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Retten uns Holz und modulares Bauen vor der Klimakatastrophe?
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Holz als Baustoff? Das Forum am Seebogen in Wien Aspern zeigt, dass weder Materialien noch Technologie allein den Ausschlag geben. Entscheidend wäre systemisches Denken.

15. Juni 2022 - Christian Kühn
Die Seestadt Aspern bezeichnet sich gern als das größte Städtebauprojekt Österreichs. Im Endausbau sollen hier 25.000 Menschen wohnen und 20.000 Ausbildungs- und Arbeitsplätze angesiedelt sein. Die 3420 Aspern Development AG, die das Projekt entwickelt, steht im öffentlichen Eigentum, wobei der Stadt Wien 75 Prozent der Anteile gehören und der Bundesimmobiliengesellschaft 25 Prozent. Wer ein so großes Bauvolumen dirigiert, kann sich einzelne Experimente leisten, was die 3420 AG auch tut. Manche missglücken, wie etwa der Plan, einen Campus der Religionen in Verbindung mit einer Kirchlich-Pädagogischen Hochschule zu errichten: Das Projekt, für das schon ein Architekturwettbewerb stattgefunden hatte, scheiterte schließlich an der Finanzierung. Anderes gelingt, wie etwa ein Hochhaus namens HoHo, das sich als höchstes Holzhaus Österreichs bezeichnen darf, auch wenn es sich eigentlich um eine Mischkonstruktion mit hohem Holzanteil handelt. Auch das „Forum am Seebogen“ ist ein Sonderprojekt, bei dem Holz schließlich eine zentrale Rolle spielte. Ursprünglich ging es weniger um den Werkstoff, sondern um das modulare und damit schnelle Bauen. Die 3420 AG wollte mit dem Projekt vor allem testen, ob sich Bauzeiten und damit die Lärmbelastung der Anrainer drastisch auf sechs Monate reduzieren ließen. In der Projektentwicklung kann es laut 3420 AG sinnvoll sein, ein Baufeld vorerst frei zu halten, um es temporär anders, etwa als sozialen „Hub“, zu bespielen, bis die umliegenden Wohnbauten realisiert sind. Bei der Errichtung des „Schlusssteins“ kommt es dann auf kurze Bauzeiten an, um die Nachbarn nicht zu belasten. Den Namen „Forum“ erhielt das Projekt, weil es kein üblicher Wohnbau ist: Nur 80 Prozent der knapp 1800 m? Nutzfläche sind Wohnungen, der Rest Büros, die im Haus verteilt sind, und ein großes Lokal im Erdgeschoß, das bis Jahresende von der Internationalen Bauausstellung Wien als Quartierszentrum für den IBA-Standort Seestadt genutzt wird. Die unmittelbare Nähe des Bauplatzes zur U-Bahnstation prädestiniert ihn für eine solche halböffentliche Nutzung.

Im Bauträgerwettbewerb, der 2017 stattfand, mussten nicht nur – wie in Wien im geförderten Wohnbau üblich – Bauträger und Architekten gemeinsam antreten, sondern als dritten Partner den Hersteller der vorgefertigten Elemente mit Preisgarantie mitbringen. Dass am Ende alle Projekte der engeren Wahl in Holz konstruiert waren, ist bezeichnend für den aktuellen Trend. Das Image des Betons, der wahrscheinlich nach wie vor das größte Volumen an vorgefertigten Bauelementen produziert, ist schwer angeschlagen; mit Stahl assoziiert man in der Modulvorfertigung bestenfalls den Container als temporäre Unterkunft. Holz gilt dagegen als ökologischer, weil nachwachsender Baustoff.

Den Zuschlag für das Grundstück erhielt der Bauträger Familienwohnbau mit einem Projekt der Architekten Heribert Wolfmayr und Josef Saller, die gemeinsam als heri&salli firmieren, und einem Hersteller von Holzbauelementen. Das Projekt ist ungewöhnlich für einen Holzbau: Während üblicherweise tragende Holzelemente möglichst hinter einer Verschalung geschützt werden, zeigt dieses Haus sein Holzgerüst selbstbewusst nach außen und vermittelt den Eindruck, als ob es noch nicht ganz zu Ende gebaut wäre. Verstärkt wird dieser Eindruck durch zahlreiche Loggien, die aus dem quaderförmigen Baukörper herausgeschnitten sind. Das gibt dem Haus eine gewisse Leichtigkeit und „Lufthaltigkeit“; konstruktiv führen die pittoresken Holzrahmen und die schmucken Loggien allerdings zu schwierig lösbaren Details. Es ist nicht verwunderlich, dass der vorgesehene Hersteller recht bald aus dem Projekt ausstieg. Ein estnisches Unternehmen konnte zwar trotz weiter Transportwege im Preisrahmen anbieten, erhielt den Auftrag aber aus Gewährleistungsgründen nicht: Der Hersteller hätte die Elemente geliefert, aber nicht selbst montiert. Schließlich übernahm die steirische Firma Strobl Holzbau den Auftrag. Die Bauzeit betrug für den reinen Holzbau mit in der Fabrik vorgefertigten Elementen sechs Monate; die Errichtung der betonierten Teile – Erdgeschoß und den Erschließungskern mit Treppe und Aufzug – dauerte allerdings genauso lang.

Das Ergebnis sieht exakt so aus wie 2018 in den Wettbewerbsbildern versprochen, mit der Ausnahme der Loggien-Entwässerungen, deren Rohre die Fassade recht prominent überziehen. Ein Modell für die Zukunft ist das Projekt aber nur bedingt. Das beginnt bei der Konstruktion aus verleimten Brettsperrholz-Elementen, die sich wegen des Leimanteils nur schlecht recyclieren lassen. Außerdem ist der Preis dieser massiven Holzelemente in den letzten Jahren durch die große Nachfrage aus den USA dramatisch angestiegen. Dieser Anstieg wird inzwischen durch die generellen Preissprünge bei Baumaterialien etwas relativiert. Gewichtsreduktion und bessere Wiederverwertbarkeit sind im Bauen aber das Gebot der Stunde. Dass in Österreich und Deutschland Förderprogramme existieren, die Holzbauten mit einem Euro pro verbautem Kilo Holz fördern, ist ein Signal in die falsche Richtung.

Auch als Vorbild für serielles Bauen kann das Projekt in Aspern nicht überzeugen. Seine Ästhetik ist zu formalistisch, um die Kostenvorteile der Herstellung in der Fabrik auszunutzen. Die einmalige Komposition ist hier eindeutig wichtiger als die serielle Konstruktion. Drastische Einsparungen bei den Kosten lassen sich so nicht erreichen. Es gibt in Österreich einige Unternehmen, die radikale Modelle des seriellen Bauens verfolgen, etwa Gropyus, das gerade in Koblenz ein neungeschoßiges Wohnhaus mit 54 Wohnungen errichtet hat. Die Bauzeit vor Ort betrug elf Wochen, das einzig Bemerkenswerte an der Fassade sind die integrierten PV-Elemente. Bei Gropyus werden Häuser nicht entworfen, sondern am 3-D-Modell „konfiguriert“. Architekten verlieren hier ihre klassische Rolle; als Gestalter auftreten können sie bestenfalls in der Produktentwicklung.

Was das für die Architektur als Disziplin bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Werner Sobek, der renommierteste deutsche Bauingenieur und Leiter des Lehrstuhls für Leichtbau in Stuttgart, hat kürzlich in einem Interview für „Die Welt“ eine Zeitenwende für die Architektur verkündet, um die anstehenden Emissions- und Ressourcenprobleme zu bewältigen. Dazu braucht es eine andere Wahrnehmung von Gebäuden als Teil eines größeren Ökosystems, in dem Stoff- und Energiekreisläufe maßgeblich sind. Ob Holz, Beton oder Stahl das ökologisch bessere Material ist, lässt sich dabei nicht generell beantworten. Sobek provoziert mit der Empfehlung, Holz besser im Wald zu lassen, um dort CO? zu absorbieren. Beton hält er für unverzichtbar; er müsse aber in leichteren Konstruktionen und aus wiederverwerteten Zuschlagstoffen zum Einsatz kommen. Generell würden sich die Klimaziele aber nur durch Verzicht realisieren lassen, auch wenn das weder Politik noch Wirtschaft in dieser Klarheit zugeben möchten.

Zumindest die Energiekrise hält Sobek für ein temporäres Problem. Die Sonne liefere 10.000 Mal mehr Energie an die Erde, als für deren Versorgung benötigt werde. Sobald irgendwann um das Jahr 2050 keine Energie mehr durch Verbrennung gewonnen wird, käme es zu einer neuerlichen Umwertung aller Werte, bei der Materie durch die dann im Überfluss vorhandene Energie ersetzt werden könne. Wie wir die knapp drei Jahrzehnte bis dahin überstehen, ist eine andere Frage. Zu ihrer Beantwortung wird es nicht zuletzt eine grundsätzlich andere Vorstellung von Architektur brauchen, die in Kreisläufen denkt und ihren angeborenen Kompositionstrieb vor allem auf der systemischen Ebene zum Einsatz bringt.

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