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1. März 2017 Der Standard

Nahe dem Zentrum, dem Bahnhof und dem Flussufer

Ein für junge Bewohner konzipiertes Wohnhaus in St. Pölten ist Teil der Wachstumsoffensive der Stadt

St. Pölten / Wien – Viele kleine Gemeinden rund um Wien wehren sich gegen Bevölkerungswachstum und lassen deshalb kaum Wohnbau zu. St. Pölten aber ist anders: Die lang verschmähte Landeshauptstadt ist vor allem dank der Beschleunigung der Westbahnstrecke und der Schließung der geruchsstarken Glanzstofffabrik zum attraktiven Wohnort geworden, der leistbares Wohnen mit urbanem Flair und Top-Verkehrsverbindungen liefert. Und St. Pölten heißt Neubewohner willkommen: In der 54.000-Einwohner-Stadt sind 3000 Wohnungen in Planung, und an die tausend werden derzeit gebaut.

Zu diesem Mini-Bauboom trägt auch die Wohnbaugenossenschaft Alpenland bei. Rund um das Regierungsviertel, das ihr heutiger Obmann Norbert Steiner einst als Hauptstadtplaner konzipiert hat, errichtet sie mehrere Wohnbauten, darunter auch das Projekt „Junges Wohnen“, das Ende März bezogen werden soll. Das vom Architektenbüro Superblock entworfene viergeschoßige Wohnhaus enthält 29 Wohnungen in der Größe von 54 bis 60 m 2 , die sich, wie der Name sagt, vor allem an junge Bewohner richten. Es liegt am Ostufer der Traisen, aber in Gehweite zum Stadtzentrum und zum Bahnhof und nur einen Sprung vom großen Erholungsbereich am Flussufer entfernt.

„Wir haben uns mit den Wohngewohnheiten von jungen Leu- ten beschäftigt“, erzählt Steiner. „Heraus kam, dass sie ganz unterschiedliche Vorstellungen und Bedürfnisse haben. Aber allen sind soziale Themen wichtig.“ Deshalb sind die Wohnungen flexibel gestaltbar – etwa für Singles, die zu Hause arbeiten, aber keine Wände wollen, für junge Paare oder für alleinerziehende Eltern, die auch bei wenig Grundfläche drei Zimmer benötigen.

Rund um das Gebäude gibt es umlaufende Balkone, im Erdgeschoß einen großen Gemeinschaftsraum mit Küche und Zugang zum Freien eingerichtet sowie einen Kinderwagenabstellraum, eine Waschküche und eine Tiefgarage. Das gesamte Gebäude ist – was in Niederösterreich nicht vorgeschrieben ist – barrierefrei.

Ein Förderprogramm des Landes für „Junges Wohnen“ hilft die Mietkosten bei acht Euro netto und rund zehn Euro brutto zu halten. Neben einem Finanzierungsbeitrag von 4000 Euro ergibt sich eine Monatsmiete von rund 550 Euro.

Die Alpenland plant ein Parallelprojekt in Baden und spricht mit anderen Gemeinden über den Bau ähnlicher Anlagen. „Wir spüren die Nachfrage rund um Wien, und gerade viele junge Menschen sind auf Wohnungssuche“, sagt Steiner. „Baden gilt als alte Stadt, aber als wir einen Informationsabend für junge Menschen abhielten, war der Saal bummvoll.“

2. März 2016 Der Standard

„Am Wohn­ort fin­det um­fas­sen­de In­teg­ra­ti­on statt“

Da­mit Men­schen un­ter­schied­li­cher Her­kunft fried­lich mit­ein­an­der le­ben kön­nen, braucht es ethni­sche Durch­mi­schung, ge­lun­ge­ne Ar­chi­tek­tur und ei­ne gu­te Be­treu­ung an dem Ort, an dem man die meis­te Zeit ver­bringt.

Heinz Fass­mann, Vor­sit­zen­der des In­teg­ra­ti­ons­bei­rats im Au­ßen- und In­teg­ra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um von Se­bas­ti­an Kurz, kennt die Zah­len ge­nau – und sie sind dra­ma­tisch. Er rech­net da­mit, dass von den 90.000 Flücht­lin­gen, die im Vor­jahr Asy­lan­trä­ge ge­stellt ha­ben, 50.000 im Land blei­ben wer­den – und dies zu­sätz­lich zu ei­ner ähn­lich star­ken nor­ma­len Zu­wan­de­rung. Der Wohn­bau müs­se mehr leis­ten, als nur Neu­be­wohn­ern Un­ter­kunft zu bie­ten, be­ton­te er in sei­nem Re­fe­rat beim Wohn­sym­po­si­um: „Da­zu kommt die Ver­klein­er­ung der Haus­hal­te, ein Er­satz für Ab­ris­se, die Ver­bes­se­rung der Qua­li­tät. Man müss­te aber jetzt al­les, was sonst im Wohn­bau ge­tan wird, nur für die Be­frie­di­gung die­ses Zu­wach­ses nut­zen, da­mit es sich aus­geht.“

Vor al­lem die Bal­lungs­räu­me stün­den vor rie­si­gen lang­fri­sti­gen Her­aus­for­de­run­gen, be­ton­te der Vi­ze­rek­tor für In­ter­na­tio­na­les an der Uni­ver­si­tät Wien. „So­bald Men­schen Asyl er­hal­ten, setzt die Se­kun­där­mig­ra­ti­on in die gro­ßen Städ­te ein. Man muss den Städ­ten er­lau­ben, et­was Luft zu ho­len. Da­her soll­te man schau­en, dass die Asyl­be­rech­tig­ten ei­ne Zeit­lang dort blei­ben, wo sie ih­ren Wohn­sitz ha­ben.“ Fass­mann regt da­her ei­ne Dis­kuss­ion über ei­ne Re­si­denz­pflicht an, die et­wa an die Aus­zah­lung von So­zi­al­leis­tun­gen ge­kop­pelt wer­den könn­te. Für die jüngs­ten Schrit­te der Re­gie­rung zur Be­gren­zung der Asy­lan­trä­ge hat Fass­mann Ver­ständ­nis, denn: „Oh­ne Maß­nah­men hät­ten wir 2016 mehr Zu­wan­de­rer als 2015, denn Wan­de­rung pro­du­ziert Wan­de­rer. Und ei­ne un­ge­brems­te Zu­wan­de­rung über meh­re­re Jah­re wür­de die Re­pu­blik vor ge­wal­ti­ge Pro­ble­me stel­len.“

Mit den Her­aus­for­de­run­gen, der Zu­wan­de­rung be­schäf­ti­gen sich Ös­ter­reichs Ge­mein­nüt­zi­ge schon seit 20 Jah­ren, be­ton­te So­zi­al­bau-Chef Her­bert Ludl. „Wir sind die ein­zi­gen Ver­mie­ter, die sich um mehr küm­mern als die Haus­ver­wal­tung, näm­lich die In­teg­ra­ti­on.“ Dies sei auch not­wen­dig, denn „der Wohn­ort ist der Ort schlech­thin, wo um­fas­sen­de In­teg­ra­ti­on ge­schieht, und das 24 Stun­den am Tag – nicht die Schu­le oder der Ar­beits­platz. Am ne­ga­ti­ven Bei­spiel von Pa­ral­lel­ge­sell­schaf­ten im Ghet­to er­kennt man gut, wel­che Ge­stal­tungs­kraft der Wohn­ort be­sitzt, im Gu­ten wie im Bö­sen.“

Auch Ludl ver­weist ger­ne auf den „Glo­ba­len Hof“ der So­zi­al­bau in Wien-Lie­sing, der vie­len als Vor­zei­ge­mo­dell für ge­lun­ge­ne In­teg­ra­ti­on dient. Fol­gen­de Grund­sät­ze lei­tet er aus der Er­fah­rung sei­nes Un­ter­neh­mens ab:

Q Be­wohn­er­mix: Ma­xi­mal die Hälf­te der Be­woh­ner ei­nes Wohn­hau­ses soll­ten Zu­wan­de­rer sein, und kei­ne Ethnie soll­te in­ner­halb die­ses An­tei­les über­hand­neh­men.

Q Frei­wil­lig­keit: Es müs­se freie Wahl der Kun­den herr­schen statt Woh­nungs­zu­tei­lung. Ös­ter­rei­cher wür­den al­ler­dings nur ein­zie­hen, wenn die Qua­li­tät stimmt, sagt Ludl, „denn sie sind ver­wöhnt.“

Q Be­zugs­per­son vor Ort: Es brau­che je­man­den, „den man an­spre­chen kann, der ver­mit­telt und die Re­geln durch­setzt – ei­ne Mi­schung aus Ko­or­di­na­tor, Beicht­va­ter und stren­gem She­riff“.

Q Ge­mein­schafts­ein­rich­tun­gen: Pra­xis­taug­li­che Ge­mein­schafts­räu­me sind für Ludl ein Schlüs­sel für In­teg­ra­ti­on: „Wir brau­chen ei­ne ge­wis­se Zahl an Be­geg­nungs­mög­lich­kei­ten, wo man sich trifft und aus­tauscht. Denn sonst ken­nen sich die Leu­te nicht und grü­ßen ein­an­der nicht, dann wird vie­les viel schwe­rer.“

Q Leist­bar­keit und Qua­li­tät: Und schließ­lich müss­ten Woh­nun­gen für Zu­wan­de­rer er­schwing­lich und für alt­ein­ge­ses­se­ne Bür­ger at­trak­tiv sein, be­tont Ludl. Dies ge­lin­ge nur im ge­mein­nüt­zi­gen ge­för­der­ten Wohn­bau.

Und nur gro­ße, zen­tral ge­plan­te Wohn­an­la­gen könn­ten all die­se Kri­te­rien er­fül­len, meint der So­zi­al­bau-Chef. „Zu glau­ben, dass man es mit Bau­grup­pen schaf­fen kann, die­se Wohn­ein­hei­ten zu schaf­fen, ist ei­ne Il­lu­si­on.“ Dem wi­der­sprach Fass­mann: „Gro­ße Ob­jek­te nei­gen zu Seg­re­ga­ti­ons­er­schei­nun­gen, klei­ne ge­misch­te sind in­teg­ra­ti­ver.“

Schaf­fen von et­was Neu­em

Ob groß oder klein – für Sa­bi­ne Pol­lak vom Ar­chi­tek­tur­bü­ro Köb & Pol­lak ist ei­ne ge­lun­ge­ne Ar­chi­tek­tur der Schlüs­sel für In­teg­ra­ti­on. Und In­teg­ra­ti­on be­deu­te vor al­lem das Schaf­fen von et­was Neu­em.

Pol­lak: „Das heißt für den Wohn­bau über­setzt: Nicht die Zu­wan­der­in­nen sol­len sich in un­se­re 75-Qua­drat­me­ter-und-drei-Zim­mer-Woh­nun­gen mit Log­gia und Mi­nia­tur­kel­ler­ab­teil in­te­grie­ren. Son­dern: Un­se­re Wohn­kon­zep­te ver­bin­den sich mit den Wohn­vor­stel­lun­gen und Öko­no­mien von Zu­wan­der­in­nen und er­ge­ben neue Ty­pen, neue Haus­for­men und neue Öko­no­mien des Woh­nens. Da­von kön­nen wir al­le pro­fi­tie­ren.“

Für die Vi­ze­rek­to­rin der Kunst­uni­ver­si­tät Linz soll­te das Ziel des in­teg­ra­ti­ven Wohn­baus die „ma­xi­ma­le In­klu­si­on“ sein – oder noch brei­ter ge­fasst:„ei­ne of­fe­ne, in­klu­die­ren­de, leist­ba­re, dich­te und kom­ple­xe Stadt.“

Die Zu­wan­de­rung sei ei­ne Chan­ce, fest­ge­fah­re­ne Struk­tu­ren im ge­för­der­ten Wohn­bau auf­zu­bre­chen und Neu­es aus­zu­pro­bie­ren, glaubt Pol­lak: „Ne­ben den jet­zi­gen Wett­be­wer­ben für maß­an­ge­fer­tig­te Schu­he könn­te es ge­ben: Wett­be­wer­be für Wohn­bau in Vor­fer­ti­gung, für Se­rien­bau, für ex­pe­ri­men­tel­len Wohn­bau, Wett­be­wer­be für krea­ti­ve Lö­sun­gen je­ner Fra­ge, wie ei­ne ge­ring­ere Aus­stat­tung zu ei­ner hö­he­ren Qua­li­tät wird.“ Doch da­für müss­ten Wohn­po­li­ti­ker viel mehr mit Ar­chi­tek­ten spre­chen und zu­sam­men­ar­bei­ten, als es der­zeit ge­schieht.

2. März 2016 Der Standard

Ein­fach bau­en, an­ders bau­en – und sich küm­mern

Wel­chen Bei­trag kann die Wohn­po­li­tik zur In­teg­ra­ti­on von Flücht­lin­gen leis­ten? Dass mehr ge­baut wer­den muss, stand beim Stan­dard -Wohn­sym­po­si­um au­ßer Streit. Aber auch ein Um­den­ken im Wohn­bau und der Aus­bau der Be­wohn­er­be­treu­ung stan­den im Raum.

Auf die letz­te gro­ße Mig­ra­ti­ons­wel­le wäh­rend des Bos­nien­kriegs in den 1990er-Jah­ren hat Ös­ter­reich, und vor al­lem die Stadt Wien, mit ei­ner Wohn­bau­of­fen­si­ve rea­giert, die den hei­mi­schen Markt fast 20 Jah­re lang aus­rei­chend mit Wohn­raum ver­sorg­te. Der neue Flücht­lings­strom aus dem Na­hen Os­ten stellt die Wohn­po­li­tik vor noch grö­ße­re Her­aus­for­de­run­gen. Denn zu den 90.000 Asyl­wer­bern des Vor­jah­res kom­men noch die zahl­rei­chen Zu­wan­de­rer aus an­de­ren Län­dern, vor al­lem aus der EU, da­zu, die oh­ne­hin schon für Woh­nungs­knap­pheit in den Bal­lungs­räu­men sor­gen. Und an­ge­sichts der kul­tu­rel­len Dif­fe­ren­zen mit vie­len An­kömm­lin­gen ist die Wohn­po­li­tik noch viel stär­ker ge­for­dert, die In­teg­ra­ti­on der neu­en Be­woh­ner zu un­ter­stüt­zen.

Un­ter dem Ti­tel „Un­ter­kunft oder In­teg­ra­ti­on“ be­schäf­tig­te sich das 54. Stan­dard -Wohn­sym­po­si­um ver­gan­ge­ne Wo­che mit die­sem schwie­ri­gen The­men. Auch wenn die meis­ten Red­ner be­ton­ten, dass man na­tür­lich bei­des brau­che – Un­ter­kunft und In­teg­ra­ti­on –, so zeig­ten sich in den Vor­trä­gen und Dis­kuss­io­nen doch höchst un­ter­schied­li­che Zu­gän­ge und Schwer­punk­te.

Ei­ne kla­re Bot­schaft kam von Her­bert Ludl, dem Ge­ne­ral­di­rek­tor der So­zi­al­bau AG, Ös­ter­reichs größ­ter ge­mein­nüt­zi­ger Ge­nos­sen­schaft: Mit dem Satz „Bau­en, bau­en, bau­en“ rief er da­zu auf, die gan­ze En­er­gie auf ei­ne Stei­ge­rung der Wohn­bau­leis­tung zu ver­wen­den. Man müs­se jetzt so­fort an­fan­gen, denn „es dau­ert ja drei bis fünf Jah­re bis zum Be­zug“, und soll­te mög­lichst gro­ße Pro­jek­te mit preis­wer­ten Woh­nun­gen und „oh­ne Schnick­schnack“ er­rich­ten. Denn in den gro­ßen An­la­gen funk­tio­nie­re auch die In­teg­ra­ti­on am be­sten. In der Wie­ner Stadt­re­gie­rung ist Ludls Bot­schaft be­reits an­ge­kom­men: Wohn­bau­stadt­rat Mi­cha­el Lud­wig (SPÖ) will die Zahl der neu­en Woh­nun­gen um ein Drit­tel von 10.000 auf 13.000 im Jahr er­hö­hen.

Die Wie­ner Ar­chi­tek­tin Sa­bi­ne Pol­lak warn­te hin­ge­gen da­vor, ein­fach nur drauf­los­zu­bau­en. Die Kri­se sei ei­ne Chan­ce, beim Wohn­bau um­zu­den­ken und auch an­ge­sichts un­ter­schied­li­cher Wohn­kul­tu­ren der Zu­wan­de­rer neue ar­chi­tek­to­ni­sche und öko­no­mi­sche Kon­zep­te zu ent­wi­ckeln.

Auch Pol­lak geht es da­rum, die Kos­ten zu sen­ken, und auch sie setzt auf gro­ße und dich­te An­la­gen mit klein­eren Wohn­ein­hei­ten. Aber vor al­lem drängt sie da­rauf, auf vie­les in der Stan­dard­aus­stat­tung zu ver­zich­ten, um Be­wohn­ern mehr Spiel­raum zu bie­ten. „Wir soll­ten rau­er und ro­her den­ken – of­fen ver­leg­te Lei­tun­gen, Es­trich­bö­den, Fix­ver­gla­sun­gen“, sag­te sie. Ziel soll­te da­bei auch sein, be­son­ders kost­spie­li­ge Bau­nor­men los­zu­wer­den.

Kei­ne Pap­pen­de­ckel­con­tai­ner

Auch Georg Bu­sik, Mar­ke­ting­spre­cher von Bau-Mas­siv, dem Fach­ver­band Stei­ne-Ke­ra­mik in der Wirt­schafts­kam­mer Ös­ter­reich, warn­te in sei­nen Be­grü­ßungs­wor­ten auf dem Sym­po­si­um, das ge­mein­sam mit dem Fach­ma­ga­zin Woh­nen Plus or­ga­ni­siert wur­de, vor all­zu viel Geiz beim Bau­en. „Wir dür­fen kei­ne Pap­pen­de­ckel­con­tai­ner auf­stel­len“, sag­te er. „Wer bil­lig baut, baut teu­er. Denn dann muss man es zwei­mal bau­en.“ Bei pro­vi­so­ri­schen Un­ter­künf­ten et­wa in Con­tai­nern kom­me auch das Pro­blem der um­welt­scho­nen­den Nach­nut­zung da­zu. „Ab­bau und Wie­der­auf­bau sind nicht nach­hal­tig.“

Das drit­te gro­ße The­ma auf dem Wohn­sym­po­si­um be­traf die Be­treu­ung von Be­wohn­ern als Mit­tel zur In­teg­ra­ti­on. Ne­ben ei­ner qua­li­täts­vol­len Wohn­um­ge­bung müs­se es An­sprech­part­ner vor Ort ge­ben, die auf Be­schwer­den rea­gie­ren, bei Strei­tig­kei­ten ver­mit­teln und auch den Zu­wan­der­ern hel­fen, sich in ei­ne neue Um­ge­bung mit an­de­ren Re­geln mög­lichst rasch ein­zu­fin­den.

Die Bot­schaft, dass die Soft­wa­re min­des­tens so wich­tig ist wie die Hard­wa­re, kam auch aus vie­len der Tisch­run­den her­aus, bei de­nen die Teil­neh­mer Vor­schlä­ge für die Wohn­po­li­tik er­ar­beit­eten. Für vie­le ist hier die Stadt Wien mit ih­rem viel­fäl­ti­gen An­ge­bot an Wohn­part­nern und Stadt­teil­ar­bei­tern ein Vor­bild.

Und selbst im Streit­ge­spräch zwi­schen zwei höchst un­ter­schied­li­chen po­li­ti­schen Pro­po­nen­ten – An­dre­as Rabl, dem FPÖ-Bürg­er­meis­ter aus Wels, und Ma­ri­na Han­ke, Wie­ner Ge­mein­de­rä­tin und Vor­sit­zen­de der So­zia­lis­ti­schen Ju­gend Wien – gab es zwar bei den Fra­gen der Auf­nah­me­be­reit­schaft für neue Flücht­lin­ge und der Hö­he der Min­dest­si­che­rung kei­ne Über­ein­stim­mung, sehr wohl aber bei der Be­deu­tung von Deutsch­kur­sen und an­de­ren In­teg­ra­ti­ons­maß­nah­men für je­ne Men­schen, die im Land blei­ben. Dort dür­fe nicht ge­spart wer­den, wa­ren sich bei­de ei­nig. Mit dem von den Teil­neh­mern zum Sie­ger ge­kür­ten Tisch­vor­schlag „We­ni­ger jam­mern, mehr küm­mern“ kann sich fast je­der iden­ti­fi­zie­ren.

2. März 2016 Der Standard

Zu­zug als Chan­ce für den länd­li­chen Raum

Drei Prak­ti­ker über güns­ti­ge Un­ter­künf­te und neue We­ge im Wohn­bau

In ei­nem Punkt wa­ren sich die Prak­ti­ker beim Wohn­sym­po­si­um ei­nig: An­ge­sichts der gro­ßen Zahl von Tran­sit­flücht­lin­gen und Asyl­wer­bern sei es not­wen­dig, rasch tem­po­rä­re Un­ter­künf­te zu er­rich­ten. Für je­ne Mig­ran­ten al­ler­dings, de­ren Asyl­sta­tus an­er­kannt wird, dür­fe es kei­ne ei­ge­nen Wohn­bau­ten ge­ben. Statt­des­sen müss­te man mehr für al­le Be­woh­ner bau­en und da­rauf schau­en, dass es zu ei­ner gu­ten Durch­mi­schung von Men­schen un­ter­schied­li­cher Her­kunft kommt.

Für die Grup­pe der Asyl­wer­ber stell­te der Salz­bur­ger Lan­des­ret­tungs­kom­man­dant des Ro­ten Kreu­zes, An­ton Hol­zer, ein von sei­ner Or­ga­ni­sa­ti­on ent­wi­ckel­tes Kon­zept vor, das Zel­te und Con­tai­ner er­set­zen soll: Mit ei­ner jun­gen Salz­bur­ger Ar­chi­tek­tin wur­den zwei- oder drei­ge­scho­ßi­ge Holz­häu­ser ent­wi­ckelt mit Wohn­ein­hei­ten für je vier Per­so­nen und zu­sätz­li­chen Auf­ent­halts­räu­men. Sie wur­den bis­her in See­kir­chen und Tams­weg auf güns­tig ge­pach­te­ten Grund­stü­cken er­rich­tet; spä­ter sol­len sie ab­ge­baut, in Con­tai­nern un­ter­ge­bracht und et­wa in Ka­ta­stro­phen­ge­bie­ten im Aus­land ein­ge­setzt wer­den. Ent­schei­dend für die Ak­zep­tanz durch Nach­barn ist laut Hol­zer die 24-Stun­den-Be­treu­ung, die auch eh­ren­amt­li­che Hel­fer über­neh­men.

Für an­er­kann­te Flücht­lin­ge ist Wien der stärk­ste An­zie­hungs­punkt. Dort gibt es ge­nug leist­ba­ren Wohn­raum, und es wird ver­stärkt ge­baut, sag­te Pe­ter Neud­lin­ger, Ge­schäfts­füh­rer des Wohn­ser­vi­ce Wien: „Es ist ei­ne be­wäl­tig­ba­re Si­tua­ti­on, wir jam­mern auf ho­hem Ni­veau.“ Das größ­te Hin­der­nis für Wohn­bau aber sei das Flo­ria­ni­prin­zip, so Neud­lin­ger: „Wo im­mer man bau­en will, heißt es: Aber bit­te nicht hier. Wir müs­sen Zu­zug als Chan­ce be­grei­fen, auch für den länd­li­chen Raum.“

Das kann Chris­ti­an Stru­ber, Ge­schäfts­füh­rer der Salz­burg Wohn­bau und Bun­des­ob­mann der Ar­ge Ei­gen­heim, nur un­ter­schrei­ben. Ge­ra­de für Kleinst­ge­mein­den sind Flücht­lin­ge ei­ne Mög­lich­keit, der Ab­wan­de­rung ent­ge­gen­zu­wir­ken und et­wa Schul­stand­or­te zu er­hal­ten, be­rich­te­te er. Für die Aus­wei­tung des Neu­baus schlägt Stru­ber die Über­bau­ung be­ste­hen­der Park­plät­ze, Tank­stel­len und Su­per­märk­te mit Wohn­an­la­gen vor. „Wir müs­sen neue We­ge ein­schla­gen und die Lü­cken im Stadt­bild schlie­ßen.“

23. Oktober 2013 Der Standard

Auf der Suche nach anderen Klimahebeln

Energieverbrauch dürfe nicht das einzige Kriterium für effizienten Klimaschutz sein, sagen Experten. Raumordnung, Bauvorschriften und bessere finanzielle Modelle sollten mehr Aufmerksamkeit erhalten.

Was bringt dem Klima ein Passivhaus in Neusiedl am See, wenn der Bewohner jeden Tag mit dem Auto nach Wien pendelt? Auf diese Frage reduzierte Planungs- und Energieexperte Wolfgang Vasko auf dem Wohnsymposium das Dilemma einer Klimaschutzpolitik, die das Problem nicht ganzheitlich angeht.

Auch die Architektin Renate Hammer, Sprecherin der Plattform Baukultur, ging in ihrem Beitrag auf das Thema Raumordnung ein, das in Österreich viel zu kurz komme: Die Zersiedelung sei einer der Hauptursachen für hohen CO2-Ausstoß. „Darüber müssen wir reden und nicht über die Effizienz der Haustechnik“, forderte sie. Im Bereich des eigentlichen Wohnbaus werde heute für geringe Steigerungen der Effizienz ein immer größerer Aufwand betrieben.

Aber auch das Thema Wohnkosten müsse aus Hammers Sicht umfassender als üblich behandelt werden - nämlich als Zeichen einer wirtschaftlichen Fehlentwicklung. Hammer: „Wenn wir von Menschen hören: ,Wir können uns die Wohnung nicht mehr leisten', ist dann das Wohnen zu teuer geworden oder die Menschen zu arm?“

Hammer verwies auch auf die zahlreichen anderen Auflagen der Bauordnung, die die Errichtungskosten hinauftrieben - etwa beim Brandschutz. Um den Spagat zwischen maximalem Klimaschutz und erträglichen Kosten zu schaffen, müssten Planer viel mehr Flexibilität erhalten, als sie es vor allem unter den Bedingungen der Wohnbauförderung hätten. „Wir wissen, dass wir nicht 30 Prozent CO2, sondern 80 Prozent einsparen müssen, sonst haben wir als Generation völlig versagt“, sagt Hammer. „Aber das geht nicht, wenn man mit den Vorschriften konform geht. Wir müssen viel mehr experimentell bauen dürfen.“

Bilanz im Lebenszyklus

Auch Franz Vogler, Leiter der Baupolizei Tirol und Vorsitzender des Sachverständigenbeirats im Österreichischen Institut für Bautechnik (OIB), fordert weniger starre Vorgaben und wünscht sich vor allem eine „lebenszyklusorientierte Bilanz des Energieverbrauchs“ eines Gebäudes, die auch etwa die Errichtungsphase und den späteren Abbruch mit einschließt. Dies werde nach dem Nationalen Plan auch möglich werden, sagte er. „Wir reden immer nur über die Reduktion des Energieverbrauchs und nichts anderes. Ich habe das Gefühl, da steckt Lobbyismus dahinter“, sagte er mit einem Seitenhieb auf die Dämmstoffindustrie.

Ein ständiges Problem sei auch, dass eine Seite die Ausgaben des Klimaschutzes zu tragen hätte, aber andere den Nutzen daraus ziehen, vor allem niedrigere Heizkosten, betonte Waltraud Schmid (Kompetenzentrum für Energie). Hier müssten noch neue Ideen entwickelt und angewandt werden, etwa Contracting-Modelle, die entsprechende finanzielle Anreize für Klimaschutzinvestitionen bieten.

23. Oktober 2013 Der Standard

Der hohe Preis für ein bisschen mehr

Österreichs geförderter Wohnbau setzt ganz auf Klimaschutz. Doch die Kosten sind hoch, und beim Passivhausstandard ist der Nutzen nicht immer klar, zeigte sich beim jüngsten Wohnsymposium des STANDARD.

Ihr offizieller Name ist Richtlinie 2010/31/EU, sie ist seit 2010 in Kraft und seit diesem Jahr in den 27 EU-Staaten umgesetzt. Eigentlich ist die EU-Gebäuderichtlinie eine recht trockene Angelegenheit. Aber selten zuvor waren bei einem STANDARD-Wohnsymposium die Emotionen im Saal so hochgegangen wie vergangene Woche in der Wirtschaftskammer Österreich, als unter dem Titel „Belastung oder Zukunftschance“ die Kosten-Nutzen-Relation von Investitionen im Klimaschutz unter der EU-Gebäuderichtlinie diskutiert wurde.

Klar, jeder in der österreichischen Baubranche ist für den Klimaschutz - und dessen Förderung durch energieeffizienten Neubau und die thermische Sanierung bestehender Anlagen. Aber es gibt auch viele Stimmen, die sagen, dass Österreich in seinem Drang zum klimagerechten Bauen zu weit geht. Und das rief bei einigen der rund hundert Teilnehmer heftigen Widerspruch hervor.

Der Sprung vom Niedrigenergiehaus zum Passivhaus brächte kaum Mehrnutzen, sagen die Kritiker; das Passivhauskonzept - dass Wohngebäude überhaupt keine externe Energie benötigen - sei in der Realität nicht umsetzbar, weil sich viele Bewohner nicht an die Nutzungsregeln halten und etwa die Fenster aufreißen, statt die Frischluft aus den Lüftungsanlagen zu beziehen. Und der Straßenverkehr und die Industrie hätten bisher viel weniger für den Klimaschutz geleistet als der Wohnbau. Dort müsse man ansetzen statt an einer noch dickeren Wärmedämmung.

Und die hohen klimatechnischen Standards in Österreich würden das Bauen verteuern und so entscheidend zu den ständig steigenden Wohnkosten beitragen. „Wollen wir Klimaschutz um jeden Preis?“, fragte etwa Karl Wurm, Bundesobmann der gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen, in seinem Eingangsreferat. Der Wohnbau hätte bereits einen großen Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen geleistet, nun seien andere dran. Wurm kritisiert vor allem das neue Klimaschutzgesetz und den Nationalen Plan, mit dem die Ziele umgesetzt werden sollen. Damit gehe Österreich über die Vorgaben der EU-Gebäuderichtlinie weit hinaus. Diese sieht die sofortige Einführung des Energieausweises bei Neubau oder Sanierung sowie die Verwirklichung eines Niedrigst-energiestandards ab 2020 vor. Mit dem Passivhausstandard im geförderten Wohnbau werde in Österreich übers Ziel geschossen, kritisiert Wurm.

In die gleiche Kerbe schlug Karl-Heinz Stadler, Vizeobmann der Wohnbaugenossenschaft Neues Leben. Das Passivhaus bringe dem Bewohner keine Vorteile gegenüber dem Niedrigenergiehaus mit einem Heizbedarf von 40 kWh. „Die Mindermenge am Heizen wird kompensiert durch die Lüftungsenergie, die notwendig ist, um das Passivhaus zu betreiben“, sagte er. „Wenn wir bei 40 kWh bleiben würden, könnten wir einen Beitrag leisten, damit die Wohnkosten nicht explodieren.“

Stabile Regeln gewünscht

Nicht alle Experten und Praktiker beim Wohnsymposium, das vom Fachmagazin Wohnen Plus mitorganisiert wird, teilten diese Ansicht. Heimo Scheuch, Vorstandschef des Ziegelkonzerns Wienerberger, sieht einen dringenden Handlungsbedarf im Wohnbau, denn „40 Prozent des CO2-Ausstoßes kommen aus Gebäuden“. Scheuch warnt vor allem davor, die Regeln alle paar Jahre zu ändern: „Investoren fordern ein stabiles Rechtssystem. Wenn wir die Gebäuderichtlinie haben, das ist es. Davon müssen wir ausgehen können. Man darf sich nicht immer etwas Neues ausdenken.“

Bei der Planungssicherheit hat die EU-Kommission allerdings ausgelassen, erläuterte Waltraud Schmid, Leiterin des Kompetenzzentrums für Energie in Wien, die lange in Brüssel tätig war. Sie verwies auf die großen Chancen für die österreichische Wohnbauindustrie durch ihre Kompetenz beim Passivhaus. Der jüngste Sieg eines österreichischen Uni-Teams bei der Solar-WM in den USA sei kein Einzelfall „Nicht von ungefähr kommen die Chinesen zu uns und schauen sich nicht nur die Technologie, sondern auch die Rahmenbedingungen an“, sagt Schmid. „Vielleicht ist Österreich in seiner Vorreiterrolle zu weit gegangen, aber sie ist es wert, weitergetragen zu werden.“

Kühlung vom Donaukanal

Die großen Möglichkeiten neuer Technologien skizzierte der Planungsexperte Wolfgang Vasko (Vasko & Partner) anhand eines Bürogebäudes - des neuen Raiffeisenhauses am Wiener Donaukanal, laut Vasko das erste Passsivhochhaus der Welt. So werde dort der sogenannte Schotterkoffer im Boden für Erdwärme und das Wasser des Donaukanals für die Kühlung im Sommer genutzt. Das Wasser decke 28 Prozent des Kühlbedarfs ab.

Ein solches Hightech-Gebäude, egal ob Büro- oder Wohnhaus, stelle hohe Anforderungen an die Qualifikation der Wartung, betonte Vasko. Aber nicht nur die Facility-Manager, auch die Nutzer eines Hauses seien gefordert, denn bei falscher Verwendung würde das Passivhaus nicht funktionieren. „Ich bin der Meinung, dass man nicht nur für ein Auto, sondern auch für eine Wohnung ein Handbuch braucht“, sagte er. „Wenn hinter dem Kleiderkasten der Schimmel auftritt, dann soll nicht der Vermieter zur Verantwortung gezogen werden. Es reiche, wenn in einem Manual steht, dass gelüftet werden muss.“

6. Juni 2012 Der Standard

Nachhaltigkeit kommt in vielerlei Gestalt

Was macht Wohnhäuser zukunftsfähig? Ein STANDARD-Symposium widmete sich der Nachhaltigkeit im Spannungsfeld zwischen Ökologie, Leistbarkeit, guter Architektur und den Bedürfnissen der Bewohner.

Für 72 Prozent der österreichischen Konsumenten ist Nachhaltigkeit beim Wohnen ein wichtiges Thema, wie eine aktuelle Studie der Wiko Wirtschaftskommunikation zeigt; und fast ebenso viele wären bereit, für eine nachhaltige Immobilie mehr zu zahlen - die meisten zwischen 2,5 und zehn Prozent mehr.

Nachhaltigkeit ist auch in den Köpfen der Bewohner angekommen; in der Politik und in der Bauwirtschaft ist es schon seit Jahren ein ständig gebrauchtes Schlagwort. Doch wenn es um die konkrete Ausgestaltung der Nachhaltigkeit geht, dann bleiben zahlreiche Fragen unbeantwortet: Sollen alte Gebäude um jeden Preis thermisch saniert und neue nur noch als Passivhäuser errichtet werden? Oder geht durch höhere Baukosten ein Stück soziale Nachhaltigkeit verloren? Und ist es nicht ebenso wichtig, architektonisch wertvolle Gebäude zu errichten, damit sich Menschen auch noch nach Jahrzehnten drinnen wohlfühlen und nicht nach einer Generation die ökologisch teure Abrissbirne kommt? Braucht die Gesellschaft nicht ebenso kulturelle Nachhaltigkeit?

Einigkeit und Bruchlinien

Das 43. STANDARD-Wohnsymposium widmete sich vergangene Woche in der Wirtschaftskammer Österreich unter dem Titel „Nachhaltigkeit im Wohnbau: Modewort oder Mehrwert?“ diesen Fragen. Bei den Experten-, Politiker- und Teilnehmergesprächen gab es viel Einigkeit. Doch in der Frage der Prioritäten traten auf der vom Fachmagazin Wohnen Plus mitorganisierten Veranstaltung einige der oben skizzierten Bruchlinien offen zutage.

Während die Architekten und Nachhaltigkeitsexperten Karin Stieldorf und Martin Trebersburg in ihren Referaten die Passivhaustechnologie im Neubau und die thermische Sanierung alter Gebäude als zentrale Ziele bezeichneten, kritisierte Wolfdieter Dreibholz, der Vorsitzende der Grazer Altstadtsachverständigenkommission, die Überbetonung ökologischer Faktoren auf Kosten architektonischer Qualität. „Die Nachhaltigkeit wird verwendet, um Architektur zu verhindern“, warnte er und verwies dabei auf die „Wärmedämmungshysterie in den Achtzigerjahren“, die durch die technologischen Fortschritte der Glasindustrie beendet werden konnten, und auf aktuelle grüne Projekte wie ein achtgeschoßiger Holzwohnbau.

„Vom Grundriss her sind das dieselben Kisten, die vor 30 Jahren von Architekten wegen mangelnder Urbanität und Kreativität kritisiert worden sind“, sagt Dreibholz, der jahrelang mit Coop Himmelb(l)au zusammengearbeitet hat. „Heute werden diese Produkte hingestellt und unter dem Modewort Nachhaltigkeit ein weiteres Mal verkauft.“

Amsterdamer Schule

Als nachhaltigen Wohnbau lässt Dreibholz die Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit gelten, die auf die Amsterdamer Schule zurückgehen. „Sie haben bewiesen, dass sie in ihrer Substanz und Haltung auch Renovierungen aushalten und trotzdem markante Teile einer Stadt sind.“

In die gleiche Kerbe schlug Architekt Markus Kaplan von BWM Architekten, der nach den traditionellen Tischgesprächen den Vorschlag „Identität schaffen“ als besten Weg zu mehr Nachhaltigkeit von Gebäuden präsentierte und dafür vom Symposium zum Sieger gekürt wurde. In Häusern mit Identität würden Menschen gerne möglichst lange wohnen.

Der Sozialmediziner Michael Kunze äußerte hingegen Zweifel an diesem Ziel. Bedürfnisse der Menschen würden sich ändern, und der Wohnbau müsse sich ständig anpassen. Denn „wir sind Nomaden beim Wohnen und unseren Bedürfnissen“. Sprüche wie „Einen alten Baum verpflanzt man nicht“ würden die wahren Lebenswelten nicht widerspiegeln.

Fokus auf Leistbarkeit

Den Vertretern der Bauträger - Sozialbau-Chef Herbert Ludl und Buwog-Vorstand Gerhard Schuster - galt wiederum die Leistbarkeit und die Kundenzufriedenheit als entscheidendes Kriterium für Nachhaltigkeit, wobei Ludl dies nur im gemeinnützigen und genossenschaftlichen Wohnbau realisierbar sieht: „Der Markt taugt nicht für die Wohnversorgung“. Schuster zeigte sich hingegen überzeugt, dass der freie Markt leistbares und bedarfsgerechtes Wohnen bieten kann. „Es ist nicht sinnvoll, eine Einheitsqualität zu liefern, der Wettbewerb der Qualitäten kann unsere Branche weiterbringen“, sagte er.

Im Politikergespräch zwischen dem Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig und dem ÖVP-Wohnbausprecher Johann Singer, Bürgermeister der kleinen oberösterreichischen Gemeinde Schiedlberg - traten die Unterschiede zwischen Stadt und Land hervor, wobei sich beide für mehr Verdichtung im Wohnbau aussprachen. Aber während Ludwig die föderale Struktur der Raumordnung kritisierte, wurde diese von Singer verteidigt.

Nachhaltigkeit, so das Resümee vieler Teilnehmer, sei auch im Wohnbau manchmal ein inhaltsleeres Modewort geworden. Um den Mehrwert zu lukrieren, sei mühsame Kleinarbeit notwendig, nicht nur bei Planung und Bau von Wohnhäusern, sondern auch bei ihrer Nutzung.

6. Juni 2012 Der Standard

Wegsuche zwischen Kultur, Klima und Demografie

Wohnhäuser sollen heute architektonische Ansprüche erfüllen, wenig Energie verbrauchen und sich den Veränderungen in der Gesellschaft anpassen. Wie das alles zusammenpasst, darüber diskutierten Experten.

Energetisch ist das Sydney Opera House sicherlich kein großer Wurf. Und von Leistbarkeit kann bei einer 14-fachen Baukostenüberschreitung auch keine Rede sein. Aber für Wolfdieter Dreibholz, den Vorsitzenden der Grazer Altstadtsachverständigenkommission hat das Jahrhundertbauwerk 40 Jahre nach Eröffnung „kulturelle Nachhaltigkeit ungeahnten Ausmaßes“ bewiesen, die durch den Kampf des damals noch jungen dänischen Architekten Jørn Utzon gegen die gesamte australische Gesellschaft noch an Bedeutung gewonnen hat.

Ebenso kompromisslos wie Dreibholz' Plädoyer für mutige Architektur tritt Karin Stieldorf vom Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien für die Schonung der Ressourcen im Wohnbau ein. „Gebäude, die ungesund und umweltschädigend und zu teuer und so gebaut sind, dass sie zu Nachbarschaftsstreit beitragen, sollten gar nicht gebaut werden,“ sagte sie. „Wir haben kein Recht, das, was die Erde bietet, gedankenlos zu verschwenden und kommenden Generationen eine versaute Erde zu hinterlassen.“

Alles über Passivhäuser

In ihrem Unterricht an der TU bemüht sich Stieldorf, die vor zehn Jahren die Arbeitsgruppe für nachhaltiges Bauen gegründet hat, um die Verbindung von Architektur und Energieeffizienz und hat Schüler aus aller Welt, die vor allem etwas über Passivhäuser lernen wollen. Dabei habe sie eines gelernt: „Klimagerechtes Bauen erfordert Feingefühl und die intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Standort.“ Denn im Ausland seien die klimatischen Bedingungen ganz anders als in Österreich.

Ebenso wichtig wie die Architektur ist für Stieldorf die Regionalplanung: die Verdichtung von Stadtrandgebieten, um Verkehr zu vermeiden, und die Einbettung von Neubauten in den Bestand, um möglichst wenig verändern zu müssen.

Stieldorf ist ebenso überzeugt vom umweltschonenden Wohnbau wie Martin Trebersburg, der ressourcenorientiertes Bauen an der Universität für Bodenkultur in Wien unterrichtet. Energieeffiziete Wohnbauten, ob neu errichtet oder saniert, seien angesichts steigender Energiepreise zwingend notwendig, um die „Haushaltsenergiearmut“ zu vermeiden.

Diese sei gegeben, wenn mehr als zehn Prozent des Einkommens zum Heizen verwendet werden müssen. „In einem Passivhaus braucht man für 70 m² zehn Euro im Monat zum Heizen und zehn Euro für Warmwasser“, sagte Trebersburg. „Da ist Energiearmut nicht möglich.“

Passivhäuser seien auch bei der Errichtung nicht teurer als konventionelle Bauten, hätte eine Studie gezeigt. Und eine Untersuchung von 18 Wohnanlagen in Wien habe ergeben, dass auch die Wohnzufriedenheit in energieeffizienten Häusern viel höher sei. Trebersburgs Schluss: „Ein energieeffizientes Gebäude ist ein nachhaltiges Gebäude, die beste Investition in die Zukunft.“

Für Michael Kunze, Vorstand des Instituts für Sozialmedizin der Med-Uni Wien, ist die größte Herausforderung an die Nachhaltigkeit die Demografie. Die Menschen würden immer länger leben, immer mehr ziehe es in die Städte, und die Grenzen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz würden sich immer mehr verwischen. Benötigt werde daher auch „biografische und demografische Nachhaltigkeit“; und diese erfordere größtmögliche Flexibilität beim Wohnen, die Bereitschaft, Häuser abzureißen und neu zu bauen, und die Bereitschaft, alles neu zu überdenken. Kunze: „Stabil und kontinuierlich ist nur die Veränderung.“

16. Januar 2008 Der Standard

Bahnhof City droht Neuausschreibung

Der Standard-Bericht über den Architektenaufstand gegen den Wettbewerb für die Bahnhof City hat unter Vergabejuristen heftige Diskussionen ausgelöst. Viele von ihnen halten den Antrag auf Nachprüfung für aussichtsreich.

Sollte das Bundesvergabeamt (BVA) zum Schluss kommen, dass die ÖBB mit ihrem nicht EU-weit ausgeschriebenen Architektenwettbewerb für den neuen Stadtteil „Bahnhof City“ rund um den Hauptbahnhof Wien das Vergaberecht verletzt haben, dann wäre eine Neuausschreibung notwendig, sagt der BVA-Vorsitzende Michael Sachs. Die Chancen dafür stehen nach Meinung führender Vergaberechtsexperten gut.

Wie der STANDARD am Wochenende exklusiv berichtet hatte, hat eine Arbeitsgemeinschaft von knapp 50 in- und ausländischen Architektenbüros beim BVA eine Nachprüfung beantragt. Zusätzlich hat das renommierte norwegische Büro Snohetta AS einen Einzelantrag gestellt. Sie argumentieren, dass die ÖBB Immobilienmanagement GmbH, eine 100-Prozent-Tochter eines Staatsbetriebs, dem Bundesvergabegesetz (BVergG 2006) unterliegt und der Wettbewerb daher EU-weit ausschreiben hätte müssen. Stattdessen wurden nur acht Architektenbüros zu einem Wettbewerb eingeladen.

Nach dem BVergG sind öffentliche Auftraggeber und Auftraggeber in bestimmten Wirtschaftssektoren wie Straße oder Schiene an das Vergabegesetz gebunden, kommerziell agierende Töchter von Staatsbetrieben aber nicht.

Vom STANDARD befragte Experten vermuten eine versuchte Umgehung des Vergaberechts durch die Ausgliederung in eine Tochter, die allerdings bei geschickter Strukturierung vor den Berufungsstellen halten könnte.

Die Vergaberechtsanwältin Kathrin Hornbanger sieht in der Causa einen spannenden Grenzfall: „Wenn die Immobilienmanagement GmbH eine Sektorentätigkeit ausübt und für die ÖBB agiert, dann wäre sie ein öffentlicher Auftraggeber und müsste ausschreiben - nicht aber, wenn sie ganz normal am Markt tätig ist.“ Auch wenn mehr als 50 Prozent der Finanzierung des Projekts von der öffentlichen Hand kämen, wäre eine Ausschreibung notwendig.

Für den Anwalt Stephan Heid ist die Antwort auf diese Fragen klar: „Es handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen öffentlichen Auftragsgeber oder allenfalls einen Sektorenauftraggeber, der einen EU-weiten Wettbewerb hätte durchführen müssen“, sagt er. Ein Schwachpunkt des Nachprüfungsantrag sei allerdings, dass die Antragsteller plausibel machen müssen, dass sie am Auftrag tatsächlich interessiert sind. „Eine Arbeitsgemeinschaft von 50 Büros würde sich niemals an der Ausschreibung beteiligen - das könnte sich als Stolperstein erweisen“, warnt Heid.

Kritisch ist auch der sehr knappe Fristenlauf bei der Bekämpfung von Vergabeentscheidungen. Dabei spielt es eine Rolle, wann die Antragsteller vom Wettbewerb erfahren haben und realistischerweise erfahren konnten. Da die ÖBB dies nicht öffentlich gemacht hat, war die einzige Quelle die Berichterstattung im Standard - vor allem für ausländische Büros keine Pflichtlektüre.

Eine Rolle spielen könnte der jüngste Fall vor dem EuGH zur Fernwärme Wien (C-393/06), bei dem der Generalanwalt im November eine strikte Auslegung der Vergaberegeln bei öffentlichen Auftraggeber, die auch kommerziell tätig sind, gefordert hat.

„Staatsnähe“ nicht alles

Wenig überzeugt vom Standpunkt der antragsstellenden Architekten ist Michael Hecht, Partner bei Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte in Wien. Die bloße „Staatsnähe“ alleine mache Unternehmen noch lange nicht zu öffentlichen Auftraggebern im Sinne des BVergG.

Hecht dazu: „Dass die Gewinne eines Unternehmens an den Gesellschafter - in diesem Fall die ÖBB Infrastruktur Bau AG - fließen, ist eine Selbstverständlichkeit. Es ist schon richtig, dass die überwiegende Finanzierung oder Leitung durch einen anderen öffentlichen Auftraggeber mit ausschlaggebend dafür ist, ob das Unternehmen ein öffentlicher Auftraggeber ist. Dieser Umstand alleine aber ist bedeutungslos, solange das Unternehmen nicht zum Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die noch dazu nicht gewerblich sein dürfen.“

Diese besonderen Zwecke liegen laut Hecht im vorliegenden Fall nicht offenkundig vor: Wäre die bestmögliche Bewirtschaftung und Verwertung von Liegenschaften immer eine öffentliche Aufgabe, dann wäre die gesamte Immobilienbranche ein einziges öffentliches Unternehmen. „Die Forderung nach einer Anwendbarkeit der Vergabebestimmungen scheint hier geradezu überbordend zu sein. Würde jedes im weiteren Sinne staatliche Unternehmen vergabepflichtig, so wäre dies für einen vergaberechtlich ohnehin überreglementierten Markt eine Katastrophe.“

27. Juni 2003 Der Standard
5. Juni 1999 Der Standard