Artikel

Bauen für eine bessere Welt
Spectrum

Mit „Build Social“ ruft das Architekturzentrum Wien zu einer alternativen Architektur auf, die Antworten auf die sozialen Fragen der globalen Gesellschaft gibt. Können die gezeigten Beispiele mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sein?

22. März 2014 - Karin Tschavgova
Think Global. Build Social!“, ruftdas Architekturzentrum Wien den Architekturschaffenden zu undpocht mit dem erklärenden Untertitel seiner aktuellen Ausstellung „Bauen für eine bessere Welt“ auf die gesellschaftliche Verantwortung und soziale Funktion von Architektur. Folgerichtig setzt die Ausstellung nicht vordergründig auf diePräsentation einzelner Herzeigebauten, sondern zeigt anhand gebauter Beispiele Haltungen auf. Doch halt! Das Wort, das heute wegen seines angeblichen Beigeschmacks von ideologischer Starrheit leider kaum mehr verwendet wird, taucht gar nicht auf in der Schau, die Kurator Andres Lepik für das AzW in Kooperation mit dem Deutschen Architekturmuseum DAM konzipiert hat. Er spricht von einer Auswahl an Positionen, in denen die lange geforderte Verbindung von Ethik und Ästhetik beispielhaft eingelöst wird. Die Absicht scheint klar: Ein Großteil dieser Positionen findet sich in Dritte-Welt-Ländern realisiert, und es wäre naheliegend, sie mit umstrittener Entwicklungshilfe, einseitigem Technologietransfer oder Neokolonialismus in Verbindung zu bringen. All das weisen die Veranstalter von sich, auch wenn viele der Bauten nur durch die tatkräftige unentgeltliche Unterstützung von Studierenden an österreichischen und deutschen Architekturfakultäten entstehen konnten und fast alle Fördermittel brauchten.

Selbst wenn Beispiele nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit präsentiert werden, geht es vor allem darum, die gesellschaftliche Relevanz der Architektur in einer durch die Globalisierung nur scheinbar näher zusammengerückten Welt zu hinterfragen. In einer Welt, in der immer mehr Arme sich weder Grundbedürfnisse erfüllen können, noch Zugang haben zu einer besser gestalteten Umwelt, wird der Abstand zwischen uns, denen die Welt offensteht durch das Glück ihrer Herkunft, und jenen, die für uns unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit Billigstware produzieren und sich doch nichts leisten können, immer größer. Bezogen auf Architektur und Gestaltung von Lebenswelten sieht Dietmar Steiner heute einerseits die sogenannte Stararchitektur – edle Preziosen, die über den Erdball verstreutwerden, dabei ausschließlich dem Image global tätiger Unternehmen und einiger Superreicher dienen –, andererseits aber Anzeichen für einen Paradigmenwechsel im zeitgenössischen Architekturschaffen in einem aktiven, tätigen Bekenntnis zur sozialen Dimension des Bauens.

So zielen fast alle Projekte der Ausstellung auf Selbstermächtigung ab: auf die Stärkung von Eigeninitiative, Eigenverantwortung und Kreativität. Sie wollen Impulse sein, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, Alltag und fehlende Infrastruktur zu gestalten – mit einfachen Mitteln, Fantasie und in der Erneuerung von Traditionen, wie dies Anna Heringer und Martin Rauch vorschlagen, die in Bangladesch und Marokko in Zusammenarbeit mit Ortsbewohnern Lehmbauten als Schulen errichteten. Einiges kennt man, wennman die drei Vorgängerausstellungen zum Thema im AzW gesehen hat. Die aktuelle Ausstellung erhält eine andere Dimension durch engagierte Projekte, die in den vergangenen Jahren in Frankreich, Deutschland und Österreich entstanden sind. Mit ihnen werden die Fragen nach den Werten und Inhalten der Architektur, nach ihrem sozialen Charakter vor unsere Türen getragen. Die Forderung nach ressourcenschonender und demnach sozial verantwortlicher Gestaltung von lokalen Lebenswelten ist auch hierorts berechtigt. Den Anspruch, vor allem die Idee von gesellschaftlicher Veränderung mithilfe eines sozialen Wohnungs- und Siedlungsbaues, kennen wir aus dem Projekt der Moderne. Zyniker werden sogleich auf sein Scheitern verweisen.

Doch in dem, was die Aufforderung zu einem Bauen in ethischer und sozialer Verantwortung vom Projekt der architektonischen Moderne am Beginn des 20. Jahrhunderts unterscheidet, liegt vielleicht die Chancefür ein Gelingen. Erstens: Naiver Fortschrittsglaube und Technizismus sind heute nicht mehr angebracht. Wir können ihn uns nicht mehr leisten. Zweitens: Viele dieser neuen Initiativen sind Bottom-up-Bewegungen. Architektur und Lebensraum entstehen dabei nicht mehr zentral in den Hirnen einzelner Planer, sondern als Initiative und Ergebnis eines sozialen partizipativen Prozesses. Dafür steht in der Ausstellung das 2006 ins Leben gerufene Projekt Passage 56. Bewohner des 20. Pariser Arrondissement okkupierten eine städtische Brache und verwandelten diese unter Mithilfe eines sich als interdisziplinäres Netzwerk verstehenden Architekturbüros in einen kollektiv bewirtschafteten Garten mit Veranstaltungsraum. Ein Beispiel, das zeigt, wie sehr sich Rolle und Selbstverständnis der Architekten wandeln.

Das Thema des Beitrags von Druot, Lacaton & Vassal ist die Sanierung und nicht nur energiesparende Aufwertung von Massenwohnbau aus den 1970ern durch Umgestaltung anstelle von Abriss und Neubau – erprobt an mehreren Siedlungsbauten in Frankreich. Wer die Arbeitsweise dieser Architekten kennt, weiß, dass sie sich den Belegungsplänen während der Bauphase und der Berücksichtigung veränderter Wohnbedürfnisse und einem daraus resultierenden Wohnungstausch mit gleich großem Engagement widmen wie dem ästhetischen Ausdruck ihrer Arbeit.

Build Social! Kann der Architekt diesem Ruf überhaupt folgen, kann er den neoliberalen Bedingungen des Marktes entkommen und sich nur solchen Aufgaben widmen, die ihm Reputation als sozial Handelndem bringen? Ökonomisch sicher nicht, denn dafür braucht er viele Auftraggeber, die Mitstreiter und Vorreiter sein wollen im „Bauen für eine bessere Welt“. Aber er kann sich den Slogan zur Arbeitsmaxime machen und selbstreflexiv kritisch ergründen, wie nahe daran seine Arbeit bleibt.

Raumerfindung, Ästhetik und Schönheit müssen immer möglich sein, weil Gestaltung dazu beiträgt, sich zu Hause zu fühlen. Das ist in Indonesien nicht anders als in der VinziRast-mittendrin in Wien, wo Alexander Hagner von Gaupenraub mit dem geplant und gebaut hat, was er vorfand und was als Sachspende einging, und damit einen architektonischen Rahmen schaffen konnte für ein Experiment, das, gelänge es, ein Zuhause für eine kleine Gruppe von Außenseitern werden könnte – mittendrin in Wien.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: