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Unter den Dächern der Profit
Über die Dachbodenstiege hetzte ich, wenn mir die Wohnung zu eng wurde, zum Lesen, zum Spüren der Stille. Der Dachboden war der Raum der Marder, Schwalben, Fledermäuse. Der Raum meiner Träume. Heute ist er der Traum der Dachbodenverwerter. Zum Verschwinden eines urbanen Topos.
10. Januar 2015 - Gottfried Pirhofer
Der Film von Rene Clair heißt „Unter den Dächern von Paris“, aber das Mansardenzimmer (mit dem Blick auf die unzähligen Kamine) ist – unter dem Dach und über den Dächern – Teil einer Stadtschicht, in der Künstler, Dichter und Träumer, Gauner, Dienstboten, Prostituierte nicht eine „Unterschicht“, sondern der Stoff der Großstadterzählung sind. Während man hierzulande bei Mansarden an denkmalgeschützte Kleinstadtkerne und an die wie Geschwüre aufbrechenden Gaupen des Dachausbaus denkt, sagt das Lexikon, dass die Pariser Mansarde vom Architekten des Louvre, Pierre Lescot, erfunden und von den Baumeistern und Architekten François Mansart und Jules Hardouin-Mansart als Typus, der fortanParis mitprägte, verbreitet wurde: im Unterschied zum Wiener Dachausbau der unzähligen – verschieden erträglichen bis unsäglichen – Einzellösungen.
Wenn Alfred Hitchcocks Komödie „To Catch A Thief“ zu „Über den Dächern vonNizza“ eingedeutscht wurde, trifft dies nicht nur eine Handlungs-, sondern auch eine Wahrnehmungsebene der Stadt, die sich über dem Meer, umgeben von Felsen und Bergen, erhebt. Ein kohärentes Gefüge aus Steildächern zeigt, im Blickvom Schlossberg, die Grazer Altstadt. Eine entsprechend konsistente „Dachlandschaft“ hat Wien nicht zu bieten. Aber gerade in Wien wurde die „Wiederherstellung“ eines abgebrannten Dachstuhls in der Hofburg zur Frage der nationalen Identität hochgespielt.
Ansonsten ist Wiens vorrangiges Thema der Interpretation des Weltkulturerbes der Canaletto-Blick, ein Blick in die Ferne, in der man nicht die Details sieht, wie von der Mariahilfer Straße die Königsklostergasse hinunter in die Gumpendorfer Straße, die tiefer liegt, womit sich auf Augenhöhe ein zweigeschoßiger Hausaufbau zeigt. Das Visier, zwischen dessen Metallbändern Sehschlitze blitzen, ruiniert nicht nur eine ein Jahrhundert bewahrte Gebäudeästhetik, in der das Café Sperl nistet, sondern auch die Aussicht ins Wiental.
Wenn Wien laut allen Prognosen massiv wachsen wird, wachsen die Begehrlichkeiten auch. Speziell nach den mehr als 20.000 Dachböden, die laut dem Leiter der Magistratsabteilung 19, zuständig für Stadtgestaltung, „darauf warten, ausgebaut und bewohnt zu werden“. Und wenn selbst der, bisher als dicht geltende Bezirk Mariahilf künftig massiv wachsen soll; und wenn die Stadtplanung quer über die Stadt „Nachverdichtung“ will, zeichnet sich eine Entwicklung ab, in der die bisherigen Dachaus- und -aufbauten der Start einer „flächendeckend“ angelegten „inneren Stadterweiterung“ waren.
Eine Bilanz des Wiener Dachausbaus ist noch nicht erfolgt. Sieht man vom Ruin der Ästhetik unzähliger Gründerzeithäuser ab, wäre die Frage interessant, inwieweit die Freigabe und Stimulierung des Dachausbaus zur Wohnungsteuerung beigetragen hat. Er öffnete, zumindest, das Ventil, das die – kapitalistisch determinierten – Wohnverhältnisse unter der Last der Reste des von 1917stammenden Mieterschutzes hemmte, und zeigt, was Kapitaldynamik entlang kaufkräftiger Nachfrage ist. Während Altbauwohnungen in der Vermietung „gedeckelt“ sind, gilt dies für den Dachausbau auf dem Altbau nicht. Oben, „wo es am schönsten ist“, wurde die sozialpolitische Schranke – der Wien seine „Leistbarkeit“ verdankt – aufgehoben.
Das Kapital ist ein Schnüffelhund, der dunkle Ecken und Nischen sucht und es hier besonders einfach hat. Der brachliegende Raum verspricht den größten Profit. Das Kapital liebt Sprünge, in der (scheinbaren) Behäbigkeit und Ruhe der alten Stadt, in der der neue Hausherr, der nicht mehr ein Hausherr, sondern die Figur des Immobilieninvestments ist, den Dachboden zum Baugrund macht und die Grundrente vom Boden nach oben treibt. 150 Jahre nach Engels' Ausführungen zur kapitalistischen Lösung der Wohnungsfrage und smarter als Haussmann oder die Developer in Istanbul oder in Chinas Städten. Ohne direkten Landraub, über die Verwertung einer Allmende, die imHauseigentum (einer Mieterkonvention) herumlag, ähnlich der Umwidmung von Ackerfläche zu Bauland in den äußeren Gebieten. Aber was dort für Investoren meist schwer vorhersehbar ist (was die Planung vorhat), ist beim Dachboden eine einfache Rechnung. Marktkonform ausbauen und denZu-Fall, den Mehrwert des Blicks von oben, bestmöglich lukrieren. Der smarte Mister Benko, der von den Tiroler Bergen kommt, hat via Dachausbau das Vermögen gemacht, das ihn befähigte, ein Filet der Gründerzeit auch auf der ebenen Erde, auf der jetzt Sicherheitskräfte, wie vormals vor der angesagtesten Disco stehen, zu Wiens „goldenem Quartier“ zu machen.
Auf Brownfields zu bauen gilt für Ressourceneffizienz besser als auf Greenfields,und wer bestreitet, dass in den Gründerzeithäusern allerlei Dreck steckt, nicht nur in den Bleirohren des berühmten Hochquellwassers. Allerdings erfordert das „Draufsetzen“ (Titel einer Ausstellung, mit der die „sanfte Stadterneuerung“ ihr Ende feierte) Energieeinsatz. Kürzlich ist ein Gründerzeithaus in der äußeren Mariahilfer Straße während des Draufsetzens eingestürzt. So zeigt sich, dass die Gründerzeithäuser alt geworden sind, wie ein hoher Planungsbeamter sagte, und man muss froh sein, dass der Dachaufbau die Gründerzeithäuser verjüngt –wie der Beamte sagte –, ohne sie abzureißen. Das Kapital wird die Dämmprobleme lösen, dass man Styropor nicht nach 30 Jahren als Sondermüll entsorgen muss und die Rigipswände, die häufig nicht lang nach ihrer Errichtung springen, je nach Kaufkraft/Investitionsbereitschaft der Nachfragenden bessere Nachfolger finden.
Während es ein Jahrhundert lang nicht gelang, flexible Grundrisse und funktionell taugliche und finanziell erschwinglicheSchiebesysteme zu entwickeln, um die Wohnungen nach der Zellenaddition beweglicher zu machen, entwickeln sich auf dem Dachboden neue Produktgenerationen, auch wenn sie dessen Offenheit und schöne Rohheit, die für Josef Frank der Stimulus eines neuen Wohnens war, nach wie vor beseitigen. Der Dachausbau (Verzetnitschs undGrassers Penthäuser als Symbole, dass im Kapitalismus Aufstieg möglich ist) wurde zur „neuen Wiener Mischung“ stilisiert, in der die alte Beletage Klassendistinktionszeichen nach oben abgegeben hat. Er wurde – seit Coop Himmelb(l)au und deren Adepten – poppig, lässig, „dekonstruktiv“. Jetzt steht seine Demokratisierung an. Wollt ihr die Nachverdichtung, ein „Wohnen auf dem Dach“, das man sich leisten kann? Nachdem der Traum der Metastrukturen (Yona Friedman) und der walking city(Archigram) – einer urbanen Fläche für alle über den alten Stadtstraßen – und selbst der sozialdemokratische Traum des Vollwertwohnens (Hausswimmingpool auf dem Dach) ausgeträumt sind, und weil das geförderte Wohnen deutlich kleiner werden soll („MeinTraum ist die kleinstmögliche Wohnmaschine“, sagte kürzlich Walter Stelzhammer und verwies auf die Arbeit eines japanischen Architektenkollegen, der in der elterlichen Wohnung auf 32 Quadratmetern durch flexible Raumteiler und technische Ausstattung ein hochqualitatives Lebensumfeld geschaffen hat), sollen Ambiente und Ausblick die schwindenden Wohnflächen kompensieren. Darling, ich wohne kostengünstig unter den Sternen, verspricht die von der Stadtplanung propagierte (innere) Nachverdichtung.
Der Immobilienteil sagt anderes. Bereits im unteren „High-End“-Bereich – die Musik spielt auf dem Dach – kosten Penthäuser 10.000 Euro pro Quadratmeter. So deutet sich ein neuer, vertikaler (und zugleich horizontaler) Klassenkampf an. Früher hätte man „Es kracht im Gebälk“ gesagt. Neue Metaphern sind selten geglückt. Der Harvard-Ökonom, Larry Katz verglich kürzlich die US-Gesellschaft mit einem Haus, auf dem neue Penthäuser errichtet werden, während die Untergeschoße sich brechend füllten, die mittleren Etagen sich leerten und der Aufzug (Aufstieg) nicht mehr funktioniere.
Entspannter Blick: „Es gibt, die Bewohner des sechsten Stocks wissen das, ein Alpenglühen der Dächer, das an trostvoll schwermütiger Schönheit dem im Gebirge gleichkommt“ (Alfred Polgar, „Lob der Mansarde“).
Ich gehe durch Straßen und Gassen unter alten Traufen und blicke auf Dächer, die über dem durch Verkehrsführung und „Möblierung“ verwirrten Stadtraum ruhige Flächen bieten, gehe entlang der Traufen wie unter einem Schirm, im Winter zwischen Installationen der Hausbesorger, die auf die Gefahr der „Dachlawinen“ weisen, und denke an Gaston Bachelards „Poetik des Raumes“. „Der von der Einbildungskraft erfasste Raum kann nicht der indifferente Raum bleiben, der den Messungen und Überlegungen des Geometers unterworfen ist. Er wird erlebt.“ „In seinen tausend Honigwaben speichert der Raum verdichtete Zeit.“
Der Speicher – diese Metapher, die Bachelards Poetik durchzieht – ist ein altes Wort für den Dachboden, als dieser noch handfeste Funktionen hatte. Der Dachboden war nicht nur der poetische Raum (Josef Franks Mansarde, aus der er das neue Wohnen entwickeln wollte), und in ihm war nicht nur – beinahe existenziell – das „starre Gerippe des Balkenwerks bloßgelegt“. In diesem Raum, der allen und niemandem gehörte, nahm man „Teil an der soliden Geometrie des Zimmermanns“, war man, in Staub und Dreck, Plunder und Dämmerlicht Teil einer Gesellschaft, in der auch die Toten waren, enger dem Haus verbunden als in der Addition von Fortschritt durch Kleinfamilie, und Voyeur der von Frauen dominierten „Hauswirtschaft“, in der, lustvoll, die schmutzige Wäsche gewaschen und getrocknet wurde. Notgedrungen dort, weil die Höfe – entlang der Nachverdichtung der Spätgründerzeit – immer knapper bemessen, zu Hinterhöfen, dann zu Lichthöfen, dann zu Schlitzen geworden waren.
Über die Dachbodenstiege (am Schluss war es keine Treppe mehr) hetzte ich, wenn mir die Wohnung zu eng wurde (und ich nicht auf die Gasse wollte), zum Lesen, Spüren der Stille unter der Luke, über der der Mond ging. Gelegentlich hing eine Leine am Balken, und an der Leine hingen Wäscheklammern. Der Dachboden war der nicht kapitalisierte Raum, der – in der Verwertungslogik – nutzlose Raum, der als Rest einer älteren Geschichte übrig geblieben war. Vom „ganzen Haus“, in dem Lehrlinge und Dienstboten in der Hitze und Kälte unter Dach und Fach einquartiert waren. Gelegentlich auf „Hängeböden“.
Der Dachboden war der Raum der Mäuse, Marder, Schwalben, Fledermäuse. Er war eingehaust, aber mit Schlupflöchern, nicht nur der Luke, und Verstecken (spielen). Man erzählte vom Krieg, und dass man in die Keller gehen musste; und dass dann auf dem Dachboden Flüchtlinge hausten (auch so ein Wort, das vom Haus kommt). Dann wieder war er der Raum, in dem im Winter Äpfel und Birnen lagen. Nicht selten saß ich im Wohn- oder Esszimmer und träumte vom Gehäuse, das keine Zwischenwände und keine „Wohnfunktionen“ hat. Unter dem Dachstuhl stand unter der Luke ein alter Stuhl, das Ausgedinge der Häuslichkeit, die eine Unhäuslichkeit brauchte (und hatte), damit die Hausinsassen Luft bekamen. Einmal fand ich alte Bilder, die verrottet waren, brachte sie zum Restaurator. Das Gestühl war die einzige Schräge in der Horizontalität und Vertikalität der Häuser, bevor Coop Himmelb(l)au die Schräge des alten, in sich ruhenden Dachstuhls durch den nervösen (und zugleich spekulativen) „Dekonstruktivismus“ ruinierten. Der alte Dachboden war der zwar eingehauste Raum – der freiere Raum war die Gasse (wie Wald und Wiesen) –, aber offener und unbestimmter als der funktionalisierte Raum der Wohnung und, trotz des Staubs, des Dämmerlichts und der Spinnweben, luftiger als der Keller.
Der Dachboden – mit Sparren und Spinnen – kann noch immer herzzerreißend sein. Die Enkelin schaut in Schränke, die nichts mehr hergeben, weil die alte Frau, von der die Dinge sind, die sie nicht wegwarf, im Rollstuhl sitzt, und entdeckt einen Mantel aus gutem Stoff, der vielleicht nie getragen wurde. Die Mutter der Enkelin, die Schwiegertochter der Frau im Rollstuhl, die nie wieder zum Dachboden kommen wird, probiert ihn an, und er schaut schick aus, und alle freuen sich.
Die alten Mietverträge, die bei Weitem nicht so „günstig“ waren, wie man sie heute darzustellen beliebt (man zahlte hohe Ablösen, die – als Schwarzgeld – in die Retro-Aufrechnung der alten Mieterschutzmieten nicht einfließen), umfassten – explizit – das Recht auf ein Kellerabteil und als Gewohnheitsrecht die Benutzung des Dachbodens, der allen Hausparteien gemeinsam „gehörte“. Dieses unausgesprochene Gemeinschafts recht der Mieter ist angesichts derheutigen Dachbodenverwertung verwunderlich. Und dass es selbstverständlich ist, dass der Aus- und Aufbau Kollateralschäden ergibt. Der energieexzessive Liftein- und Garagenausbau ist nicht nur eine langwierige Beeinträchtigung, sondern häufig die nachhaltige Zerstörung des „Hausfriedens“ (auch so ein Wort): nicht zuletzt durch die Spaltung des Stiegenhauses (das zwischen Dachboden und Keller das Haus zusammenhielt) in die, die gehen, und die, die fahren. Und gelegentlich rieselt das überschüssige Wasser des Pools oder der Pflanzenbewässerungsanlage von der Dachterrasse nach unten, zu denen auf der ebenen Erde.
„Wenn alles gefüllt wird, bleibt keinHandlungsspielraum mehr; wenn jede Leere beseitigt wird, wird auch der Spielraum zerstört, der die freie Entfaltung der Wirkung erlaubte“ (François Jullien, „Über die Wirksamkeit“). Ich gehe durch eine Straße, beschirmt von alten Dachtraufen, darüber ein Stoff (wie ein Wundverband) im Yves-Klein-Blau, wie der Himmel in der Kirche, noch viel schöner, weil die profane Gründerzeitarchitektur mit Dächern als schwarze Flächen interveniert, hinter denen die Dachböden sind.
Wenn Alfred Hitchcocks Komödie „To Catch A Thief“ zu „Über den Dächern vonNizza“ eingedeutscht wurde, trifft dies nicht nur eine Handlungs-, sondern auch eine Wahrnehmungsebene der Stadt, die sich über dem Meer, umgeben von Felsen und Bergen, erhebt. Ein kohärentes Gefüge aus Steildächern zeigt, im Blickvom Schlossberg, die Grazer Altstadt. Eine entsprechend konsistente „Dachlandschaft“ hat Wien nicht zu bieten. Aber gerade in Wien wurde die „Wiederherstellung“ eines abgebrannten Dachstuhls in der Hofburg zur Frage der nationalen Identität hochgespielt.
Ansonsten ist Wiens vorrangiges Thema der Interpretation des Weltkulturerbes der Canaletto-Blick, ein Blick in die Ferne, in der man nicht die Details sieht, wie von der Mariahilfer Straße die Königsklostergasse hinunter in die Gumpendorfer Straße, die tiefer liegt, womit sich auf Augenhöhe ein zweigeschoßiger Hausaufbau zeigt. Das Visier, zwischen dessen Metallbändern Sehschlitze blitzen, ruiniert nicht nur eine ein Jahrhundert bewahrte Gebäudeästhetik, in der das Café Sperl nistet, sondern auch die Aussicht ins Wiental.
Wenn Wien laut allen Prognosen massiv wachsen wird, wachsen die Begehrlichkeiten auch. Speziell nach den mehr als 20.000 Dachböden, die laut dem Leiter der Magistratsabteilung 19, zuständig für Stadtgestaltung, „darauf warten, ausgebaut und bewohnt zu werden“. Und wenn selbst der, bisher als dicht geltende Bezirk Mariahilf künftig massiv wachsen soll; und wenn die Stadtplanung quer über die Stadt „Nachverdichtung“ will, zeichnet sich eine Entwicklung ab, in der die bisherigen Dachaus- und -aufbauten der Start einer „flächendeckend“ angelegten „inneren Stadterweiterung“ waren.
Eine Bilanz des Wiener Dachausbaus ist noch nicht erfolgt. Sieht man vom Ruin der Ästhetik unzähliger Gründerzeithäuser ab, wäre die Frage interessant, inwieweit die Freigabe und Stimulierung des Dachausbaus zur Wohnungsteuerung beigetragen hat. Er öffnete, zumindest, das Ventil, das die – kapitalistisch determinierten – Wohnverhältnisse unter der Last der Reste des von 1917stammenden Mieterschutzes hemmte, und zeigt, was Kapitaldynamik entlang kaufkräftiger Nachfrage ist. Während Altbauwohnungen in der Vermietung „gedeckelt“ sind, gilt dies für den Dachausbau auf dem Altbau nicht. Oben, „wo es am schönsten ist“, wurde die sozialpolitische Schranke – der Wien seine „Leistbarkeit“ verdankt – aufgehoben.
Das Kapital ist ein Schnüffelhund, der dunkle Ecken und Nischen sucht und es hier besonders einfach hat. Der brachliegende Raum verspricht den größten Profit. Das Kapital liebt Sprünge, in der (scheinbaren) Behäbigkeit und Ruhe der alten Stadt, in der der neue Hausherr, der nicht mehr ein Hausherr, sondern die Figur des Immobilieninvestments ist, den Dachboden zum Baugrund macht und die Grundrente vom Boden nach oben treibt. 150 Jahre nach Engels' Ausführungen zur kapitalistischen Lösung der Wohnungsfrage und smarter als Haussmann oder die Developer in Istanbul oder in Chinas Städten. Ohne direkten Landraub, über die Verwertung einer Allmende, die imHauseigentum (einer Mieterkonvention) herumlag, ähnlich der Umwidmung von Ackerfläche zu Bauland in den äußeren Gebieten. Aber was dort für Investoren meist schwer vorhersehbar ist (was die Planung vorhat), ist beim Dachboden eine einfache Rechnung. Marktkonform ausbauen und denZu-Fall, den Mehrwert des Blicks von oben, bestmöglich lukrieren. Der smarte Mister Benko, der von den Tiroler Bergen kommt, hat via Dachausbau das Vermögen gemacht, das ihn befähigte, ein Filet der Gründerzeit auch auf der ebenen Erde, auf der jetzt Sicherheitskräfte, wie vormals vor der angesagtesten Disco stehen, zu Wiens „goldenem Quartier“ zu machen.
Auf Brownfields zu bauen gilt für Ressourceneffizienz besser als auf Greenfields,und wer bestreitet, dass in den Gründerzeithäusern allerlei Dreck steckt, nicht nur in den Bleirohren des berühmten Hochquellwassers. Allerdings erfordert das „Draufsetzen“ (Titel einer Ausstellung, mit der die „sanfte Stadterneuerung“ ihr Ende feierte) Energieeinsatz. Kürzlich ist ein Gründerzeithaus in der äußeren Mariahilfer Straße während des Draufsetzens eingestürzt. So zeigt sich, dass die Gründerzeithäuser alt geworden sind, wie ein hoher Planungsbeamter sagte, und man muss froh sein, dass der Dachaufbau die Gründerzeithäuser verjüngt –wie der Beamte sagte –, ohne sie abzureißen. Das Kapital wird die Dämmprobleme lösen, dass man Styropor nicht nach 30 Jahren als Sondermüll entsorgen muss und die Rigipswände, die häufig nicht lang nach ihrer Errichtung springen, je nach Kaufkraft/Investitionsbereitschaft der Nachfragenden bessere Nachfolger finden.
Während es ein Jahrhundert lang nicht gelang, flexible Grundrisse und funktionell taugliche und finanziell erschwinglicheSchiebesysteme zu entwickeln, um die Wohnungen nach der Zellenaddition beweglicher zu machen, entwickeln sich auf dem Dachboden neue Produktgenerationen, auch wenn sie dessen Offenheit und schöne Rohheit, die für Josef Frank der Stimulus eines neuen Wohnens war, nach wie vor beseitigen. Der Dachausbau (Verzetnitschs undGrassers Penthäuser als Symbole, dass im Kapitalismus Aufstieg möglich ist) wurde zur „neuen Wiener Mischung“ stilisiert, in der die alte Beletage Klassendistinktionszeichen nach oben abgegeben hat. Er wurde – seit Coop Himmelb(l)au und deren Adepten – poppig, lässig, „dekonstruktiv“. Jetzt steht seine Demokratisierung an. Wollt ihr die Nachverdichtung, ein „Wohnen auf dem Dach“, das man sich leisten kann? Nachdem der Traum der Metastrukturen (Yona Friedman) und der walking city(Archigram) – einer urbanen Fläche für alle über den alten Stadtstraßen – und selbst der sozialdemokratische Traum des Vollwertwohnens (Hausswimmingpool auf dem Dach) ausgeträumt sind, und weil das geförderte Wohnen deutlich kleiner werden soll („MeinTraum ist die kleinstmögliche Wohnmaschine“, sagte kürzlich Walter Stelzhammer und verwies auf die Arbeit eines japanischen Architektenkollegen, der in der elterlichen Wohnung auf 32 Quadratmetern durch flexible Raumteiler und technische Ausstattung ein hochqualitatives Lebensumfeld geschaffen hat), sollen Ambiente und Ausblick die schwindenden Wohnflächen kompensieren. Darling, ich wohne kostengünstig unter den Sternen, verspricht die von der Stadtplanung propagierte (innere) Nachverdichtung.
Der Immobilienteil sagt anderes. Bereits im unteren „High-End“-Bereich – die Musik spielt auf dem Dach – kosten Penthäuser 10.000 Euro pro Quadratmeter. So deutet sich ein neuer, vertikaler (und zugleich horizontaler) Klassenkampf an. Früher hätte man „Es kracht im Gebälk“ gesagt. Neue Metaphern sind selten geglückt. Der Harvard-Ökonom, Larry Katz verglich kürzlich die US-Gesellschaft mit einem Haus, auf dem neue Penthäuser errichtet werden, während die Untergeschoße sich brechend füllten, die mittleren Etagen sich leerten und der Aufzug (Aufstieg) nicht mehr funktioniere.
Entspannter Blick: „Es gibt, die Bewohner des sechsten Stocks wissen das, ein Alpenglühen der Dächer, das an trostvoll schwermütiger Schönheit dem im Gebirge gleichkommt“ (Alfred Polgar, „Lob der Mansarde“).
Ich gehe durch Straßen und Gassen unter alten Traufen und blicke auf Dächer, die über dem durch Verkehrsführung und „Möblierung“ verwirrten Stadtraum ruhige Flächen bieten, gehe entlang der Traufen wie unter einem Schirm, im Winter zwischen Installationen der Hausbesorger, die auf die Gefahr der „Dachlawinen“ weisen, und denke an Gaston Bachelards „Poetik des Raumes“. „Der von der Einbildungskraft erfasste Raum kann nicht der indifferente Raum bleiben, der den Messungen und Überlegungen des Geometers unterworfen ist. Er wird erlebt.“ „In seinen tausend Honigwaben speichert der Raum verdichtete Zeit.“
Der Speicher – diese Metapher, die Bachelards Poetik durchzieht – ist ein altes Wort für den Dachboden, als dieser noch handfeste Funktionen hatte. Der Dachboden war nicht nur der poetische Raum (Josef Franks Mansarde, aus der er das neue Wohnen entwickeln wollte), und in ihm war nicht nur – beinahe existenziell – das „starre Gerippe des Balkenwerks bloßgelegt“. In diesem Raum, der allen und niemandem gehörte, nahm man „Teil an der soliden Geometrie des Zimmermanns“, war man, in Staub und Dreck, Plunder und Dämmerlicht Teil einer Gesellschaft, in der auch die Toten waren, enger dem Haus verbunden als in der Addition von Fortschritt durch Kleinfamilie, und Voyeur der von Frauen dominierten „Hauswirtschaft“, in der, lustvoll, die schmutzige Wäsche gewaschen und getrocknet wurde. Notgedrungen dort, weil die Höfe – entlang der Nachverdichtung der Spätgründerzeit – immer knapper bemessen, zu Hinterhöfen, dann zu Lichthöfen, dann zu Schlitzen geworden waren.
Über die Dachbodenstiege (am Schluss war es keine Treppe mehr) hetzte ich, wenn mir die Wohnung zu eng wurde (und ich nicht auf die Gasse wollte), zum Lesen, Spüren der Stille unter der Luke, über der der Mond ging. Gelegentlich hing eine Leine am Balken, und an der Leine hingen Wäscheklammern. Der Dachboden war der nicht kapitalisierte Raum, der – in der Verwertungslogik – nutzlose Raum, der als Rest einer älteren Geschichte übrig geblieben war. Vom „ganzen Haus“, in dem Lehrlinge und Dienstboten in der Hitze und Kälte unter Dach und Fach einquartiert waren. Gelegentlich auf „Hängeböden“.
Der Dachboden war der Raum der Mäuse, Marder, Schwalben, Fledermäuse. Er war eingehaust, aber mit Schlupflöchern, nicht nur der Luke, und Verstecken (spielen). Man erzählte vom Krieg, und dass man in die Keller gehen musste; und dass dann auf dem Dachboden Flüchtlinge hausten (auch so ein Wort, das vom Haus kommt). Dann wieder war er der Raum, in dem im Winter Äpfel und Birnen lagen. Nicht selten saß ich im Wohn- oder Esszimmer und träumte vom Gehäuse, das keine Zwischenwände und keine „Wohnfunktionen“ hat. Unter dem Dachstuhl stand unter der Luke ein alter Stuhl, das Ausgedinge der Häuslichkeit, die eine Unhäuslichkeit brauchte (und hatte), damit die Hausinsassen Luft bekamen. Einmal fand ich alte Bilder, die verrottet waren, brachte sie zum Restaurator. Das Gestühl war die einzige Schräge in der Horizontalität und Vertikalität der Häuser, bevor Coop Himmelb(l)au die Schräge des alten, in sich ruhenden Dachstuhls durch den nervösen (und zugleich spekulativen) „Dekonstruktivismus“ ruinierten. Der alte Dachboden war der zwar eingehauste Raum – der freiere Raum war die Gasse (wie Wald und Wiesen) –, aber offener und unbestimmter als der funktionalisierte Raum der Wohnung und, trotz des Staubs, des Dämmerlichts und der Spinnweben, luftiger als der Keller.
Der Dachboden – mit Sparren und Spinnen – kann noch immer herzzerreißend sein. Die Enkelin schaut in Schränke, die nichts mehr hergeben, weil die alte Frau, von der die Dinge sind, die sie nicht wegwarf, im Rollstuhl sitzt, und entdeckt einen Mantel aus gutem Stoff, der vielleicht nie getragen wurde. Die Mutter der Enkelin, die Schwiegertochter der Frau im Rollstuhl, die nie wieder zum Dachboden kommen wird, probiert ihn an, und er schaut schick aus, und alle freuen sich.
Die alten Mietverträge, die bei Weitem nicht so „günstig“ waren, wie man sie heute darzustellen beliebt (man zahlte hohe Ablösen, die – als Schwarzgeld – in die Retro-Aufrechnung der alten Mieterschutzmieten nicht einfließen), umfassten – explizit – das Recht auf ein Kellerabteil und als Gewohnheitsrecht die Benutzung des Dachbodens, der allen Hausparteien gemeinsam „gehörte“. Dieses unausgesprochene Gemeinschafts recht der Mieter ist angesichts derheutigen Dachbodenverwertung verwunderlich. Und dass es selbstverständlich ist, dass der Aus- und Aufbau Kollateralschäden ergibt. Der energieexzessive Liftein- und Garagenausbau ist nicht nur eine langwierige Beeinträchtigung, sondern häufig die nachhaltige Zerstörung des „Hausfriedens“ (auch so ein Wort): nicht zuletzt durch die Spaltung des Stiegenhauses (das zwischen Dachboden und Keller das Haus zusammenhielt) in die, die gehen, und die, die fahren. Und gelegentlich rieselt das überschüssige Wasser des Pools oder der Pflanzenbewässerungsanlage von der Dachterrasse nach unten, zu denen auf der ebenen Erde.
„Wenn alles gefüllt wird, bleibt keinHandlungsspielraum mehr; wenn jede Leere beseitigt wird, wird auch der Spielraum zerstört, der die freie Entfaltung der Wirkung erlaubte“ (François Jullien, „Über die Wirksamkeit“). Ich gehe durch eine Straße, beschirmt von alten Dachtraufen, darüber ein Stoff (wie ein Wundverband) im Yves-Klein-Blau, wie der Himmel in der Kirche, noch viel schöner, weil die profane Gründerzeitarchitektur mit Dächern als schwarze Flächen interveniert, hinter denen die Dachböden sind.
Gottfried Pirhofer
Geboren 1950 in Schwaz, Tirol. Architekturstudium in Innsbruck, Städtebau- und Planungstheoriestudium an der RWTH Aachen. Forschungsarbeiten zur Stadtentwicklung Wiens, langjährige Beratungstätigkeit für die Stadt Wien. Zuletzt bei Sonderzahl: „Maria hilf! Eine Straße geht ihren Weg“.
Geboren 1950 in Schwaz, Tirol. Architekturstudium in Innsbruck, Städtebau- und Planungstheoriestudium an der RWTH Aachen. Forschungsarbeiten zur Stadtentwicklung Wiens, langjährige Beratungstätigkeit für die Stadt Wien. Zuletzt bei Sonderzahl: „Maria hilf! Eine Straße geht ihren Weg“.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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