpassungsarbeiten installieren ließ. Neue Holzböden aus Lärchenbohlen wurden wie massive Flöße in die Lehmböden verankert – mit Abstand zu den Wänden und in denselben Brettmaßen. Zwischenräume wurden mit dunklem Kies gefüllt, alle Kabelstränge in den geschütteten Randzonen versteckt. Konsequent in Ortbeton wurden hingegen die wenigen fixen Adaptierungen wie Übergänge, der Ausgleich von Höhenunterschieden und Geländerbrüstungen ausgeführt. In den Möbeln setzt sich das Konzept der Einschränkung auf wenige hochwertig verarbeitete Materialien fort: Sockel und Vitrinen als Präsentationsflächen, Rahmen und Pulte sind aus den gleichen Lärchenbohlen gefertigt – nur diesmal gestapelt und mit Zinken zusammengesteckt. Was nur auf den ersten Blick einfach, vielleicht etwas massiv wirkt, erweist sich bei genauerer Betrachtung als subtil und fein ausgearbeitetes Baukastensystem, das vielfache Abwandlung erlaubt, ohne dabei Charakteristik und Wiedererkennungswert zu verlieren.

Bis ins kleinste Detail gut gelöst: Die Lichtführung konnte unsichtbar durchgebohrt werden, in den Vitrinen ist die Beleuchtung blendfrei in den massiven Holzdeckel versenkt, fallweise wurden Pulte zu Schatztruhen mit Glasabdeckung, indem sie präzise ausgehöhlt wurden. Für die Besucher wird beim Abschreiten der Raumfolge der Ausstellung spürbar, wie respektvoll mit Material und Raum umgegangen wurde. Material wurde nicht zu Tode konserviert. Metall wird pur verwendet, Holz darf atmen und altern und bleibt daher auch am Boden ohne Oberflächenbehandlung. Mit sichtbarer Kenntnis einer materialgerechten Verarbeitung wurden die Bohlen nur gegen Verdrehen gesichert.

Ja, hier dürfen Spuren des Gebrauchs entstehen, hier kümmerte man sich nicht in erster Linie um Normen, auch nicht um die trickreiche Abwendung von jeglicher Verantwortung gegenüber dem, was nur mit gemeinsamer Anstrengung entstehen kann (heute leider übliche Praxis). Wer so arbeitet und arbeiten lässt wie in Gurk, der bringt auch dem Besucher Respekt und Vertrauen entgegen, indem er ihm Eigenverantwortung beim sorgsamen Durchgang durch das Museum zutraut. Eine große Anzahl von Exponaten – Statuen, Christuskreuze, Altarflügel, Fastentücher – ist nicht durch Glas gesichert und dennoch so nahe und wirkungsvoll positioniert, wie man sie selbst in Kirchen nicht betrachten kann. Zu vielen bildet der Rand der Flöße eine natürliche Grenze. Nur wer diese nicht respektiert, wird durch eine Stimme aus dem Off, die über Kameras auf einer Sicherheitssäule die Ausstellung überblicken kann, daran erinnert.

Winkler + Ruck – seit zwanzig Jahren in Kärnten tätig – konnte auch einen Seiteneingang zum Dom und den Hof neu gestalten. In der Folge wurden sie ebenfalls mit der Adaptierung eines Gästetrakts betraut. Dass die Kommunikation und die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten im höchsten Maß geglückt ist, muss nicht extra betont werden. Es ist auf allen Ebenen zu sehen. „All das und mehr“, schreibt Otto Kapfinger im Jurytext zum Bauherrenpreis, „wurde im Vertrauen zu einem gemeinsamen Gang ins Neuland bewältigt und zu einem Resultat gebracht, das hier nicht beschreibbar ist, doch an Ort und Stelle vollkommen stimmig wirkt.“ Dem kann man sich nur anschließen. Gurk ist mindestens eine Reise wert.

13. Dezember 2014 Spectrum

Große Geste für lange Zeiten

Das Grazer Architektenteam Balloon unterzog das Theater im Palais, eine Ausbildungsstätte der Kunstuniversität in Graz, einer Rundumerneuerung. Ein Gewinn.

Wie oft ist es die große Geste, das Extravagante und schrill Auffallende, das der Wanderzirkus der international tätigen Architekturpreisrichter als preiswürdig empfindet und auszeichnet. Auch wenn die Rezeption der ebenso aufwändigen wie kostspieligen Masterpieces einer Zaha Hadid, eines Frank O. Gehry oder von Coop Himmelb(l)au kritischer wird und ihr Bedeutungs-Zenit zumindest in Europa überschritten sein dürfte, so werden doch meist Bauwerke gekürt, die spektakuläre Bilder liefern, die selbstbewusst, aber auch völlig auf sich selbst bezogen, ihre Umgebung überragen. Ein Beispiel, damit meine Rede nicht zu abstrakt bleibt: 2013 wurde das Konzert- und Konferenzzentrum Harpa in Reykjavík von Henning Larsen Architects mit dem renommierten Mies-van-der-Rohe-Preisder Europäischen Union ausgezeichnet – ohne Zweifel ein interessantes Bauwerk, das allerdings das ganze Hafenviertel und den alten Hafen dominant überstrahlt.

Extravaganzen, große Gesten – warum auch nicht? Die Architekturgeschichte zeigt uns, dass es fast ausschließlich außergewöhnliche Bauwerke sind, die Moden und Zeiten überdauert haben und uns Staunen und Ehrfurcht abringen. Was sie uns auch lehrt, ist, dass es ausschließlich Bauten sind, die der geistlichen und weltlichen Macht ihrer Zeit Ausdruck verleihen sollten. Das Harpa in Reykjavík wurde als privates Investmentbegonnen und musste in der Finanzkrise durch ein Konsortium von Stadt und Staat aufgefangen, fertiggestellt und für die Dauer von 35 Jahren finanziert werden. Und die Elbphilharmonie in Hamburg, die als Public-Private-Partnership-Modell entwickelt wird? Vermutlich wird sie nicht nur als Jahrhundertbauwerk, sondern auch als Symbol für Hyperthrophie und Unverhältnismäßigkeit in die Geschichte eingehen.

Auseinandersetzungen, die wegen solcher Beispiele entstehen, sind immer auch ein Aufruf zu maß- und verantwortungsvollem Umgang mit Ressourcen und zeigen eineverstärkte Hinwendung zu Themen wie dem sozialen Bauen, Bauen für die dritte Welt oder auch einem ortsgebundenen Bauen. Österreich ist in diesem Diskurs vorne dabei, weniger mit wissenschaftlichen Abhandlungen als durch eine Vielzahl an konkreten Konzepten und modellhaften Umsetzungen. Herausragende Qualität, das zeigen viele dieser Beispiele, ist keine Frage von Größe oder spektakulärem Auftritt, wohl aber eine nach der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel zu ihrer Wirkung.

Zur Angemessenheit der Mittel, die nicht verwechselt werden sollte mit der Forderung nach billigem Bauen, gesellen sich Begriffe wie Einbindung, Einfügung oder Zurücknahme. Für Walter Zschokke, unserem früh verstorbenen Kollegen als Mitgestalter dieser Seite im „Spectrum“, war solch fokussiertes Planen ein „dienendes Integrieren“. Nun wird Einfügung mehr denn je für das Bauen in besonders schöner Landschaft oder für traditionsgebundenes Weiterbauen an gewachsenen Dorfstrukturen gefordert – in städtischen Strukturen hat sich eine offenere, grundsätzlichere Betrachtung durchgesetzt. Historisierende Nachahmung gilt glücklicherweise als überwunden. Sie ist nur dort akzeptiert, wo es um die abstrahierte Nachbildung von zerstörten Bauteilen geht, wie am Naturhistorischen Museum in Berlin, und wird schon dann als unangebracht diskutiert, wenn der Pariser Architekt Edouard François die Außenwirkung einer Hotel-Erweiterung auf den Champs-Élysées mit einer originalgetreu in Beton gegossenen Nachbildung einer Haussmann'schen Fassade erreichen will. Selbst der Denkmalschutz öffnet sich einer Auffassung, die behauptet, dass gut eingefügt in den Organismus der Stadt jedes neue Objekt ist, das hohe Qualitätskriterien an Baukunst erfüllt – weil diese schon das sensible Eingehen auf Bestehendes, die Berücksichtigung des umgebenden Stadtgefüges beinhalten.

Nun gilt es, zur Sache zu kommen und von einem kürzlich abgeschlossenen Bauvorhaben zu berichten, das dieser Kategorie entspricht – und mehr. Es ist der Umbau des Theater im Palais, eine der Ausbildungsstätten der Kunstuniversität KUG in Graz. Die veraltete Ausstattung von Bühnen- und Probenräumen und ein Foyer, das in den 1980ern als erste Ausbaustufe im ehemaligen, zum Stadtpalais des Erzherzog Johann gehörenden Pferdestall eingerichtet wurden, riefen förmlich nach einer Runderneuerung.

Aus dem geladenen Wettbewerbsverfahren ging das Grazer Architektenteam Balloonsiegreich hervor. Ihr Konzept: eine neue Raumschicht als adäquates Gegenüber des Palais Meran über die gesamte Breite des historischen Nebengebäudes und darüber hinaus bis zur die Leonhardstraße begrenzenden Mauer. Die Abstandsfläche dahinter wurde mit Nebenräumen aufgefüllt, so, wie es schon im Erstausbau mit dem schmalen Zwischenraum an der rückseitigen Breitseite des Gebäudes geschehen war. Die alte Umfassungsmauer aus kleinen, grob behauenen Steinen wurde an zwei Seiten zur Fassade, und so war es folgerichtig, eine Dachverkleidung in der Art einer Attika um das neu entstandene Volumen zu spannen. Als Klammer fasst sie die ehemals heterogenen Gebäudeteile zu einem Ganzen. Dort, wo das Band aus goldfarbigem perforiertem Aluminiumblech auf die neue Glasfassade des Foyers trifft, übernimmt es die Funktion des Sonnenschutzes im Foyer. Dieses linear wirksame, Gestalt gebende Element bewirkt im Außenraum des Platzes, der sich zwischen dem Palais und dem Umbau aufspannt, Erstaunliches: Es holt das Mumuth, das von Ben van Berkel als selbstreferenzieller, auf sein Inneres fokussierter Bau seitlich neben den Bestand gestellt wurde, in den gemeinsamen Raum und fügt drei Einzelbauten zu einem harmonischen, städtebaulich wirksamen Platzensemble.

Bemerkenswert, wie souverän die Architekten die an sie gestellte Bauaufgabe gelöst haben: Wiewohl sie sich ordnend zurücknehmen und ihren Umbau in Form, Farbwahl und Materialität auf seine Wirkung im Ganzen abstimmen und einfügen, bleibt das Theater im Palais eigenständig prägnant. Erstaunlich: Selbst das Mumuth, dessen äußere Metallnetzstruktur an trüben Tagen trist und eintönig erscheint, wird stadträumlich aufgewertet. Und ihr größter Verdienst: ein zuvor von der Straße abgewandter, auch intern wenig genutzter Platzraum wurde ganz geöffnet, möbliert und nicht nur den Studierenden, sondern den Passanten und Bewohnern des Viertels zur Inbesitznahme angeboten.

31. Oktober 2014 Spectrum

Wen soll wohnen glücklich machen?

Wohnangebote in Ballungszentren werden zunehmend durch die Interessen von Anlegervertretern bestimmt und nach deren Vorstellungen geplant. Über die Tendenz, Wohnraum für reine Profitmaximierung zu schaffen: eine Widerrede.

Als interessierter Beobachter der Stadtentwicklung und Stadtplanung in Graz könnte man derzeit den Eindruck gewinnen, eine neue Gründerzeit sei angebrochen. Baukräne, Lückenfüllungen, mehrere Wettbewerbe zur Planung neuer großer Quartiere beherrschen das Bild. Tatsächlich ist Graz in den letzten zehn Jahren prozentuell stärker gewachsen als Wien und zählt heute 32.000 Bewohner mehr als 2003. Für die kommenden Jahre prognostiziert man weitere Zuwanderung, sodass Graz um 2030 knapp unter der 300.000er-Marke liegen soll.

Schön für Graz, das sich dafür nun rüstet. Eine reine Innenentwicklung, sagt der Stadtplanungschef, er verweist auf das große Potenzial an möglicher Verdichtung in kernnahen Bereichen der Stadt. Verdichten macht Sinn, meinen Fachleute in großer Einhelligkeit und nicken dem Bestreben der Grazer, als Stadt „smart“ zu werden, und damit im europäischen Trend zu sein, anerkennend zu. Smart ist, wer Stadtentwicklung energieeffizient, ressourcen- und umweltschonend betreibt und Emissionen reduziert. Wer könnte etwas dagegen haben, dass man Stadtquartiere dort entwickelt, wo es schon Anschluss an Straßen, Energieversorgung, Kanal und im besten Fall an den öffentlichen Verkehr gibt?

Verdichtung also heißt das Zauberwort, mit dem Industriebrachen, letzte landwirtschaftliche Flächen und freie Grundstücke bebaut werden sollen. Und die lassen sich finden: im Norden der Stadt jenseits der Mur genauso wie im Südwesten, auch über das riesige Entwicklungsfeld der Reininghausgründe hinaus. So wurden in den letzten beiden Jahren große Grundstücke verkauft, geteilt und wieder angekauft und zahlreiche Wettbewerbe zu ihrer Bebauung durchgeführt. Bei genauerer Betrachtung verlieren aktuelle Projekte der Innenentwicklung und Nachverdichtung durch Bauträger, auch wenn sie das Ergebnis städtebaulicher und baukünstlerischer Wettbewerbe sind, schon auf den ersten Blick den Zauber der Leitsätze, mit denen sie gepriesen werden.

In Eggenberg etwa, wo der Wegfall von stahlverarbeitender Industrie dem Bezirk große brachliegende Flächen bescherte, soll ein Stadtquartier für 3.500 Bewohner und Bewohnerinnen, sollen tausend neue Arbeitsplätze und ein Quartierspark entstehen: eine Smart City mit ehrgeizigen Zielen. Auch Investoren wurden dafür gefunden. Alles bestens also? Leider nein, denn unter Optimierung verstehen Bauträger, die Wohnungen gewinnbringend veräußern, und Anleger, die sie kaufen und mit maximalem Profit vermieten wollen, etwas anderes als jene, denen die Entwicklung von Stadtquartieren am Herzen liegt, in denen Menschen unterschiedlicher sozialer Gruppen und Lebensphasen gut miteinander leben und sich entfalten können. Verdichten heißt für so Kalkulierende, dass Bebauungsdichten, die in räumlichen Leitbildern und Flächenwidmungsplänen immer als Wert von ... bis angegeben werden, maximal ausgeschöpft werden müssen. Neben den schön formulierten Schlagwörtern von Erwartungen an hohe gestalterische Qualität, Einfügung und Freiraumqualität wird Effizienz rasch zur alles bestimmenden Kenngröße.

Und so wird es im Baufeld Süd der Smart City Graz eine ungeheuer dichte Packung an Wohnungen in einer sieben Geschoße hohen Bebauung geben, mit der Notwendigkeit ebenso cleverer wie aufwendiger Schutzmaßnahmen gegen die Lärmemission der unmittelbar vorbeiführenden Bahn. Es wird, wenn das im Wettbewerb vorgelegte Bebauungskonzept realisiert wird, einen Gutteil an Wohnungen geben, die nur einseitig orientiert sind und über innen liegende Gänge erschlossen werden, sodass keine Querbelüftung möglich ist. Und es wird, wenn es nach dem Wunsch des Bauträgers geht, der sich als Vermögensverwaltung tituliert, zu mehr als zwei Dritteln Ein- und Zweizimmerwohnungen (bis 50 Quadratmeter) im Kleinformat geben. Solch Optimierungsdenken wird in einer städtebaulichen Entwicklung an einer Grazer Ausfallsstraße mit enormer Lärmentwicklung weiter auf die Spitze getrieben und damit pervertiert.

An der täglich mit 27.000 Fahrzeugen belasteten Triesterstraße wird in einem als dichtes Kerngebiet gewidmeten Areal ein Quartier entstehen, in dem drei Viertel der Flächen Wohnungsbau sein sollen. Der gewünschte und im Wettbewerb von den siegreichen Architekten beflissen erfüllte Wohnungsschlüssel sieht 50 Prozent an Zweizimmerwohnungen mit einer maximalen Größe von 35 Quadratmetern und den überwiegenden Rest an Dreizimmerwohnungen mit 55 Quadratmetern vor. Das ist noch nicht das Ende einer Zielvorgabe, für die intelligente Wohntypologie, hohe Wohn- und Freiraumqualität und Wohnzufriedenheit Fremdwörter sind. Ein nicht geringer Anteil dieser im Endausbau 800 Wohnungen wird unmittelbar an der lauten Straße liegen, über einem langgezogenen Sockel mit Gewerbeflächen und natürlich auch hier als höchst effizienter Bebauungstyp mit Mittelgang und Wohnungen, die einseitig zur Straße hin orientiert und zu belüften sind.

Sie meinen, dass Bedarf und Nachfrage das Angebot regeln und dass schlechte Wohnungen nicht verkauft werden könnten? Sie irren. Wenn Bauträger werben mit „Ihr Partner für Anlegerwohnungen“, dann rechnen sie damit, dass sie Anleger finden werden. Der Anleger rechnet mit alleinstehendem Mittelstand, kinderlosen Doppelverdienern oder Studenten, die Wohnungen im Mehrfachpack nutzen. Mindestlohnbezieher, die sich so eine Wohnung nicht leisten können, aber dringend eine brauchen, müssen sich um Wohnbeihilfe bemühen, und das Land, und damit wir alle, finanzieren mit. So schließt sich der Kreis zur maximalen Ausschöpfung aller Ressourcen, aber sicher nicht zu einem für alle befriedigenden Ergebnis.

Das Problem beginnt dort, wo Stadtentwicklungskonzepte Wohnen in schlechten Lagen vorsehen. Stimmt, aber Städte können sich, wenn sie sich aus ökologischen und finanziellen Gründen zur städtischen Verdichtung entschlossen haben, nicht leisten, schwierig zu bebauende Grundstücke brachliegen zu lassen. Sind nicht gerade dann jene gefordert, für die maximale Rendite nicht einziges Interesse ist? Städte müssten selbst wieder mehr Wohnungsbau entwickeln und baukünstlerische Wettbewerbe ausschreiben. Solche, die nicht einseitig bestimmt sind von Vorgaben wie maximale Dichteausschöpfung und optimale Verwertung, sondern es Architekten ermöglichen, intelligente Antworten zu schwierigen Bauaufgaben zu finden, die Ergebnisse bringen können, welche die soziale Dimension des Wohnungsbaus nicht außer Acht lassen.

6. September 2014 Spectrum

Open House hautnah

70 Bauten aus unterschiedlichen Epochen sind am 13. und 14. September in Wien geöffnet: 70 Bauten, zu erleben in ihrer Alltagsnutzung. Inklusive Dialog mit Bauherren, Architekten und Nutzern.

Open House kommt nach Wien – als erste deutschsprachige Stadt im Reigen von 23 Großstädten zwischen Melbourne und New York, die an einem Wochenende eine Vielzahl an Gebäuden öffnen, um den Bewohnern der Stadt Architektur näherzubringen und ihnen verborgene Schätze ihrer Umgebung zugänglich zu machen. Gegründet wurde die Bewegung vor mehr als 20 Jahren in London. Dort findet sich jährlich Ende September die schier unglaubliche Zahl von bis zu 250.000 Besuchern ein, die geduldig Schlange stehen, um auf das Aussichtsdeck von The Gherkin, dem berühmten Wolkenkratzer von Norman Foster, zu gelangen oder einmal einen Blick hinter die geheimnisvoll-schwarze Fassade des Ateliers eines bekannten Künstlers zu werfen.

Traditionsreiche Siedlungen und liebevoll gestaltete Wohnungen, Schulen und andere Bildungsbauten, Bürohäuser, Dachausbauten und revitalisierte Fabrikanlagen aus Backstein – all das wird es auch in Wien zu sehen geben, wenn am 13. und 14. September erstmals 70 Gebäude für Besucher geöffnet werden. In London, wo Stadtverwaltung, TV und Tageszeitungen begeisterte Kooperationspartner sind, werden heuer 845 Bauten aufgelistet, die mit Hilfe von mehr als 3000 Volonteers präsentiert werden.

Auch dem kleinen Team um Iris Kaltenegger, einer in Wien tätigen Architektin, die Open House von ihrem langjährigen Aufenthalt in London kannte, ist es gelungen, beinahe 200 Freiwillige für die Idee zu gewinnen, Besucher und Besucherinnen vor den offenen Häusern zu empfangen und zu leiten. Unvorstellbar viel Arbeit, tausende Stunden unbezahlten Engagements für Lobbying und Sponsorensuche, für Einschulungen, Recherche und die logistische Organisation der Öffnung von Gebäuden stecken in der zweijährigen Vorbereitung. Offenheit und Kooperationsbereitschaft, ja, sogar Begeisterung für das ehrgeizige Vorhaben, kam von Anfang an von der Stadt Wien und den beteiligten Ämtern. Man hatte rasch erkannt, dass es auch ein Angebot an die Wiener ist, ihre nächste Umgebung, ihr Grätzel, ihre Stadt mit ihren modernen Bauten besser kennenzulernen. Breit angelegte Initiativen wie Open House mit einem Angebot, das niederschwellig – individuell wählbar, kostenlos und ohne Anmeldung – zugänglich ist, sind geeignet, Verständnis und Akzeptanz für das zeitgenössische Weiterbauen einer Stadt zu vergrößern.

Wer Bauten 1:1 in ihrer Alltagsnutzung und im Dialog mit Bauherrn, Architekten und Nutzern erleben kann, geht nicht nur auf Tuchfühlung mit Architektur, sondern auch auf eine mitunter lustvolle Entdeckungsreise. Der Wert eines gut gestalteten gebauten Environments ist dem Nicht-Geschulten damit leichter vermittelbar als durch jede Ausstellung, Abbildung oder Architekturseite in den Medien. Mit geführten, realen Raumerlebnissen peilt die Open-House-Bewegung ihr langfristiges Ziel an, eine breite Öffentlichkeit zu ermächtigen, selbst urteilsfähig zu werden. Architektur, die etwas vermitteln soll, benötigt ihrerseits Vermittlung, meint der unumstrittene Fachmann der Architekturkommunikation, Riklef Rambow, und ist damit nicht allein. Dennoch wurde die Idee eines jährlich stattfindenden Open-House-Weekends in Wien gerade dort ziemlich distanziert aufgenommen, wo man sich über ein breiter werdendes Angebot an Architekturvermittlung freuen müsste.

Die oft gestellte Frage von Architekten wie von Vertretern von Architekturinstitutionen, ob Open House nicht das gleiche Format der Vermittlung sei wie die biennal stattfindenden Architekturtage, die es ja schon gäbe, verblüffte. Riklef Rambow zur Thematik: „Der größte Erfolg besteht darin, wenn es gelingt, die Hemmschwelle gegenüber dem Thema Architektur zu senken und zu zeigen, dass es sich individuell lohnen kann, sich damit zu beschäftigen. Gerade deshalb ist es besonders wichtig, nicht bei Einzelmaßnahmen stehen zu bleiben, sondern Angebotsnetze zu schaffen, die es dem Nutzer (Anm.: von Architekturvermittlung) erlauben, sich niederschwellig und ohne großen Aufwand eigenständig weiterzuinformieren.“ Dass dabei Fördergeber mitmachen und jede erfolgreiche Vermittlungsinitiative unterstützen müssten, versteht sich von selbst.

Städte können heute nicht mehr unter Ausschluss ihrer Bürger entwickelt werden. Qualitativ hochwertige Architektur undStadtentwicklung können in einer demokratischen Gesellschaft überhaupt nur dann entstehen, wenn es einen hinreichend breiten Konsens über die Kriterien für Qualität gibt, schreibt Rambow. Es gehe nicht darum, dass alle Beteiligten einer Meinung sind oder gar zu denselben ästhetischen Werturteilen kommen, sondern eher um einen Konsens bezüglich grundlegender Fragen der Bedeutung von Architektur und Baukultur. Erst dieser ermögliche es, in einen gesellschaftlichen Diskurs über die Gestaltung unserer gebauten Umwelt einzutreten.

Open House Wien lockt seine Besucher – ganz ohne theoretische Überfrachtung oder fachliches Esperanto – mit einem Appell an ihre Neugier und dem Versprechen erlebnisreicher Begegnungen in einer ansehnlichen Zahl von geöffneten Häusern mit großer Nutzung- und Gestaltungsvielfalt. Besichtigt werden kann der eben erst bezogene Bildungscampus Sonnwendviertel in der Nähe des neuen Hauptbahnhofes (PPAG Architekten) ebenso wie ein erstaunlich großzügiges Minihaus in der Kleingartensiedlung Neu Brasilien (Bernd Leopold & Markus Taxer), ein Bürohaus in Passivhausstandard wie Energy Base (pos architekten) oder das Frauenwohnprojekt [ro*sa] (Köb & Pollak) im 22. Bezirk. Wer will, genießt vom ersten Hochhaus der Stadt in der Herrengasse den Rundblick oder nimmt die Einladung an, im Bootshaus des Rudervereins Pirat (erbaut 1926) an der Alten Donau eine Pause einzulegen. Freunde historischer Bausubstanz überzeugen sich selbst, ob es einer Entwicklungsgesellschaft gelungen ist, die Ankerbrotfabrik schonend zu revitalisieren oder ob der erste Stahlbetonbau aus dem Jahr 1910 am Fleischmarkt 1 denkmalschutzgerecht wiederbelebt wurde. Open House lädt ein zu entdecken, wie man auch anders wohnen und arbeiten kann, und will damit anregen, sein eigenes Wohn- und Arbeitsumfeld bewusster wahrzunehmen.

Jede dieser auf direktes Erleben zielenden Initiativen der Architekturvermittlung trägt dazu bei, dass Architektur und Design zum selbstverständlichen Teil der Alltagskultur einer „wissenden“ Gesellschaft werden kann, die Gestaltungsqualitäten zu erkennen lernt. Was in skandinavischen Ländern eine lange Tradition hat und deshalb heute im öffentlichen Raum genauso wie in Wohnungen sichtbar wird, ist nicht oder zumindest nicht immer eine Frage der Kosten, sondern eine des Bewusstseins. Und das sollte ab dem Kindesalter geschult werden.

21. Juni 2014 Spectrum

Das Neue im Alten

Dass die Streckhöfe, traditionell im pannonischen Raum zu finden, in den vergangenen Jahrzehnten vielfach vernachlässigt und verlassen wurden, hat viele Gründe. Manche Neuinterpretationen zeigen, wie viel an Qualität und Potenzial sie in sich bergen. Aktuelles aus dem Burgenland.

Auf der Landkarte der zeitgenössischen Baukultur Österreichs ist das Burgenland selbst für Architekturbegeisterte ein weißer Fleck. Ja doch, einiges kennt man. Etwa die frühen Bauten von Rainer, Spalt und Hiesmayr, allesamt Versuche, die ganz spezifische Schönheit der pannonischen Landschaft, ihre Frugalität und Leere in die Wirkung eines Hauses zu übertragen. Man weiß von Rückkehrern und stadtflüchtigen Künstlern, die sich in Dörfern wie St.Martin und Neumarkt an der Raab in ehemaligen Bauernhöfen ein Refugium des Rückzugs geschaffen haben – Zeichen der Wertschätzunggegenüber einer traditionellen Bauform, die offensichtlich für zeitgemäße Aneignung taugt. Gehört hat jeder auch vom Trend, die hohe Qualität burgenländischer Weine durch die bauliche Aufrüstung der Weingüter zu unterstreichen. Was anfangs, in den 1990ern, eine direkte Folge der Ostöffnung und großzügiger Förderungen war, ließ eine ganze Reihe anspruchsvoller Gebäude für Produktion und Verkauf entstehen, die heute zu den Vorzeigebetrieben des Landes zählen. Dasselbe gilt für die sogenannte gehobene Gastronomie.

Ein deutliches Anwachsen qualitativ hochstehender Bauten hatte sich bereits 2002 gezeigt, als zur ersten Vergabe des biennal ausgeschriebenen Architekturpreises des Landes 58 Objekte eingereicht wurden. Nach Jahren, in denen sich die Teilnahme meist auf rund 30 eingependelt hatte, musste die Jury ihre Auswahl heuer aus nur 16 Einreichungen treffen, was Otto Kapfinger als Juror und profunder Kenner neuer Architektur im Burgenland dazu bewog, sich mehr Breite an hoher Qualität zu wünschen. Tatsächlich stehen auch 2014 vier öffentliche Bauten (unter anderem das Kultur- und Kongresszentrum Eisenstadt von Pichler & Traupmann, besprochen im „Spectrum“ vom 31. August 2013) einer Mehrzahl privater Bauinitiativen gegenüber. Gute Beispiele verdichteten Wohnungsbaus fehlen gänzlich.

Drei der vier vergebenen Preise spiegeln Themen, die unabhängig von Ort und spezifischer baulicher Tradition überall aktuell sind: Umbau und Adaption eines kleinen frei stehenden Wohnhauses aus dem Jahr 1960, das durch Erbschaft neue Nutzer fand, für die der Ort Teil ihrer persönlichen Geschichte und Erinnerung ist (m2architekten). Neubau eines Wohnstudios von Irmgard Frank als Rückzugsort für zwei Kreative, deren Wirkungsstätte die Stadt ist. Und ein erfrischend unkonventionelles Bürogebäude im Niemandsland einer Gewerbezone an der Bundesstraße vom immer wieder überraschenden Duo Heri & Salli.

Ausgezeichnet wurde auch ein Projekt, das eine seiner Besonderheiten schon im Namen trägt: „Patchwork – Haus und Garten“, geplant von Claudia Wimberger und Christian Schremmer als Architekten und dem Büro 3:0 Landschaftsarchitektur. Viele Einzelteile, die als Qualität für sich stehen könnten, fügen sich hier, harmonisch aufeinander abgestimmt, zu einem Ganzen. Bestand und Neubau, Hof und Garten und bebaute Flächen, Wiese und befestigtes Terrain, Geschlossenheit zur Dorfstraße und Offenheit zum geschützten Hofraum bedingen einander. Feingliedrig differenziert gestaltete Grünflächen, Ecken und Übergänge lassen den von Mauern geschützten Hof zu einem Lebensraum werden, der den witterungsgeschützten Räumen ebenbürtig ist und Kinder und Erwachsene gleichermaßen ihren Platz finden lässt.

Das Grundstück, das ein so geglücktes Ergebnis bewirkte, ist eines mit tausend Einschränkungen – ein ehemaliger Streckhof, jene historische Zeilenbauform des Dorfes, die extrem schmale und lange Flächen mit einer Abfolge von Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude, Stall, Kleingarten und Heustadel bebaut hat. In unseren Köpfen formen sie immer noch das Straßenbild eines typisch burgenländischen Dorfes, auch wenn die Realität vielerorts die eines Zerrbilds ist. Dem entgegenzuwirken scheint höchst an der Zeit, auch wenn der seltene Burgenland-Besucher zu bemerken glaubt, dass mancherorts zarte Anfänge von Bewusstseinsbildung schon zu einem sensibleren, bewahrenden Umgang mit dem kulturellen Erbe führen. Vereinzelt sieht man Häuser und Höfe, die bei der Renovierung in ihre alte Form zurückgeführt werden. Um lebendige Lebensräume zu bleiben und nicht nur als temporär belebte Gästehäuser zu dienen, müssten die Streckhöfe jedoch für heutige Ansprüche des Wohnens oder Arbeitens weiterentwickelt und adaptiert werden.

Setzt man sich näher auseinander mit diesem einst überall im pannonischen Raum zu findenden bäuerlichen Bautypus, so zeigt sich, wie viel an Qualitäten und an Potenzial für eine zeitgemäße, benutzerfreundliche Adaptierung und Nachnutzung er in sich birgt. Die geschlossene Bauweise lässt Rückzug und Intimität zu, zugleich kann enge Nachbarschaft entstehen, die Sicherheit und Gemeinschaftsgefühl geben kann. Auch innerhalb einer Familie macht die kleinteilige additive Bebauung differenzierte Nutzung möglich. Am voran genannten Beispiel in Deutschkreutz ist das exemplarisch ablesbar. Das Wirtschaftsgebäude wurde erhalten und ist heute Gästehaus, später vielleicht Raum für die den Kinderschuhen entwachsenen Söhne.

In jedem Fall ist das kleine Haus die zweite raumbildende Begrenzung der befestigten Terrasse, die auch dadurch zum wunderbar geschützten Sommerraum wurde. So kann jeder der alten Hofbauten neue Funktionen übernehmen und auch künftig an veränderte Bedürfnisse angepasst werden. Wer allein zurückbleibt, kann sich in einen kleinen Teilbereich zurückziehen – wer berücksichtigt im so beliebten Typus des frei stehenden Einfamilienhauses schon spätere Bedürfnisse nach Reduktion von Raumnutzung und Mitteln? Selbst die zu pflegenden Gartenflächen sind im Streckhoftypus bewältigbar.

Dass diese Häuser mit dem Strukturwandel der vergangenen Jahrzehnte vernachlässigt und verlassen wurden, hat mannigfache Gründe, gegen die jene nicht anschreiben konnten, die Wert und Qualität dieser baukulturellen Besonderheit schon früh erkannt hatten: Roland Rainer mit seinem Buch über das anonyme Bauen im Nordburgenland, der Kunsthistoriker Alfred Schmeller, der in den 1960er-Jahren Landeskonservator für das Burgenland war, oder Ernst Hiesmayr. Rufer und Mahner gibt es heute mehr denn je. Klaus-Jürgen Bauer hat als unermüdlicher Erforscher und Liebhaber des pannonischen Raums im Architekturraum Burgenland eine Ausstellung über Streckhöfe zusammengestellt und zeigt in einigen schönen Beispielen von Nachnutzung ihr Potenzial. Sie ist eine Besinnung auf eine nur noch marginal vorhandene regionale Kultur, doch könnte sie mit Fantasie nicht auch ein Ausblick auf eine neu zu schaffende landesspezifische Baukultur sein?

3. Mai 2014 Spectrum

„Einmal was Gscheites bauen“

Junge Architekten sind heutzutage mit anderem beschäftigt als mit der Frage, ob sie Baukünstler sind. Der Zugang zu öffentlichen Aufträgen, selbst zu kleinen, ist schwierig geworden. Vielseitigkeit und Offenheit der Profession sind bedroht. „Berufsfeld Architektur 2.0“: Anmerkungen zu einer Studie der TU Wien.

Demnächst ist es wieder so weit. In wenigen Tagen findet in ganz Österreich die siebente Ausgabe der Architekturtage statt. Was als Angebot zur Beschäftigung mit dem Entstehungsprozess von Architektur an der Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft begann (O-Ton 2002), hat sich mittlerweile – etwas „handfester“ formuliert – als Angebot zur Bewusstseinsschärfung für Architektur im Alltag etabliert, das vielfältige Möglichkeiten bietet, Architektur hautnah zu erleben, Neues zu entdecken und Ungewöhnliches zu verstehen (O-Ton 2014). Atelierbesuche, die die Rolle der Architekten und Architektinnen in diesem Prozess transparent machen und generell Einsicht in ihre Arbeitswelt geben sollen, sind nach wie vor fixer Bestandteil der Architekturtage.

Der selbst auferlegte Auftrag der Architekturtage heute ist mehr denn je Öffentlichkeitsarbeit – ist, Vermittlungsarbeit zu leisten, indem man Qualität und Mehrwert der Arbeit dieses Berufsstands in den Mittelpunkt rückt, an Beispielen zeigt und erklärt. Ein Diskurs darüber, ob Architektur Kunst ist oder sein kann, scheint unter Architekturschaffenden knapp 100 Jahre, nachdem Adolf Loos apodiktisch festgehalten hat, dass Architektur mit Ausnahme des Grabmals und des Denkmals nicht unter die Künste gehört, kein Thema zu sein. Heute taucht der Terminus Baukunst beinahe ausschließlich in der Rückschau auf die Architekturhistorie auf. Architekten wollen die Welt mitgestalten, zum Besseren ändern, ja, aber Baukunst . . . Über die freut sich Hanno Rauterberg in der „Zeit“, wenn erfallweise jugendlich schwärmerisch über ein neues, geglücktes Stück Architekturberichtet. Architekten, vor allem junge Berufseinsteiger,sind 2014 mit anderem beschäftigt als mit der Frage, ob sie Baukünstler sind. Für viele ist die Berufswahl zur Überlebensfrage geworden. Das ist hierorts nicht anders als inDeutschland, das eine weit höhere Architektendichte aufweist als Österreich. Dabei unterscheiden sich die Motive für die Berufswahl, die Studierende zu Beginn ihres Studiums anführen, nicht wesentlich von jenen Architekturschaffender, wenn sie bereits im Beruf stehen.

Der zweite Teil einer Studie zum Berufsfeld Architektur, an der seit mehr als zehn Jahren federführend unter dem an der Technischen Universität Wien tätigen Assistenten Oliver Schürer interdisziplinär gearbeitet wurde, liegt nun vor. Erstmals wurden systematisch Gegebenheiten wie Arbeitsbedingungen, Betätigungsfelder, Lebenslinien und Karrierechancen erfragt und analysiert – und eben Motive und Grad der Erfüllung in einer Szene, die unsere Umwelt entscheidend mitprägt. Die Studienautoren sprechen genügsamer von Zufriedenheit mit der Tätigkeit, und sie unterscheiden auch zwischen Architekturschaffenden, also im engeren Sinn Architekturproduzierenden, und Architekturinvolvierten, die in vielen Feldern von Lehrtätigkeit über Publizistik bis zur Visualisierung von Projekten tätig sind. Immerhin ist der Anteil der selbstständigen Architekten und Freiberufler laut dieser Studie gemeinsam mit 65 Prozent schon im ersten Jahrzehnt nach dem Studium beinahe doppelt so hoch wie der von Angestellten.

Schließt man daraus, dass dieser größere Anteil der Selbstständigen auch selbstbestimmt ein eigenes Wertesystem und Arbeitsschwerpunkte nach Neigung festlegen und verwirklichen kann, so irrt man wohl, denn die Arbeitsbedingungen für Architekturabsolventen und Jungarchitekten werden laut Aussagen der Involvierten immer härter (circa 700 Absolventen österreichweit durchschnittlich, heuer wegen des Auslaufens der alten Studienordnung vermutlich noch mehr, und circa200 Absolventen der Ziviltechnikerkurse jährlich). Viele der Selbstständigen sind wohl –mit durchschnittlich wesentlich niedriger Honorierung als in vergleichbaren Kreativberufen und kaum abgesichert – projektbezogen für Architekturbüros tätig, die es sich kaum leisten können, alle Mitarbeiter fix anzustellen.

Um ihre Situation gemeinsam und mit strategischer Ausrichtung zu verbessern und sich gegenseitig mit Wissen zu unterstützen, haben sich in Wien vor Jahren junge Architekten und Absolventen in der IG Architektur zusammengeschlossen. In Graz hat sich kürzlich mit Unterstützung der Zentralvereinigung der Architekten ein „Sitzkreis“ formiert, in dem junge Architekten ihre teils prekäre Lage thematisieren und Möglichkeiten zur Verbesserung diskutieren. Aufbruchstimmung herrscht dabei nicht, aber es gibt einen Konsens darüber, dass das Bündeln von Energie und Ideen mehr Chancen birgt, etwas auf die Beine zu stellen und auf die junge Architekturpotenz aufmerksam zu machen, als das einsame Grübeln vor dem Computer im improvisierten Einmannbüro.

Der Zugang zu öffentlichen Aufträgen, selbst zu kleinen, ist schwierig geworden für jene, die noch keine Referenzen vorweisen können. Auch Wohnbaugenossenschaftengreifen lieber, obwohl sie mit öffentlichen Fördergeldern arbeiten, auf bewährte Partneraus der Architektenschaft zurück, als sich in der Rolle von Ermöglichern zu sehen, die den Jungen eine Chance geben. Für offene Wettbewerbe, die mehrstufig angelegt sind, um in der ersten Phase innovative, neue Lösungsansätze für eine bestimmte Bauaufgabe zu finden, findet man heute kaum Partner, weder bei der öffentlichen Hand noch in der Wirtschaft – zu lange dauernd, zu teuer, zu risikoreich. Anstelle von Ideenwettbewerben treten Bewerbungsverfahren, für die Referenzen und Nachweise von Umsatz- und Bürogrößen verlangt werden. Wie sollen die Jungen da mithalten können? Sie müssen sich wieder neue Betätigungsfelder und Nischen suchen – schwierig in einem Umfeld immer größerer Konkurrenz und knapper werdender Resourcen.

Was bislang auf der Habenseite des Berufsfeldes verzeichnet wurde – seine Vielseitigkeit und Offenheit –, ist in Gefahr, auch wenn der Grad der Zufriedenheit mit der Berufswahl immer noch hoch ist. Katharina Tielsch, eine Mitautorin der Studie Berufsfeld Architektur 2.0, führt dies auf den hohen Anteil an der möglichen Selbstverwirklichungim kreativen Gestalten und Umsetzen zurück,das zur Freude am Tun führt. Wie Arbeitsforscher in vielen Untersuchungen bestätigen, sind das größere Motive für Zufriedenheit und eine positive Einstellung zur Arbeit als Einkommen und Status.

Solche Zuversicht strahlen die jungenArchitekten im Grazer Sitzkreis derzeit nicht aus. Aber noch sind sie engagiert, wollen „einmal was Gscheites bauen“, wollen gemeinsam neue Aufgaben suchen. Doch was, wenn das Engagement für gutes Bauen einer ganzen Architektengeneration aus Mangel an Entfaltungsmöglichkeiten verkümmert? Damit es nicht so weit kommt, wird die Arbeit von Architekten und der Mehrwert von ambitionierter Architektur während der kommenden Architekturtage und erstmals beim Open Haus Wien am 13. und 14.September 2014 anschaulich am Objekt gezeigt. Möge die Übung gelingen.

22. März 2014 Spectrum

Bauen für eine bessere Welt

Mit „Build Social“ ruft das Architekturzentrum Wien zu einer alternativen Architektur auf, die Antworten auf die sozialen Fragen der globalen Gesellschaft gibt. Können die gezeigten Beispiele mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sein?

Think Global. Build Social!“, ruftdas Architekturzentrum Wien den Architekturschaffenden zu undpocht mit dem erklärenden Untertitel seiner aktuellen Ausstellung „Bauen für eine bessere Welt“ auf die gesellschaftliche Verantwortung und soziale Funktion von Architektur. Folgerichtig setzt die Ausstellung nicht vordergründig auf diePräsentation einzelner Herzeigebauten, sondern zeigt anhand gebauter Beispiele Haltungen auf. Doch halt! Das Wort, das heute wegen seines angeblichen Beigeschmacks von ideologischer Starrheit leider kaum mehr verwendet wird, taucht gar nicht auf in der Schau, die Kurator Andres Lepik für das AzW in Kooperation mit dem Deutschen Architekturmuseum DAM konzipiert hat. Er spricht von einer Auswahl an Positionen, in denen die lange geforderte Verbindung von Ethik und Ästhetik beispielhaft eingelöst wird. Die Absicht scheint klar: Ein Großteil dieser Positionen findet sich in Dritte-Welt-Ländern realisiert, und es wäre naheliegend, sie mit umstrittener Entwicklungshilfe, einseitigem Technologietransfer oder Neokolonialismus in Verbindung zu bringen. All das weisen die Veranstalter von sich, auch wenn viele der Bauten nur durch die tatkräftige unentgeltliche Unterstützung von Studierenden an österreichischen und deutschen Architekturfakultäten entstehen konnten und fast alle Fördermittel brauchten.

Selbst wenn Beispiele nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit präsentiert werden, geht es vor allem darum, die gesellschaftliche Relevanz der Architektur in einer durch die Globalisierung nur scheinbar näher zusammengerückten Welt zu hinterfragen. In einer Welt, in der immer mehr Arme sich weder Grundbedürfnisse erfüllen können, noch Zugang haben zu einer besser gestalteten Umwelt, wird der Abstand zwischen uns, denen die Welt offensteht durch das Glück ihrer Herkunft, und jenen, die für uns unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit Billigstware produzieren und sich doch nichts leisten können, immer größer. Bezogen auf Architektur und Gestaltung von Lebenswelten sieht Dietmar Steiner heute einerseits die sogenannte Stararchitektur – edle Preziosen, die über den Erdball verstreutwerden, dabei ausschließlich dem Image global tätiger Unternehmen und einiger Superreicher dienen –, andererseits aber Anzeichen für einen Paradigmenwechsel im zeitgenössischen Architekturschaffen in einem aktiven, tätigen Bekenntnis zur sozialen Dimension des Bauens.

So zielen fast alle Projekte der Ausstellung auf Selbstermächtigung ab: auf die Stärkung von Eigeninitiative, Eigenverantwortung und Kreativität. Sie wollen Impulse sein, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, Alltag und fehlende Infrastruktur zu gestalten – mit einfachen Mitteln, Fantasie und in der Erneuerung von Traditionen, wie dies Anna Heringer und Martin Rauch vorschlagen, die in Bangladesch und Marokko in Zusammenarbeit mit Ortsbewohnern Lehmbauten als Schulen errichteten. Einiges kennt man, wennman die drei Vorgängerausstellungen zum Thema im AzW gesehen hat. Die aktuelle Ausstellung erhält eine andere Dimension durch engagierte Projekte, die in den vergangenen Jahren in Frankreich, Deutschland und Österreich entstanden sind. Mit ihnen werden die Fragen nach den Werten und Inhalten der Architektur, nach ihrem sozialen Charakter vor unsere Türen getragen. Die Forderung nach ressourcenschonender und demnach sozial verantwortlicher Gestaltung von lokalen Lebenswelten ist auch hierorts berechtigt. Den Anspruch, vor allem die Idee von gesellschaftlicher Veränderung mithilfe eines sozialen Wohnungs- und Siedlungsbaues, kennen wir aus dem Projekt der Moderne. Zyniker werden sogleich auf sein Scheitern verweisen.

Doch in dem, was die Aufforderung zu einem Bauen in ethischer und sozialer Verantwortung vom Projekt der architektonischen Moderne am Beginn des 20. Jahrhunderts unterscheidet, liegt vielleicht die Chancefür ein Gelingen. Erstens: Naiver Fortschrittsglaube und Technizismus sind heute nicht mehr angebracht. Wir können ihn uns nicht mehr leisten. Zweitens: Viele dieser neuen Initiativen sind Bottom-up-Bewegungen. Architektur und Lebensraum entstehen dabei nicht mehr zentral in den Hirnen einzelner Planer, sondern als Initiative und Ergebnis eines sozialen partizipativen Prozesses. Dafür steht in der Ausstellung das 2006 ins Leben gerufene Projekt Passage 56. Bewohner des 20. Pariser Arrondissement okkupierten eine städtische Brache und verwandelten diese unter Mithilfe eines sich als interdisziplinäres Netzwerk verstehenden Architekturbüros in einen kollektiv bewirtschafteten Garten mit Veranstaltungsraum. Ein Beispiel, das zeigt, wie sehr sich Rolle und Selbstverständnis der Architekten wandeln.

Das Thema des Beitrags von Druot, Lacaton & Vassal ist die Sanierung und nicht nur energiesparende Aufwertung von Massenwohnbau aus den 1970ern durch Umgestaltung anstelle von Abriss und Neubau – erprobt an mehreren Siedlungsbauten in Frankreich. Wer die Arbeitsweise dieser Architekten kennt, weiß, dass sie sich den Belegungsplänen während der Bauphase und der Berücksichtigung veränderter Wohnbedürfnisse und einem daraus resultierenden Wohnungstausch mit gleich großem Engagement widmen wie dem ästhetischen Ausdruck ihrer Arbeit.

Build Social! Kann der Architekt diesem Ruf überhaupt folgen, kann er den neoliberalen Bedingungen des Marktes entkommen und sich nur solchen Aufgaben widmen, die ihm Reputation als sozial Handelndem bringen? Ökonomisch sicher nicht, denn dafür braucht er viele Auftraggeber, die Mitstreiter und Vorreiter sein wollen im „Bauen für eine bessere Welt“. Aber er kann sich den Slogan zur Arbeitsmaxime machen und selbstreflexiv kritisch ergründen, wie nahe daran seine Arbeit bleibt.

Raumerfindung, Ästhetik und Schönheit müssen immer möglich sein, weil Gestaltung dazu beiträgt, sich zu Hause zu fühlen. Das ist in Indonesien nicht anders als in der VinziRast-mittendrin in Wien, wo Alexander Hagner von Gaupenraub mit dem geplant und gebaut hat, was er vorfand und was als Sachspende einging, und damit einen architektonischen Rahmen schaffen konnte für ein Experiment, das, gelänge es, ein Zuhause für eine kleine Gruppe von Außenseitern werden könnte – mittendrin in Wien.

18. Januar 2014 Spectrum

Die eine und die andere Seite

Selten wird Architektur so ideologisch verhandelt. Über das neue Schubhaftzentrum in Vordernberg, Obersteiermark, die Möglichkeiten der Architekten, zum würdevollen Umgang mit Schubhäftlingen beizutragen, und die Frage, ob die Erfüllung solcher Bauaufgaben statthaft ist.

Mein erster Gedanke – impulsiv, bar jeder Reflexion: Das ist kein Thema für die Architekturseite eines Feuilletons. Der Bau eines Schubhaftzentrums könne kein Anlass für eine Auseinandersetzung mit architektonischer Qualität und Baukunst sein, möge sie noch so kritisch ausfallen, ist keine Frage von baulicher Funktionalität, Ästhetik und gestalterischem Können. Freunde und Architektenkollegen äußerten Bedenken und stellten die Integrität von Architekten, die sich an Wettbewerben für eine derartige Bauaufgabe beteiligen, infrage. Darf man das überhaupt, wird man damit nicht zum Handlanger eines Systems, das man vielleicht gar nicht gutheißt?

Aber natürlich darf man – ja, muss man, sagt dann Ute zwischen zwei Gängen bei einer Einladung zum Abendessen, oder haben diese bedauernswerten Menschen kein Recht auf bestmögliche Unterbringung, auf gute Häuser? Ute, die mit Architektur sonst nichts am Hut hat, erzählt, dass manche in der Bevölkerung ihrer Heimatstadt Leoben den Häftlingen dort das neue Gefangenenhaus neiden. Und Ute, die beileibe keine abgeklärte Pragmatikerin ist, hat recht. Solange in unserem Land auf der Basis von gültigen Gesetzen die Errichtung von Schubhaftzentren vorgesehen ist, dürfen Architekten und Architektinnen sich dafür engagieren, dass solche Unterkünfte menschenwürdige Aufenthaltsbedingungen bieten und in hoher architektonischer Qualität gebaut werden.

Das mögen sich auch jene 42 Teilnehmer des international ausgeschriebenen Wettbewerbs gedacht haben, die 2010 ein Projekt für Vordernberg abgaben. Zum Sieger gekürt und zur Realisierung vorgeschlagen wurde der Entwurf von Sue Architekten, einer jungen Wiener Architektengruppe, die mit einem mit dem Bauherrenpreis ausgezeichneten Amtshaus für das oberösterreichische Ottensheim bekannt wurde. Es ist glaubhaft, wenn die Architekten betonen, mit dem Bundesministerium für Inneres als Auslober und der Bundesimmobiliengesellschaft als Bauherr bauliche Standards der Verwahrung und Sicherung immer wieder diskursiv hinterfragt und sich nach Kräften bemüht zu haben, starre Bilder aufzubrechen und in eine menschenwürdigere Form zu bringen. So ist es ihnen gelungen, die Gitter vor den Fenstern wegzulassen, die noch in der Ausschreibung zum Wettbewerb vorgesehen waren. Anstelle von herkömmlichen Fensterflügeln gibt es nun raumhohe, aber handrückenschmale Lüftungsflügel aus Holz, die zwischen fix verglasten Scheiben sitzen.

Die Aufenthaltsräume – immer zwei, durch eine Glaswand getrennt – und selbst die Schlafräume der neun Wohngruppen, die sich jeweils um einen Hof gruppieren, sind durch raumhohe Verglasung taghell und teilweise besonnt. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit. Von Würde ist die Rede, von der Schaffung eines angenehm wohnlichen, würdevollen Ambientes als oberste Prämisse eines architektonischen Konzepts, das dazu beitragen soll, den Aufenthalt der Menschen, die auf ihre „Außerlandesbringung“ warten, erträglich zu machen. Abgehängte Decken, wie sie in Büros üblich sind, wurden daher vermieden. In der Teeküche und im gemeinsamen Wohnraum ist helles Sperrholz als Wandvertäfelung eingesetzt. Jede Wohneinheit hat als Rückzugsorte ein Raucherzimmer und Sitznischen. Teppichböden in allen Räumen und die Farbigkeit von Polstermöbeln und Bestuhlung sollen für Wohnatmosphäre sorgen.

Doch selbst der Ausblick auf Bach und bewaldeten Hang durch den doppelten Gitterzaun hindurch, der anstelle der – fast ist man versucht zu sagen, obligatorischen – Mauer im ortsabgewandten Bereich der Wohngruppen installiert werden durfte, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies eine Haftanstalt ist. Es wird darin Schubhäftlinge geben, die hierzulande zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurden, diese jedoch unter der Zusage,dass sie sich außer Landes bringen lassen, nicht antreten müssen. Aber hier erleiden auch Menschen – Jugendliche, Ehepaare, Familien mit Kindern – Freiheitsentzug und eine weitreichende Einschränkung ihrer persönlichen Bewegungsfreiheit, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen.

Ihre Haft hat als Grund nur die Sicherung eines Verfahrens oder einer Abschiebung. Und so klingt die in Presseaussendungen des BMI behauptete „Autonomie über den Tagesablauf“ der Schubhäftlinge in den Wohngruppen zynisch, sind diese doch versperrt und jeder Weg nach außen, ob in den Fitnessraum, in die Bibliothek, den Meditationsraum, in den Shop oder auf den Basketballplatz, muss vom Aufsichtspersonal erlaubt und begleitet werden. Selbstbestimmung und Intimität sind kaum möglich. Warum gab es am Tag der Pressebegehung keine Vorhänge in den Schlafräumen, die alle zum nahen Gegenüber orientiert sind? Die Architekten hatten sie vorgesehen. Ein anderes Beispiel: Jedes der Zwei- und Vierbettzimmer, die mit Toilette und Waschbecken ausgestattet sind, hat ein Türschloss und kann abgesperrt werden – nur von außen. Das Wachpersonal entscheidet, ob einzelne Zimmer, der Schlaftrakt oder kein Raum abgeschlossen werden.

Das Schubhaftzentrum Vordernberg ist, will man uns glaubhaft machen, kein Gefängnis. Soll es sich wirklich von solchen unterscheiden und tatsächlich, wie gewünscht, zum europaweiten Vorzeigeprojekt werden, so muss sich dies durch den institutionellen Umgang mit den Schubhäftlingen erst beweisen. Die baulichen Voraussetzungen für mehr Vertrauen und Offenheit, für eine würdevolle Behandlung zugunsten größerer persönlicher Freiheit sind gegeben.

Eine Einrichtung müsste rückgebaut werden: die Kommunikation über eine Reihe von Glasscheiben mit Telefonhörern als eine von drei gebauten Varianten des Besucherkontakts. Sie widerspricht der Beteuerung, man sei kein Gefängnis, ist schlicht entwürdigend und wurde dennoch installiert. Akzeptable Besucherräume sind ein kleiner für Einzelgespräche und ein größerer mit mehreren Tischen und Kaffeeautomat.

All das zeigt, wie begrenzt die Möglichkeiten der Architekten selbst bei der sorgfältigsten, mit Engagement und Können angegangenen Planung waren. Die Verbesserung der Schubhaft über bauliche Maßnahmen gelang graduell, zur Änderung des herrschenden Systems der Abschiebepraxis jedoch konnten sie nichts beitragen.

Kann das ein Grund sein, eine solche Bauaufgabe abzulehnen? Ist nicht eine der Kernfragen der Architektur die nach ihrer sozialen Funktion? Müssten sich demnach nicht auch Architekten in ihrer Aufgabe, Mitgestalter der Gesellschaft zu sein, einmischen, den Diskurs um humane Quartiere laut führen – auch im Asyl- und Fremdenrecht?

Man kann auf die Straße gehen, um herrschende Verhältnisse anzuprangern und grundlegende Änderungen zu fordern. Ein langfristiges Ziel. Kurzfristig sind, ganz pragmatisch, Lösungen gefragt, die aus der gegebenen Situation das Beste machen. Auch steter Tropfen höhlt den Stein.

21. Dezember 2013 Spectrum

Vom Preisen und Lobsingen

Es gibt mehr als 30 Architekturpreise im Land. Die sollen Kunde geben von der aktuellen Baukultur, vom Innovationspotenzial, von Pionierleistungen, von kommenden Persönlichkeiten. Doch: Wen ehren, wem dienen sie?

Einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Berufslebens widmen Architekten unbezahlter Tätigkeit – dann, wenn sie an Wettbewerbsverfahren teilnehmen. Anders als Handwerker, die sich in der Erwartung von Aufträgen an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen und sich dafür eines maßgeschneiderten Computerprogramms bedienen können, muss der Architekt nicht nur jedes Mal von Neuem seine Kreativität einsetzen, um einen originellen Wettbewerbsbeitrag zu erfinden, sondern auch Mitarbeiterkraft. Das kostet Geld – viel Geld, das nicht wieder zurück in die Kasse fließt, wenn man nicht zum Sieger gekürt wird.

Es ist also gerechtfertigt und gut, Können von Architekten und Ingenieuren und ihr Engagement für eine bessere Umwelt und Gesellschaft mit Preisen zu belohnen. Auszeichnungen wie der diesjährige Aga-Khan-Architektur-Preis an Bernardo Bader für den islamischen Friedhof in Altach können nachhaltige PR für Architekten sein. Erstaunlich nur, dass die öffentliche Wahrnehmung selbst bei prominenten Preisen für Architektur weitaus geringer ist als beispielsweise jene für das Film- und Literaturschaffen, deren Preisverleihungen mit Spannung erwartet werden. Daher sollte es das Ziel jedes Auslobers von Baukulturpreisen sein, ein breites Publikum anzusprechen. So könnten Preise dazu beizutragen, dass Interesse an Baukultur – Architektur und Ingenieursbaukunst, Städtebau und Landschaftsplanung – Breitenwirkung entwickelt.

Der im Bundeskanzleramt angesiedelte Beirat für Baukultur listet allein für Österreich 30 Preise auf, die in unterschiedlichen Intervallen und Modalitäten vergeben werden. Dass es mehr sind und immer mehr werden, ist anzunehmen. Erst jüngst flatterte die Information über einen neuen Preis ins Haus. „Superscape 2014“, als Architekturpreis für innovative und visionäre Architekturkonzepte tituliert, wurde vor Kurzem in einem aufwendig inszenierten Auftaktevent in Wien vorgestellt.
Das führt sogleich zu einer Kernfrage: Wem dienen Architekturpreise wirklich? Den Architekten und ihren Teams, an die sie in der Regel verliehen werden, oder den Institutionen und Unternehmen, die sie verleihen? Das erklärte Ziel der meisten Auslober ist, allgemeines Interesse an Baukultur zu wecken und Verständnis für zeitgenössische Architektur zu fördern. Konkrete Absichten wie die Forcierung bestimmter Bauweisen oder Produkte zur Absatzförderung kommen seltener zum Ausdruck. Aber erreichen Architekturpreise überhaupt diese Ziele?

Allein in der Steiermark wurden in diesem Jahr schon mehrere Auszeichnungen verliehen: der Holzbaupreis, die Geramb Rose und jüngst der Architekturpreis des Landes Steiermark.
Architekturpreise sollten also auch ein Spiegel der aktuellen Baukultur eines Landes sein, sie könnten Kunde geben vom Innovationspotenzial, von Pionierleistungen und kommenden Persönlichkeiten. Architekturpreise werden von Jurys oder einzelnen Kuratoren ausgewählt. Ihnen kommt die Aufgabe zu, ihre Auswahl verantwortungsvoll und überlegt zu treffen, mit gleichermaßen fundierter Kenntnis von globalen Entwicklungen wie lokalen Diskursen und Bedingungen des Bauens. – Will man die beiden Vorgänger des diesjährigen Steirischen Landesarchitekturpreises Revue passieren lassen, so muss man sie tief aus der Versenkung holen, wo sie zu Recht ruhen. 2008 und 2010 wurde der große Preis der Steiermark jeweils an ein Einfamilienhaus vergeben – das erste nicht mehr als Mittelmaß, das zweite zwar originell und witzig, aber nicht als Prototyp geeignet. Als „Best of . . . “ für die Baukultur eines Bundeslandes, das von Jahr zu Jahr stärker durch Zersiedelung geprägt wird, waren sie eindeutig Fehlentscheidungen – getroffen jeweils von eigens eingeflogenen, in Fachkreisen hoch geschätzten Experten, dem deutschen Architekturkritiker Andreas Ruby und dem in der Schweiz tätigen Redakteur Hubertus Adam.

Zum raschen Vergessen der Ruby'schen Gewinner und Nominierten beigetragen hat wohl auch der Umstand, dass mediale Aufmerksamkeit für den Preis mit dafür ungeeigneter Bildgestaltung erreicht werden sollte. Die überhöht inszenierte Kunstfotografie von Livia Corona erwies der Vermittlung von Baukunst keinen guten Dienst, weil es der Fotografin augenscheinlich kein Anliegen war, Qualitäten des Gebauten herauszuarbeiten, die für Laien erkennbar sein können.
Die Art der Fotografie war kein Thema beim diesjährigen Landesarchitekturpreis, mit dem TMP Architekten für die Volksschule Hausmannstätten ausgezeichnet wurden. Erstmals wurde seine Überreichung im größeren Rahmen der Verleihung aller Kunstpreise des Landes zelebriert, was ein Weg zu breiterer öffentlicher Wahrnehmung sein könnte, wo bis dahin oft Fachleute unter sich blieben. Allerdings traf die diesmal bestellte Kuratorin Nathalie de Vries, als Architektin Partnerin bei MVRDV in Rotterdam, eine Wahl, die zeigt, dass sie vom österreichweit lange und heftig geführten Diskurs um eine grundlegende Reform der Schule wenig oder gar nichts weiß. Sie wählte unter zwei nominierten Schulen jene aus, die schon allein aufgrund ihrer Großform – einem in sich geschlossen wirkenden, dreigeschoßigen Kubus – künftige Erweiterungen und Anpassungen an die „Neue Schule“ erschweren wird. Einiges von dem, womit die Kuratorin ihre Entscheidung begründet, etwa die „enge Verbindung zur umgebenden Landschaft, nahtlose Übergänge zwischen Umgebung und Innenraum, der Unterricht im Freien und Räume, die ineinandergehen“, und „die bauliche Umsetzung eines zeitgemäßen pädagogischen Konzepts“ ist in der Volksschule von Feyferlik & Fritzer in Bad Blumau (siehe „Spectrum“-Artikel vom 15. September 2012), die bei dieser Prämierung leer ausging, konsequenter, radikaler und kindgerechter ausgeführt.
Halt!, schreien jene, die die Freiheit und Autonomie derartiger Entscheidungen auf ihre Fahnen heften, und Halt! jene, die einwenden, dass eine Jury es nie allen recht machen kann. Müde winken jene Abgeklärten ab, die überzeugt davon sind, dass hinter vielen Jury- oder Kuratorenentscheidungen der Einfluss von Seilschaften steht, gegen die man nicht ankomme. Und sie alle haben recht mit ihren Einwänden – aber sollte man nicht erwarten dürfen, dass in der Wahl des Architekturpreises für das Land Steiermark neben Gestaltqualitäten eines einzelnen Objekts auch der hierorts oft beschworene Wille zu Innovation und Erneuerung zum Ausdruck gebracht wird, der „State of the Art“? Architekturpreise sind immer auch ein Abbild des aktuellen Baugeschehens einer Region oder eines Landes und könnten darüber hinaus eine Spiegelung zeittypischer gesellschaftlicher Fragestellungen und Bauaufgaben sein.
Der Blick von außen kann hilfreich sein, wenn es darum geht, regionale Baukultur im Kontext internationaler Entwicklungen zu verorten. Innensicht und intime Kenntnis örtlicher Baugeschichte, der Rahmenbedingungen des Bauens und des aktuellen Diskurses sind hingegen notwendig, um Eigenheiten, Besonderheiten oder Schwächen der Bautätigkeit in einer Region erkennen und verstehen zu können.

Kein Zweifel, Architekturpreise sind, wenn sie das Werk in den Mittelpunkt stellen, wichtig und unverzichtbar. Sie bringen dem Gewinner Anerkennung und würdigen die Arbeit der Architekten und das Engagement von Bauherren dann angemessen und öffentlichkeitswirksam, wenn zum Beispiel alle eingereichten Projekte in einer Ausstellung gezeigt werden. Das ist beim steirischen Landesarchitekturpreis erstaunlicherweise genauso wenig selbstverständlich wie die Auflistung aller Teilnehmer in der dazu erscheinenden Publikation.
Anerkennung kann sich auch darin ausdrücken, dass Preisgeld bezahlt, ein Auftrag in Aussicht gestellt wird oder zumindest Reisekosten zur Teilnahme an der Preisverleihung refundiert werden. Die nachhaltigste Würdigung wäre wohl, wenn mit Preisen das allgemeine Interesse an Architektur steigen würde. So, wie es dem Film gelingt.

2. November 2013 Spectrum

Ende gut, alles gut?

Die neue Thalia in Graz. Von Hotelplänen zum Fitnessclub. Eine Verbesserung oder nur das kleinere Übel eines innerstädtischen Umbaus?

Die Stadt „fortschreiben“ – was so poetisch umschrieben wird, findet nun allgemein Zustimmung. Gerade historische Stadtkerne müssen sich entwickeln können, um nicht zum Museum oder toten Gewebe der Stadt zu werden. Raum als Potenzial für Veränderung ist vorhanden, Stadtverdichtung ist angesagt. Neues dort zu bauen, wo die städtische Infrastruktur seit Langem vorhanden, wo der Umstieg auf den öffentlichen Verkehr möglich ist, scheint sinnvoll.

Ungewöhnlich viele Kräne, Gerüste und Baugruben signalisieren derzeit im Zentrum von Graz rege Bautätigkeit. Daraus lässt sich schließen, dass Dachausbauten, Aufstockungen, Umbauten von innerstädtischen Immobilien und der Neubau als Lückenschluss als attraktives Investment gesehen werden.

Ende September wurde die Neue Thalia fertiggestellt, genau genommen die Überbauung einer Ansammlung mehrerer Bauten, die zwischen der Oper und der Girardigasse auf einer Liegenschaft der Stadt Graz in unterschiedlichen Epochen errichtet wurden. 1956 transformierte der Wiener Architekt Rudolf Vorderegger als Spezialist für Lichtspieltheater-Umbauten Reste des ehemaligen Thalia-Theaters in ein Kino und fügte ihm ein Tanzcafé mit Gastgarten hinzu, das an Eleganz und großstädtischem Flair in Graz nichts Vergleichbares fand. Mit einem Bestandsvertrag über 60 Jahre und einem Baurecht hatte der damalige Betreiber die Thalia privat finanziert, und als er 1997 Konkurs anmeldete, drohte das Etablissement zu verfallen. Etwa zeitgleich wurde der Ruf nach einer Probebühne für die benachbarte Oper laut, und so entstand der Plan, diese anstelle des ehemaligen Kinosaals, in Nachbarschaft zu einem Erweiterungsbau der Oper von Gunther Wawrik, zu errichten.

Die Stadt war zwar bereit, die Probebühne gemeinsam mit dem Land Steiermark zu finanzieren, vergab jedoch 2001 erneut ein Baurecht mit der Auflage, das Bühnengebäude zu bauen. Bauträger Acoton wollte naturgemäß mehr und lud erst einmal drei Architekten zu einem von der Kammer nicht unterstützten Gutachterverfahren, das Heiner Hirzegger mit einem Projekt für sich entschied, das für Entsetzen unter der Grazer Architektenschaft sorgte. Über das 1991 unter Denkmalschutz gestellte Tanzcafé sollte ein vier Geschoße hoher, massiver Block für ein Hotel gesetzt werden, dahinter der ebenso voluminöse Aufbau für die Probebühne und davor, anstelle des stadträumlich ideal situierten, charmanten Gastgartens, eine Geschäftspassage als Sockel.

Proteste von mehreren Seiten, Unterschriften von 2000 erbosten Grazer Bürgern und das negative Gutachten der Altstadtsachverständigenkommission halfen nicht. Die Stadt gab ein klares Bekenntnis zum Ausbau eines multifunktionellen Zentrums mit Hotel, Büros und Probebühne ab und erteilte eine rechtsgültige Baugenehmigung. Offensichtlich konnte man sich keine andere Lösung vorstellen, um den Verfall dieses Baujuwels in äußerst sensibler innerstädtischer Lage zu stoppen. Die Probebühne wurde, als Betonbunker hochgezogen, nun zum eigentlichen Schandfleck. Die Ausbaupläne des Bauträgers wurden erst durch eine Anzeige zu den Vergabemodalitäten der Stadt als Miteigentümerin gestoppt, die von Altstadtschützern in Brüssel eingebracht wurde, möglicherweise aber auch, weil sich für ein Luxushotel kein Betreiber fand. Was folgte, war jahrelanger Stillstand, bis Acoton, vermutlich auf Druck der Stadt, 2009 erneut einen Wettbewerb zum Ausbau der Thalia ausschrieb – diesmal für ein Fitnesscenter, dessen Mieter man schon an der Hand hatte. Gewinner dieser Neuauflage der gewerblichen Nutzung, die neben Räumlichkeiten zur umfassenden Körperertüchtigung samt Pool auch weitere 600 Quadratmeter für die Vereinigten Bühnen vorsah, waren Franz Sam und Irene Ott-Reinisch aus Wien, die den Planungsauftrag bis zur Baueinreichung erhielten (Ausführungsplanung Guido Stohecker, Graz). Ihr Konzept sah vor, den heterogenen Bestand durch ein Volumen zusammenzufassen, das sich wie ein Kragen über die Traufkanten der aneinandergereihten Bauten aus unterschiedlichen Bauphasen legt und den Bühnenturm einrahmt.

Die Außenhaut der Tragstruktur aus Stahlträgern, türkisfarbiges Lochblech, wird nur an einer Stelle bis auf Gehsteigniveau gezogen – zur Betonung des neuen Eingangs. Einen eigenständigen Baukörper zu entwickeln, der sich in Farbe und Materialität auffällig vom Bestand abhebt und diesen dennoch zusammenfasst, war wohl die einzig richtige Antwort auf die Aufgabenstellung. Dass der Innenausbau des Fitnessstudios, das durch offen geführte Leitungen und Klimakanäle ziemlich billig wirkt, kann nicht den Entwurfsarchitekten angelastet werden. Man könnte über sehr geringe Raumhöhen in einigen Bereichen des Dachaufbaus diskutieren, die vermutlich der Auflage geschuldet sind, die neue Kubatur so niedrig wie möglich zu halten, oder über die abweichend vom Wettbewerb realisierte, an manchen Stellen doch eher willkürlich wirkende Anordnung und Form der Lichtschlitze und Fensteröffnungen.

Doch halt! Ist es überhaupt angemessen, bei einem Objekt in so prominenter innerstädtischer Lage die Detailqualität der Architektur zu thematisieren? Sind es nicht ganz andere Fragen, die sich die Stadt als Initiatorin dieses Bauvorhabens nach der jahrzehntelangen unrühmlichen Planungs- und Baugeschichte stellen müsste? Erhebliche Kosten für die Miteigentumsanteile sind zu verbuchen, Einnahmen werden aufgrund einer 2010 beschlossenen Verlängerung des Baurechtsvertrags um zehn Jahre entfallen, und eine Haftungsübernahme von 18 Millionen Euro birgt ein nicht unerhebliches Risiko für die Stadt in sich. Ab einem bestimmten Punkt gab es offensichtlich kein Zurück mehr.

Zur Klarstellung: Dies ist keine Kritik am neu aufgesetzten Bauwerk, sondern eine an der Art der Nutzung bester innerstädtischer Lage. Die Räumlichkeiten des ehemaligen Tanzcafés stehen fast immer leer. Wo früher Urbanität und städtisches Ambiente herrschten, macht sich heute auf Straßen- und Flanierniveau ein massives Unding für einen „Discostadl“ breit, und in bester Aussichtslage findet sich ein Fitnessclub, der in seiner angesagten Exklusivität kein Dienst am Gemeinwohl der Stadtbewohner sein kann.

Am Beispiel Thalia ist Stadtumbau als Unfall passiert: ohne Programmatik, ohnesolides Entwicklungskonzept und Steuerung nicht im Interesse einer gedeihlichen Stadtentwicklung. Bestenfalls könnte daraus etwasgelernt werden – oder nicht?

7. September 2013 Spectrum

Die Schönheit des Rauen

Lina Bo Bardis primäres Interesse galt dem Prozess der Entstehung eines Gebäudes und der Aneignung und Bespielung durch die Menschen. Am schönsten zeigt sich das am Sozial- und Kulturzentrum SESC Pompéia. Ein Besuch in São Paulo.

Brasilien! Sehnsuchtsland aller, die in Brasilia die am Reißbrett entworfene Vision einer modernen Stadt und eine Architektur der Moderne erkunden wollen, die von Zwängen aller Art frei zu sein scheint. Ihr alles überstrahlender, aber auch alles dominierender Mittelpunkt: die vielen öffentlichen Bauten, die Oscar Niemeyer in mehr als sieben Jahrzehnten unter wechselnden Regierungen, selbst während der Militärdiktatur, realisieren konnte. Brasilianische Architekten wie Paulo Mendes da Rocha, Alfonso Reidy oder Roberto Burle Marx standen lange Zeit im Schatten der Architektur Niemeyers mit ihrem Reichtum an plastischer Formenschönheit. Heute ist ihr Beitrag zur brasilianischen Moderne international bekannt.

Und dann ist da noch Lina Bo Bardi. Für die 1946 aus Italien nach São Paulo eingewanderte Architektin wurde Brasilien rasch zur ersten Heimat, in der sie bis zu ihrem Tod 1992 Häuser und Möbel entwarf, Ausstellungen kuratierte und sogar Museumsdirektorin war. Ihr wunderbar facettenreiches, wenn auch relativ schmales Werk erhält erst jetzt langsam Aufmerksamkeit und den internationalen Stellenwert, der ihm angemessen ist (das AZW zeigte ab Mai 2013, nach der British Council Gallery in London, die Ausstellung „Lina Bo Bardi: Together“). Dass ihre Bekanntheit geringer ist als die ihrer männlichen Kollegen im Land hat wohl mehrere Gründe. Mag sein, wie Publizisten meinen, weil man sie nicht als reine Vertreterin der Moderne einordnen kann. In ihre Arbeit fließt immer wieder ihre Passion für traditionelle brasilianische Kulturen ein, und der Kontext zu Ort und lokaler Geschichte bleibt wichtig. Dem Anspruch des internationalen Stils, ein weltumspannendes gesellschaftliches Modell des Bauens zu sein, kann sie nichts abgewinnen. Andererseits hat Lina Bo Bardi zu ihrer Bekanntheit selbst nicht viel beigetragen. Sie war nicht interessiert an der Publikation ihrer Werke. Ihr primäres Interesse galt dem Prozess der Entstehung eines Gebäudes und der Aneignung und Bespielung durch die Menschen, die es nützen.

Am schönsten zeigt sich das am Sozial- und Kulturzentrum SESC Pompéia in São Paulo, das neben dem MASP, dem Museu de Arte de São Paulo, das wohl wichtigste Bauwerk der Architektin ist. Im Arbeiterviertel Palmeira sollte Bo Bardi 1977 auf dem Gelände einer geschlossenen Fassfabrik, die zum Abriss bestimmt war, ein Sport- und Freizeitzentrum entwerfen. Mit dem Auftrag betraut, ist ihre erste Tat, sich vehement dafür einzusetzen, die Fabriksgebäude als Zeichen einer bei den Bewohnern noch präsenten Vergangenheit zu erhalten. Was heute gang und gäbe ist, war damals unbekannt und ungewöhnlich – ein Experiment. Es gelingt ihr zu überzeugen.

Bo Bardis Eingriffe sind sparsam: Sie stellt die Hallenkonstruktionen frei, öffnet Dächer mit Glas, baut, wenn nötig, einfache Galerien und Podien oder Kojen in Beton einund lässt einen Steinboden verlegen, wie man ihn von städtischen Plätzen kennt. Sie bereichert die Hallen mit kompakter Möblierung, einer großen Feuerstelle und einem mäandernden Wasserlauf, der die funktionelle Strenge der Hallenbauten ebenso heiterbricht wie das Rot, das sich an unterschiedlichsten Gebäudeteilen überall auf dem Areal wiederfindet. Alle Hallen sind offen undfrei zugänglich. Es werden Kurse zur kreativen Gestaltung abgehalten, es gibt ein Theater, Werkstätten, Ausstellungsräume, eine gutbesuchte Bibliothek und eine konkurrenzlos günstige Kantine.

In einem zweiten Bauabschnitt setzt die Architektin, neben überdachten und offenen Platzräumen und einer alles verbindenden Gasse, am Rande des dorfartigen Ensembles aus Backstein ein starkes Zeichen. Sie lässt drei Türme aus rauem Beton bauen – einen Wasserturm und zwei zueinander verdrehte hohe Bauten für sportliche Aktivitäten. In einem stapelt sie eine Schwimmhalle und vier Sportfelder übereinander und verbindet sie über Brücken mit dem anderen, der die Erschließung und Umkleiden enthält. Steht man davor, beeindruckt die Monumentalität des Komplexes. Er ist einfach und rau, wie Industriebau; dabei gut proportioniert und mit sparsam gesetzten, amöbenartigen Fensteröffnungen aufgelockert, aber so massiv und trutzig gebaut, so als wollte die Architektin verhindern, dass man ihn später abreißen kann.

Schönheit und Ästhetik waren für Bo Bardi kein Selbstzweck. Selbst der Moment der architektonischen Perfektion eines Bauwerks im Augenblick seiner Fertigstellung, jungfräulich, wie Architektur immer noch meist fotografiert wird, interessierte sie angeblich kaum. Es ist verbrieft, dass sie nicht nur in der Bauzeit vor Ort arbeitete, sondern auch danach Kunstschauen initiierte und gestaltete. Die Ausstellung im AZW, die das programmatische „together“ im Titel trägt, zeigte in filmischen Sequenzen das SESC Pompéia im Gebrauch und verdeutlichte,worum es der Frau, die als stark, brillant und streitbar beschrieben wird, ging. Sie sah die Menschen im Mittelpunkt ihrer Architektur und wollte ihnen etwas zur Verfügung stellen, das ihr Leben bereichert. Was oft nur Phrase oder nicht eingelöster Anspruch ist, kann in diesem Zentrum, das von der brasilianischen Organiation SESC, dem sozialen Dienst des Handels, über eine obligatorischeHandelsabgabe finanziert wird, in der Alltagsrealität erlebt werden.

Samstag mittags, Scharen von Besuchern, alle Türen stehen offen. Männer spielen Schach, Jugendliche Basketball oder Fußball, man sonnt sich auf dem „Beach“ genannten Holzsteg oder meldet sich mit einem symbolischen Betrag für Kurse an, liest oder kauft Essensmarken. Kunst wird nicht nur ausgestellt (Olafur Eliasson war 2011 dort), sondern auch produziert – ganz im Sinne der Kunst liebenden Bo Bardi.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Bedeutung ihrer kraftvollen Architektur gerade jetzt erkannt wird. Ihre Bauten sind nicht nur von konzeptuellem Denken, sondern auch von sozialen Überzeugungen geprägt. Sie schaffen Raum, der offen ist für Überraschendes, nicht Vorhersehbares. Raum, der sich allen Nutzern öffnet, unabhängig von Alter, Stand und Einkommen. Im SESC Pompéia ist es Raum für die seltene Koexistenz von Kunst und Kunstgewerbe, Sport und Hochkultur, Wissensdurst und Nichtstun. Öffentlicher Raum.

17. August 2013 Spectrum

Wem gehört die Stadt?

Es beginnt im Kleinen – doch was passiert, wenn der Trend zur Privatisierung des städtischen Raums weitergeht? Am Beispiel von Graz.

Soll die Rede sein von der Stadt, so stellt sich vorweg die Frage, was Stadt eigentlich ist und was sie ausmacht. Reden wir alle vom selben, wenn wir von „der Stadt“ sprechen? Eine allgemein gültige Definition von Stadt gibt es nicht. Wie auch, wird der komplexe Organismus Stadt doch einem steten Transformationsprozess unterzogen und außerdem von den verschiedenen Akteuren der Stadt aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln wahrgenommen. Als kleinster gemeinsamer Nenner für den Begriff können Dichte, Diversität und gemeinsamer Raum stehen.

Für den Soziologen Richard Sennett ist die Stadt „eine Siedlungsform, die die Begegnung einander fremder Menschen wahrscheinlich macht“. Diese ist demnach der Ort der Sozialisation, an dem Menschen das Fremde und andere kennen und tolerieren lernen. Auf lange Sicht gesehen gelingt dies allerdings nur, wenn jeder Raum bekommt, und Segregation nicht stattfindet. Was in Urlaubsdestinationen unser Interesse findet, sollten wir auch zu Hause in Kauf nehmen, denn wir wissen: Öffentliche Räume erzeugen nicht per se Urbanität, sondern sind nur dann vitale Orte der Begegnung, wenn sie von allen Gruppen einer Stadtgesellschaft in Gebrauch genommen werden können. Klar, dass damit Konfliktpotenzial gegeben ist.

Städte, die sich im Vergleich zu anderen profilieren und ihren Werbewert steigern wollen, die teures Stadtmarketing betreiben, um „marktgerecht“ zu agieren und Investoren anzuziehen, scheuen solche Konflikte jedoch wie der Teufel das Weihwasser. Der umfassenden ökonomischen Verwertung, Kommerzialisierung und Privatisierung des städtischen Raums sind demnach sowohl Randgruppen im Weg wie auch „Leerstellen“ im Stadtraum, die keiner Verwertungslogik folgen.

Graz, die schöne Südliche, die von Jahr zu Jahr mehr Touristen anzieht und seit geraumer Zeit auch wieder wächst, ist ein Beispiel solcher Bestrebungen und unterscheidet sich damit nicht von Entwicklungen anderer europäischer Städte mit ähnlicher Attraktivität. Die Stadt wird „herausgeputzt“ – zentrale Gebiete werden saniert, umgebaut und im Sinne städtischer Verdichtung mit Neuem aufgefüllt und überbaut. Nicht immer geschieht dies im Interesse der Stadt und ihrer Bewohner, wenn man darin alle, deren Lebensraum die Stadt ist, einschließt.

An Beispielen mangelt es nicht. Wenn sich ein renommiertes Schuhgeschäft in der Herrengasse ein neues Outfit gibt und der umgebaute Laden den zuvor intensiv öffentlich genützten Durchgang zum dahinter liegenden Färberplatz als Geschäftsfläche inhaliert, so stellt dies eine Einschränkung freier Bewegung dar, auch wenn der Durchgang als private Fläche nur eine jahrzehntelang ersessene Dienstbarkeit war. Dasselbe gilt für das größte Warenhaus der Innenstadt. Wo früher eine öffentliche Passage eine verkehrsberuhigte Abkürzung von der Sackstraße in die Murgasse ermöglichte, müsste sich der Flaneur heute zwischen Pulten und Regalen mit Waren durchschlängeln, wollte er diesen Weg weiterhin nehmen. Die Absicht ist deutlich. Nur der Konsument ist als Passant erwünscht. Genau dieser ökonomischen Handlungslogik entspricht eine absurde, inzwischen wieder zurückgenommene Maßnahme des Grazer Bürgermeisters, der das zentrale Brunnendenkmal auf dem Grazer Hauptplatz mit Büschen in Töpfen umzäunen ließ, damit sich Trinker und Obdachlose nicht niederlassen können. Der Konsum von Alkohol ist auf diesem Platz per Verordnung verboten, allerdings nur, solange nicht Megaevents wieder jährliche Adventmarkt und das „Aufsteirern“-Fest stattfinden, das die Innenstadt für ein Wochenende im September für viele ohnehin lärmgeplagte Bewohner zur exterritorialen Zone werden lässt.

Konsumfreie öffentliche Räume hingegen sind rar und werden weiter beschnitten. Zurzeit denkt der Bürgermeister laut über eine „bessere“ Nutzung des Forum Stadtpark nach, dem er im Erdgeschoß ein Café verordnen will. Mag sein, dass die Aktivitäten und der kreative Output dieser international renommierten Institution derzeit (wie übrigens auch in früheren Zeiten) weder mehrheitsfähig noch für die Masse anziehend sind. Dies mit der Beschneidung des Freiraums zur künstlerischen Entfaltung zu beantworten ist unakzeptabel und einer Stadt nicht würdig, die sich rühmt, Brennpunkt einer kreativen Szene zu sein.

Will eine Stadt lebenswert für viele bleiben und soziale Konflikte im Zaum halten, so ist sie nicht nur gut beraten, öffentlichen Raum nicht nach ökonomischen Kriterien zu bewerten und ausreichend, ja, verschwenderisch viel davon bereitzustellen, sie tut auch gut daran, diesen sorgfältig zu planen und bewohnbar zu machen. Öffentliche Räume und Allgemeinflächen sind oft nicht mehr als Restflächen mit undifferenzierter Textur. Sensibel ausgelotete Abstände und Übergänge zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen lassen sie ebenso vermissen wie Aufenthaltsqualität.

Direkt am Grazer Stadtpark, wird seit Kurzem auf einem der letzten größeren Areale der Altstadt ein Wohnprojekt realisiert. Ein erheblicher Teil der Wohnungen, die mit ruhiger Lage und der Attraktion des angrenzenden Parks beworben werden, ist im Luxussegment angesiedelt. Teil der Wettbewerbsvorgaben war, einen Übergang vom Karmeliterplatz in den Stadtpark vorzusehen. Dieser wird auch gebaut werden, nur wie! Drei Baukörper erheben sich über einem bauplatzgroßen Sockel, der über der schon jetzt bestehenden öffentlichen Tiefgarage eine Garage für die Bewohner enthalten wird. Mit dieser Maßnahme wird eine geschoßhohe Barriere zum Platz errichtet. Wer künftig, etwa vom Hauptplatz kommend, den kurzen Weg über das „Pfauengartenareal“ in den Park wählt, muss erst einmal dieses Plateau erklimmen, um dann auf der anderen Seite nicht nur die Höhe der historischen Stadtmauer hinabzusteigen, sondern auch ein zusätzliches Geschoß. Nach derzeitigem Stand wird der Weg des Flaneurs an Büros und geschlossenen Fassaden entlangführen, da öffentliche Erdgeschoßzonen in den drei Baukörpern nicht vorgesehen sind. Ist das attraktiver, öffentlich genutzter Raum? Zukünftige Szenarien der Durchquerung lassen sich schon jetzt erahnen, denn wer so teuren Wohnraum kauft, glaubt, damit auch das Recht auf die in der Bewerbung versprochene Ruhe zu kaufen.

Öffentliche Räume tragen erheblich zu einem funktionierenden Gemeinwesen bei. Ihre umsichtige, sorgfältige Gestaltung und Pflege ist daher nicht nur eine städtebauliche, sondern auch eine politische Aufgabe, die immer im Sinne des Gemeinwohls bewältigt werden muss. Am genannten Beispiel kann dies gar nicht gelingen, und die Schwächeren werden zurückgedrängt werden. Dabei ist nicht den Investoren ein Vorwurf zu machen, sondern jenen, die den politischen Kraftakt zu entsprechenden, die Totalvermarktung der Stadt verhindernden Prinzipien und Vorgaben in der Stadtplanung als nicht notwendig erachten.