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Vom Lärm der Dächer
Wer das Flachdach ablehnt, wenn es um landschaftsverträgliches Bauen geht, macht es sich zu leicht. Die Baugeschichte lehrt uns, dass Eingliederung ein komplexes Thema ist – es setzt das Erkennen der Vorzüge einer Landschaft voraus.
21. August 2020 - Karin Tschavgova
Die Sache sei spätestens seit den 1990ern „gegessen“, dachte ich, bis ich auf der letzten Seite der Immobilienbeilage einer Tageszeitung auf diesen Artikel stieß. Ich musste gar nicht nachdenken, war vielmehr aus dem Bauch heraus überzeugt davon, dass das, was hier behauptet wurde, kein Thema sei, das man heute noch in Grundsätzlichkeit bespricht.
Mit der Frage als Aufhänger, ob ein „Tiny House“ ins Ortsbild passt, wurde kurzerhand abgehandelt, wodurch, oder besser: womit ein harmonisches Bild in Orten und Landschaften gestört werden kann. Was ein erschöpfendes Thema für eine gründliche wissenschaftliche Abhandlung wäre, wurde da, munter durcheinandergewürfelt, nicht mehr als angerissen: die zunehmende Individualisierung Bauwilliger, das Auffallen, dem entsprechend sich nicht eingliedern wollen, der Wunsch nach dem Bauen auf der grünen Wiese, daraus folgend Zersiedelung und – das Flachdach. Nun sehe man aber langsam, dass bestimmte Bauformen sich tatsächlich „schwerer in ein harmonisches Landschaftsbild eingliedern“, wurde der neue Baukulturkoordinator im Amt der Steiermärkischen Landesregierung zitiert. Das Flachdach gehöre dazu. Der Experte vergleicht es mit Lärm, konnte man lesen. Ähnlich wie laute Musik könne es im Landschafts- oder Stadtbild auch visuelle Reize geben, die eine gewisse Grundharmonie stören.
Einiges von dem, was danach noch an möglicher Störung aufgezählt wurde, konnte ich ohne Einschränkung nachvollziehen: schrille Farben etwa und auffällige Werbemittel, als Werbungen tituliert. In hügeligen Gegenden störten besonders große Baukörper und Flachdächer eine gewisse Grundharmonie, stand da. Ersteres war mir zu pauschal, und die Behauptung, dass sich das Flachdach als Bauform in hügeliger Landschaft schwerer eingliedern oder einpassen lasse, war gar nicht nachvollziehbar. Ich war baff. Hatte meine Mutter mich vergeblich studieren lassen?
Schon in den ersten Semestern des Studiums hatte mich Frank Lloyd Wrights Kaufmann-Haus, das als „Fallingwater“ 1939 in die Architekturgeschichte einging, maßlos beeindruckt. Dieses Ferienhaus, das direkt über einem Wasserfall errichtet worden war, war nicht in der Natur, vielmehr mit der Natur gebaut. Eine einzigartige Synthese – trotz auskragender Terrassen und, ja, Flachdach. Die Eingliederung der Architektur in ihre Umgebung gelang mit präzise gesetzten Kontrasten: die großen Felsblöcke gegen die Linearität der horizontalen Stahlbetonbrüstungen, ihre Glätte gegen das Grobe des aufsteigenden Steinmauerwerks, das mit den Baumstämmen zu verschmelzen scheint. Wright soll von Harmonie gesprochen haben und meinte damit ein Ganzes: das Gebäude und seine Umgebung bis hin zur Pflasterung und Bepflanzung. Voraussetzung war für ihn neben der Berücksichtigung des menschlichen Maßstabs ein ehrfurchtsvolles Verständnis für die „Natur der Natur“. Das schrieb Dietmar Steiner im Aufsatz „Die Natur der Landschaft“, der sich in seinem Buch „Häuser im Alpenraum“ aus 1983 findet.
Bei Steiner finde ich auch ein österreichische Beispiel einer „bedingungslosen Einordnung des Baukörpers in die umgebende Landschaft und die natürliche Formation des Terrains“, das mich just zu einem Zeitpunkt während des Studiums begeisterte, als wir Bauforschung anhand historischer Bauten der landwirtschaftlichen Nutzung betreiben mussten. Es war das Haus Heyrovsky von Lois Welzenbacher, 1932 fertiggestellt. Bei all den Unterschieden, ja Gegensätzen zwischen den bäuerlichen Nutzbauten, für die wir damals präzise Aufmaß und Zeichnung erstellten, und dem Ferienhaus für die Familie eines Wiener Chirurgen auf dem Hang über dem Zeller See gab es auch Gemeinsamkeiten zu entdecken. Klar, die Städter hatten andere Bedürfnisse als die Bauern, die den Tag im Freien, in der Natur verbringen und sich abends in die warme Stube zurückziehen. Welzenbacher konzipierte das Haus auf die Vorstellung hin, Sonne und Natur gleichsam ins Haus zu holen. Es öffnet sich der Landschaft und den Himmelsrichtungen über einen großen Bogen, über Panoramafenster und den stufenlosen Übergang auf eine große, von Balkon beschattete Terrasse, die wiederum eingebettet ist in die sie umgebende Wiese. Das Haus wurde mit einem fast flachen Dach aus Blech gedeckt.
Gemeinsamkeiten mit dem Typus des südsteirischen Bauernhauses auf dem Hang? Doch! Nicht die Baumaterialien, nicht die Form des Baukörpers oder die Fenstergrößen lassen gedankliche Assoziationen entstehen, sondern generell die Haltung zur Landschaft und zum Hang. Das flache, horizontal betonte Haus Welzenbachers duckt sich gleichsam in eine Mulde des Geländes, zeigt talseitig zwei Etagen, bergseitig ein Geschoß weniger und dieses mit Holz verschalt. Bauernhäuser auf dem Hang wurden an windgeschützten Plätzen im Gelände positioniert, orientierten sich immer an den Höhenschichtenlinien und waren demnach schmal und lang. Nie hätte ein Bauer früher gemacht, was heute selbstverständlich scheint, wenn man in hügeligem Gelände baut: den Grund aufschütten, künstlich modulieren, ein für horizontales Terrain geplantes Haus draufsetzen – als wäre ganz Österreich wie die Niederlande.
August Sarnitz, der 1989 in Eigendefinition eine Werkgenealogie zu Welzenbachers Bauten verfasste, spricht beim Haus am Zeller See von organischer Architektur und interpretiert „organisch“ hier als die ideale Verbindung von Bauwerk, Material und Landschaft. Unser Experte würde diese vermutlich mit Grundharmonie bezeichnen. Moment mal, trotz des flachen Dachs? Dessen bin ich mir sicher, denn unser Experte ist in der Lage, Qualität zu erkennen. Er würde mit Sarnitz übereinstimmen, der schreibt: „Im Bereich des landschaftsgebundenen Bauens gelang Welzenbacher mit diesem Haus ein Meisterwerk, das in Europa zu jener Zeit einzigartig war.“
Lassen wir den scharfsichtigen, heuer viel zu früh verstorbenen Dietmar Steiner noch einmal zu Wort kommen, der zum selben Haus 1983 schrieb: „Die architektonische und künstlerische Qualität dieses Entwurfs ist auch nach fünfzig Jahren noch ein bleibender Vorwurf an jene, die das Bauen im Alpenraum an der Dachneigung bestimmt wissen wollen und außerstande sind, eine tatsächlich rücksichtsvoll in die Landschaft eingepasste Architektur zu erkennen.“ Dies sei jenen ins Stammbuch geschrieben, die den alten Glaubensstreit „Flachdach versus Steildach“ aufwärmen.
Landschaftsgebundenes Bauen setzt das Erkennen der Qualitäten, der Vorzüge und Eigenheiten, aber auch der Herausforderung voraus, die ein Baugrund in der Landschaft ist. Dabei können geschulte Augen helfen. Den Bauwilligen ist eine tiefgehende innere Befragung ihrer eigenen Wohnbedürfnisse zu raten. Was daraus entstehen kann, wird passgenau – nimmt Rücksicht, fügt sich ein, entsteht mit der Natur. Steildach oder Flachdach? Zweitrangig.
Mit der Frage als Aufhänger, ob ein „Tiny House“ ins Ortsbild passt, wurde kurzerhand abgehandelt, wodurch, oder besser: womit ein harmonisches Bild in Orten und Landschaften gestört werden kann. Was ein erschöpfendes Thema für eine gründliche wissenschaftliche Abhandlung wäre, wurde da, munter durcheinandergewürfelt, nicht mehr als angerissen: die zunehmende Individualisierung Bauwilliger, das Auffallen, dem entsprechend sich nicht eingliedern wollen, der Wunsch nach dem Bauen auf der grünen Wiese, daraus folgend Zersiedelung und – das Flachdach. Nun sehe man aber langsam, dass bestimmte Bauformen sich tatsächlich „schwerer in ein harmonisches Landschaftsbild eingliedern“, wurde der neue Baukulturkoordinator im Amt der Steiermärkischen Landesregierung zitiert. Das Flachdach gehöre dazu. Der Experte vergleicht es mit Lärm, konnte man lesen. Ähnlich wie laute Musik könne es im Landschafts- oder Stadtbild auch visuelle Reize geben, die eine gewisse Grundharmonie stören.
Einiges von dem, was danach noch an möglicher Störung aufgezählt wurde, konnte ich ohne Einschränkung nachvollziehen: schrille Farben etwa und auffällige Werbemittel, als Werbungen tituliert. In hügeligen Gegenden störten besonders große Baukörper und Flachdächer eine gewisse Grundharmonie, stand da. Ersteres war mir zu pauschal, und die Behauptung, dass sich das Flachdach als Bauform in hügeliger Landschaft schwerer eingliedern oder einpassen lasse, war gar nicht nachvollziehbar. Ich war baff. Hatte meine Mutter mich vergeblich studieren lassen?
Schon in den ersten Semestern des Studiums hatte mich Frank Lloyd Wrights Kaufmann-Haus, das als „Fallingwater“ 1939 in die Architekturgeschichte einging, maßlos beeindruckt. Dieses Ferienhaus, das direkt über einem Wasserfall errichtet worden war, war nicht in der Natur, vielmehr mit der Natur gebaut. Eine einzigartige Synthese – trotz auskragender Terrassen und, ja, Flachdach. Die Eingliederung der Architektur in ihre Umgebung gelang mit präzise gesetzten Kontrasten: die großen Felsblöcke gegen die Linearität der horizontalen Stahlbetonbrüstungen, ihre Glätte gegen das Grobe des aufsteigenden Steinmauerwerks, das mit den Baumstämmen zu verschmelzen scheint. Wright soll von Harmonie gesprochen haben und meinte damit ein Ganzes: das Gebäude und seine Umgebung bis hin zur Pflasterung und Bepflanzung. Voraussetzung war für ihn neben der Berücksichtigung des menschlichen Maßstabs ein ehrfurchtsvolles Verständnis für die „Natur der Natur“. Das schrieb Dietmar Steiner im Aufsatz „Die Natur der Landschaft“, der sich in seinem Buch „Häuser im Alpenraum“ aus 1983 findet.
Bei Steiner finde ich auch ein österreichische Beispiel einer „bedingungslosen Einordnung des Baukörpers in die umgebende Landschaft und die natürliche Formation des Terrains“, das mich just zu einem Zeitpunkt während des Studiums begeisterte, als wir Bauforschung anhand historischer Bauten der landwirtschaftlichen Nutzung betreiben mussten. Es war das Haus Heyrovsky von Lois Welzenbacher, 1932 fertiggestellt. Bei all den Unterschieden, ja Gegensätzen zwischen den bäuerlichen Nutzbauten, für die wir damals präzise Aufmaß und Zeichnung erstellten, und dem Ferienhaus für die Familie eines Wiener Chirurgen auf dem Hang über dem Zeller See gab es auch Gemeinsamkeiten zu entdecken. Klar, die Städter hatten andere Bedürfnisse als die Bauern, die den Tag im Freien, in der Natur verbringen und sich abends in die warme Stube zurückziehen. Welzenbacher konzipierte das Haus auf die Vorstellung hin, Sonne und Natur gleichsam ins Haus zu holen. Es öffnet sich der Landschaft und den Himmelsrichtungen über einen großen Bogen, über Panoramafenster und den stufenlosen Übergang auf eine große, von Balkon beschattete Terrasse, die wiederum eingebettet ist in die sie umgebende Wiese. Das Haus wurde mit einem fast flachen Dach aus Blech gedeckt.
Gemeinsamkeiten mit dem Typus des südsteirischen Bauernhauses auf dem Hang? Doch! Nicht die Baumaterialien, nicht die Form des Baukörpers oder die Fenstergrößen lassen gedankliche Assoziationen entstehen, sondern generell die Haltung zur Landschaft und zum Hang. Das flache, horizontal betonte Haus Welzenbachers duckt sich gleichsam in eine Mulde des Geländes, zeigt talseitig zwei Etagen, bergseitig ein Geschoß weniger und dieses mit Holz verschalt. Bauernhäuser auf dem Hang wurden an windgeschützten Plätzen im Gelände positioniert, orientierten sich immer an den Höhenschichtenlinien und waren demnach schmal und lang. Nie hätte ein Bauer früher gemacht, was heute selbstverständlich scheint, wenn man in hügeligem Gelände baut: den Grund aufschütten, künstlich modulieren, ein für horizontales Terrain geplantes Haus draufsetzen – als wäre ganz Österreich wie die Niederlande.
August Sarnitz, der 1989 in Eigendefinition eine Werkgenealogie zu Welzenbachers Bauten verfasste, spricht beim Haus am Zeller See von organischer Architektur und interpretiert „organisch“ hier als die ideale Verbindung von Bauwerk, Material und Landschaft. Unser Experte würde diese vermutlich mit Grundharmonie bezeichnen. Moment mal, trotz des flachen Dachs? Dessen bin ich mir sicher, denn unser Experte ist in der Lage, Qualität zu erkennen. Er würde mit Sarnitz übereinstimmen, der schreibt: „Im Bereich des landschaftsgebundenen Bauens gelang Welzenbacher mit diesem Haus ein Meisterwerk, das in Europa zu jener Zeit einzigartig war.“
Lassen wir den scharfsichtigen, heuer viel zu früh verstorbenen Dietmar Steiner noch einmal zu Wort kommen, der zum selben Haus 1983 schrieb: „Die architektonische und künstlerische Qualität dieses Entwurfs ist auch nach fünfzig Jahren noch ein bleibender Vorwurf an jene, die das Bauen im Alpenraum an der Dachneigung bestimmt wissen wollen und außerstande sind, eine tatsächlich rücksichtsvoll in die Landschaft eingepasste Architektur zu erkennen.“ Dies sei jenen ins Stammbuch geschrieben, die den alten Glaubensstreit „Flachdach versus Steildach“ aufwärmen.
Landschaftsgebundenes Bauen setzt das Erkennen der Qualitäten, der Vorzüge und Eigenheiten, aber auch der Herausforderung voraus, die ein Baugrund in der Landschaft ist. Dabei können geschulte Augen helfen. Den Bauwilligen ist eine tiefgehende innere Befragung ihrer eigenen Wohnbedürfnisse zu raten. Was daraus entstehen kann, wird passgenau – nimmt Rücksicht, fügt sich ein, entsteht mit der Natur. Steildach oder Flachdach? Zweitrangig.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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