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Die Crowd als Baumeister
Die Schwarmintelligenz erobert den öffentlichen Raum – mit zum Teil vielversprechenden Ideen. In Rotterdam wurde eine Brücke gebaut, in New York entsteht ein Flussschwimmbad und in Bogotá ein Wolkenkratzer.
21. November 2015 - Adrian Lobe
New York ist eine pulsierende Metropole. Man kann fast alles tun – außer schwimmen. Manhattan ist zwar von Wasser umgeben, doch der Hudson ist zu dreckig, als dass man darin baden könnte. Weil die New Yorker Archie, Jeff und John aber unbedingt im East River schwimmen wollten, lancierten sie 2011 auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter kurzerhand eine Kampagne für den „+Pool“, ein Flussschwimmbad vor der Skyline des Big Apple. Der Pool besteht aus einem kreuzförmigen Bassin, in dessen Armen unterschiedliche Bereiche untergebracht sind. Der 860 Quadratmeter große Pool wird mit gefiltertem Flusswasser gefüllt. Innerhalb eines Monats kamen 250.000 Dollar zusammen. Die Initiative steht im Zeichen des „Reclaim the City“ – die Rückeroberung des öffentlichen Raums.
Dabei ist Crowdfunding in der Baukultur nicht neu. Im Jahr 1885 musste das American Committee, das mit dem Sockelbau der Freiheitsstatue beauftragt war, seine Arbeit einstellen, nachdem der damalige US-Präsident Grover Cleveland und der Kongress die Unterstützung verweigert hatten. Das Projekt wurde vom legendären Joseph Pulitzer gerettet. Der Verleger der New York World lancierte einen Spendenaufruf mit dem Versprechen, dass jeder Spender namentlich in der Zeitung erwähnt wird. 160.000 Spender steuerten 2,3 Millionen Dollar bei. Nur dank Crowdfinanzierung konnte das Monument realisiert werden.
Die Stadtplanung ist meist eine Sache der Ämter und Entwickler. Gebaut wird, was einen Auftraggeber hat und sich bezahlen lässt. Doch mit dem internetbasierten Spenden scheint dieser eherne Grundsatz zu kippen. Heute können Bürger mit ein paar Mausklicks Geld eintreiben. „Mit fünf oder zehn Dollar und einer Internetverbindung kannst du ein moderner Rockefeller werden“, wirbt etwa das Portal www.citizinvestor.com .
Die Möglichkeiten sind beträchtlich: In Rotterdam entstand dank Crowdfunding eine Fußgängerbrücke – die Luchtsingel (zu Deutsch: Luftkanal) führt über Eisenbahnschienen und Straßen und verbindet drei Gebiete, die vormals getrennt waren. Auf der gelben Holzstruktur sind die Namen der Spender eingekerbt. Im walisischen Glyncoch kamen fast 800.000 Pfund für ein Stadtteilzentrum zusammen. Und in Bogotá entsteht mit der Hilfe der Crowd ein 66-stöckiger Büroturm: Rund 3500 Unterstützer sammelten über Prodigy Network 200 Millionen Dollar. Das BD Bacatá wird das höchste Gebäude Kolumbiens werden. Spätestens hier zeigt sich, dass von der Bürgerschaft wichtige Impulse ausgehen können. Weiß die Schwarmintelligenz womöglich besser, was wo und wie gebaut werden sollte?
„Nicht demokratisiert“
„Ich glaube nicht, dass die Crowd besser als Stadtplaner weiß, was eine Stadt braucht“, sagt die Architekturkritikerin Alessandra Lange im Gespräch mit dem STANDARD. „Studien haben gezeigt, dass Projekte eher klein und spezifisch waren, meist in High-Glamour-Cities.“ Die großen Projekte, die international Aufmerksamkeit erregen, seien eine Ausnahme. „Ich sehe die Zukunft von Crowdfunding in kollaborativen Initiativen zwischen Städten und Crowdfunding-Mechanismen, um Projekte voranzutreiben oder sie zu priorisieren.“
Der Schweizer Städteplaner David Bieri von der University of Michigan steht dem skeptisch gegenüber. „Die Realität von Immobilien-Crowdfunding hat nichts zu tun mit demokratisierter Planung und dem selbstlosen Zutun von sozialgewissenhaften Kleinanlegern“, sagt er im Gespräch. „Die Immobilien-Crowdfunding-Seiten profitieren vor allem vom enormen Renditedurst der im Nullzinsumfeld arg gebeutelten internationalen Investoren.“
An den zwölf Millionen Dollar Kapitaleinsatz, die für einen Apartment-Block in Manhattan zusammenkamen, hätten sich die Investoren im Schnitt mit über 100.000 Dollar beteiligt. Der Minimalbeitrag für die crowdgesourcte Tranche dieses Projektes lag bei 20.000 Dollar, was rund dem Zweieinhalbfachen des mittleren Jahreseinkommens von New Yorks ärmstem Quartier in der South Bronx entspricht. Insofern ändere auch das internetbasierte Finanzierungsmodell nichts an der Tatsache, dass die Wohlhabenden bestimmen, was gebaut wird. Vielmehr verschärft es diese Tendenz. „Eine Immobilie ist, auch wenn sie teilweise von einem Crowdfunding getragen wird, eben keine Smartwatch oder ein Kartenspiel“, sagt Bieri.
Die 247 Millionen Euro teure, zum Teil crowdfinanzierte Garden Bridge in London ist längst ein begehrtes Objekt für Investoren. Und wer zahlt, bestimmt die Benutzungsregeln. Kein Gerenne, keine Picknicks, keine Drachen, keine Besuche nach Mitternacht – so lauten künftig die Vorschriften auf der 366 Meter langen, mit Büschen und Bäumen begrünten Gartenbrücke über der Themse. Laut einem Dokument, das dem Guardian zugespielt wurde, sollen die Besucher anhand ihrer Mobiltelefone getrackt und von privaten Sicherheitsleuten überwacht werden, die ermächtigt sind, persönliche Gegenstände zu konfiszieren.
Einige Beobachter fühlen sich an einen „Polizeistaat“ erinnert. Die Brücke, die zu Beginn der Planung als „urbaner Garten“ gefeiert wurde, sorgt für immer mehr Unmut unter der Londoner Bevölkerung. Der Brückenkonstrukteur Alistair Lenczner, der unter anderen das Viadukt von Millau plante, bezeichnete die Garden Bridge als „private Gartenplattform, die vorgibt, eine Brücke zu sein“. Es steckt ja auch eine gewisse Symbolik dahinter: Eine Brücke soll die Bürgerschaft verbinden, allen zugänglich sein. Allein, die Garden Bridge wird an zwölf Tagen für die Öffentlichkeit geschlossen sein. Sponsoren wie der Rohstoffgigant Glencore können dann Firmenveranstaltungen feiern. „Man geht dann von der Tate Modern, gesponsert von BP, über die Glencore-Brücke zum Royal Opera House, gefördert von Rio Tinto“, kritisierte der Greenpeace-Aktivist Charlie Kronick. Der öffentliche Raum wird zur Sponsorenzone.
„Es kann durchaus sein, dass die Utopievorstellungen einer demokratisierten Kreditvergabe im urbanen Raum sich schnell als gentrifizierender Albtraum von global entfesseltem, alles penetrierendem Spekulationskapital entpuppen“, warnt David Bieri. In New York wird sich zeigen, ob mit dem flottierenden +Pool wirklich ein öffentliches Schwimmbad entsteht oder ein exklusiver Badetempel, an dem sich ausschießlich die Schönen und Reichen auf dem Hudson sonnen dürfen.
Dabei ist Crowdfunding in der Baukultur nicht neu. Im Jahr 1885 musste das American Committee, das mit dem Sockelbau der Freiheitsstatue beauftragt war, seine Arbeit einstellen, nachdem der damalige US-Präsident Grover Cleveland und der Kongress die Unterstützung verweigert hatten. Das Projekt wurde vom legendären Joseph Pulitzer gerettet. Der Verleger der New York World lancierte einen Spendenaufruf mit dem Versprechen, dass jeder Spender namentlich in der Zeitung erwähnt wird. 160.000 Spender steuerten 2,3 Millionen Dollar bei. Nur dank Crowdfinanzierung konnte das Monument realisiert werden.
Die Stadtplanung ist meist eine Sache der Ämter und Entwickler. Gebaut wird, was einen Auftraggeber hat und sich bezahlen lässt. Doch mit dem internetbasierten Spenden scheint dieser eherne Grundsatz zu kippen. Heute können Bürger mit ein paar Mausklicks Geld eintreiben. „Mit fünf oder zehn Dollar und einer Internetverbindung kannst du ein moderner Rockefeller werden“, wirbt etwa das Portal www.citizinvestor.com .
Die Möglichkeiten sind beträchtlich: In Rotterdam entstand dank Crowdfunding eine Fußgängerbrücke – die Luchtsingel (zu Deutsch: Luftkanal) führt über Eisenbahnschienen und Straßen und verbindet drei Gebiete, die vormals getrennt waren. Auf der gelben Holzstruktur sind die Namen der Spender eingekerbt. Im walisischen Glyncoch kamen fast 800.000 Pfund für ein Stadtteilzentrum zusammen. Und in Bogotá entsteht mit der Hilfe der Crowd ein 66-stöckiger Büroturm: Rund 3500 Unterstützer sammelten über Prodigy Network 200 Millionen Dollar. Das BD Bacatá wird das höchste Gebäude Kolumbiens werden. Spätestens hier zeigt sich, dass von der Bürgerschaft wichtige Impulse ausgehen können. Weiß die Schwarmintelligenz womöglich besser, was wo und wie gebaut werden sollte?
„Nicht demokratisiert“
„Ich glaube nicht, dass die Crowd besser als Stadtplaner weiß, was eine Stadt braucht“, sagt die Architekturkritikerin Alessandra Lange im Gespräch mit dem STANDARD. „Studien haben gezeigt, dass Projekte eher klein und spezifisch waren, meist in High-Glamour-Cities.“ Die großen Projekte, die international Aufmerksamkeit erregen, seien eine Ausnahme. „Ich sehe die Zukunft von Crowdfunding in kollaborativen Initiativen zwischen Städten und Crowdfunding-Mechanismen, um Projekte voranzutreiben oder sie zu priorisieren.“
Der Schweizer Städteplaner David Bieri von der University of Michigan steht dem skeptisch gegenüber. „Die Realität von Immobilien-Crowdfunding hat nichts zu tun mit demokratisierter Planung und dem selbstlosen Zutun von sozialgewissenhaften Kleinanlegern“, sagt er im Gespräch. „Die Immobilien-Crowdfunding-Seiten profitieren vor allem vom enormen Renditedurst der im Nullzinsumfeld arg gebeutelten internationalen Investoren.“
An den zwölf Millionen Dollar Kapitaleinsatz, die für einen Apartment-Block in Manhattan zusammenkamen, hätten sich die Investoren im Schnitt mit über 100.000 Dollar beteiligt. Der Minimalbeitrag für die crowdgesourcte Tranche dieses Projektes lag bei 20.000 Dollar, was rund dem Zweieinhalbfachen des mittleren Jahreseinkommens von New Yorks ärmstem Quartier in der South Bronx entspricht. Insofern ändere auch das internetbasierte Finanzierungsmodell nichts an der Tatsache, dass die Wohlhabenden bestimmen, was gebaut wird. Vielmehr verschärft es diese Tendenz. „Eine Immobilie ist, auch wenn sie teilweise von einem Crowdfunding getragen wird, eben keine Smartwatch oder ein Kartenspiel“, sagt Bieri.
Die 247 Millionen Euro teure, zum Teil crowdfinanzierte Garden Bridge in London ist längst ein begehrtes Objekt für Investoren. Und wer zahlt, bestimmt die Benutzungsregeln. Kein Gerenne, keine Picknicks, keine Drachen, keine Besuche nach Mitternacht – so lauten künftig die Vorschriften auf der 366 Meter langen, mit Büschen und Bäumen begrünten Gartenbrücke über der Themse. Laut einem Dokument, das dem Guardian zugespielt wurde, sollen die Besucher anhand ihrer Mobiltelefone getrackt und von privaten Sicherheitsleuten überwacht werden, die ermächtigt sind, persönliche Gegenstände zu konfiszieren.
Einige Beobachter fühlen sich an einen „Polizeistaat“ erinnert. Die Brücke, die zu Beginn der Planung als „urbaner Garten“ gefeiert wurde, sorgt für immer mehr Unmut unter der Londoner Bevölkerung. Der Brückenkonstrukteur Alistair Lenczner, der unter anderen das Viadukt von Millau plante, bezeichnete die Garden Bridge als „private Gartenplattform, die vorgibt, eine Brücke zu sein“. Es steckt ja auch eine gewisse Symbolik dahinter: Eine Brücke soll die Bürgerschaft verbinden, allen zugänglich sein. Allein, die Garden Bridge wird an zwölf Tagen für die Öffentlichkeit geschlossen sein. Sponsoren wie der Rohstoffgigant Glencore können dann Firmenveranstaltungen feiern. „Man geht dann von der Tate Modern, gesponsert von BP, über die Glencore-Brücke zum Royal Opera House, gefördert von Rio Tinto“, kritisierte der Greenpeace-Aktivist Charlie Kronick. Der öffentliche Raum wird zur Sponsorenzone.
„Es kann durchaus sein, dass die Utopievorstellungen einer demokratisierten Kreditvergabe im urbanen Raum sich schnell als gentrifizierender Albtraum von global entfesseltem, alles penetrierendem Spekulationskapital entpuppen“, warnt David Bieri. In New York wird sich zeigen, ob mit dem flottierenden +Pool wirklich ein öffentliches Schwimmbad entsteht oder ein exklusiver Badetempel, an dem sich ausschießlich die Schönen und Reichen auf dem Hudson sonnen dürfen.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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