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Was wirklich zählt
Der Graben zwischen den Idealen einer gesellschaftsorientierten Designausbildung und einer rein profitorientiert agierenden Industrie ist heute noch groß. Er muss endlich überbrückt werden. Hinweise zu einer neuen Agenda des Designs: „Beyond the New.“
16. Mai 2015 - Harald Gründl
Eine der ersten Neuigkeiten, die sich während der diesjährigen Mailänder Möbelmesse verbreitete, war das Designmanifest der Designerin Hella Jongerius und der Designtheoretikerin Louise Schouwenberg. Ein Manifest gegen das immer Neue im Design, betitelt mit: „Beyond the New. A Search for New Ideals in Design.“ In einem Kontext, in dem die Designwelt eine Woche lang von einer aufgeregten Designmarketingaktion zur nächsten eilt, präsentierten die beiden eine Zusammenfassung ihrer seit 1997 andauernden kritischen Diskussion über die Potenziale und Exzesse der Designdisziplin. Eine Disziplin, die, so die Diagnose der angesehenen Vertreterinnen derselben, die Balance verloren hat zwischen ihren Werten und dem, was zählt.
Im Zentrum der Kritik steht die sinnentleerte Produktion von vermeintlich immer Neuem, dessen einzige Rechtfertigung und Anspruch ist, eben neu zu sein. Der Ort der Präsentation ist wohlüberlegt, kritisiert das Manifest ebensolche Designgroßveranstaltungen, die mit ihrer hohlen Marketingrhetorik rund um die neuen Produkte das Neue des Neuen wegen feiern.
Doch nicht nur der Ort, sondern auch der Zeitpunkt der Kritik ist für alle kritischen Beobachter des Designs nachvollziehbar. In einer Zeit, in der ein positiver gesellschaftlicher Wandel hin zu einer weltverträglichen Lebensweise dringlich nötig wäre, irritiert die weit verbreitete Designauffassung, die eine allzu kurz gefasste, ausschließlich kommerziell und profitorientierte Idee des Neuen als einziges Ziel formuliert. Die Designdisziplin verlor inden vergangenen Dekaden an gesellschaftlicher Relevanz. Gleichzeitig ist das aber der Zeitraum, in dem Design immer mehr Aufmerksamkeit zuteil wurde. Eine Aufmerksamkeit, die sich allerdings auf eine sehr oberflächliche Auseinandersetzung mit Design gründet, und eine Dynamik, die wir aus der Welt der Mode kennen, unreflektiert auf alle Bereiche der Gestaltung von Alltagsgegenständen überträgt, in denen der tägliche Wechsel der Lustobjekte nicht sinnvoll umsetzbar scheint. Nun fordern Jongerius und Schouvenberg eine idealistische Agenda für das Design, welche die Werte, die Designschaffende und Produzierende einmal inspiriert haben, wieder einfordert.
Das Manifest fängt mit der positiven Rolle der Industrie an. Ein Segen, wenn sie hochqualitative Produkte einer großen Masse an Menschen zu einem guten Preis zur Verfügung stellen kann. Industrielle Produktion hat ein größeres Veränderungspotenzial als die Produktion von exklusivem Design in kleiner Stückzahl für wenige. Der Designprozess für die industrielle Produktion sollte nicht mit einem leeren Blatt Papier beginnen, sondern auf dem aufbauen, was schon existiert. Das Aufspüren der kulturellen und historischen Wurzeln von Produkten sollte der Ausgangspunkt für Design sein, nicht der geniale Wurf, der nur neu sein will der Neuigkeit wegen. Bei Design soll es nicht um Objekte gehen, sondern um die Gestaltung von Beziehungen. Gutes Design kommuniziert mit den Nutzern und schafft Bedeutung. Diese Fähigkeiten des Designs werden immer noch zu wenig ausgenützt.
Eine Ebene der Kommunikation ist die Ästhetik, wobei das Potenzial des Hässlichen noch zu wenig erforscht ist. Ästhetische Verfeinerung, die Suche nach neuen Ausdrucksformen, aber auch die persönliche Signatur bleiben angestrebte Werte im Design. Hingegen fordern Jongerius und Schouvenberg mehr Experiment und visionärere Projekte, welche in Balance zu den vermarktbaren Industrieprojekten stehen. Eine Designpraxis, die ohne Forschung und Experiment auskommt, hat keine ernst zu nehmende Agenda. Und diese Forschung betrifft auch die taktile Qualität von Materialien, derenexpressive Ausdrucksqualitäten. Denn Alltagsgegenstände werden verwendet, gesehen, berührt.
Gutes Design vereint sowohl Zeitgeist als auch ein tiefgreifendes Verständnis der Vergangenheit. Design ist keine Kunst, sondern erfordert die Weiterentwicklung experimenteller und Aufsehen erregender Gesten im Kunstkontext in alltagsfähige Objekte, die eine große Verbreitung haben.
Designer sollten sich bewusst sein, welche Firmen ihre moralischen und ästhetischen Werte teilen, aber auch welche sie nicht teilen. Denn die Gestaltung von Produkten sollte sich nicht nur auf deren ästhetischen Reiz beschränken, sondern auch deren Reparierbarkeit und Recyclierbarkeit umfassen. Produkte müssen als Teil einer Kreislaufwirtschaft gedacht werden. „Authentizität“ und „Nachhaltigkeit“ sind hohle Begriffe und müssen zukünftig durch gemeinsame Ideale und moralische Werte ersetzt werden. Neue Konzepte müssen sich im Alltag bewähren, dazu braucht es Forschung, Zeit und das Hinterfragen von Gewohntem.
Das gilt sowohl für das Design als auch für die Industrie. Ein Mittel, um Neues und Inspirierendes zu schaffen, ist das Spielen. Gutes Design erfordert Forschung. Gutes Design ist Forschung. Alles muss auseinandergenommen und neu gedacht werden. Die Designdisziplin muss sich selbst neu erfinden, gemeinsam mit einer Industrie, die nur, wenn sie die Herausforderungen annimmt und Mut zum Experiment zeigt, das volle Potenzial neuer Technologien – einschließlich der digitalen Medien – ausschöpfen kann.
Den speziellen Status, den das Design hat, nämlich zwischen Nutzung und Produktion zu stehen, versteht das Designmanifest als Möglichkeit, eine positive Veränderung zu initiieren. Diese Chance wird von Design heute zu wenig genutzt. Design ist ein Angelpunkt der industriellen Produktion, und die dringlich benötigte positive Veränderung sollte auch vom Design ausgehen. Ausbildungsstätten für Design haben für den positiven Wandel eine zentrale Bedeutung. Dort soll über die Rolle von Design und dessen gesellschaftspolitischen Anspruch diskutiert werden. Design als Werkzeug, um gesellschaftliche Probleme anzugehen, und als Strategie.
Das steht noch immer im krassen Gegensatz zu der Praxis des Designs, wo das Ego und die Profitgier vor dem Gemeinwohl stehen. Der Graben zwischen den Idealen einer gesellschaftsorientierten Designausbildung und einer rein profitorientiert agierenden Industrie ist heute noch groß. Dieser muss überbrückt werden. Ohne gemeinsame Ideale wird das kaum zu schaffen sein. Hella Jongerius, die Designerin, die erfolgreich mit der Designindustrie zusammenarbeitet, und Louise Schouwenberg, die den Studiengang „Contextual Design“ an der Design Academy Eindhofen leitet, beanspruchen nicht für sich, alles richtig zu machen. Ihre Involviertheit in das System ermöglicht ihnen aber eine Kenntnis und ein tief gehendes Verständnis der gegenwärtigen Verhältnisse, die sie berechtigterweise in ihrem Manifest kritisieren und Veränderung einfordern. Keine radikale Systemveränderung, sondern eine Rückkehr zu zeitgemäßenIdealen im Design
Im Zentrum der Kritik steht die sinnentleerte Produktion von vermeintlich immer Neuem, dessen einzige Rechtfertigung und Anspruch ist, eben neu zu sein. Der Ort der Präsentation ist wohlüberlegt, kritisiert das Manifest ebensolche Designgroßveranstaltungen, die mit ihrer hohlen Marketingrhetorik rund um die neuen Produkte das Neue des Neuen wegen feiern.
Doch nicht nur der Ort, sondern auch der Zeitpunkt der Kritik ist für alle kritischen Beobachter des Designs nachvollziehbar. In einer Zeit, in der ein positiver gesellschaftlicher Wandel hin zu einer weltverträglichen Lebensweise dringlich nötig wäre, irritiert die weit verbreitete Designauffassung, die eine allzu kurz gefasste, ausschließlich kommerziell und profitorientierte Idee des Neuen als einziges Ziel formuliert. Die Designdisziplin verlor inden vergangenen Dekaden an gesellschaftlicher Relevanz. Gleichzeitig ist das aber der Zeitraum, in dem Design immer mehr Aufmerksamkeit zuteil wurde. Eine Aufmerksamkeit, die sich allerdings auf eine sehr oberflächliche Auseinandersetzung mit Design gründet, und eine Dynamik, die wir aus der Welt der Mode kennen, unreflektiert auf alle Bereiche der Gestaltung von Alltagsgegenständen überträgt, in denen der tägliche Wechsel der Lustobjekte nicht sinnvoll umsetzbar scheint. Nun fordern Jongerius und Schouvenberg eine idealistische Agenda für das Design, welche die Werte, die Designschaffende und Produzierende einmal inspiriert haben, wieder einfordert.
Das Manifest fängt mit der positiven Rolle der Industrie an. Ein Segen, wenn sie hochqualitative Produkte einer großen Masse an Menschen zu einem guten Preis zur Verfügung stellen kann. Industrielle Produktion hat ein größeres Veränderungspotenzial als die Produktion von exklusivem Design in kleiner Stückzahl für wenige. Der Designprozess für die industrielle Produktion sollte nicht mit einem leeren Blatt Papier beginnen, sondern auf dem aufbauen, was schon existiert. Das Aufspüren der kulturellen und historischen Wurzeln von Produkten sollte der Ausgangspunkt für Design sein, nicht der geniale Wurf, der nur neu sein will der Neuigkeit wegen. Bei Design soll es nicht um Objekte gehen, sondern um die Gestaltung von Beziehungen. Gutes Design kommuniziert mit den Nutzern und schafft Bedeutung. Diese Fähigkeiten des Designs werden immer noch zu wenig ausgenützt.
Eine Ebene der Kommunikation ist die Ästhetik, wobei das Potenzial des Hässlichen noch zu wenig erforscht ist. Ästhetische Verfeinerung, die Suche nach neuen Ausdrucksformen, aber auch die persönliche Signatur bleiben angestrebte Werte im Design. Hingegen fordern Jongerius und Schouvenberg mehr Experiment und visionärere Projekte, welche in Balance zu den vermarktbaren Industrieprojekten stehen. Eine Designpraxis, die ohne Forschung und Experiment auskommt, hat keine ernst zu nehmende Agenda. Und diese Forschung betrifft auch die taktile Qualität von Materialien, derenexpressive Ausdrucksqualitäten. Denn Alltagsgegenstände werden verwendet, gesehen, berührt.
Gutes Design vereint sowohl Zeitgeist als auch ein tiefgreifendes Verständnis der Vergangenheit. Design ist keine Kunst, sondern erfordert die Weiterentwicklung experimenteller und Aufsehen erregender Gesten im Kunstkontext in alltagsfähige Objekte, die eine große Verbreitung haben.
Designer sollten sich bewusst sein, welche Firmen ihre moralischen und ästhetischen Werte teilen, aber auch welche sie nicht teilen. Denn die Gestaltung von Produkten sollte sich nicht nur auf deren ästhetischen Reiz beschränken, sondern auch deren Reparierbarkeit und Recyclierbarkeit umfassen. Produkte müssen als Teil einer Kreislaufwirtschaft gedacht werden. „Authentizität“ und „Nachhaltigkeit“ sind hohle Begriffe und müssen zukünftig durch gemeinsame Ideale und moralische Werte ersetzt werden. Neue Konzepte müssen sich im Alltag bewähren, dazu braucht es Forschung, Zeit und das Hinterfragen von Gewohntem.
Das gilt sowohl für das Design als auch für die Industrie. Ein Mittel, um Neues und Inspirierendes zu schaffen, ist das Spielen. Gutes Design erfordert Forschung. Gutes Design ist Forschung. Alles muss auseinandergenommen und neu gedacht werden. Die Designdisziplin muss sich selbst neu erfinden, gemeinsam mit einer Industrie, die nur, wenn sie die Herausforderungen annimmt und Mut zum Experiment zeigt, das volle Potenzial neuer Technologien – einschließlich der digitalen Medien – ausschöpfen kann.
Den speziellen Status, den das Design hat, nämlich zwischen Nutzung und Produktion zu stehen, versteht das Designmanifest als Möglichkeit, eine positive Veränderung zu initiieren. Diese Chance wird von Design heute zu wenig genutzt. Design ist ein Angelpunkt der industriellen Produktion, und die dringlich benötigte positive Veränderung sollte auch vom Design ausgehen. Ausbildungsstätten für Design haben für den positiven Wandel eine zentrale Bedeutung. Dort soll über die Rolle von Design und dessen gesellschaftspolitischen Anspruch diskutiert werden. Design als Werkzeug, um gesellschaftliche Probleme anzugehen, und als Strategie.
Das steht noch immer im krassen Gegensatz zu der Praxis des Designs, wo das Ego und die Profitgier vor dem Gemeinwohl stehen. Der Graben zwischen den Idealen einer gesellschaftsorientierten Designausbildung und einer rein profitorientiert agierenden Industrie ist heute noch groß. Dieser muss überbrückt werden. Ohne gemeinsame Ideale wird das kaum zu schaffen sein. Hella Jongerius, die Designerin, die erfolgreich mit der Designindustrie zusammenarbeitet, und Louise Schouwenberg, die den Studiengang „Contextual Design“ an der Design Academy Eindhofen leitet, beanspruchen nicht für sich, alles richtig zu machen. Ihre Involviertheit in das System ermöglicht ihnen aber eine Kenntnis und ein tief gehendes Verständnis der gegenwärtigen Verhältnisse, die sie berechtigterweise in ihrem Manifest kritisieren und Veränderung einfordern. Keine radikale Systemveränderung, sondern eine Rückkehr zu zeitgemäßenIdealen im Design
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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