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Profil

Geboren in Meran Südtirol. Studium der Philosophie und Kunstgeschichte an der Universität Wien, Studium der Architekturgeschichte an der Columbia University in the City of New York. Forschungsstipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Kritiken und Essays zu Kunst und Architektur in „Neue Zürcher Zeitung“ und „Die Presse“ (Spectrum) u.a.

Lehrtätigkeit

1999 – 2003 Technische Universität Wien, Institut für Städtebau und Raumplanung
2006 Bauhaus Universität Weimar, Institut für Geschichte und Theorie der Architektur
2002 – 2012 Institut für Kunst und Architektur der Akademie der bildenden Künste Wien

Mitgliedschaften

FEMtech Frauen in Forschung und Technologie
Literar Mechana
ÖGfA Österreichische Gesellschaft für Architektur

Publikationen

(Auswahl)
Anna Mahler. Bildhauerin Musikerin Kosmopolitin
Molden Verlag, Wien 2023

Vom Tanz des Geistes unter den Wörtern, in: Walter Bohatsch, Typojis – Einige neue Zeichen, Hermann Schmidt Verlag, Mainz 2017, S. 22-28

Die Biologie des Bauens, in: Natascha Meuser (Hrsg.), Architektur und Zoologie, DOM Publishers, Berlin 2017, S. 140-150

Raum und Gestaltung – Space and Design, Birkhäuser Verlag Basel, Basel 2016

Die Kunst der Vielgestalt – Artful Variety, Haymon Verlag, Innsbruck 2015

Material und Atmosphäre, in: Irmgard Frank. Raum denken - Thinking Space, Niggli Verlag, Sulgen, Zürich 2011, S. 113-124

Über Städtebau oder Methodisches zur sinnlichen Praxis,
in: East Central Europe/L'Europe du Centre-Est. „Urban History in East Central Europe“. In cooperation with the Center for Urban History of East Central Europe. A refereed international journal of the social sciences and humanities with a focus on the region „between the Baltic and the Adriatic“, hostet by the
European University Budapest, Vol. 33, Parts I-II, 2006, p. 305-311

Die vierte Dimension. Anmerkungen zu Architektur, Raum und Wahrnehmung der Moderne, in: Antje Lehn, Erhard Kinzelbach, Gabriele Reiterer, Nasrine Seraji (Hg.), Review III, Yearbook of the Institute for Art and Architecture, Academy of Fine Arts Vienna 2005, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2006

Über Schönheit und Form,
in: Rüdiger Lainer (Hg.), Brazilian Conditions, Springer Verlag Wien, New York
2006, S. 24-30

Metamorphosen oder Spuren der Erinnerung,
in: aut. Architektur und Tirol (Hrsg.), Konversationen. Hans Gangoly Architekt,
Verlag Anton Pustet, Salzburg 2006, S. 36-46

Bauen allein ist nicht genug. Architekten Gärtner/Neururer, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2005

Imagines et loci. The City as an Essay,
in: Boris Biletic (Ed.), Nova Istria, 3, Pula 2005, S. 10-18

Against Discipline. A call to maintain anarchy,
in: Review III, Yearbook of the Institute for Art and Architecture, Academy of
Fine Arts Vienna 2005, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2005, S. 118-122

Wahrnehmung – Raum – Empfindung. Anmerkungen zu Camillo Sittes Städtebau, in: Klaus Semsroth, Kari Jormakka, Bernhard Langer (Hg.), Kunst des Städtebaus. Neue Perspektiven auf Camillo Sitte, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2005, S. 225-239

Rückwärts in die Zukunft. Zur Genese des „modernen“ Städtebaus bei Rudolf von Eitelberger und Camillo Sitte, in: Wolfgang Kos, Christian Rapp (Hg.), Alt Wien. Die Stadt, die niemals war, Czernin Verlag, Wien 2004, S. 173-182

Der gelbe Fisch oder die Ästhetik in der Architektur,
in: Barbara Feller, Maria Welzig (Hg.), An der Klippe. Herwig Illmaier, Architekt
1957-2001, Verlag HDA, Graz 2003, S. 36-44

AugenSinn. Zu Raum und Wahrnehmung in Camillo Sittes Städtebau, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2003

Architektur von 1890 – 1918,
in: Hermann Fillitz, Wieland Schmied (Hg.), Geschichte der Bildenden Kunst in
Österreich, Bd. VI. 20. Jahrhundert. Prestel Verlag, München 2002, S. 417-428

Rudolf Wäger. Die Poetik der Schlichtheit,
in: „one- hundred houses for one-hundred european architects of the xx
century / cento case per cento architetti europei del xx secolo, Triennale di
Milano 2001, S. 226-230

Erschienen auch in:
Gennaro Postiglione (Hrsg.), Hundert Häuser für hundert europäische Architekten des zwanzigsten Jahrhunderts, Taschen Verlag, Köln 2004

Veranstaltungen

Internationale Vortragstätigkeit und Podiumsteilnahmen

Auszeichnungen

1999 – 2001 DOC Programm der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
2000 Theodor Körner Förderpreis der Republik Österreich 2000

Wettbewerbe

Jurorin in zahlreichen Architekturwettbewerben

Karte

Artikel

26. Juli 1999 Neue Zürcher Zeitung

„Beamtete“ Architektur

Eine Ausstellung in Wien

Die Architekturgeschichtsschreibung in Österreich hat der «beamteten» Architektur bisher nur wenig Platz eingeräumt. Dabei verdankt Wien sein architektonisches Gesicht nicht zuletzt dem 1835 gegründeten Wiener Stadtbauamt, das über viele Jahrzehnte und politische Machtgefüge hinweg das kommunale Bauen steuerte. Eine zentrale Position hatte das Amt zur Zeit des «Roten Wien» inne. Das sozialdemokratische Kommunalprogramm der zwanziger Jahre forderte eine grundlegende Reformierung der Bauordnung, die Verkehrserschliessung des Gemeindegebietes und den Bau von Wohnhäusern. Der grosse «Aufbruch» begann 1919; Stadtplanung und Architektur waren bestimmt vom immensen Bedarf an Wohnbauten. Hinter der Bezeichnung «Wiener Stadtbauamt» stand eine ganze Architektenschar.

Diesem Umfeld und einer herausragenden Persönlichkeit, dem Architekten Erich Leischner (1887-1970), widmet zurzeit das Architektur-Zentrum Wien eine Ausstellung, die sich auf die Zwischenkriegszeit konzentriert. Zu Leischners ersten Bauaufgaben zählten Entwürfe für Gemeindewohnbauten der frühen zwanziger Jahre. Bereits hier zeigte sich sein einfühlsamer Umgang mit der Topographie und seine Fähigkeit zu dialogischem Denken im Entwurf. Diese Eigenschaften lassen sich vermutlich auch auf Leischners Ausbildungsjahre an der Wiener Technischen Hochschule zurückführen. Vor allem Max Fabiani vertrat eine Auffassung von Raum und Ort, die sich in Leischners komplexer Architektur wiederfindet.

Die Bauvorhaben, an denen Leischner mitwirkte, umfassten auch Fürsorgeeinrichtungen und Nutzbauten wie Kindergärten, Schulen und Badeanlagen. Das 1928 eröffnete Kongressbad entstand in programmatischer Absicht der reformistischen Arbeiterkultur des «Roten Wien». Im Bürgerkriegsjahr 1934 beschloss die ständestaatliche Regierung den Bau einer Paradestrasse auf die drei Wiener Hausberge. Damit schufen sich die neuen Machthaber ein Vorzeigeprojekt; Überlegungen dazu hatte es allerdings schon seit Jahrzehnten gegeben. Es hatte unter anderem die Funktion eines Arbeitsbeschaffungsprogramms. Leischner plante eine serpentinenartige «Autoaussichtsstrasse» mit Brücken und Panoramastationen, die bis heute nichts von ihrer Beliebtheit eingebüsst hat. Einen Auftrag verschwieg Leischner in seiner Biographie wohlweislich. Baldur von Schirach, der Reichsstatthalter von Wien, beauftragte den Architekten für die Ausstattung seines Luftschutzbunkers auf dem Gallitzenberg. Bis 1949 war Leischner im Stadtbauamt tätig. In der Zeit des Wiederaufbaus übernahmen zunehmend freischaffende Architekten die kommunalen Bauaufgaben. (Bis 2. August)


[ Katalog: Amt Macht Stadt. Erich Leischner und das Wiener Stadtbauamt. Hrsg. Architektur-Zentrum Wien. Verlag Anton Pustet, Salzburg 1999. 95 S., ÖS. 380.-. ]

6. Juli 1999 Neue Zürcher Zeitung

Das Haus Tugendhat

Eine Mies-van-der-Rohe-Schau in Wien

Ihr Rhythmus sei wie Musik, sagte der Architekt Ludwig Hilberseimer über die 1930 von Mies van der Rohe in Brünn erbaute Villa Tugendhat. In ihrer Formensprache radikal modern, gab sie einst Anlass zu Kontroversen. Die lokale Architektenschaft lehnte den kühl-eleganten Solitär nicht zuletzt aus ideologisch-politischen Gründen ab, obwohl der hohe technische Standard anerkannt wurde. Die Bauherren Fritz und Grete Tugendhat entstammten Brünns jüdischer Unternehmerschicht. Im Spannungsfeld von grossbürgerlicher Wohnkultur und deren Negierung angesiedelt, stand die Villa Tugendhat gewissermassen zwischen den Epochen. Nun ist die 1998 von Wolf Tegethoff gestaltete Münchner Ausstellung zur Villa Tugendhat in erweiterter Form im Wiener Ausstellungszentrum im Ringturm zu sehen. Die von Adolph Stiller betreute Ergänzung befasst sich mit Umfeld, Kontext und weiterführenden Fragestellungen. Eine neue Begleitpublikation dokumentiert die Entstehungsgeschichte des Hauses und betrachtet den Bau im kultur- und architekturhistorischen Zusammenhang der Zeit. (Bis 16. Juli)


[ Katalog: Das Haus Tugendhat. Hrsg. Adolph Stiller. Verlag Anton Pustet, Salzburg 1999. 180 S., S 360.-. ]

22. Mai 1999 Spectrum

„Gipfel des Snobismus“

Sie zählt zu den Meisterleistungen der Klassischen Moderne: die in den Jahren 1928 bis 1930 von Mies van der Rohe erbaute Brünner Villa Tugendhat. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm dokumentiert Ihre Baugeschichte und die Kontroversen, die sie auslöste

Ich habe mir immer ein geräumiges, modernes Haus mit klaren einfachen Formen gewünscht. Und mein Mann war geradezu entsetzt von Zimmern, die bis an die Decke mit Figürchen und Zierdecken vollgestopft waren“, so Grete Tugendhat über den Wunsch nach einer Architektur, die sich vom gründerzeitlichen Erbe verabschieden sollte.

Im Brünner Schwarzfeldviertel, einer gehobenen bürgerlichen Wohngegend, hatten Grete Löw Beers Eltern dem jungen Paar zur Hochzeit eine Parzelle zum Geschenk gemacht. 1928 fanden die ersten Gespräche mit Mies van der Rohe statt. Ende des Jahres legte Mies bereits die ersten und in ihren Zügen wesentlichen Entwürfe vor. Obwohl es während des weiteren immer wieder zu Modifikationen kam, dürfte in den Grundfragen große Übereinstimmung zwischen Auftraggebern und Architekt geherrscht haben.

Die ungewöhnlichste und innovativste Entwurfsentscheidung war jene zugunsten einer Stahlskelettkonstruktion: Es waren damit weniger tragende Teile nötig, die Mauerstärken konnten reduziert werden, und freiere Grundrißlösungen wurden möglich. Die Stahlkonstruktion ermöglichte in der Folge den riesigen lichten Wohnraum mit seinen Glasfronten.

Der zweieinhalbgeschoßige Bau befindet sich an stark abschüssigem Gelände und liegt quergestreckt in den Hang eingepaßt. Während die Villa zur Straßenseite hin nahezu hermetisch abgeschlossen anmutet, öffnet sie sich südseitig mit unvergleichlicher Aussicht auf die Stadt. Im Souterrainsockel befinden sich die Wirtschafts- und Wartungsräume des Hauses. In der dreiteiligen zweiten Ebene, dem Hauptwohngeschoß, dominiert der 280 Quadratmeter große Wohnraum. Empfangsraum, Arbeitsraum mit Bibliothek und Sitzecke, Wohnzimmer und Eßbereich gehen frei ineinander über; Arbeitsbereich und vorderer Wohnbereich sind von einer freistehenden Wand aus Onyxplatten getrennt. Im zweiten Teil befinden sich Küche und Diensträume, der dritte Teil beherbergt Personalzimmer, die über einen eigenen Zugang von außen verfügen. Im Obergeschoß mit Eingang von der Straße lagen die privaten Wohnräume der Eltern und Kinder.

Die technische Ausstattung der Villa war auf dem höchsten und neuesten Stand der Zeit: Zentralheizung, wobei die verglaste Südfront des Wohnbereichs über eine eigene, zusätzliche Heizanlage verfügte, die im Sommer als Kühlsystem Verwendung fand; ein Teil der riesigen Fenster konnte hydraulisch in den Boden versenkt werden; ein Lichtschranken mit Photozelle schloß die Verbindungstür zwischen Straße und Terrasse im Obergeschoß automatisch. Während das obere Geschoß konventioneller gehalten ist, evoziert das offene Konzept im Hauptgeschoß ein freies Raumerlebnis; im riesigen Wohnbereich ersetzt das Raumkontinuum die traditionelle Aneinanderreihung von räumlichen Funktionsbereichen.

Eine wesentliche Rolle der Raumteilung und -gliederung kommt dabei den freistehenden Wandelementen zu: der halbrunden Wand aus kostbarem Makassar-Ebenholz, die der Abgrenzung des Eßbereichs diente, und der teuren Onyx-Wand, deren Preis allein in etwa dem Wert eines Einfamilienhaus entsprach.

Die gesamte Innenausstattung plante Mies van der Rohe selbst; zum Teil in enger Zusammenarbeit mit der Innenarchitektin Lilly Reich. Ein Großteil der Möbel wurde vom Architekten eigens für die Villa Tugendhat entworfen. Die Inneneinrichtung der Villa Tugendhat ist wesentlicher Bestandteil der Planung, durch ihre raumgliedernde Rolle besitzt sie im Gesamtkonzept einen integrierenden Anteil.

Die lokale Architekturszene begegnete dem Bau, der 1930 bezugsfertig war – gelinde ausgedrückt –, mit Zurückhaltung. Brünn hatte sich zu jener Zeit neben Prag zu einem bedeutenden Zentrum moderner Architektur entwickelt. Hier bauten und lehrten Bohuslav Fuchs , Jiri Kroha, Arnošt Wiesner und andere. Bereits ab der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre entstand hier eine Architektur, die sich programmatisch mit der sozialen Frage, dem Wohnproblem der unteren sozialen Schichten auseinandersetzte.

Der kühl-elegante Solitär, dessen Baupreis angeblich so hoch war wie der von dreißig kleinen Einfamilienhäusern, bekannte sich radikal und eindeutig zur Formensprache der Moderne, sprengte jedoch zugleich fremdkörperartig die strukturelle örtliche Architekturentwicklung. Die Kritik am Bau kam von der Architekturavantgarde selbst. Karel Teige, wortgewaltiger Avantgardist und Schlüsselfigur der Bewegung, nannte den Bau ein Exempel für die verfehlte Richtung in der modernen Architektur, einen „Gipfel des modernen Snobismus“.

Das deutsche Echo gestaltete sich anfangs eher zurückhaltend. Walter Riezler besprach den Bau 1931 in der Werkbundzeitschrift „Die Form“. Er hob vor allem die Verwirklichung neuer Ideen hervor, die nicht nur in Zweckmäßigkeit resultiere, sondern „Geistigkeit“ evoziere. Justus Bier schließlich stellte in der darauffolgenden Ausgabe die Frage nach der „Bewohnbarkeit“ des Hauses. Er stellte zwar fest, „daß man sich in diesen Räumen dem Eindruck einer besonderen Geistigkeit sehr hohen Grades nicht entziehen kann“, zweifelte aber daran, „ob die Bewohner die großartige Pathetik dieser Räume dauernd ertragen werden, ohne innerlich zu rebellieren“.

Fritz und Grete Tugendhat reagierten umgehend auf die Kritik und verteidigten das Konzept. Ein Satz in Riezlers Kritik brachte schließlich genau jenes Moment zutage, das Bruno Reichlin die „Ambivalenz“ der Villa Tugendhat nennt. Denn bei aller Modernität übersteigt das Haus mit einer Gesamtnutzfläche von 1250 Quadratmetern die Ansprüche an ein Einfamilienhaus bei weitem.

Anlage und Struktur sind offensichtlich an einer Wohnform und einem gesellschaftlichem Kodex der vergangenen Zeit orientiert. Wolf Tegethoff hat in seinen Studien über die Villa Tugendhat auf deren repräsentative Ausrichtung hingewiesen. So diente etwa die Eingangshalle in ihrer Funktion als Wartefoyer für Besucher noch gesellschaftlich-zeremoniellen Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts. Die Villa verfügte über einen beträchtlichen Personalstab, der auch großteils im Haus wohnte.

Die Abgrenzung der Wirtschaftsräume vom Aufenthaltsbereich der Bewohner in einem eigenen Trakt bedeutete ebenfalls eine Reminiszenz an vergangene Wohnformen. So „bleibt die Tatsache bestehen, daß der Gesamtorganismus des Hauses einen Zustand perpetuiert, der noch weitgehend den großbürgerlichen Idealen und Umgangsformen des 19. Jahrhunderts verpflichtet ist“.

Die repräsentativen Funktionen wurden jedoch von der Familie Tugendhat nur mehr eingeschränkt wahrgenommen. Das Leben im Haus war insgesamt eher privat ausgerichtet, Fritz und Grete Tugendhat wahrten die gesellschaftlichen Codes ihrer Herkunft nur mehr in bedingtem Ausmaß. Im Spannungsfeld zwischen großbürgerlicher Wohnkultur und deren Negierung angesiedelt, steht die Villa Tugendhat gewissermaßen zwischen den Zeiten.

Der Familie Tugendhat verblieben nur wenige Jahre in ihrem Haus. 1938 emigrierte sie in die Schweiz, später nach Venezuela. Einen Teil der beweglichen Ausstattung nahm sie mit. Als „jüdisches Eigentum“, deren Besitzer zudem das Land verlassen hatten, galt die Villa den nationalsozialistischen Besetzern als herrenlos und ging automatisch in Staatsbesitz über. Bereits in den frühen vierziger Jahren war der Großteil des zurückgelassenen Inventars verschwunden.

Während des Krieges waren im Haus Konstruktionsbüros der Flugzeugbauer Messerschmidt untergebracht, nach 1945 nahm es die Rote Armee in Beschlag, der es zum Teil als Pferdestall diente. Nach dem Krieg richtete sich in der Villa eine private Rhythmikschule ein. Aus ihr wurde in der kommunistischen Tschechoslowakei 1962 die Abteilung für Heilgymnastik der Brünner Kinderklinik. Ein Jahr später erklärte die staatliche Behörde für Denkmalschutz die Villa zum Kulturdenkmal. Der Entscheidung waren jahrelange Bemühungen um eine Nutzungsänderung vorangegangen.

Trotz anfänglicher Pläne, das Haus einer kulturellen Nutzung zuzuführen, fand die Villa schließlich ab 1986 als hochrangiger Tagungsort und Repräsentationssitz der Stadt Brünn Verwendung. Die vorangegangene „Renovierung“ist heute heftigst umstritten. Durch keineswegs notwendige Erneuerungsmaßnahmen, vor allem in Bad und Küche, wurde originale Substanz teilweise vernichtet. Die Verwendung von unsachgemäßen Materialien zog zum Teil grobe Folgeschäden am gesamten Bau nach sich. Diese sind jetzt unter anderem Gegenstand einer grundlegenden Vorabklärung für das weitere Vorgehen.

Am 1. Juli 1994 wurde die Villa Tugendhat als Museum eröffnet. Aufgrund wesentlicher Baumängel wird jetzt eine weitere Instandsetzung – diesmal in Zusammenarbeit mit einer internationalen Expertenkommission, dem international anerkannten Wert des Hauses Rechnung tragend – durchgeführt.


Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Architektur im Ringturm“ist von 26. Mai bis 16. Juli (Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr)die umfassende Dokumentation „Das Haus Tugendhat. Ludwig Mies van der Rohe – Brünn 1930“ zu sehen [ Wien 1, Schottenring 30 ].

7. Mai 1999 Neue Zürcher Zeitung

Historische Rekonstruktion und Hyperrealismus

Themen der heutigen Garten- und Landschaftsarchitektur

In der Garten- und Landschaftsarchitektur hat sich ein facettenreicher Diskurs entwickelt. Neben den vielfältigen Gestaltungsprinzipien sind es Fragen des theoretischen Zugangs, der Vorbilder, des Verhältnisses zur Architektur und zur historischen Materie sowie denkmalpflegerische Themen, welche die Diskussion bestimmen. Vermehrt sind aber auch ökologische Fragen wichtig geworden. Ende April diskutierten Fachleute in Wien den Stand der Landschafts- und Gartengestaltung und stellten - «auf der Suche nach zeitgenössischer Gartenkunst» - anhand ausgewählter Projekte unterschiedliche Positionen vor.

Fragen nach Vorbildern beantwortete der französische Gartenarchitekt Gilles Clément mit dem Hinweis auf den «grossen Garten Natur». Bei ihm steht eine Gartenkunst im Mittelpunkt, bei der der Gärtner zum «Erhalter» der Natur wird. Für den 1993 eröffneten Parc André-Citroën in Paris gestaltete Clément den Jardin en mouvement, dessen Charakteristiken die Vorherrschaft der Natur und eine poetische Auffassung des Prinzips der Selbstorganisation sind, wobei sich Eingriffe auf regulierende Massnahmen beschränken. Der holländische Landschaftsarchitekt Piet Oudolf hingegen stellt die Pflanze in den Mittelpunkt. In seinen Entwürfen scheut er sich nicht vor ungewöhnlichen Zusammenstellungen von Formen, Farben und Strukturen. - Von der historischen und kulturgeschichtlichen Auseinandersetzung mit der Landschaft geprägt ist Bernard Lassus. Sein aufwendigstes und extravagantestes Projekt wurde nicht realisiert: Das Konzept zur Neugestaltung der Tuilerien-Gärten sah 1990 einen frei interpretierten «archäologischen» Umgang mit der Geschichte der Anlage vor. Mit der Restaurierung, aber auch mit der Neugestaltung gewisser Teile, basierend «auf einer schlüssigen Wiedererfindung», plante er eine Schichtung des Gartens auf mehreren Ebenen.

Ein problematisches und kontrovers diskutiertes Thema der Garten- und Landschaftsgestaltung bildet die Annäherung an historische Anlagen. Die Fragen der Gartendenkmalpflege drehen sich dabei um Rekonstruktion und Erhaltung beziehungsweise um die Definition dieser Begriffe und die gestalterische Freiheit innerhalb denkmalpflegerischer Grenzen. Das Schaffen des Schweizer Landschaftsarchitekten Guido Hager bewegt sich inmitten dieser Kontroverse. Seine Auffassung von Denkmalpflege lässt Spielraum für eine teilweise Neugestaltung und zeugt von einem imaginativen Umgang mit Alt und Neu. Er wendet sich gegen Rekonstruktionen, tritt aber gleichwohl für die Substanzerhaltung der Gärten ein. Im Zürcher Rechberggarten setzte er seine Auffassung um; unter Rücksichtnahme auf die historische Substanz «baute er am Vorhandenen weiter».

Als seiner Funktion weitgehend entkleidet sieht Franco Zagari den historischen Garten. Diesem begegnet der in Rom lebende Professor für Landschaftsarchitektur mit einem neuen Formenrepertoire. So bei der Villa Lante in Rom: Die 1525 von Giulio Romano erbaute Anlage zählt zu den eindrucksvollsten des italienischen Manierismus. Im Rahmen der Restaurierung des Gebäudes gestaltete Zagari, der sich dabei einzig an den Achsen der alten Anlage orientierte, den Garten neu.

Die in Deutschland tätige Landschaftsarchitektin Anneliese Latz legt Wert auf einen «strukturalistischen Dialog mit der Architektur». Ein Hauptprojekt des Büros Latz + Partner, der auf einem ehemaligen Industriegelände angelegte Landschaftspark Duisburg Nord, bei dem «Prinzipien und Strategien im Umgang mit Zerstörung und Verfall» umgesetzt werden, verabschiedet sich von jeder herkömmlichen Vorstellung von Gartenkunst. Avantgardistische Wege beschreiten auch der Niederländer Adriaan Geuze und das von ihm gegründete Planungsbüro West 8, das Architekten, Industrial-Designer und Botaniker beschäftigt. Ihre Arbeiten sind von einem pragmatischen Zugang zur Landschaft geprägt, dessen Wurzeln im klassischen Nutzungsdenken liegen. «Hyperrealist» nennt sich Geuze, und dies zeigt sich - trotz artifizieller Formensprache - auch in seiner Bereitschaft, sich mit ökologischen Problemstellungen zu befassen.

16. Februar 1999 Neue Zürcher Zeitung

Der Städteplaner als Universalist

Eine Studie zu Camillo Sittes Kunst- und Architekturtheorie

In Wien setzten die grossen städtebaulichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts mit dem Bau der Ringstrasse ein. Die Prachtstrasse, so Carl Schorske, «machte Architektur zum Zentrum öffentlicher Leidenschaften und Streitigkeiten». Die Pioniere der Moderne, Otto Wagner an ihrer Spitze vertraten eine rationalistische Auffassung, die den Städtebau ausschliesslich vom Prinzip der Zweckmässigkeit her beurteilte. Eine Gegenposition zu Wagner nahm der Wiener Architekt und Theoretiker des Städtebaus Camillo Sitte ein. Sitte hatte 1889 seine vielbeachteten urbanistischen Forschungsergebnisse unter dem Titel «Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen» veröffentlicht. Darin erklärte er die «künstlerische Durchbildung» zu einem wesentlichen Faktor und wandte sich gegen eine Vereinnahmung der Disziplin durch Ingenieure und Techniker. Ihm ging es dabei nicht um stilistische Prinzipien oder um Nachahmung, sondern um «überzeitliche Gesetzmässigkeiten eines künstlerisch motivierten Städtebaus». Zentrale Gedanken seiner Vorstellungen galten Fragen der räumlichen Folge, der Kontinuität und Rücksichtnahme auf gewachsene Strukturen und auf die Topographie.

«Mediävalisierender Romantiker»

Sittes Vorstellungen beeinflussten auch nach seinem frühen Tod im Jahre 1903 die städtebauliche Praxis weit über den deutschen Sprachraum hinaus. Allerdings verhielt sich Wien gegenüber Sitte eher ambivalent. Seine Bemühungen um ein Lehramt an der Akademie der bildenden Künste verliefen erfolglos, und von Otto Wagner wurde er mehrfach öffentlich angegriffen. In den zwanziger Jahren bewegte sich die Bewertung von Sittes Urbanismus zwischen Ignoranz und Ablehnung. Eine traditions- und geschichtsfeindliche Moderne stempelte den Wiener Städtebautheoretiker schliesslich zum «mediävalisierenden Romantiker» ab.

Dabei war es Sitte, der erstmals (raum)konstituierende Momente der Stadt ausformuliert hatte. Seine Auffassung von Kontinuität, Kontext und Organizität sprengte die Grenzen einer reinen Städtebautheorie; und sein geistesgeschichtlicher Hintergrund bewegte sich weit über Architektur und Städtebaufragen hinaus. In seiner Vielseitigkeit zeigte er sich von nahezu sämtlichen geistigen Stömungen der Zeit berührt. Nun hat Michael Mönninger eine umfassende Untersuchung der geistigen Grundlagen Sittes unternommen. In einer partiellen Auswertung von dessen umfangreichen unpublizierten Schriften zu Architektur, Malerei, Musik, Kunstgeschichte, Kunstgewerbe und Pädagogik, die von der Forschung bisher nicht beachtet wurden, erkennt Mönninger theoriebildende Grundlagen zu Sittes «rätselhaftem Monument», seinem Hauptwerk.

So stand Sittes geistige Herkunft in engem Zusammenhang mit der damals jungen Wiener Schule der Kunstgeschichte. Seine Theorien waren - wie Mönninger zeigt - eng mit dem naturwissenschaftlichen Diskurs seiner Zeit verknüpft. Dabei bildeten die Erkenntnisse des deutschen Physikers und Physiologen Hermann von Helmholtz, der sich mit dem Zusammenhang von Bild, Wahrnehmung und Physiologie befasst hatte, eine Forschungsgrundlage. Leider zu kurz kommt in diesem Zusammenhang die Bedeutung des deutschen Philosophen Gustav Theodor Fechner für Sittes Theorie der Wahrnehmung. Fechner, der sich im wesentlichen auf Helmholtz berief, wurde mit seinen psychophysischen Erkenntnissen zu einer Schlüsselfigur der Anfänge einer empirischen Ästhetik. Mönninger untersucht auch erstmals Sittes starke Prägung durch die biogenetischen Rekapitulationstheorien jener Zeit und zeigt so seine Auffassung der Stadt als «ein autonomes, quasibiologisches Gebilde» als von evolutionsbiologischen Konzepten bestimmt. Sittes Glaube an die Pädagogik stand ebenfalls in diesem Zusammenhang. Ausgehend von der Annahme, dass die kindliche Entwicklung die Stammesgeschichte wiederhole, gewann die Erziehungsfrage wesentliche Bedeutung.

Kulturalistische Position

Über allem stand jedoch das von Aristoteles hergeleitete Postulat, dass die Stadt die Menschen «glücklich» machen solle. Sittes Haltung stand fraglos in engem Zusammenhang mit der geistigen Krisis der Epoche und brachte eine Suche nach neuen Werten zum Ausdruck. Allerdings wurde seine «kulturalistische» Position in der Folge und vielfach noch immer als nostalgischer Schritt rückwärts bewertet. Sittes Ziel lag jedoch keinesfalls in der Rückkehr zur vorindustriellen Wohn- und Siedlungsform. Er befürwortete durchaus die städtischen Entwicklungen, betrachtete sie als wichtigen Schritt in die Zukunft und sah auch deren Vorteile sehr klar und realistisch. Auch setzte er, im Gegensatz zu den Utopisten, dem Ziel seiner Kritik kein idealisiertes, demiurgisches Modell entgegen. Beim Neuen verlangte er nach Innehalten und nach einem Reflektieren über bewährte Konstanten. Vorstellungen von Kontinuität, Kontext und Organizität verbanden sich in Sittes Auffassung mit der Empfindung des Menschen. - Die Auseinandersetzung mit Sittes Theorien beschränkte sich bisher vorwiegend - und oftmals sehr einseitig - auf architektonische und städtebauliche Fragen. Mönningers aussergewöhnliche Studie zeigt erstmals die Grundlagen und deutet die geistige Verankerung von Sittes Vorstellungen an. Deren Komplexität macht deutlich, dass sein Hauptwerk in seiner Bedeutung weit über ein «formalästhetisches Regelbuch» hinausging. Die Publikation würdigt den Universalisten - den Künstler, Schriftsteller und Gelehrten - Sitte in seiner eigentlichen, bisher noch kaum zur Kenntnis genommenen Bedeutung. Damit trägt sie zur Rehabilitation des Wiener Städtebautheoretikers bei.

[Michael Mönninger: Vom Ornament zum Nationalkunstwerk. Zur Kunst- und Architekturtheorie Camillo Sittes. Vieweg-Verlag, Braunschweig/Wiesbaden 1998. 235 S., Fr. 98-.]

7. Dezember 1998 Neue Zürcher Zeitung

Der Traum vom Paradies

Gio Pontis Hotel in den Bergen des Valmartello

Der italienische Architekt Gio Ponti realisierte neben seinen vielen Mailänder Projekten ein Luxushotel im Hochgebirge: Der Albergo Sportivo Valmartello liegt inmitten unberührter Natur auf einer Höhe von 2160 Metern in der Nähe des Reschenpasses. Dieses Denkmal der italienischen Moderne und Symbol der faschistischen Okkupation Südtirols ist heute vom Verfall bedroht. Die Frage nach Erhaltung und Restaurierung wichtiger Baudenkmäler der Moderne stellt sich beim «Paradiso» besonders deutlich.

Im Jahre 1934 erhielt der Mailänder Architekt Gio Ponti (1891–1979) den Auftrag zu einem spektakulären Projekt. In völliger Abgeschiedenheit, am Fusse der Gletscher, umgeben von Dreitausendern sollte im Südtiroler Martelltal nach Pontis Plänen ein Alpinhotel der Superlative entstehen: der Albergo Sportivo Valmartello al Paradiso del Cevedale. Das vom italienischen Fremdenverkehrsministerium initiierte Unternehmen erfuhr unmittelbare Unterstützung durch die faschistische Partei. Das formale Raffinement des stilistisch gekonnt zwischen «Novecento» und Moderne wechselnden Architekten und Designers Ponti garantierte aber auch einen Hotelbau, der dem Lebensstil und den Vorstellungen der Vertreter des durch Mussolinis Regime gestärkten Finanz- und Industriekapitals entsprach.


Die funktionelle Zweiteilung

Dem Hotel waren verschiedene Funktionen zugedacht: die des Luxushotels als urbanem Mikrokosmos mit infrastruktureller Rundumversorgung, aber auch die eines Sporthotels für Bergtouristen und Alpinisten. Ponti entwarf einen nach Westen hin gekrümmten, dynamisch wirkenden Längsbau. Das fünfgeschossige Gebäude wird von einem steilen Pultdach abgeschlossen. Die Fassadengestaltung ist von betonter Einfachheit. Der Hauptfront ist asymmetrisch eine Terrasse vorgelagert, die den konvexen Schwung des Baukörpers betont. Haupteingang und Stiegenhaus befinden sich auf der Nordseite. Schon an der Hauptfassade ist die funktionelle Zweiteilung des kurz «Paradiso» genannten Hotels ablesbar. Der Westteil war den länger verweilenden Hausgästen vorbehalten. Hier befindet sich die Terrasse; und die Zimmer in den darüberliegenden Stockwerken verfügen über Balkone. Im Ostteil waren die Gäste der unteren Kategorien untergebracht. Die Differenzierung zwischen den verschiedenen sozialen Zielgruppen meisterte Ponti bravourös. Er führte sie bis in die Ausstattungsdetails. So gestaltete er die Gesellschaftsräume im noblen Westflügel luxuriös aus, während er für den im Untergeschoss befindlichen Gemeinschaftsraum der Alpinisten Mobiliar entwarf, das sich stark an traditionell-rustikale Regionalformen anlehnte.

Ponti, dessen Werk sich in jenen Jahren in einer entscheidenden Wende von einer neoklassizistischen hin zu einer rationalistischeren Auffassung bewegte, bewies mit dem «Paradiso» seine Fähigkeit zum geistreichen Ausdruck von Individualität. Diese findet ihre Umsetzung in der spielerisch ausgeklügelten Farbwelt der Innenraumgestaltung. Farbige Streifen und geometrische Deckenmusterungen verwandelten die Gesellschaftsräume und Gästezimmer im Westflügel trotz standardisierten Einrichtungselementen in Unikate. In den einfacheren Räumen des Osttraktes erhielten die Zimmer einen homogenen Farbanstrich. Selbstverständlich waren Vorhänge und Bettbezüge auf die Farbgebung der Zimmer abgestimmt. Das Farbenspiel setzt sich in den Aufenthaltsräumen fort. Es bildete das Erkennungszeichen des Hotels. Selbst das Werbematerial und die Hotelpostkarten wurden von Ponti als kleine Farbkunstwerke gestaltet.


Ein Prototyp als Vorläufer

Der Vorläufer für das «Paradiso» findet sich in einem Projekt Pontis, das nie zur Ausführung gelangte. 1930 war der Mailänder Architekt vom italienischen Fremdenverkehrsministerium mit einem gigantischen Projekt zur Erschliessung der Dolomiten beauftragt worden. Schwebebahnen mit einer Streckenführung von über 160 Kilometern sollten die Dolomiten zwischen Bozen und Cortina für den Tourismus erschliessen. Ponti plante nach eigenen Worten die Errichtung der grössten und beeindruckendsten Seilbahnanlage der Welt sowie ein touristisches Unternehmen der Superlative. Die Planung der infrastrukturellen Einrichtungen mit sämtlichen Stationsgebäuden der Haupt- und Nebenlinien, Hotels und Restaurantbetrieben bildete dabei die Hauptaufgabe des Architekten. Für die Hotelbauten entwarf Ponti einen variablen Prototyp. Dem Entwurfskonzept dieses Prototyps lagen Überlegungen der beliebigen Erweiterbarkeit und Orientierung an Landschaft und Klima durch eine standardisierte Architektur zugrunde, die er in der Lösung eines nuovo schema darlegte.
Bei der Planung des «Paradiso» einige Jahre später griff Ponti auf diesen Prototyp zurück. Die Parallelen sind offensichtlich, wenngleich sich das Hotel vor allem durch seine Innenraumgestaltung von Standardisierung und Typisierung entfernt. Im «Paradiso» waren die Klassen eben nicht abgeschafft. So scheint der Hotelbau ein exemplarisches Beispiel für die Ausprägung der italienischen Moderne zu sein, die nicht an den sozialen Gedanken und an ein demokratisches Bewusstsein gebunden war, sondern eine Allianz mit der faschistischen Diktatur einging. Zudem stand hinter dem Projekt ein programmatisches Anliegen: In einem gleichsam symbolischen Akt erfolgte eine steingewordene Machtdemonstration der Italianità und des neuen Regimes, das die «edlen Söhne des italienischen Volkes» verherrlichte und das kulturelle Selbstbewusstsein des faschistischen Italien demonstrierte. Noch heute weckt der Bau bei den Einheimischen widersprüchliche Erinnerungen. In einem kolonialistischen Akt implantiert, galt es als monumentales Zeichen der Okkupation: Vor der Kulisse einer atemberaubenden Bergwelt inmitten einer deutsch geprägten bäuerlichen Kulturlandschaft wurde das städtische Lebensgefühl der Herrscher zelebriert.


Kurze Blütezeit

Das «Paradiso» erlebte nur eine kurze Blütezeit. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde das Haus geschlossen. 1943 besetzten die deutsche Wehrmacht und die SS den Bau. Nach dem Krieg wurde der Hotelbetrieb kurz wieder aufgenommen, doch 1946 ging das Hotel endgültig in Konkurs. Anfang der fünfziger Jahre erwarb ein venezianischer Reeder das «Paradiso». Damals erhielt das einst hellgrüne Hotel seinen jetzigen Anstrich in Rosso veneziano. Der neue Besitzer liess einige Umbauten vornehmen, die jedoch nie zu einem Abschluss kamen. So wurde der Bau um zwei Geschosse aufgestockt und die Terrasse erweitert. Der seit 1955 leerstehende Bau wechselte in den späten sechziger Jahren erneut den Besitzer. Seither dämmert Pontis einziger Hotelbau in den Bergen dem Verfall entgegen.
Die Frage nach Erhaltung und Restaurierung wichtiger Baudenkmäler der Moderne stellt sich beim «Paradiso» besonders deutlich. Der historisch belastete Bau erhitzt noch immer die Gemüter. Obwohl Südtirol in den letzten Jahren mit der Aufarbeitung des architektonischen Erbes der Moderne begonnen hat, würde jede Aktivität in Sachen «Paradiso» von der Öffentlichkeit vermutlich umgehend zum Politikum hochgespielt werden. Die Verantwortung für die Erhaltung kann nicht allein in privater Hand bleiben. Als zu bewahrender Teil des Kulturerbes könnte der Bau einer – von deutschstämmiger und italienischer Seite subventionierten – Neunutzung als Hotel zugeführt werden und so erneut zum Symbolträger werden. Diesmal jedoch unter einem anderen Vorzeichen: dem der Versöhnung mit der Geschichte.

21. Februar 1998 Spectrum

Rechter Hand die Fifth

Chronischer Platzmangel begleitet das New Yorker Museum of Modern Art seit seiner Gründung im Jahr 1929. Die nun anstehende Erweiterung soll nicht bloß die Ausstellungsfläche vergrößern, sondern das MoMA als Institution für das nächste Jahrhundert neu erf

„International Style“: Museum of Modern Art, New York. Photo: Robert Damora Elf West, dreiundfünfzigste Straße. Rechter Hand die lärmtosende Fifth, links die westlichen Avenues. Dem Stadtunkundigen weisen die langen flatternden Fahnen an der Fassade den Weg. Wer sich immer noch nicht auskennt, kann ruhig nach dem Weg fragen. Oder sich an die Fersen der „culture vultures“, der Kulturgeier, heften, die tagtäglich in Scharen die Perle der New Yorker Museumslandschaft stürmen - das Museum of Modern Art.

Die New Yorker lieben ihre knapp 100 Museen, und besonderen Rang genießt das MoMA, ein sogenanntes „streetmuseum“: Es liegt im Block und nicht an einer großen Avenue wie die meisten anderen Museen der Stadt. Dieser Umstand ist „schuld“ am chronischen Problem des Hauses - Platzmangel.

Nach bereits mehreren An- und Umbauten in seiner 69jährigen Geschichte steht diesmal eine großangelegte Erweiterung und Renovierung bevor. Dabei - so der Chefkurator der Design- und Architekturabteilung, Terence Riley - geht es darum, „nicht nur die Ausstellungsfläche des Museums zu vergrößern, sondern das MoMA als Institution für das nächste Jahrhundert neu zu erfinden“.

Das Museum of Modern Art erfand in diesem Jahrhundert bereits einmal die Institution Museum neu. Als Raum der Begegnung mit zum Teil völlig neuen Inhalten, als Zentrum für Aktivitäten verschiedenster Art, Konferenzen, Filme, Diskussionen, als Ausstellungsort und Publikationsstätte hatte es von Anfang an nicht mehr viel mit den staatlichen europäischen Ausstellungstempeln gemein.

Die Gründung des MoMA fiel in das Jahr 1929. Drei wohlhabende Kunstsammlerinnen hatten die Idee und auch den nötigen Einfluß zur Gründung eines Museums für moderne Kunst. Eine der drei Damen war Mrs. John D. Rockefeller Jr. Mit diesem und den Namen der reichsten Familien Amerikas war das Haus von nun an eng verknüpft. Sie begannen dem Museum die beste Sammlung moderner Kunst zu finanzieren.

Unter der Leitung von Alfred H. Barr Jr. fanden die ersten Aktivitäten in einigen wenigen angemieteten Räumen in Manhattan statt. Das MoMA markierte von Anbeginn an einen Wendepunkt in der amerikanischen Museumsgeschichte und begann sehr schnell eine führende Rolle einzunehmen: Es war das erste Museum, das Photographie, Film und Industriedesign ausstellte; Vorträge, Debatten, Filme und Radioprogramme bildeten einen wesentlichen Bestandteil der Museumsaktivitäten; die schicken, spektakulären Eröffnungen temporärer Ausstellungen waren „sophisticated“ und gesellschaftliche Ereignisse der anderen Art.

Der Schritt war ein riesiger: Die soziale und kulturelle Rolle des Museums wurde neu definiert. Das MoMA wurde zusehends zum „agressive tastemaker“ und hatte bald machtvollen Einfluß auf Kunst und - vor allem - Architektur. 1932 konfrontierte die Ausstellung „International Exhibition: Modern Architecture“ das Land mit der Architektur, die später als „Internationaler Stil“ bezeichnet werden sollte. Zusammen mit der berühmten Gemeinschaftspublikation „The International Style: Architecture since 1922“ von Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson wurde sowohl das Thema wie auch die neue Architektur an den Mann gebracht.

Bald darauf und ganz in neuer Linie wurde das Hauptgebäude des neuen Museums fertiggestellt. Die Architekten Philip Goodwin und Edward Durrel Stone hatten im „International Style“ gebaut. Die unteren drei Stockwerke des sechsstöckigen Gebäudes dienten als Ausstellungsfläche, der vierte Stock beherbergte die bereits umfangreiche Bibliothek. Einen Stock höher befanden sich Büros und zuoberst der Konferenzraum und ein Restaurant mit Dachterrasse. Im Souterrain war ein Auditorium für Filmvorführungen untergebracht. Der Skulpturengarten, von John McAndrew entworfen, erfreute sich schnell großer Beliebtheit - als Oase in den New Yorker Hitzemonaten.

Die verschiedenen Abteilungen verfügten bereits über umfangreiche und stetig wachsende Sammlungen. Die einzelnen „departments“ präsentierten ständig wechselnde Ausstellungen. 1941 zeigte das Department of Industrial Design die Schau „Organic Design in Home Furnishings“, eine der einflußreichsten frühen Designausstellungen.

1949 wurde René d'Harnoncourt, ein gebürtiger Wiener, zum Direktor des Hauses bestellt. Das Museum begann jetzt mit ernsthaften Platzproblemen zu kämpfen. Eine erste Erweiterung wurde Anfang der fünfziger Jahre vom Architekten und Leiter der Abteilung Architektur und Design, Philip Johnson, vorgenommen. 1958 brach während Renovierungsarbeiten ein Brand aus, der mehrere Meisterwerke der Gemäldesammlung beschädigte und zerstörte, darunter die „Seerosen“ von Monet. Eine Welle öffentlicher Sympathie ließ bei einem großangelegten „fundraising“ die Spenden fließen.

Eine nochmalige Erweiterung und mehrere Umbauten im Hauptgebäude nach Plänen Philip Johnsons begannen. Im Mai 1964 eröffnete das MoMA seine neuen Räumlichkeiten mit einer Serie von Ausstellungen. Da die Sammlungen beständig wuchsen, war bereits in den frühen siebziger Jahren das Platzproblem neuerlich virulent.

Doch diesmal hatte das MoMA ein zusätzliches Problem. Erstmals in der Geschichte der Institution war das Geld knapp geworden. Wie die meisten amerikanischen Museen war das Museum of Modern Art von privaten Geldern abhängig. Diese waren immer reichlich geflossen. Zum einen verdankte sich das großzügige Kunstsponsoring dem kulturellen Bewußtsein und nationaler Verpflichtung einer vermögenden Schicht. Die öffentliche Tat war jedoch für die Stifter und Sammler nicht zuletzt auch wegen der hohen steuerlichen Begünstigung sehr attraktiv.

Trotz erstmaliger öffentlicher Zuschüsse reichte jetzt das Geld nicht mehr aus, und das MoMA entschloß sich schließlich zu einem heftigst umstrittenen Schritt. In jener Zeit tauchte in New Yorks Immobilienkreisen eine Neuheit auf: In einer Stadt, wo Raum nicht mehr vorhanden war, mußte er neu definiert werden. In Manhattan begann zu dieser Zeit der Handel um die Luftraumrechte. Das Museum verkaufte für den damaligen Rekordpreis von 17 Millionen Dollar seine Luftrechte an einen privaten Interessenten, um damit die anstehende Erweiterung finanzieren zu können.

Über dem westlichen Erweiterungsflügel wurde ein 53stöckiger Apartmentturm errichtet. Das MoMA bezog die zehn unteren Stockwerke, der Rest sollte als Büro- und Wohnraum dienen. Der von Cesar Pelli geplante Turm wurde 1984 fertiggestellt. Den Verbindungspunkt zwischen den bestehenden Gebäuden und dem Neubau bildet eine riesige Treppenhalle mit Rolltreppen. Die gläserne Halle ist zum Garten gewandt, von hier aus werden sämtliche Bereiche begangen. Das Raumangebot des Museums verdoppelte sich, die Infrastrukturen konnten verbessert beziehungsweise erneuert werden.

Es sollte aber nicht lange dauern, bis das ständig expandierende und unter permanentem Platzmangel leidende Museum erneut handeln mußte. Im Februar 1996 kaufte es einige benachbarte Liegenschaften. Im Mai 1997 wurden die Ergebnisse eines Wettbewerbs zur Erweiterung und Renovierung in einer Ausstellung präsentiert.

Diesmal soll es die größte und umfassendste Erweiterung in der Geschichte des MoMA werden. Zehn internationale Architekten wurden zum Wettbewerb geladen, aus dem schließlich drei Finalisten hervorgingen: die Schweizer Jacques Herzog & Pierre de Meuron, Bernard Tschumi und der Japaner Yoshio Taniguchi. Herzog & de Meuron präsentierten gleich zwei Entwürfe, davon eine „Dachlandschaft“. Über die einzelnen Gebäude wird ein teilweise durchbrochenes Glasdach gesetzt. Tschumis Projekt spezifizierte vor allem den Weg im Museumsgelände, ohne die Formen der einzelnen Gebäude zu definieren. Yoshio Taniguchi entwarf eine „innenliegende Avenue“ zwischen 53. und 54. Straße und machte damit in dem mehrstufigen Wettbewerb das Rennen.

Der 1937 geborene Harvard- Absolvent ist vor allem durch seine Museumsbauten in Japan bekannt geworden. Die MoMA- Erweiterung ist sein erster internationaler Auftrag. Taniguchis Entwurf bringt einige grundsätzliche Veränderungen - so wird der Bau von 1939 nicht mehr zentral sein - , ist aber insgesamt sehr moderat konzipiert. Im Zuge der Erweiterung wird die originale Fassade des Baus von Goodwin und Stone wiederhergestellt werden. Von beiden Straßenseiten wird man in Zukunft das MoMA über eine neue Lobby, mit Öffnung zum Skulpturengarten, betreten können. Mit dem Bau wird voraussichtlich in zwei bis drei Jahren begonnen, das Museum möchte 2004 seine Pforten wieder öffnen

Publikationen

2005

Bauen allein ist nicht genug
Gärtner - Neururer

Landschaft ist keine Gegebenheit der Natur, Region ein kulturelles und politisches Phänomen. Obwohl sich der alte Gegensatz von Stadt und Land zunehmend auflöst, findet Bauen abseits der Städte immer noch unter besonderen Rahmenbedingungen statt. Vor allem hier ist jedoch Architektur als integraler Bestandteil
Hrsg: Christoph Gärtner, Dietmar Neururer
Autor: Gabriele Reiterer, Brigitte Kepplinger
Verlag: Verlag Anton Pustet

2003

AugenSinn
Zu Raum und Wahrnehmung in Camillo Sittes Städtebau

Camillo Sittes 1889 erschienenes Buch Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen „wirkte wie eine Initialladung auf eine vorbereitete Mine; der Erfolg war ein ungeheurer – überall wurde das Thema aufgegriffen“, schreibt der Otto Wagner-Schüler Leopold Bauer 1923. Diese Würdigung ist insofern
Autor: Gabriele Reiterer
Verlag: Verlag Anton Pustet