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Profil

Isabella Marboe lebt und arbeitet als Architekturjournalistin in Wien. Die Architekturjournalistin studierte an der TU Wien und der Bezalel University in Jerusalem Architektur, nach ihrem Diplom absolvierte sie die katholische Medienakadamie und den Lehrgang Magazinjournalismus vom „Profil“. Weil Architekturmedien immer rarer und Journalismus immer schnellebiger wird, gründete sie ihr eigenes online medium www.genau.im
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Isabella Marboe schreibt regelmäßig für diverse Qualitätsmedien wie das „spectrum“ der Tageszeitung „die Presse“, die deutsche ,Detail', die DBZ, Piranesi, die renommierte Wochenzeitung ,die Furche', das niederösterreichische Kulturmagazin ,morgen’, verfasst Beiträge für die vom vai kuratierte Architektur-Beilage „Leben & Wohnen“ der Vorarlberger Nachrichten, sowie das niederösterreichische Magazin „gestalten.“
Sie war jahrelang leidende Redakteurin von architektur.aktuell und hatte in einer Co- Chefredaktion mit Dr. Sandra Hofmeister die deutsche Ausgabe von „domus“ konzipiert und geleitet.

Lehrtätigkeit

Lehrveranstaltung ,PR für Architekten' am Institut für Raumgestaltung und Entwerfen der TU Wien.

Mitgliedschaften

ögfa, ORTE Architekturnetzwerk, Presseclub Concordia

Publikationen

„Spectrum“ die Presse, „die Furche“, detail, dbz, „Leben & Wohnen“ in den VN, „der Plan“, „morgen“
„Bauen für die Gemeinschaft in Wien“, detail Verlag, Beiträge für Best of Austria

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Artikel

17. Dezember 2022 Spectrum

Das neue „Magdas Hotel“: Sozial mit einem Hauch Retro

Magdas Hotel ist umgezogen und wurde in einem ehemaligen Priesterwohnheim in Wien-Landstraße permanent heimisch. Das Projekt der Caritas erfüllt nun alle Auflagen an ein Hotel – und hat nichts von seinem Charme verloren.

Unweit von Wien-Mitte, einem Bahnhof mit Shopping-Mall und perfekter Flughafenanbindung, verläuft die Ungargasse: verstaubte Authentizität in Zentrumslage. Die Gastwirtschaft Zum alten Heller auf Nummer 34 musste schließen, das zweistöckige Biedermeierhaus wich einem Neubau: ein Wiener Schicksal für niedrigen Bestand ohne Denkmalschutz. Daneben verströmt der schwarze Wagen der Aevum Bestattung die Zuversicht alles Blankpolierten. Das morbide Klischee bröckelt – im Oktober eröffnete auf Hausnummer 38 Magdas Hotel, ein Social Business der Caritas. Auf dem Gehsteig stehen Pflanztröge, dazwischen rote Holzbänke, so viel Entgegenkommen hebt selbst an eisigen Tagen die Laune. Durch raumhohe Scheiben blickt man in einen hellen Raum voll reger Betriebsamkeit: Magdas Lokal.

Es ist Frühstückszeit, Fariba Gholami an der Rezeption ist herzerwärmend freundlich. Neun Lehrlinge gibt es, sie sind zwischen 16 und 30 Jahre alt, viele aus Syrien und Afghanistan. „In der Gastronomie herrscht Fachkräftemangel, wir integrieren Menschen mit Fluchthintergrund in den ersten Arbeitsmarkt“, so Gabriela Sonnleitner, Geschäftsführerin und Leiterin von Magdas Hotel. Das erste startete als Zwischennutzung in einem umgebauten Caritas-Pensionistenheim beim Prater. „Wir mussten mit ganz wenig Mitteln ein Haus einrichten und machten aus dieser Not einen Stil.“ Designer Daniel Büchel baute mit kreativem Witz einige halbierte Pensionistenheimstühle zu coolen Nachttischen um, kombinierte sie mit Vintage-Möbeln aus Carla-Lagern und Tischlerarbeit aus Caritas-Werkstätten. Das Zahlenverhältnis von Fachkräften zu Auszubildenden passte nicht gleich, Magdas lernte rasch, professionalisierte sich, wurde zur Erfolgsgeschichte.

Minimalistisches Gebäude

Das Haus in der Ungargasse 38 war von Dombaumeister Kurt Stögerer als Priesterwohnheim geplant worden, es hatte eine permanente Hotelgenehmigung. Seit Jahrzehnten realisieren BWM Architekten Hotels jeder Dimension und Kategorie, ein sozialökonomischer Betrieb war auch für sie neu. Partner Johann Moser leitete den Umbau; in einem gemeinsamen Workshop mit Magdas bestimmte man den Markenkern des Hauses, das immer ein Ort der Begegnung und Stille gewesen war. Aus der Traufkante ragt die Kapelle im sechsten Stock. Ein schöner Raum, leicht konisch zugeschnitten, die Decke strebt dem indirekten Licht über dem Altar zu.

Baujahr 1963, atmet der Stahlbetonbau den spröden Charme eines Nachkriegsjahrzehnts, in dem sich schon Zuversicht unter die Sparsamkeit mischte. Das Erdgeschoß ist zur Straße hin großzügig verglast, in den ersten zwei Stöcken wohnten Steinmetze der Dombauhütte und Gäste, darüber Priester. Zimmer mit Sanitärzellen an einem Mittelgang, rückseitig kleine Balkone. Die Einteilungen blieben, sonst ist alles neu: Haustechnik, Sanitär, Fluchtstiege, Lift.

Das Gebäude war sehr minimalistisch, die zeittypischen Ast-Moulin-Stegdecken hatten eine Betondeckung von gerade vier bis fünf Zentimetern. „Da bekam man schon beim Hinschauen Angst“, sagt Moser. Lang diskutierte man, ob der alte Estrich zu erhalten war. „Wir haben sogar überlegt, ihn zu schneiden, um Schallübertragung zu verhindern. Man weiß aber nie, ob die Trittschalldämmung brüchig ist. Wir hätten großen Aufwand treiben müssen und letztlich doch keine Gewähr.“ Gabriela Sonnleitner widerstrebte es, alten Beton zu entfernen, um neuen aufzubringen. Sie hatte aber keine Wahl: Einem mittelpreisigen Hotel verzeiht man keinen Lärm, auch wenn es ein sozialökonomischer Betrieb ist und Magdas heißt. Bei der Nachhaltigkeit muss die Bauwirtschaft noch viel lernen.

In den zwei Dachgeschoßen mit den marginal gedämmten Loggien lebten die Ordensschwestern, die den Betrieb am Laufen hielten, auf einer Ebene mit der Kapelle. Sie ist ein Teil des Hotels und für alle zugänglich, ein multikonfessioneller Raum für Taufen, Hochzeiten, Gebete. „Dieses Haus ist sehr spirituell“, sagt Moser. „Es hat einen ethisch-moralischen Hintergrund. Daher sind die Zimmer zurückhaltend, ohne überbordendes Dekor.“ Auf die Gangwände zeichnete die Künstlerin Michaela Pollacek leichthändig wolkig-organoide Strukturen. 85 Zimmer mit 117 Betten gibt es, die Einrichtung ist schlicht, aber aufmerksam. Weiße Wände, Glastür auf die Loggia, die Betthäupter waren einmal Kastenmöbel. Sie verströmen originales Flair, die Fernseher verschwinden in einem kleinen Kasten an der Wand. „Tabernakel“, scherzt Moser.

Bescheidene Eleganz

In Anordnung und Design des Bades zeigt sich die Erfahrung der Architekten: Nur eine halbhohe, innen weiß gekachelte Wand trennt Waschbecken und Dusche vom Raum, so wirkt er viel großzügiger. Wem das zu exponiert ist, der zieht einen hellgrauen Vorhang zu. Einzig die fünf Suiten inszenierte Daniel Büchel etwas opulenter. Da findet sich schon ein Rosenpolster auf einem Sofa. „Ein Merkmal dieser Architektur ist ihre sparsame, bescheidene Eleganz“, sagt Moser. Der Terrazzo mit der dunkelgrün-schwarzen Maserung im Foyer blieb, auch die Stiege mit dem geschwungenen Geländer und die runden Säulen. Ihre Farbigkeit bestimmt die Gestaltung in Magdas Lokal, das für alle offen ist. Wo im Hof früher ein Parkplatz war, gibt es nun einen kleinen Schanigarten mit 60 Sitzplätzen, Autos stehen in der nahen Parkgarage. „Nachhaltigkeit war sehr wichtig. Da gaben uns Magdas Leute Nachhilfeunterricht: Viel wurde saniert“, sagt Johann Moser.

Bernhard Raftl adaptierte das einstige Rezeptionspult zur Bar, 277 Leuchten aus dem Priesterheim setzten die Materialnomaden, die auf Upcycling spezialisiert sind, zur Wiederverwendung instand. Die Holzverkleidung der Nischen an der Stirnseite des Lokals war einmal Teil eines Beichtstuhls. 124 Lampenschirme wurden von Menschen mit Behinderung in der Caritas-Werkstatt Retz händisch mit Fäden umwickelt. Upcycling bedeutet hier nicht billig.

Bei Magdas begegnen Designer und Handwerker alten Gegenständen mit neugierigem Interesse und Respekt. Sie bemessen damit Wert und Nutzen neu. Diese Haltung stiftet Identität, erfordert Zeit und belohnt mit Glaubwürdigkeit. Sie bestimmt auch den Umgang mit den Menschen im Haus. Die 115 Sessel von Franz Schuster aus dem alten Magdas, an denen die Caritas-Werkstätte Retz ein Jahr renoviert hat, stehen nun in Magdas Lokal. Der Raum wurde großzügig geöffnet, die Bänke sind neu, von BWM entworfen und mit gemusterten Backhausen-Stoffen in rot-orange-braunen Tönen überzogen: ein Hauch Orient, wie in den Seminarraumnamen und auf der Speisekarte. Im Lokal können 90 Menschen sitzen, rund 40 arbeiten im Hotel. „Etwa ein Viertel hat bei uns gelernt“, sagt Sonnleitner stolz.

23. November 2022 Spectrum

Kunst, wo einst die Obdachlosen schliefen

In Ljubljana wurde eine denkmalgeschützte ehemalige Zuckerfabrik und Militärbaracke zur Galerija Cukrarna umgebaut. Die Stadt weiß um ihr architektonisches Erbe: Es bestimmt nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft der Stadt.

Die Cukrarna in Ljubljana ist ein mächtiger Bau. Jeder kennt sie. Jahrzehntelang eine Ruine mit abgeschlagenen Mauern, leuchtet sie nun frisch verputzt in der Sonne. 85 Meter lang, 25 Meter hoch, thront sie am Südufer der Ljublanica. CU-KR-AR-NA steht auf den Türblättern aus Schwarzstahl, in den hellen Putz sind die Fugen eingeritzt, reduziert und edel. Südseitig ragt ein Mittelrisalit etwa zehn Meter aus dem Gebäude, seine sattelbedachte Stirnseite wendet je sechs Fenster und drei große Torbögen dem südlichen Hinterland zu. Das coole, zweigeschoßige Museumscafé mit Bühne und Bar ist ein angesagter Ort, viele Tische stehen draußen auf dem neu gestalteten Platz mit den Sitzstufen. So bleibt das Museum offen für die Stadt.

2009 gewannen die slowenischen Architekten Scapelab den internationalen, offenen Wettbewerb zur Sanierung der einstigen Zuckerfabrik mit einer radikalen Idee. Sie entkernten den denkmalgeschützten Bestand bis auf die Außenmauern und stellten eine weitgehend autonome Struktur so in den leeren Raum, dass dessen gewaltige Dimensionen spürbar bleiben. Aus einer einsturzgefährdeten Ruine wurde ein Ort für zeitgenössische Kunst aller Sparten: die Galerija Cukrarna. 1828 errichtet, war die Cukrarna eine der ersten und größten Fabriken in Slowenien. 1845 brannte sie bis auf die Außenmauern nieder. Damals floss so viel Zucker in die Ljublanica, dass ihr Wasser tagelang süß schmeckte, das Feuer brannte sich tief ins kollektive Gedächtnis ein. Danach war sie Tabak-, Textilfabrik, Militärbaracke, letzter Zufluchtsort für Gestrandete und Obdachlose. In den 1920er-Jahren lebten auch Dragotin Kette und Josip Murn hier, zwei Dichter der slowenischen Moderne, die einen Bauerndialekt zur Kultursprache transformierten.
Das Ziel: ein leeres Gebäude

Die Cukrarna ist weit mehr als Industriedenkmal, sie ist ein Stück Identität. In den 1960er-Jahren verhängte man ein Betretungsverbot, in den 1980er-Jahren wurde auch das Ufer gesperrt, in den 1990er-Jahren scheiterte ein Investor am Bau eines Einkaufszentrums. Die Stadt kaufte die Curkrarna zurück, sie verfiel weiter. „Die Geschoße waren keine 1,90 Meter hoch, wir probierten viel aus – nichts passte in dieses Gebäude“, erzählen Marko Studen, Jernej Šipoš and Boris Matić von Scapelab. „Da sagte einer von uns: Es sollte leer sein.“

Blieb noch die Frage, wie sich genug Flächen schaffen ließen, ohne die Idee der Leere zu verlieren. Und wofür? Kunst schien ideal, sie passte zu Wesen und Geschichte der Fabrik. „Wir beschlossen, Ausstellungsräume in zwei Volumen aus Stahl in den leeren Raum zu stellen und ein neues Untergeschoß zu errichten, um mehr Raum zu generieren.“

Die Cukrarna liegt an einer Schlüsselposition am Ufer der Ljublanica. Jože Plečnik, der beste Schüler in Otto Wagners Meisterschule, hat sie souverän und kunstvoll mit der urbanen Topografie verwoben. 2021 nahm die Unesco „Die Werke von Jože Plečnik in Ljubljana – am Menschen orientierte Stadtgestaltung“ in die Liste des Welterbes auf. Unweit seines Stauwehrs mit den korinthischen und dorischen Pilastern, das den innerstädtischen Wasserstand reguliert, führt die Roška-Straßenbrücke mit Fußgänger- und Radsteg über den Fluss. Sie war sehr teuer, aber wesentlich für die Weiterentwicklung der Stadt und wurde daher – wie die Cukrarna – von der EU gefördert.

Die Brücke ermöglicht ein autofreies Zentrum, weil sie den Verkehr umlenkt und das östliche Entwicklungsgebiet anbindet. Sie setzt unmittelbar neben der Cukrarna auf, so knapp, dass ihre Untersicht das Trottoir vor deren Stirnseite trocken hält. Hier passieren viele, zu Fuß, per Rad und Skateboard, hier liegt der Eingang. Der Eintritt ins Foyer ist frei, was für ein Raum!

Das Erdgeschoß ist über seine gesamte Breite und 80 Meter Länge hinweg leer, geschoßhoch schwebt über dem frei stehenden Empfangspult eine weiße, gepunktete Decke. Dahinter öffnet sich ein haushoher Raum, perfekt geschalte Wände aus Sichtbeton, perforiert von kleinen Fenstern. In der Mitte schwebt ein abstraktes, aus vertikalen und horizontalen Kuben komponiertes Volumen über dem Raum, das mit einem schmalen, vertikalen Baukörper auf dem polierten Betonboden aufsetzt: das Stiegenhaus mit Lift, ganz in Rot. Es ermöglicht, dass die Galerien in Quer- und Längsrichtung wie schwebend wirken, und reduziert die Spannweiten auf etwa 30 Meter in jede Richtung.

Black Boxes für viel Hängefläche

Der Bau war eine ingenieurtechnische Höchstleistung. Die Außenmauern konnten sich trotz Betoninjektionen nicht mehr selbst tragen, sie mussten von außen mit einem Gerüst gestützt werden. Nachdem alle Zwischenmauern und Decken im Inneren abgebrochen waren, zog man einen Stahlbetonring um die Wände, damit sie nicht zusammenbrachen. Bevor der Keller ausgehoben werden konnte, mussten die alten Außenwände mit Stahlspunden im Erdreich verankert werden. Sobald das neue Fundament trug, konnte man die Innenschale aus Sichtbeton errichten, die mit den alten Mauern verbunden ist. Nun erst waren sie stark genug, die neue Dachkonstruktion aus Stahl zu tragen, von der die Galerien abgehängt sind. Sie berühren den Wandhybrid aus Bestand und Sichtbetonscheibe nur punktuell mit einer Fachwerkkonstruktion aus weißem Stahl. Der Schlitz dazwischen ermöglicht, dass man den Umriss des Raumes zur Gänze wahrnehmen kann.

Die Raumstruktur aus Stahlfachwerken ist mit einer perforierten Aluminiumhaut verkleidet. Sie absorbiert Schall, verdeckt die Elektrik, ist als Aufhängung für Scheinwerfer geeignet, kleidet die Raumstruktur einheitlich in Weiß mit schwarzen Punkten und wirkt wie eine riesige, abstrakte Skulptur. Im Inneren befinden sich klassische Black Boxes, die viel Hängefläche bieten und sich mit Leichtbauwänden beliebig unterteilen lassen. Das neue Volumen besteht aus drei Ebenen: In der ersten und niedrigsten, dem Mezzanin, befindet sich im langen östlichen Bauteil die Bibliothek, in seinem westlichen, fast quadratischen Pendant ein Seminarraum; im Mittelristalit ist der Luftraum der Bar. Die zwei darüberliegenden Ebenen gehören der Kunst. Die unterschiedlich proportionierten neutralen Black Boxes oder White Cubes eignen sich perfekt für Ausstellungen; die Verbindungsspange an der Nordseite bietet 75 Meter Hängefläche, ein Steg führt zu den Büros im Mittelrisalit. Die Regale der Bibliothek im Mezzanin entwarf der Künstler Tobias Putrih, selbst die Toilette im Keller mit dem trogartigen Nirosta-Waschbecken ist höchst ästhetisch.

Ljubljana weiß um sein architektonisches Erbe – es bestimmt nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft der Stadt. Die Galerija Cukrarna ist unbedingt eine Reise wert.

3. September 2022 Spectrum

Trutzburg für Mutter und Kind

Die Architektur der Postmoderne kommt ins sanierungsbedürftige Alter. Das Haus Mutter & Kind der Caritas in Feldkirch aus den 1980er-Jahren ist so ein Fall. Die Architekten versuchen, vorhandene Potenziale zu erkennen und die spezifische Architektursprache zu wahren.

Der Ort ist mystisch. Von hohen Bäumen verdeckt, hockt ein eigenwilliges Gebäude am Rosamichlweg 12 in Feldkirch. Das Haus Mutter & Kind der Caritas. Im Nordwesten fällt unmittelbar davor schluchtartig ein stark bewaldeter Felshang bis auf eine Straße ab, die Hohle Gasse heißt. Im Nordosten verwandelt sich das schroffe Biotop in eine bukolische Landschaft. Kaum jemand kannte Ort und Bau, obwohl er unweit des Landeskrankenhauses liegt.

Nur einige ältere Leute aus der Nachbarschaft erinnern sich an das Gasthaus Carina, das bis in die frühen 1960er-Jahre dort stand. Damals arbeiteten viele Österreicherinnen in der Schweiz. Wurden sie schwanger, schob man sie ab. Ordensziel der Schwestern vom Guten Hirten (RGS ) ist es, Frauen, Mädchen und Kindern in Not vorbehaltlos zu helfen. 1957 ersuchte sie der damalige Landeshauptmann, Ulrich Ilg, ein Heim zu eröffnen. Im selben Jahr bauten sie den Gasthof zum Haus St. Michael um, wo sie bis 1982 rund 700 vertriebene Schwangere und 900 Kinder betreuten. Das Haus platzte aus allen Nähten.

Karl Müller, der Architekt ihres Vertrauens, hielt eine Sanierung für unmöglich, sie wagten einen Neubau. Er sollte in drei Etappen um damals 25 Millionen Schilling errichtet werden. Zuerst das Haupthaus für Frauen, Kinder und Schwestern, dann Nebenräume und Kapelle, zuletzt eine Pulmologie für das nahe Landeskrankenhaus. 1985 bezogen die Schwestern den ersten Trakt, als die Kosten nach der zweiten Etappe 33 Millionen Schilling erreichten, stoppten sie den Bau, die dritte Phase blieb unvollendet. 1990 übernahm die Caritas die professionelle Sozialarbeit, 1999 auch die Trägerschaft der Wohngemeinschaft Mutter-Kind, 2004 die ganze Liegenschaft.

Die Architekten Hermann Kaufmann, Andreas Postner und Konrad Duelli hatten schon in ihrem Projekt „Transfer Wohnraum Vorarlberg“ mit sozial intelligenter, solider Architektur auf die akute Problematik hoher Wohnungspreise und unwürdiger Flüchtlingsunterkünfte reagiert. 2018 beauftragte die Caritas die drei mit einer Machbarkeitsstudie für das Haus Mutter & Kind, das man nicht einfach abwohnen wollte. „Wir haben an die 25 soziale Nutzungsvarianten geprüft“, sagt Postner. Der angedachte neue Wohnbau für Jungfamilien hätte einer Tiefgarage bedurft, allein der Abbruch kostet rund eine Million Euro. Unfinanzierbar.

Insgesamt bringt es der Bestand auf etwa 3000 m? Bruttogeschoßfläche. Das ist kaum zu bewältigen, umso mehr als seine Trakte sehr verschieden sind. Daher beschlossen die Architekten, nur den Mittelteil zu sanieren und den Rest später zu bearbeiten. Gestaltungsbeirat und Bundesdenkmalamt stimmten zu, Postner und Duelli übernahmen die weitere Planung.

Das eigenwillige Haus von Architekt Müller verstört und fasziniert gleichermaßen. Hier stimmen Trafo, Garage und Lagerraum auf die Kapelle ein, die symmetrisch komponierte Eingangsfassade ist eine individuelle Spielart der Postmoderne, die Inszenierung der Balkone zwischen Kolossalsäulen erinnert an Raimund Abraham. Im ersten Untergeschoß verwies eine überdimensionierte Küche mit Kühlraum auf die projektierte Pulmologie, die nie zustande kam.

Die Einreichung ist genehmigt, 18 Wohnungen für das Haus Mutter & Kind und Jungfamilien sind bewilligt, schadhafte Bäume gerodet, vor zwei Jahren begannen erste Baumaßnahmen, die Untergeschoße sind ausgehöhlt, die ersten Einheiten im Erdgeschoß fertig. Im ersten und zweiten Stock leben begleitete Mütter mit ihren Kindern. Sie bleiben durchgehend hier, die Baustelle wird gewissenhaft abgesperrt. In Kalenderwoche 37 kommen die ersten Fenster, neun Wochen später werden sie montiert sein.

„Dieses Haus ist nicht umzubringen, das steht in hundert Jahren noch. Es ist auf Fels gebaut und hat keinen einzigen Riss“, so das Resümee der Architekten. Eine Trutzburg im Hang, mit eigenwilligen Erkern, die sich als sachte Ovale oder Dreiecke aus der Wand stülpen, tonnenweise Stahlbeton. Der massive Kern dieser Architektur ist unkaputtbar, alles weitere am Ende seiner Lebenszeit. In die Putzfassade haben Spechte große Löcher geklopft, zur Abschreckung brachte man schwarze Spechtattrappen an. Vergebens. Die Wände sind mit fünf Zentimeter Styropor für heutige Verhältnisse katastrophal schlecht gedämmt, die Heizkosten – erst Öl, dann Gas – exorbitant, die Eingangssituation bedrückend. Ein weiß gestrichenes Kreuzgewölbe aus Stahlbeton zitiert ein Klostermotiv, die Materialität ist typisch 1980er-Jahre. Braun gesprenkelte, diagonal verlegte Fliesen, der militärgrüne Lift steht um 45 Grad verdreht zwischen weißen Stahlbetonsäulen so, dass man fast hineinläuft. Dahinter führt eine Wendeltreppe nach oben, tapfer kämpft das Wort „Willkommen“ gegen die räumliche Enge an.

„Man muss sich mit dem Gebäude beschäftigen, um Liebe dazu zu entwickeln“, sagt Duelli. Über den Umgang mit sanierungsbedürftigen Bauten der Postmoderne gibt es stark divergierende Ansichten, die Epoche kennt viele Ausformungen. Die Architekten verfolgen die Strategie, vorhandene Potenziale zu erkennen und die spezifische Architektursprache zu wahren, wo sie Identität stiftet. Am nordöstlichen Ende des Gebäudes mündet eine Stiege auf ein Podest, das auf dreigeschosshohen, schmalen Sichtbetonstützen auf Tuchfühlung mit den Bäumen geht. Eine surrealistische Situation, deren Erhalt wärmebrückentechnisch eine Herausforderung ist.

Im Endausbau wird es im Untergeschoß eine Studierenden-WG, im Dachgeschoß vier, im ersten Stock sechs und im zweiten Stock vier Startwohnungen für Mütter und Kinder geben, dazu auf jeder Ebene einen Aufenthaltsraum und Büros für die begleitende Sozialarbeit, im ersten Stock eine Lehrküche. Die beliebte Dachterrasse mit dem tollen Ausblick wird saniert und um eine Veranda ergänzt, damit man auch bei Schlechtwetter im Freien sitzen kann. Vier 2020 neu sanierte Wohnungen im Erdgeschoß, „in denen du einfach ganz modern und schön leben kannst“ werden schon von Müttern und derzeit auch Vätern und ihren Kindern bewohnt. Sogar ungebrauchte Designermöbel von Charles und Ray Eames und Konsorten stehen drin – Restbestände, die Möbel Reiter gespendet hat. In jeder Wohnung andere. So geht Würde.

15. Juli 2022 Spectrum

Die Utopie wohnt in Simmering

Wenn der Sozialbau auslässt, tun sich Privatpersonen zusammen, um einen Lebensentwurf umzusetzen: In Wien-Simmering entsteht gerade ein Projekt, das nicht nur leistbares Wohnen bietet, sondern auch Platz für ein Trainingszentrum, Werkstätten und eine Töpferei

Die Simmeringer Peripherie ist für die meisten ein weitgehend unbekannter Kontinent. Zwischen Zentralfriedhof und Alberner Hafen spannt sich ein disperses, ruppiges Stück Stadt auf. Im weitmaschigen urbanen Gewebe aus sozialem Wohnbau, Gewerbe, Industrie, Transport, Kleingärten, Landwirtschaft, Glashäusern und Dorfrelikten finden sich noch Nischen, die in kein gängiges Immobilienportfolio passen. Die Rappachgasse besteht aus einer oberen Haupt- und einer unteren Nebenfahrbahn auf abgesenktem Niveau. Dort wird auf einem etwa 3300 Quadratmeter großen Grundstück ein utopischer Lebensentwurf gerade Wirklichkeit. „Schlor – Schöner Leben ohne Rendite“ nennt sich die Gruppe von derzeit 15 Menschen, die hier gemeinsam ein beachtliches Projekt umsetzt.

Begonnen hatte alles mit einer großen Wohngemeinschaft, die als letzte Partei einen unbefristeten Mietvertrag in einem Altbau im siebten Bezirk hatte. Das Haus stand vor einer Renovierung, die Gruppe nahm die Abschlagszahlung des Eigentümers an, zog aus und machte sich auf die Suche nach einem Objekt in Gürtelnähe, um dort gemeinschaftlich zu wohnen. Immer deutlicher zeigte sich, dass ihr Startkapital für den Kauf einer Immobilie bei Weitem nicht reichte. Die Ersten sprangen ab, Neue stießen dazu, die Gruppe erfuhr vom „Habitat“. Sie beschloss, Teil dieses Netzwerks zu werden, das 2014 nach deutschem Vorbild in Österreich gegründet wurde.

Dort gibt es das Mietshäuser-Syndikat schon seit den 1980er-Jahren: Eine Gruppe erwirbt eine Immobilie und zahlt mit den Mieteinnahmen die Kredite zurück. Das Haus wird nie veräußert, es bleibt im Besitz der Gruppe und des Syndikats. „Im Gegensatz zu Genossenschaften braucht man im Habitat keine Eigenmittel“, erklärt Rainer Hackauf, Mitinitiator von Schlor und Mann für die Öffentlichkeitsarbeit. Im Schnitt führt er monatlich drei Interessierte durch das Areal, Architekten, Soziologen, Philosophen, Ökonomen. „Wir wollen zeigen, dass man die Dinge anders machen, selbstverwaltet bauen, solidarisch ökonomisch wirtschaften und leistbaren Wohnraum schaffen kann, der niederschwellig zugänglich ist.“

Zwei Jahre auf Grundstückssuche

Im Habitat ist jede:r Mieter:in, die Bauten und der Grund gehören der Schlor GmbH, deren Gesellschafter zu 49 Prozent die Wohngemeinschaft und zu 51 Prozent das Habitat sind. Sobald ein Haus abbezahlt ist, fließen Teile der Einnahmen in das Netzwerk, das Habitat-Projekte ermöglicht, Immobilien zu erwerben, und diese so dem Markt entzieht. Auch als Anlageform ist das Modell interessant: Unterstützer zahlen einen Direktkredit zwischen 500 und 50.000 Euro zu einem Zinssatz von bis zu 1,5 Prozent ein. 280 Menschen haben das bei Schlor getan und so 45 Prozent der Bausumme von 4,7 Mio. Euro finanziert. Hierzulande gibt es sieben Habitat-Projekte. Das Linzer Altstadthaus „Willy Fred“ war 2015 der Pionier, neben Wohnungen gibt es dort Kulturvereine und einen „Kost-nix-Laden“. In Wien ist das ökologische Passivhaus „Bikes and Rails“ von Architekt Georg Reinberg das erste. Nun Schlor: „Es ist bei Weitem das komplexeste Habitat-Projekt“, sagt Architektin Gabu Heindl. Zwei Jahre suchte die Gruppe ein Grundstück, nichts war leistbar; dann fand sich das abgesenkte Zirkusareal in der Rappachgasse. Die Chemie zum Vorbesitzer stimmte, ein Großteil der Gruppe verliebte sich sofort in den Ort, der Charme und einen Hauch von Anarchie verströmt.

Im Westen die Zufahrtsstraße, im Norden die Stallungen des „Fiaker Paul“, im Süden das Kfz-Service Trimmel. Im Osten eine steile, dicht bewaldete Böschung zum Bahndamm der ÖBB. Auf dem Grundstück: die 500 Quadratmeter große Trainingshalle von TRAP (Trainingszentrum Rappachgasse) – vormals der „Phoenix Fire Dancers“, die von einem eindrucksvollen Träger stützenfrei überspannt wird. Drei Tonnen können ihre Aufhängepunkte tragen, das schafft kaum eine andere Halle, viele Artist:innen trainieren hier. Die Halle wird L-förmig von Büros und Lagerräumen gerahmt, an der westlichen und nördlichen Grundgrenze gibt es zwei weitere Trakte. Das Grundstück ist als Gemischtes-Baugebiet-Geschäftsviertel gewidmet, die Gruppe wusste nicht, ob man dort überhaupt wohnen konnte. Sie wandte sich an Gabu Heindl Architektur. Das Büro zeigt ein vertieftes Interesse an Alternativen zum privaten Wohnbau. „Diese Gruppe wollte nicht nur ein Gemeinschafts-, sie wollte auch ein Habitatsprojekt umsetzen“, sagt Heindl. „Für mich ist das eine sehr schöne Aufgabe, man unterstützt damit eine gute Entwicklung.“ Das bedingt auch ein anderes Rollenverständnis. „Ich begleite die Gruppen, schaue mir den Bestand an, evaluiere das Grundstück und überlege mir einen Nutzungsmix.“

Grasbausteine statt Asphalt

Diesmal gab es viel Neuland: Gewerbegebiet, Wohnen und Arbeiten, Bauen mit Bestand, Habitat, selbstverwaltetes, gemeinnütziges Unternehmertum. Laut Gesetz zählen zu jedem Gewerbebetrieb zwei Wohnungen – für die Betriebsleitung und -aufsicht –, summa summarum gibt es hier nun ein Drittel Wohnen, zwei Drittel Gewerbe.

Die Prämissen beim Bau waren klar: so viel nutzen wie möglich, so viel erneuern wie nötig, ökologische Materialien, soweit ökonomisch sinnvoll, Fotovoltaik auf dem Dach, um drei Viertel des Strombedarfs zu decken. Künftig sollen die Asphaltflächen mit Grasbausteinen entsiegelt werden. Der Trakt im Osten war nicht mehr zu retten, Ende 2019 wurde er abgerissen. Hier ist gerade ein Holz-Stroh-Lehm-Bau im Entstehen: das Haus mit den Betriebswohnungen. Vom Trakt im Westen blieb das Erdgeschoß erhalten, eine Stahlbetondecke stabilisiert die Statik; darauf wurde ein Holzbau aufgestockt, der mit Zellulose gedämmt und innen mit Lehm verputzt ist.

Dieser Teil des Projekts (CRAP – Creativcluster Rappachgasse) ist so gut wie fertig, rund um die Halle entstehen noch Veranstaltungsräume. Im Atelier am Eck wohnt Gesa Pielok mit zwei anderen – die lehmverputzten Räume sind hell, freundlich und kühl. „Den Innenausbau haben wir selbst gemacht.“ Gesa war in der Baugruppe, am Laubengang vor Ateliers und Werkstätten stehen Tische und Pflanzen und sitzen Bewohner:innen. Im Erdgeschoß gibt es einen Proberaum, eine Holz- und Metallwerkstatt, Platz für Fahrradreparatur, darüber eine Töpferei. Die Zirkushalle wird als TRAP bestehen bleiben, auf dem Parkplatz dahinter kann man das Leben im Wohnwagen austesten. Die Halle muss saniert werden; de facto bleiben nur Boden und Sockel, darüber Holz statt Blech. Ihre Finanzierung ist die nächste Herausforderung, die Chancen auf Förderungen stehen gut: Kulturelle Angebote sind rar in Simmering, der Bezirk freut sich über Schlor. Die Stadtlage ist weit besser, als man denkt: Wirklich alle fahren hier mit ihren Fahrrädern.

13. Mai 2022 Spectrum

Wien-Wieden: Graue Zone Innenhof

In einem Innenhof im vierten Wiener Gemeindebezirk soll eine alte Kfz-Werkstatt einem Projekt mit unterkellertem Hotel weichen. So bleibt das Gewerbe in der Stadt – und macht trotzdem nicht froh.

Ein Innenhof in Wien-Wieden: Sein repräsentatives Entrée liegt an der Wiedner Hauptstraße 52, das Haus wurde 1846/47 als Heinrich Mayer's Hotel und Restauration „Zur grünen Weintraube“ errichtet. Im Hof saßen bis zu 400 Menschen unter den Bäumen, zehn Kellner bildeten die „Gartenbrigade“, auf Gastlichkeit folgte das Automobil. 1957 planten die Architekten Löschner & Helmer eine Kfz-Werkstätte, die Friedrich Achleitner in seinen Architekturführer aufnahm. „Die Kfz-Reparaturwerkstätte besteht aus einem Schnellservicedienst und einer großen Reparaturhalle, die 30 Meter frei gespannt als Stahlbeton-Bogen-Shedhalle ausgebildet ist. Die leichte und kühne Konstruktion, aber auch das hauchdünne Schalendach im Hof vermitteln etwas vom zukunftsweisenden Zeitgeist der späten 1950er-Jahre.“ Heute ist hier das Autohaus Wiesenthal, es gibt eine Durchfahrt in den Hof und „Service in the City“. Sehr praktisch, doch Kfz-Werkstätten sterben aus, längst verglühte zukunftweisender Zeitgeist im Klimawandel. Nähme man Letzteren ernst, wären Innenhöfe radikal zu entsiegeln, zu begrünen und die kluge Nutzung von Bestand jedem Neubau vorzuziehen. Stichwort graue Energie, vom (bau)kulturellen Wertverlust ganz zu schweigen.

Im Jahr 2018 erwarb die JP Immobiliengruppe das Haus mitsamt Hof. Dessen südliche Grundgrenze verläuft in zweiter Reihe der Blockrandschicht entlang der Großen Neugasse, nach etwa 60 Metern mündet die Mostgasse ein, dahinter liegt die Shedhalle. Im März 2021 zeichneten Architekt Martin Mittermair und HOT Architektur den ersten Einreichplan, im Dezember 2021 wurde der Anrainerschaft eine „Verständigung gemäß § 70 Abs. 2 der Bauordnung für Wien“ per RSb-Brief zugestellt. Für „Sanierung bzw. Umbau des Straßengebäudes sowie die Errichtung eines unterkellerten Hotels im Hofbereich“ lag ein Ansuchen um Baubewilligung vor, drei Wochen waren Akteneinsicht und schriftliche Einwendungen möglich.

Petition mit 699 Unterschriften

Die Architekten Josef Reich und Iris Karminski, beide wohnen in der Großen Neugasse, nahmen Einsicht. Das Bauvorhaben bringt es auf über neun Meter Höhe, 254 Mikro-Appartements, Tiefgarage. „Gegen betreutes Wohnen hätte ich nichts“, sagt Reich. Karminski sieht von ihrem Fenster auf das Sheddach der Halle – kein berauschender Anblick, aber: nicht höher als 7,50 Meter, an den Grundgrenzen wachsen eine Pappel und ein prächtiger Maulbeerbaum. „Man hört hier morgens und abends die Singvögel. Von dieser Baumreihe werden alle fallen“, meint sie. Reich fürchtet tiefgaragen- und zulieferungsbedingten Verkehr. Beide informierten, koordinierten, verteilten Flugzettel und starteten die Petition „Keine Immobilienspekulation in Wiener Innenhöfen – Stadtplanung im Sinne der Bewohner“ mit 699 Unterschriften. Man kontaktierte Medien, beauftragte einen Rechtsanwalt. „Seine Bürgerrechte durchzusetzen ist Sisyphusarbeit“, sagt Karminski.

Der Hof hat 5970 Quadratmeter Grundfläche, 70 Prozent sind bebaubar, 7,5 Meter Bauhöhe vorgeschrieben, Flachdach. Die Widmung ist Gemischtes Baugebiet-Geschäftsviertel, auch Beherbergungsstätten und Hotels fallen darunter. „JP Immobilien ist in ganz Europa sehr erfolgreich als Hotel Developer tätig. Natürlich auch in Wien“, sagt Jürgen Wagner, Bereichsleiter Projektentwicklung der JP Immobiliengruppe. Kürzlich schloss „Das Triest“, eines der ersten Designhotels Wiens, seine Pforten – Covid 19 traf die Stadthotellerie ins Mark. Braucht es da noch mehr? „Vor Covid buchten rund 1,4 Milliarden Menschen pro Jahr ein Hotel, davon die Hälfte in Europa.“ Keine schlechte Basis, also baut die JP Immobiliengruppe nun in der Wieden die „Marktposition unseres europaweiten Hotelportfolios nachhaltig aus“. Architekt Martin Mittermair plant Sanierung, Um- und Ausbau der Wiedner Hauptstraße 52. Das leere Haus wird hofseitig bis zur Mittelmauer entkernt und bis zur Fluchtlinie verbreitert, im Erdgeschoß soll es Restaurant und Bar geben, darüber 49 Wohneinheiten. Wo das Schalendach war, dockt am Bestand ein neuer, L-förmiger Bauteil an, der bis zur Mostgasse reicht und einen Grünraum einfasst. Sein Grundriss: Mittelgang, rechts und links je ein Zimmer mit Nasszelle, dazu eine kleine Loggia. Der Zugang an der Mostgasse wird zur Tiefgaragenabfahrt mit 88 Plätzen. Viele haben hier den Hof gequert, das Autohaus Wiesenthal hat diese nachbarliche Praxis geduldet. Adieu, Schleichweg.
Bauen emotionalisiert

„Derzeit ist die Fläche zu 100 Prozent versiegelt, in unserem Projekt gibt es Wiese und Bäume“, sagt Mittermair. „Begrünung ist ein städtebaulicher Schwerpunkt, wir haben 40 bis 50 Zentimeter Humusschicht auf unseren Flachdächern.“ Dazu Fotovoltaikpaneele. Parallel zur Wiedner Hauptstraße setzen HOT Architekten statt der Shedhalle zwei weitere Riegel in den Hof: Mikro-Appartements nach dem Prinzip wie oben. Die Werkstatt verbaute 3970 Quadratmeter Grund, das neue Projekt 3690; gesamt schafft es 8400 Quadratmeter Nettonutzfläche.

„Der Architekt als Planer und wir als Bauherren kennen die Bauordnung und befolgen sie akkurat“, sagt Wagner. Die maximale Bauhöhe auf dem Grundstück sind 7,50 Meter, in drei Meter Abstand vom Nachbarn sind drei Meter mehr möglich. „Wir könnten theoretisch mit 10,5 Meter Höhe noch dichter bauen.“ Nun sind die Riegel im Wesentlichen 9,2 Meter hoch. Diese drei Geschoße sind erlaubt, denn die 7,50 Meter bezeichnen den gemittelten Wert der gesamten Fassadenabwicklung. Dazu zählen die witterungsgeschützten Durchgänge, die am Rand der 6,6 bis 7,5 Meter tiefen Rasenstreifen zwischen den Bauteilen eine Verbindung schaffen. Sie sind 2,70 Meter hoch – die Differenz auf die 7,50 Meter war an anderer Stelle gut zu brauchen.

„Was hier nie wieder passiert: offene Werkstatttore, aus denen der Spengler hinausflext“, sagt Mittermair. „Es wird mehr Qualität haben.“ Warum dann der Protest? Weil Bauen emotionalisiere. „Wir sprechen mit der Anrainerschaft“, sagt Wagner. „Aber es ist nicht nötig, um unser Baurecht zu nutzen.“ Er und die Architekten sind sich einig: Wollte die Stadt andere Ideen, müsste sie Bauordnung und Flächenwidmungsplan ändern. „Unser Ziel ist der Schutz von Gewerbe in der Stadt“, sagt Bernhard Steger, Leiter der MA 21A, zuständig für Stadtteilplanung und Flächenwidmung der inneren Bezirke. „Die großen Qualitäten der Gründerzeit sind gemischte Strukturen. Deswegen ist im Gemischten Baugebiet-Geschäftsviertel die Errichtung von Wohnungen nicht zulässig. Durch die Beherbergungsbetriebe ist ein Graubereich entstanden.“ Dieser Graubereich ist Investoren nicht entgangen. „Das stört uns massiv“, merkt Kollege Hermann Eckart an. „Diese Entwicklung ist bereits ein Thema in der Stadtplanung.“

9. April 2022 Spectrum

Wo das Salz herkommt

An die 220.000 Interessenten strömten vor Covid in die Salzwelten Salzburg – die Anlage war dem Ansturm nicht mehr gewachsen. Nach der Umgestaltung erwartet die Besucher nun ein zukunftsfähiges Schaubergwerk.

Schon vor etwa 2600 Jahren bauten die Kelten auf dem Dürrnberg in Hallein Salz ab, seit dem Mittelalter zählte es zu den wichtigsten Einnahmequellen der Salzburger Erzbischöfe. Dem Salz verdankt die Stadt ihre barocke Pracht. Früh keimte Tourismus auf, der erste Eintrag im Gästebuch datiert auf 1607, es ist das älteste Schaubergwerk der Welt. 1989 stellte die Salinen AG die Salzproduktion am Standort ein; als die Kompressoren auf der Pernerinsel abgedreht wurden, trugen alle Mitarbeiter Trauer. Heute sind die „Salzwelten Salzburg“ die letzte verbliebene Arbeitsstätte für Bergleute in Hallein. Derzeit sind 14 dort angestellt, um die Stollen zu warten. „Wir haben eine lange Bergbautradition und sind stolz auf dieses Jahrtausende alte Erbe“, sagt Manfred Mader, der touristische Leiter der Salzwelten GmbH. Rund 220.000 Besucher und Besucherinnen zählten die „Salzwelten Salzburg“ pro Jahr, bevor Corona alles lähmte. Die touristische Infrastruktur war quasi organisch mehr oder weniger improvisiert laufend adaptiert worden. An der Kassa musste man im Freien anstehen, die Abläufe – Ticketkauf, Warten auf die Führung, Aus- und Rückgabe der Schutzkleidung, Ein- und Ausfahrt in den Stollen – waren kompliziert und unbequem für Besuchende und Personal.

Im Oktober 2019 lud die Salinen Austria AG fünf Teams aus Architekten und Kreativen zum Dialogverfahren für die Neugestaltung aus. Das Projekt von The Next Enterprise Architects (TNE), Liquid Frontiers und der Innsbrucker Medienagentur Artfabrik überzeugte. Die Umgestaltung eines der ältesten zu einem zukunftsfähigen Schaubergwerk ist multidisziplinär. Architektur, Ausstellungskonzept, Info-Screens, Illustrationen, Film bedingen und ergänzen einander, jedes Medium greift wie ein Zahnrad ins andere. Dazu zählt auch die „Salzwelten Destination Guide“-App, die dem Selfie einen keltischen Bergmann an die Seite zaubert und viel Überraschendes bietet.

Ein Stück Kulturlandschaft

„Es geht um den Spagat zwischen Information und Unterhaltung“, sagen Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs und Ernst J. Fuchs von TNE. „Die Salzwelten sind ein Stück Kulturlandschaft mit öffentlichem Interesse an ihrer Wartung.“ TNE betrachteten sie als Gesamtheit aus Empfangsbauten, der Führung unter Tag und dem Kelten.Erlebnis.Berg. Dieses Freilichtmuseum der 1990er-Jahre stellt aus rekonstruierten Holzhäusern ein Keltendorf nach. „Die Salzwelten sind ein historisch gewachsenes Ensemble aus unterschiedlichen Zubauten, wir wollten es in seiner vielfältigen Eigenheit stärken.“ TNE gingen von Vorgefundenem aus und verfolgten eine Strategie der Inselformationen. Punktuelle Eingriffe sollten Abläufe verbessern – das glückte außerordentlich gut. Den Anfang macht der Info-Terminal beim Parkplatz, orange Punkte auf dem Boden lenken den Schritt zum metall-orangenen Trichter vor dem Eingang ins Besucherzentrum. Dieser Bau spielt eine Schlüsselrolle, war aber immer schon da. TNE entrümpelten ein altes Lagerhaus und legten den solide dimensionierten Holzdachstuhl frei. Einzig ein paar Diagonalstreben mussten verstärkt werden. Die Konstruktion hat viel Patina, sie wurde sandgestrahlt, gebürstet und gekalkt. Das erinnert an den weißen Salzfilm der Pölzungen (Abstützung durch Pfosten) im Berg; zwischen den Säulen ist genug Platz für Bänke, Displays, Menschen.

Orange ist die CI-Farbe der Salzwelten, generell sucht die Architektur den Bezug zum Steinsalzkristall. Der Estrich ist mineralisch platinbeschichtet, Weißaluminium und Stahl schimmern silbrig, Metall verweist auf die Industriegeschichte. Rund um die südwestliche Gebäudeecke des Besucherzentrums breitet sich unter einem Glasdach auf einer Stahlkonstruktion ein Platz aus. Oranges und hellblaues Glas erzeugt flirrende Farbspiele auf dem Boden. Als Oase, Treffpunkt und Verteiler liegt die Plaza günstig. Westwärts kommt man hinauf zum Kelten.Erlebnis.Berg. Im Norden mündet die Brücke ins Bergeinfahrtsgebäude ein. Ein klassisches Nadelöhr, in das TNE das Bistro als Raum-im-Raum-Pavillon implantierten. Ein oranger Lichtkreis über einer runden Wand, innen orange gepolsterte Bänke, in der Mitte 48 Sitzplätze, über dem Mundloch in den Berg mutiert der Verbindungsbau der 1990er-Jahre zur Aussichtsveranda. Was für ein Panorama!

60 Personen bilden eine Gruppe für die Fahrt in den Stollen, alle zehn Minuten startet eine Tour. Flüssig lässt sich die Bistro-Insel umrunden, wandintegrierte Sitz- und Ablageflächen machen das Warten auf die Schutzkleidung erträglich. Ein salzig-weißer Raum mit verspiegelten Säulen ersetzt die vormals muffige Garderobe. Der besondere Clou liegt im Auditorium, das TNE stirnseitig an das Einfahrtsgebäude anbauten. Die gerundete Projektionsfläche und Tribüne bedingen die spezifische Form des orangen Zubaus mit der perforierten Profilmetallfassade, der auch die darunter liegende Rangierfläche der neu gebauten Metallwerkstatt überdacht. Selten sinnstiftend überwindet das Kino mit 65 Plätzen den Niveausprung ins Untergeschoß. Der Image-Film vom Studio Artfabrik erzählt Geschichten vom Salz, fast euphorisch beschreitet man den Steg zum Mundloch.

Heimisches Fleur de Sel

Insgesamt 65,24 Kilometer Stollen durchziehen den Dürrnberg, 12,4 Kilometer davon sind begehbar. Eine Fahrt in den Berg ist auch eine Fahrt durch die Geschichte. Kelten, Mittelalter, Barock, Gegenwart: Davon erzählen die „Salzwelten Salzburg“ auf jeder Ebene. Der authentische Ort spricht für sich – die Pölzungen, die Grenze zu Bayern im Berg, die Rutschen. Exponate und Installationen laden ihn mit Emotion auf. Scherenschnittartige Projektionen der Artfabrik zaubern die Silhouette Salzburgs untermalt mit Barockmusik an einen farbigen Horizont, farbig spiegelt sie sich im Salzsee. Die Tour endet im Shop, den TNE in einem neuen Brückenbauwerk unterbrachten. Es verläuft parallel zur alten Brücke, hat eine Einschnürung in der Mitte, die als Sog wirken soll, und erinnert vom polygonalen Grundriss her an die Wegführung der Stollen unter Tage. „Die Erkennung von Figuren ist sehr wichtig“, sagt Ernst Fuchs. „Für mich sind die Salzwelten ein Projekt der Dächer.“ Die frei geformten Additionen – der Trichter am Eingang, das Glasdach der Plaza, das Auditorium und dieser Brückenbau – fassen die Bestandsbauten zum verbindenden Ganzen zusammen.

Oranges Glas verfremdet die Landschaft und macht den Shop zum magischen Raum. Gegenüber auf dem Kelten.Erlebnis.Berg produziert man in der Salzmanufaktur in vier Becken wieder Salz. Es kommt bei 68 Grad ins Solewasser, kristallisiert in kleinen Salzpyramiden, die auf einem Gitter aufgefangen und aus der Sole gehoben werden. Dieses heimische Fleur de Sel schmeckt sehr mild. Es ist der Bestseller.

16. Februar 2022 Spectrum

Eine gute Art, der Stadt zu begegnen

Wien-Neubau: In der Andreasgasse bauten Rataplan Architektur ein vorgründerzeitliches Haus zur modernen Arbeitsstätte für etwa hundert Menschen aus und um: mit Blick ins Grüne, Hoflage und Lufträumen.

Die Andreasgasse in Wien-Neubau ist eine unauffällige Seitengasse der Mariahilfer Straße, ein ruhiger Ausgleich zur Geschäftigkeit. In dieser Gasse führt das Hofmobiliendepot seine eher verborgene Museumsexistenz, gegenüber liegt der Andreaspark, auch recht versteckt. Wer ihn entdeckt hat, freut sich an diesem öffentlichen Freiraum. Die Fassadenflucht liegt in der Schutzzone und Sichtachse der einmündenden Richtergasse. Das Haus neben dem Hofmobiliendepot ist frisch verputzt. Spätbiedermeier-vorgründerzeitlich, drei Stockwerke, Bossenmauerwerk im ersten Geschoß, ein Gesims mit ionischen Kapitellen und einer eigenwilligen, schmucken Gaupe mit einem Rundbogenfensterpaar in der Mitte. Weiße Fassade, anthrazitgraue Fensterrahmen, die im Erdgeschoß bis zum Boden erweitert wurden. Nichts, das besonders irritiert. Das ist als Kompliment gemeint, denn Rataplan Architektur bauten das Haus zu einem modernen Büro aus und um, in dem etwa 100 Menschen arbeiten.

Straßenseitig wahrt es die Ruhe der Gasse. Für Aufenthaltsräume müssen Stellplätze geschaffen werden, vom Garagentor blieb die Fassade verschont, weil die Einfahrt über das Nachbargebäude erfolgt. Drei weitere neue Ebenen stecken hinter der Traufkante unterm neuen Dach, das exakt 45 Grad geneigt ist. Das ist bauordnungskonform und steil genug, um es von der Gasse aus nicht zu sehen. Selbst wenn man vom Ende des Andreasparks seine volle Höhe erfasst, wirkt es dezent. „Auf dem Dach spielt es sich ab, da gibt es Schneenasen, Oberlichten und Dachflächenfenster unterschiedlicher Größe“, sagt Projektleiter Rudi Fritz. „Weil es die fünfte Fassade ist, haben wir uns sehr bemüht, es zu beruhigen.“ Rataplan legten eine Fläche aus fixen Sonnenschutzlamellen aus rostrotem, aufgerautem Aluminium über das Dach, deren Zwischenräume die Helligkeit durch Oberlichten in den Raum dringen lassen.

Die oberste Etage ist ein zurückversetztes Staffelgeschoß. Ihre Glasfront wird von einer leicht schräg gestellten, begrünten Lamellenfassade beschattet. Eine der schönsten Formen des Sonnenschutzes, allerdings nicht unheikel. Rataplan haben schon Erfahrung damit, sie setzten auch vor das Amtshaus der MA 21 – Wiener Wasser eine grüne Fassade. Ohne automatische Bewässerung geht gar nichts, es braucht Pflege, den ein oder anderen Rückschnitt, die richtigen Pflanzen. Sie verbessern das Mikroklima in der überhitzungsanfälligen Stadt und schaffen im Zwischenraum Lamellenfassade und Büroglaswand einen schattigen Freiraum – für Raucher:innen und alle, die Luft schnappen wollen. Der Bereich zwischen Bestandsdach und begrünter Fassade ist als Terrasse über die gesamte Hauslänge gestaltet. Sie bietet allen einen wundervollen Blick über Mariahilf. Anna Detzlhofer von DD Landschaftsarchitektur plante die Freiräume des Hauses, von ihr sind die Nebelduschen, Pergolen und grünen Bögen in der nahen Neubau- und Zieglergasse.

Die Planungsgeschichte begann 2012. Damals erwarb die Sozialbau AG, deren Hauptsitz rückseitig an das Grundstück grenzt, den Bestand, der ringförmig den Innenhof umschloss. „Es war keine zeitgemäße Typologie mehr“, sagt Rudi Fritz. „Das Haus hatte ewig lange Erschließungsflächen und viele unbelichtbare Ecksituationen.“ Eine Studie für Wohnnutzung erwies sich als unmachbar, wirtschaftlich gesehen war das Haus ein Abbruchkandidat. „Man hätte es sich leichter machen können“, so der Architekt. Nach einigen Überlegungen entschied sich die Sozialbau AG zum Umbau. In einem Flächenabgleich wurde das Äquivalent der vormaligen Bestandstrakte im Hof auf einen sechsgeschoßigen Zubau an einer Grundgrenze konzentriert. Zwei Bürogeschoße für den Eigenbedarf, den Rest mietete die Erste Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH.

Der Zubau deklariert sich klar als neu: Stahlbeton, tragender Stiegenhauskern, ein paar Stützen, hell, offen, flexibles Innenleben. Außen in sattem Gelb gestrichen, mit durchgehenden Fensterbändern. Das erweitert den Freiraum, belichtet die Büros wirklich hervorragend und schenkt ihnen einen Blick ins Grüne, von dem auch das benachbarte Hauptquartier der Sozialbau AG profitiert. Die Arbeitsplätze sind zum Hof orientiert und sehr ruhig in Weiß- und Grautönen gehalten, während die zentralen Kommunikationszonen mit Pflanzen, Teppichen, farbigen Lampenschirmen und Bespannungen aus Filz lebendiger wirken. Der Sozialraum mit Stehbar, Eckbank und Stabparkett geht direkt in den Hof über, im ersten Stock wird sein Flachdach zur Terrasse. In offenen Büroräumen ist Akustik immer ein Thema, es gibt gelochte Gipskartondecken, weil sie hocheffizient sind. Aber nicht nur: Immer wieder wird auch der Sichtbeton des Neubaus sichtbar.

Große Durchbrüche und Lufträume schaffen Blickkontakte über die Ebenen hinweg, viele Facetten der Kommunikation sind möglich – vom repräsentativen Besprechungsraum über ein Zoom-Meeting in einer Glasbox bis zum Kaffeeplausch. Eine interne Treppe verbindet den vierten Stock mit dem Dachgeschoß. Selbst ihr Unterlaufschutz ist mit einem Balken der alten Dippelbaumdecke als Bank gestaltet. Im Blickfeld: Lift und Teeküche. „Durch die Corona-Pandemie ist die Kommunikation noch wichtiger geworden“, sagt Rudi Fritz. „Ins Büro geht man vor allem, weil man Leute treffen will. Dieser Kontakt bindet Menschen an ihr Unternehmen.“ Die Sozialbau AG signalisiert mit dieser Gestaltung hohe Wertschätzung für ihre Mitarbeitenden, Qualitätsbewusstsein in punkto Architektur und Umgang mit Ressourcen.

Der Bestand blieb bis zu seiner Mittelwand erhalten. Das unverputzte Ziegelmauerwerk legt alle Stahlimplantate und Unregelmäßigkeiten offen, es bildet klar sichtbar die Demarkationslinie zwischen Alt- und Neu. An diese Wand führt die Stahlbetonfertigteiltreppe vom Foyer nach oben. Sie animiert dazu, die Stiegen zu steigen, statt den Lift im hinteren Eck zu nutzen. Bewegung tut Büromenschen gut. Die alten Wandpfeiler ziehen sich bis zum zweiten Stock durch, sie werden durch Lufträume und Pflanzen als besondere Orte betont. Zwischen ihnen docken die Sichtbetondecken an den Bestand an: Der Neubau hält den Altbau. Keine schlechte Art, mit Stadt umzugehen.

8. Dezember 2021 Spectrum

Praterstern – Bitte nehmen Sie Platz!

Der Praterstern ist ein schwieriges Terrain für Planungswillige. Die jüngste Umgestaltung setzt einen „grünen Ring“ um den Platz mit 54 neuen Bäumen: Mehr Freiflächen, Wasserspiele und Sitzmöglichkeiten sollen die Aufenthaltsqualität heben.

Der Praterstern war einmal das Tor zum damaligen Nabel der Welt, der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. 1838 wurde hier der Nordbahnhof, der erste und wichtigste aller Wiener Bahnhöfe, errichtet. Alle Einwanderer aus dem Osten kamen dort an. Seit 1879 heißt er Praterstern, seit 1886 steht Wilhelm von Tegetthoff, siegreicher Admiral der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine in seiner Mitte. Sternförmig laufen sieben Straßen – Prater-, Heine-, Nordbahn-, Lassalle-, Ausstellungs-, Franzensbrückenstraße und Hauptallee – auf seine Triumphsäule zu: wie in Paris.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Nordbahnhof zerbombt, der Praterstern zum Verkehrsknotenpunkt degradiert, der Tegetthoff an den westlichen Platzrand verdrängt. Seit 1962 quert die Schnellbahn, 1981 kam die U1 dazu, 2008 die verlängerte U2, Um- und Neubau des Bahnhofs durch Architekt Albert Wimmer wurden fertig. Bereits 2002 hatten Architekt Boris Podrecca mit Bernhard Edelmüller und Werner Sobek das ellipsoide Membrandach projektiert, das den Platz inklusive Bahnhof überspannen und als Gesamtheit erlebbar machen sollte. Es wäre ein Statement gewesen. Geblieben ist das viereckige Glasdach mit der massiven Unterkonstruktion auf dem Vorplatz.

Über 150.000 Menschen frequentieren den Praterstern täglich, mehr als Innsbruck Einwohner hat. Die meisten steigen aus, ein und um, einige arbeiten hier, Touristen und Touristinnen suchen den Prater, Polizisten und Polizistinnen wachen über den Ort. Für Alkohol- und Suchtkranke, Obdachlose, Flüchtlinge ist er ein Stück zugige Heimat in einer noch unwirtlicheren Welt. Umgekehrt erzeugen sie größtmögliche Irritation. Sie machen die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sichtbar, die Brüchigkeit einer gesicherten Existenz. Aus Bahnstationen kann man sie verdrängen, aus dem öffentlichen Raum nicht.

„Der Praterstern hatte ein Imageproblem, einzelne Medien schürten ein Unsicherheitsgefühl“, sagt Andrea Jäger, die bei der Sucht- und Drogenkoordination Wien für den öffentlichen Raum und Sicherheit zuständig ist. Am 27. April 2018 wurde das Alkoholkonsumverbot eingeführt, seitdem hat sich die Lage sehr entspannt. „2017 waren wesentlich mehr marginalisierte Menschen vor Ort. Zwischen 30 und 90 Personen“, so Jäger. Heute sind es im Schnitt etwa zehn Alkohol- und ebenso viele Drogenkranke. „Obwohl es oft nur kleine Gruppen Marginalisierter sind, die sich im öffentlichen Raum aufhalten, sinkt ihnen gegenüber die Toleranz. Wir sollten die Armut bekämpfen, nicht die Armen.“

Eric Tschaikner von KENH Architekten kennt den Ort, KENH planen die Polizeistation des Jahres 1981, die Gastronom Markus Teufel gepachtet hat, zum vegetarischen Lokal „Hab's/Gut“ um. Sie machten einige Studien am Praterstern, viel Beton wurde weggeschremmt, um den Bestand ins Freie zu öffnen. „Aufgrund der Polizeipräsenz ist der Praterstern de facto einer der sichersten Plätze Wiens“, so Tschaikner. „Wir wollen den Ort drehen.“ Im Jahr 2017 und 2018 lud die MA 19 – Stadtplanung und Gestaltung – so gut wie alle Interessensgruppen zu zwei Workshops, die das Büro PlanSinn moderierte: Vertreter vom Bezirk, der ÖBB, Wiener Linien, MA 48, 46, 33, 28, Polizei, Lokalbetreiber, Fluc, Bank Austria, Fonds Soziales Wien, Kunst im öffentlichen Raum und andere. Im März 2019 schrieb die MA 19 das europaweite zweistufige Bieterverfahren „Ideenfindung zur Attraktivierung und Bespielung des Pratersterns“ aus. Die Arge Praterstern – KENH Architekten und DnD Landschaftsplanung – überzeugte, am 13. Oktober 2021 folgte der Spatenstich.

Vieles ist hier schon determiniert; es gilt das Mögliche auszureizen. Das Ziel heißt mehr Aufenthaltsqualität, also: mehr Übersicht, Freiflächen, Bäume, Grün und Wasser. Die Arge arbeitet mit dem, was da ist; nach und nach werden über 40 kleine und größere Maßnahmen gesetzt. In einer der ersten entfernte man die Pflanz-Gabionen und das Pergola-Gestänge um das Tegetthoff-Denkmal. Es steht nun wieder frei, viele sitzen auf dem Sockel und posieren für Selfies. „Platzgestaltungen symbolisieren immer auch gesellschaftliche Veränderungen. Die Corona-Krise schärfte den Blick auf den öffentlichen Raum. Er wird viel intensiver wahrgenommen und genutzt. Außerdem ist die Klimadiskussion wesentlich verbreiteter“, sagt Sabine Dessovic von DnD.

Der Praterstern ist eine hochgradig versiegelte Hitzeinsel mit Glasdach. Hinter dem Tegetthoff-Denkmal wird ein 488 Quadratmeter großes Wasserspiel mit 114 Wasserstrahlen, hohen Wassernebeln und 105 Hochdrucknebelwolken angelegt. Diese haben einen unterschiedlichen Wasserverbrauch, Kühleffekt und Erscheinungsbilder. Das Wasser macht Kindern viel Spaß, beruhigt, gestaltet den Raum und lässt sich vor allem auch abdrehen. Dann ist der Platz wieder eine freie, beliebig nutzbare Fläche – für Kunst im öffentlichen Raum, Wochenmärkte und mehr.

„Marginalisierte Gruppen von so einem urbanen Platz zu vertreiben ist keine Option“, sagt Tschaikner. Bis dato waren Bänke vor allem von diesen besetzt, andere mieden sie. KENH Architekten schaffen bewusst ein Überangebot, damit alle ihren Platz finden. Sie entwarfen eigene Stadtmöbel, die „Pratoide“. Diese Betonfertigteile haben etwa die Form des Pratersterns, werden von unten beleuchtet und fungieren auch als Sicherung für Bäume. Man sitzt also unter deren Kronen. Auf den Fertigteilen sind Sitzschalen montiert, mit Blickrichtung aus dem Kreis: „Inklusion durch Distanz“. KENH hoffen, dass dadurch die Oma, die auf ihren Enkel wartet, neben einem Obdachlosen Platz nimmt. Es gibt die Pratoide mit je fünf, sieben oder neun Sitzschalen, für kurzes, mittleres und langes Verweilen. 24 Betonkiesel und 30 Hocker komplettieren zu 186 Sitzmöglichkeiten am Stern.

Rund um den Praterstern wird ein „grüner Ring“ aus 2,5 Meter breiten Pflanzbeeten angelegt. Lampenputzergras, Blauraute, Gelber Sonnenhut, Gewürzsalbei und eine Blumenzwiebelmischung sorgen für saisonale Farbwechsel und 1400 Quadratmeter mehr Grünfläche. Für Sitzende lässt der Blick auf die Pflanzen den Verkehrslärm in den Hintergrund treten und wirkt so als psychologischer Lärmschutz. Gepflanzt werden 56 neue Bäume, robuste und klimaresiliente Großbaumarten wie Tulpenbaum, Ulme, Eiche, Robinie, Platane, dazu säulenförmige wie Krim-Linde, Stadt-Ulme und Zelkove. Gerade werden zwei große Baugruben mit Grobschlag aufgefüllt, um das Schwammstadtprinzip umzusetzen. Das heißt, dass Regenwasser vom befestigten Boden in einen Untergrund dringen kann, der Wurzeln genug Raum zum Wachsen lässt und sie auch bei Hitze mit Wasser versorgt. Darin werden acht Meter hohe Platanen gepflanzt – die größten, die die MA 42 bisher einsetzte. Ihre breiten, hoch ansetzenden Baumkronen werden ein Blätterdach bilden – passend zum grünen Prater.

25. November 2021 Spectrum

Ein Landhaus für Unbehauste: Ein Luxusdomizil beherbergt Obdachlose

In Mayerling baut das Architekturbüro Gaupenraub das einstige Luxushotel „Hanner“ zur VinziRast am Land um. Wo einst die Habenden residierten, sollen sich nun Obdachlose bei der Arbeit mit Pflanzen und Tieren erden können.

Mayerling 1 war einmal eine erste Adresse. Scharenweise pilgerten die Gourmets zum „Hanner“ im Wienerwald, wo Heinz Hanner auf Drei-Hauben-Niveau kochte. „Ich bin in Mayerling 2 aufgewachsen“, sagt Ludwig Köck, Bürgermeister von Alland, dem die Katastralgemeinde angehört. „Heinz Hanner war mein Nachbar, wir spielten hier gemeinsam Tennis.“ Restaurant und Seminarhotel zählten zu Relais & Châteaux und Les Grandes Tables du Monde. Wo früher der Tennisplatz war, ist heute ein Hühnerstall. „Hauptsache, kein Leerstand“, sagt Köck. „Das ist das Schlimmste für eine Gemeinde.“ Nun baut das Architekturbüro Gaupenraub das einstige Luxushotel zur „VinziRast am Land“ um. Dort sollen Unbehauste wieder Boden unter den Füßen finden. Im Herbst lud die VinziRast zum Fest: Freiwillige und Obdachlose verkochten Gemüse vom Feld und führten über das Gelände. Viele aus der künftigen Nachbarschaft kamen, auch Bürgermeister Köck. Ein klares Statement zum Projekt.

Umgeben vom Wienerwald, steht die Jausenstation Marienhof seit den 1930er-Jahren an der Straßenkehre Mayerling 1. Ein sympathisches Haus, weiße Holzfassade, grüne Fensterläden, Schleppdach mit Gaupe. 1972 bauten Hanners Eltern rückseitig ein Hotel an, das sich den Bestand teils einverleibt, ihn teils umspült. Etwa 30 Meter lang, elf Meter breit, drei Geschoße, die Dächer gehen ineinander über. 1989 erkochte sich Sohn Heinz die erste Gault-Millau-Haube und erweiterte um einen weiteren Hoteltrakt. Etwa 19 mal 16 Meter im Grundriss, vier Geschoße, Hanner bewohnte das Penthouse unterm Satteldach, 2004 wurde der Betrieb zum Restaurant-Hotel-Meetingpoint „Hanner“ mit Goldfischteich und Hubschrauberlandeplatz. 2016 musste er schließen, 2018 kaufte die ZMI GmbH, eine Privatstiftung von Hans-Peter Haselsteiner, die Liegenschaft. Hanners Eltern dürfen dort lebenslang wohnen, Haselsteiner räumte dem Obdachlosenverein Vinzenzgemeinschaft St. Stephan ein jahrelanges Nutzungsrecht ein.

Alexander Hagner und Ulrike Schartner von Gaupenraub planten bereits in Wien viel für die VinziRast, immer im Bestand: 2004 die VinziRast Notschlafstelle, 2009 eine VinziRast-WG, 2013 machten sie ein Eckhaus in Währing zur „VinziRast mittendrin“. Dort leben Studierende mit Obdachlosen in zehn WGs, auf dem Dach gibt es einen Seminarraum, zu ebener Erde das Lokal „mittendrin“, das künftig von der „VinziRast am Land“ sein Gemüse beziehen soll. Auch dieses Haus hat einst Hans-Peter Haselsteiner erworben; nun gehört es dem Verein.

An einem nasskalten Tag im November 2018 fuhren Gaupenraub und der Vorstand der VinziRast erstmals nach Mayerling, es war gespenstisch. Einrichtung, Möbel, Lampen, alles da. In den Zimmern überzogene Betten mit toten Fliegen. Auf dem Boden Laminat in Mooreichenoptik, an den Wänden Naturstein-Imitat aus Feinsteinzeug, an den Decken abgehängter Gipskarton. Ein Zeugnis des unbedingten Strebens nach dem schönen Schein. Der Marienhof als Nukleus des Bestands wurde ständig erweitert und ein Bauteil in den anderen geschoben. Es gibt viele verschiedene Niveaus, daher ist die Erschließung sehr eigenwillig. Das Stiegenhaus am Eck des Hoteltrakts der 1990er-Jahre wird zum Anker, von dem lange, schmale Gänge mit Stufen und Zwischenpodesten ihre Haken zwischen Bauteilen und Zimmerfluchten schlagen.

„Man verläuft sich ständig“, sagt Ulrike Schartner. „Wir suchten wie die Trüffelschweine nach Qualitäten.“ In Hanners Gastroküche wurden sie fündig. „Das ist der stimmigste Ort. Die Köche schauten hier Parapet-frei von den Zehenspitzen aufwärts in die Landschaft.“ Es ist derselbe Blick über Alland, den man auch vom Maierhof hat: nach Westen, zur Abendsonne. Die Küche bekommt noch eine neue Terrasse, sonst bleibt alles unverändert. Insgesamt 77 Betten in einem Gebäudekonglomerat mit 3500 Quadratmeter Nutzfläche, dazu 2,7 Hektar Grund. Die Architekten waren geplättet von der Größe des Bestands, dann traten sie die Flucht nach vorn an. Sie erweiterten die VinziRast um 700 Quadratmeter Glashaus, etwa 98 Quadratmeter Stall und 150 Quadratmeter Volieren für Vögel. Dennis Reitinger, ein Boku-Absolvent, legt hier eine Permakultur an, bis auf die Samen ist nichts zuzukaufen. Seit zwei Jahren lebt er auf der Baustelle, Freiwillige und Obdachlose aus der „VinziRast mittendrin“ leerten den Bestand, rodeten, jäteten und pflanzten; das Glashaus fand per Crowdfunding nach Mayerling, ein Malermeister aus Etsdorf am Kamp spendete den Hühnerstall. Tischler Josef Kleinrad, Thomas Radatz, Andreas Stangl und über 40 weitere Lehrer:innen und Schüler:innen der HTL Mödling bauten ihn ab und als Luxusherherge für Hühner wieder auf. Deren Kot ergibt den besten Dünger für die Pflanzen in den Glashäusern.

Gaupenraub verkehrten einen flüchtigen glamourösen Ort für besonders wohlhabende in einen dauerhaft authentischen Lebensraum für Bedürftige. „Wir brauchen hier tragfesten Grund, kein Fake“, sagt Alexander Hagner. Der Bestand wird auf seine Struktur zurückgeführt, alle Leichtbauwände werden entfernt, Durchbrüche geschaffen, damit man in die Umgebung blicken und sich besser orientieren kann. Der Betonschneider hat viel zu tun, Peter Bauer vom innovativen Statikbüro Werkraum Wien hat viel zu rechnen. Alles, was Identität stiftet, wird verstärkt. Bezug zur Natur und Heterogenität des Bestands – je unterschiedlicher die Räume und Situationen, umso mehr Menschen werden sich wohlfühlen. Synergien finden sich zuhauf: So hat das Stift Heiligenkreuz oft zu wenige Betten für Pilger und kann das Altersheim in Alland künftig die Hotelwäscherei nutzen.

Die Zimmer sind zwischen zwölf und 30 Quadratmeter groß. In Letzteren wurden die Interieurs maßgetischlert, unter den großzügigen Bettpodesten aber ist kein Bodenbelag mehr. Die Fehlstellen werden nicht mit Eichenparkett gefüllt, sondern einfach geflickt. Ehrlichkeit ist angesagt – und Mut zur Lücke. Das Zimmer mit der türkis verfliesten Badezimmerkapsel, die wirkt, als sei sie für Barbarella gemacht, bleibt Hotel, andere sind zu permanenten Kleinwohnungen für etwa 30 Obdachlose zu adaptieren. Gaupenraub nutzen, was brauchbar ist, denn ein ungeahnt großer Teil des Budgets fließt in Mängelbehebung. So gingen Grau- und Regenwasser in denselben Kanal, waren die Brandabschnitte nicht korrekt abgetrennt, musste der Lift behördlich gesperrt werden, weil sich Entlüftungsgitter über dem Maschinenraum als Fake entpuppt hatten. Das zehrt am betagten Ehepaar Hanner: Es wollte kein Ausweichquartier und lebt nun auf der Baustelle. Ein Ende ist in Sicht, im Sommer 2022 soll die „VinziRast am Land“ fertig sein. Dann werden sich Pflanzen an den Fassaden emporranken und so den Bestand zu einem Teil des Wienerwaldes machen.

16. September 2021 Spectrum

Wenn Loos das wüsste

Das Haus Scheu von Adolf Loos in Hietzing ist ein Schlüsselwerk der Moderne. Bedeutenderes gibt es kaum, es steht unter Denkmalschutz. Bis vor Kurzem war es ein mit höchster Wertschätzung bewohntes, gepflegtes Haus, dann wechselte der Besitzer. Nun ist es eine Baustelle.

Zwischen gediegenen Villen steht in der Hietzinger Larochegasse 3 das Haus Scheu von Adolf Loos. „Dieses Haus ist der Ursprung des kubischen Bauens, hier ist die Moderne entstanden“, sagt Architekt Ralf Bock, ein Loos-Experte. „Mies van der Rohe, Le Corbusier: Alle haben sich darauf bezogen.“ Gegenüber das Gymnasium Wenzgasse, es ist Dienstag, der 14. September, um die Mittagszeit. Kurz davor hatte die Autorin eine Nachricht erreicht: Es gebe Bauarbeiten am Haus, das Bundesdenkmalamt wisse nichts davon, ein Landeskonservator sei schon unterwegs, hatte sie erfahren, also war sie nun da.

Kinder strömen in die Sonne. Das nüchterne weiße Haus auf der anderen Straßenseite sagt ihnen wohl nichts. Ein kleines Baugerüst und ein Baukran stehen davor. Der Gartenzaun ist weit offen. Baustelle eben. Keine Bautafel, kein „Betreten verboten“. Kein Mensch zu sehen. Sie geht hinein, eine staubige Wendeltreppe. Abgeklebter Boden, abgeschlagener Putz. Hier fallen Späne. Sie sucht Auskunft, findet zwei Bauarbeiter, gibt sich als Architekturjournalistin zu erkennen. Was sie hier täten? Wie sie hießen? Journalistenhandwerk: immer nach Namen fragen.

Lukas – offener Blick, blaues T-Shirt, sein Kollege – schwarze Haare, kunstvoll tätowierter Unterarm – nennt keinen Namen. Beide wollen nichts sagen. „Sie können mit unserem Chef reden.“ Sie sind Installateure der Firma Stopfer Haustechnik im achten Bezirk. „Wir greifen nichts an“, versichern sie. Demontierte Heizkörper, Installationsrohre, Schutt. Warum sich die Autorin für ihre Arbeit interessiere? Weil es eines der bedeutendsten Häuser sei, die es gebe, es stehe unter Denkmalschutz. Von Adolf Loos – eines der ersten mit Flachdach weltweit. Eine Revolution. Die zwei: „Ist ein schönes Haus. Ziemlich groß. Kostet sicher genug.“

„Das Haus Scheu ist eine der bedeutendsten Villen von internationalem Rang, die wir in Österreich haben“, sagt Wolfgang Salcher, stellvertretender Landeskonservator für Wien im Bundesdenkmalamt. „Bedeutender geht's nicht mehr.“ Es ist eine typologische Rarität. Ein Terrassenhaus, das einzige von Loos und das erste seiner Art in Mitteleuropa. 1912/13 wurde es errichtet, hochinnovativ, mit eingebautem Mobiliar aus dunkler Eiche. Loos setzte es radikal abstrakt um: für jede der drei Wohnebenen eine Terrasse mit Morgensonne. Rechtsanwalt Gustav Scheu hatte die Gartenstadtidee nach Wien gebracht und Loos für die Siedlerbewegung entflammt. Im Salon von Helene Scheu-Riesz verkehrten große Geister wie Loos selbst, Kokoschka, Alban Berg.

Seit 1971 steht dieses Kleinod der Architekturgeschichte unter Denkmalschutz. Zwischenzeitlich lebten Obdachlose im Haus, sie behandelten es gut; 1978/79 wurde es von Heinz Neumann und Sepp Frank generalsaniert. Die Familie Leodolter bewohnte es mit Sorgfalt und Freude, 2011 wurde es von Silvia Leodolter verkauft. Die Gemeinde Wien zeigte kein Interesse. Der neue Besitzer, Johannes Holländer, kaufte Loos-Möbel zu. „Es war in einem perfekten Zustand, das bestgepflegte Loos-Haus, das wir haben“, sagt Bock. Das Bundesdenkmalamt war zufrieden, der Bauherr glücklich mit dem Original-Loos, er zieht nach Rotterdam.
Am 28. August 2021 wechselt das Haus den Besitzer, keinen Monat später fällt einem Beobachter ein Bauaufzug an der Fassade auf, Bock setzt das Bundesdenkmalamt und einige Journalist:innen in Kenntnis. Montag, 13. September: „Weil wir eine wache Behörde sind, reagierten wir sofort“, so Salcher. Zu diesem Zeitpunkt waren ihm keinerlei konkret geplante Arbeiten bekannt. Am Dienstag kontaktierte er die Planerin und erfuhr, dass eine Instandsetzung der Elektro- und Gasleitung geplant war. Sofort fuhr er in die Larochegasse. „Ich stellte fest, dass Baumaßnahmen stattfanden, die vom Bundesdenkmalamt nicht genehmigt sind.“

Die Journalistin sucht den dritten Bauarbeiter. Laden und Kastentüren, mehr oder weniger nonchalant mit Plastikplanen abgedeckt, lehnen an den Wänden. Eigentlich dürfte man die Holzverkleidungen in diesem Haus nur mit weißen Museumshandschuhen berühren, denkt sie. Erleichtert nimmt sie die Holzträme der Decke wahr, den Luster, originale Tür- und Fensterbeschläge, die Kaminnische. Alles noch da. Zwei Fauteuils, in die Holzwand eingebaut, auf einer liegen Bauhandschuhe. Im gemauerten Kamin drei Scheite auf trockenen Kiefernzapfen, die Wandverbauten der Bibliothek mit den goldenen Lampen intakt, eine Marmorplatte ohne Wandverbau, aber immerhin. Neben einer Tür rechts und links je drei Farbproben, Blau: Echo, Delicate Blue, Bone, China Blue, Pale. Eher keine Loos-Farben. Auf zwei Kreppbändern steht: „Wand bleibt.“

Der Kollege sei vor fünf Minuten weg, sagen die Arbeiter. Als ich das Haus verlasse, treffe ich auf einen schlanken Mann in engen Jeans. „Sind Sie der dritte Arbeiter?“ Er mustert mich überrascht. „Ich bin der Bauherr.“ „Wunderbar. Mit Ihnen möchte ich ohnehin sprechen.“ – „Wer sind denn Sie?“ „Ich bin von der Presse.“ – „Ich gebe der Presse keine Auskünfte. Sie dürfen die Baustelle nicht betreten.“ Ich gehe.

Eigentlich hätte das Bundesdenkmalamt innerhalb von zwei Wochen vom Verkäufer über den neuen Besitzer informiert werden müssen. „Uns wurde nichts mitgeteilt“, sagt Salcher. „Wir haben im Grundbuch nachgesehen.“ Dort ist auch verzeichnet, dass das Haus unter Denkmalschutz steht. Das bedeutet: „Jede Veränderung muss vom Bundesdenkmalamt genehmigt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Planungen auf solider Basis ausgeführt werden. Es gibt vom Bund große Förderungen für Voruntersuchungen. Wir zahlen bis zu 95 Prozent. Mich wundert, dass sich manche Bauherren das nicht abholen.“ Auch alle Möbel und Einbauten, die mit der Wand verbunden sind, stehen unter Schutz. Das Bundesdenkmalamt hat die Planerin kontaktiert, deren Namen es nicht nennen will. Jener des Bauherrn steht im Grundbuch.
Donnerstag, neun Uhr früh. Ein Mail von Stefan Tweraser, dem Bauherrn. Er suche den ehrlichen Austausch und weist darauf hin, dass ich illegal in seinem Haus war. „Ich gebe Ihnen gern Auskunft. Was ich nicht will, ist, dass alles schwierig wird.“

Vor drei Monaten hätten er und seine Frau das Bundesdenkmalamt erstmals kontaktiert, der Begehungstermin sei abgesagt worden, derzeit sei der Austausch mit dessen Präsidenten, Christoph Bazil, wieder rege. „Es liegt uns sehr daran, dieses Juwel als Juwel zu erhalten.“ Die Familie will die Haupträume im Originalzustand bewahren und dort sorgsam und doch zeitgemäß wohnen. „Es ist in einem technisch fürchterlichen Zustand. Wir haben begonnen, Heizkörper zu entfernen, es waren nachgegossene aus England. Uns geht es darum, die heikle Balance zwischen Denkmal und Wohnhaus zu erhalten.“

Am Mittwoch, 15. September, beging Tweraser mit Burkhardt Rukschcio, einem weiteren Loos-Experten, die Baustelle. Nichts sei zu beanstanden. „Die Wiener Gerüchteküche bauscht alles auf.“ Donnerstagvormittag war die Baupolizei vor Ort, für 13.30 Uhr ein Besichtigungstermin mit Architekt Ralf Bock vereinbart. Die Dinge nehmen ihren Lauf.

27. September 2008 Der Standard

Der Sonne entgegen

Ein steiler Nordhang am Rande von Wien. Architekt Bernd Mayr terrassierte das Gelände und setzte darauf eine ausgeklügelte Hausskulptur mit geschwungenen Dachbögen.

„Eigentlich suchten wir eine Dachwohnung. Es war purer Zufall, dass wir hier gelandet sind“, erinnert sich der Bauherr. Es war Liebe auf den ersten Blick: Das Grundstück liegt am Ende einer Sackgasse auf einem steilen Nordhang. Im Süden die Straße, im Osten nichts als Wald und davor ein traumhaftes Panorama über die weichen Hügelkuppen des Wienerwaldes. Das Paar war entzückt, hatte aber Zweifel, ob sich die Parzelle zu vertretbaren Kosten bebauen ließ, denn das Gelände fällt von der Straße bis zur nördlichen Grundgrenze um 11,60 Meter ab.

Vor dem Kauf konsultierte man Architekt Bernd Mayr. „Es war ein sehr schwieriger Baugrund mit vielen Einschränkungen“, so Mayr, „der Hang ist so steil wie die Streif in Kitzbühel. Noch dazu liegt er nordseitig.“ Der Vorteil an der Sache: Der Wald grenzt direkt an, die Aussicht wird nie verbaut werden. „Ich wollte einen Baukörper entwerfen, der die Blicke zelebriert. Er sollte möglichst weit nach vor und hoch hinauf, damit er viel Sonne bekommt.“

Abgetreppte Landschaft

Ein Wunsch der ersten Stunde war, den Außenraum von jeder Ebene direkt begeh- und erlebbar zu machen. Die Grünbereiche des rutschgefährdeten Hanges wurden daher mit bewehrter Erde angeschüttet. Über abgetreppte Plateaus kann man von Ebene zu Ebene schreiten. So kommen auch die Schlafzimmer im Untergeschoß zu ihrer Terrasse.

Harmonisch liegt der ockerfarbene Baukörper im Gelände. Zu Wald und Straße gibt sich das Haus geborgen und introvertiert, überm Keller aber reckt es sich der Aussicht entgegen. Mit großen Glasflächen öffnet sich die Längsseite nach Westen und fängt so das Abendlicht ein. Über eine eingeschnittene Loggia wird auch noch die Südsonne in den Wohnbereich geholt. Die Laterne unterm obersten Dachbogen scheint den Himmel über Wien zu streifen. Hier flutet das Licht von allen Seiten, und die Baumkronen sind zum Greifen nah.

Im sachten Gegenschwung gleitet die Decke des Erdgeschoßes wie eine Welle bis zum begrünten Vordach, das über der Loggia ums Eck kurvt. Gerade 2,20 Meter hoch sind die Nebenräume und die transparente Eingangsnische. Zwei Stufen tiefer gerät unterm ansteigenden Deckenbogen im Wohnraum ein vielstimmiger Akkord aus Ausblick, Licht und Luft ins Schwingen.

Unter dem Glasband, das sich von der Straße übers Eck bis zur Westseite des Hauses zieht, liegt die weiße Küchenzeile. Vor dem Essplatz gewinnen Raum und Fenster an Höhe. Weit sieht man hier über das Häusermeer.

Ausblick durch Panoramaglas

Das Vordach neigt sich weit über den gedeckten Freiraum vor dem Wohnzimmer. Nahtlos geht der vorbewitterte Lärchenholzboden in die gewölbte Brüstung über. Fast wähnt man sich am Bug eines Schiffes. „Mich zieht es magisch nach draußen“, erklärt die Baufrau, „bei Herbstnebel ist die Stimmung mystisch. Ich fühle mich dann, als wäre ich im Amazonas.“

Acht Meter lang und 3,30 Meter hoch ist das Panoramaglas vor der Sitzgruppe. Es kommt ohne Rahmen aus: Glasschwerter geben ihm die nötige Stabilität. Ein Kamin verströmt Wärme. An der Wandscheibe in der Mitte des Hauses gleitet die Treppe auf die Galerie. Die Setzstufen wurden ausgespart, zwischen die Trittstufen dringt Licht. Oben in der Laterne malen die Schatten sachte Bögen auf die gewölbte Decke. Von hier sieht man runter in den Wohnraum und raus in den Wald. „Das ist mein Denk-Kabäuschen“, schwärmt der Bauherr. „Hier kann ich die Baumwipfel streicheln.“

13. September 2008 Der Standard

Edelschuppen auf der Alm

Vom Bestand blieb nur der weiße Sockel. Gekonnt setzten die Architekten Florian Sammer und Karoline Streeruwitz einen Holzleichtbau mit asymmetrischem Satteldach darauf.

Die Lage ist traumhaft. Zwischen saftigen Almen liegt das Grundstück hoch über dem Traunsee, unmittelbar dahinter beginnt der Wald. Nach eigenen Vorstellungen hatte der Vorbesitzer bereits ein Fundament sowie einen Garagentrakt mitsamt romantischen Fensterbögen bauen lassen. Dann bestellte er ein rustikales Blockhaus aus Finnland. Das landete direkt am weißen Sockel.

Doch die Räume wirkten drückend. Ein neuer Holzleichtbau sollte das Haus in ein lichtes, komfortables Feriendomizil verwandeln. Um dem Ort seine Reverenz zu erweisen, wünschte sich der Bauherr dunkle Holzverkleidung und ein Satteldach. Die Nordwand mit dem Bild des heiligen Christophorus musste erhalten bleiben, ebenso der alte Stiegenaufgang und der grüne Kachelofen.

Stilsicher entwickelten Florian Sammer und Karoline Streeruwitz einen zweigeschoßigen Baukörper aus Holz, der außen mit dunkel lasierten Dreischichtplatten verkleidet ist. Wie ein schwarzer Monolith sitzt er nun am weißen Sockel. Über der oberen Schlafebene steigt sacht das asymmetrische Dach an, zum Waldrand im Westen fällt es steil wieder ab.

Der Eingang ist unverändert. Unter dem Schutz des Heiligen schlüpft man im Norden ins Haus. Nahtlos geht der alte Treppenaufgang in die neue Stiegenskulptur über. Brüstung und Untersichten sind mit honiggelbem Teakholz furniert. Davor breitet sich die offene Weite der neuen Wohnebene aus: Galerie, Decke, Wände und Möbel wurden in einem Guss aus Holz gestaltet. Alles fügt sich Ton in Ton. Das verleiht dem großen, hohen Raum die warme Atmosphäre kultivierter Ländlichkeit.

Durch ein hohes, langes Fensterband bricht im Osten die Landschaft herein. Im Cinemascope-Format wandert der Blick über Traunstein und Traunsee. Davor gleitet eine ausladende Terrasse am Panorama entlang, darüber kragen die Privaträume aus. Der Vorsprung spendet der Terrasse Schatten und bildet einen umlaufenden, gedeckten Freiraum, wo sich auch bei Schlechtwetter sitzen lässt. „Im Salzkammergut regnet es oft“, sagt der Bauherr, „ich wollte keine kleine Kiste, sondern ein Haus mit Charakter, in dem man atmen kann.“

Blick bis zum Wasser

Über seinem Schreibtisch, der gleichen neben dem Treppenaufgang steht, ist ein großer, fast sechs Meter hoher Luftraum eingeschnitten. Er sorgt dafür, dass man selbst von der Galerie bis zum Wasser blicken kann. „Unsere Grundidee war, auch in den hinteren Bereichen des Hauses einen Bezug zum Traunsee herzustellen“, sagt Architekt Florian Sammer. Die Aussicht ist vielfältig: Während die Küchenzeile den Wald im Blick hat, gibt die Durchreiche die Sicht auf den See frei.

Über der Couch am Sonnendeck wurde ein zweiter hoher Luftraum eingeschnitten. Davor liegt eine Bibliotheksgalerie mit Oberlicht und Himmelsblick. „Für mich ist das eine eigene, andere Welt“, sagt der Bauherr, „hier kann ich mich voll und ganz entspannen.“ Am Parkettboden liegt ein dickes Fell, daneben erstreckt sich eine ausgedehnte Liegelandschaft. Ein Panoramafenster in der Wand lädt zum Tag- und Nachtträumen ein. Und übrigens: Das alte Blockhaus wurde zum Selbstabbau verschenkt und in Gosau wieder aufgestellt.

6. September 2008 Der Standard

Camouflage war gestern

Auf einem ehemaligen Kasernenareal bauten die Architekten Patricia Zacek, Christoph Karl und Andreas Bremhorst einen Wohnbau mit hoher Freiraumqualität. Die Mieter sind zufrieden.

Einst herrschte auf dem fast 10.000 Quadratmeter großen Areal in der Donaustadt militärischer Drill. Lange Zeit stand hier die Carl-Kaserne und hielt sich diszipliniert an den Blockrand. 2004 schrieben die beiden Wohnbauträger Arwag und Gewog einen Bauträgerwettbewerb aus, der die Weichen für eine Zukunft mit gefördertem Wohnbau stellte.

Die Arbeitsgemeinschaft Zacek, Karl+Bremhorst setzte acht verschieden lange und jeweils zwölf Meter tiefe Riegel mit lauter nord-süd-durchgesteckten Wohnungen auf den Block. Sie bilden vier Reihen, die von breiten Durchgängen, Freiräumen und Spielplätzen durchzogen sind. Der einstige Kasernenhof wird damit zum Wohnpark. Die zwei Zeilen im Norden wurden mit der ARGE Zacek, Karl+Bremhorst umgesetzt. Nach ihrem städtebaulichen Leitbild realisierte Architekt Peter Czernin dann den zweiten Teil der Anlage. Ein einzelnes Objekt der Kaserne blieb stehen.

Städtebaulicher Adapter

Die Wohnanlage liegt unweit von U-Bahn, Donauzentrum und einer Volksschule, im Osten grenzt ein Freibad an den Block, im Norden zieht eine Allee vorbei. Dahinter liegt die Freihofsiedlung, eine durchgrünte Anlage aus der Nachkriegszeit. Die erste Wohnzeile von Zacek, Karl und Bremhorst war daher als Bauklasse II deklariert und musste sich der Freihofsiedlung anpassen. Auf dem übrigen Grundstück galt Bauklasse III.

„Um zwischen niederer und höherer Bebauung einen weichen Übergang zu schaffen, zieht sich in zwölf Meter Höhe eine klare Kante durch“, erklärt Zacek das städtebauliche Konzept. „Außerdem wollten wir den Block mit durchgängigen Querverbindungen zur Umgebung aufreißen, denn rundherum ist es sehr grün. Also zogen wir die vier Zeilen wie einen Reißverschluss auseinander.“

An den Enden sind den viergeschoßigen Wohnriegeln würfelförmige Kopfbauten vorgelagert. Hier liegen die Stiegenhäuser. Orange und gelb strahlen die Wände und Decken des Foyers durch die Glasscheiben. „Die Kopfbauten sind die Gesichter der Wohnanlage“, so Zacek.

Zwischen den tragenden Stahlbetonscheiben erstrecken sich alle Wohnungen von Norden nach Süden. Unten sind wie in einem Reihenhaus Maisonetten aufgefädelt, den Geschoßwohnungen darüber sind durchgehende Loggien vorgelagert. Einige Bauteile haben außerdem noch Penthouses am Dach, die als Staffelgeschoß zurückgesetzt sind.

Die gedeckten Terrassenstreifen vor den Wohnküchen sind bereits stark belebt, die Gärten schon üppig bewachsen. Darüber kragen Balkone aus. Mal sind ihre Brüstungen aus grünem Glas, mal aus lichtdurchlässigem Metall, das sich auch an den Laubengängen wiederfindet, die an der Nordseite entlang pfeifen.

Ansonsten sind die sonnenabgewandten Fassaden der Wohnhäuser mit elfenbeinfarbenen Faserzementplatten verkleidet. Das hat eine schöne Textur und wirkt wie ein Wohnzimmerkasten", so Zacek. An den horizontalen Fensterbändern liegen jeweils Küche, Bad und Schlafzimmer.

Stolz zeigt ein Mieter seine Wohnung. Vom Laubengang bis zur Loggia erstreckt sich seine offene Wohnküche. Tisch und Sessel stehen draußen bereit, genussvoll sonnt sich unten einer im Garten. Im Hof spielen Kinder. Er ist glücklich mit seiner neuen Bleibe: „Es ist eine sehr schöne, gelungene Anlage. Der alte Kasernenplatz ist damit optimal genutzt.“

30. August 2008 Der Standard

Kiste in modellierter Landschaft

Die Gegend rund um den Traunsee besticht durch fantastische Landschaft. Christa Buchinger plante ein Haus mit Schlosserei-Werkstatt, Massagepraxis und viel Blick in die Natur.

Hoch oben über Altmünster. Wild romantisch zieht der Schustergraben seine Furche in den Hang. Ein Bach rauscht in der Klamm, zarte Sonnenschleier huschen zwischen die Bäume, von fern schimmert der Traunsee durch. Lange Zeit wohnten die Bauherren in einem Dachboden unten im Ort. Sie hatten eine Terrasse aus Waschbeton und sehnten sich nach Natur.

Davon gab es auf dem fast 1000 Quadratmeter großen Grundstück mehr als genug. Das Raumprogramm war umfangreich: Der Bauherr betreibt eine Schlosserei, seine Frau eine Massagepraxis. Viel Platz im Bad und im Garten sollte außerdem sein, denn da halten sich die beiden am liebsten auf.

Im Osten steigt die Straße an, im Westen erklimmt eine Wiese den Hang. Hier stehen Kühe auf der Weide und Obstbäume um einzelne Gehöfte. Vom unteren Spitz bis zur oberen Grenze steigt der Grund um über acht Meter an. Das Gelände wurde modelliert und das Haus an die westliche Kante gerückt.

„Das Wichtigste waren ein naturnaher, heller Wohnraum mit direktem Bezug zum Garten, Pool, Terrasse und klare Zugangsverhältnisse zu den privaten und halb öffentlichen Bereichen des Hauses“, sagt Architektin Christa Buchinger, „hier kommen alle mit dem Auto. Also habe ich das Gebäude so positioniert, dass ein großzügiger Vorplatz entsteht.“

Zimmer mit Aussicht

Im Sommer wirkt der Baumbestand im tiefen Graben wie eine grüne Wand, im Winter aber wird er zu einem transparenten Schleier, durch den man bis zum Traunsee sieht. „Diesen Blick auf Wald und Wasser wollte ich unbedingt hereinholen“, erklärt die Architektin. Die langgezogene Raumsequenz aus Kochen, Essen und Wohnen mündet direkt auf die Terrasse, die sich bis zum Schwimmbiotop am Ende des Gartens erstreckt. Die Natur ist hier zum Greifen nah: Im Osten öffnen sich die Räume mit raumhohen Glastüren in die Landschaft. Ein Band aus olivgrünen Eternitplatten schlingt sich wie ein Mäander um das ganze Obergeschoß und rahmt die Bäume und den Himmel ein.

Drinnen zieht sich eine blaue Sitzlandschaft um den gemauerten Kamin. „Diese Couch ist ideal für die Kinder. Mit den riesigen Pölstern bauen sie sogar Häuser“, erzählt die Baufrau. Eine große Qualität des Hauses ist, dass die kleinen Bewegungskünstler direkt auf die Terrasse hinauslaufen können. Auch das Bad mündet auf das schwebende Flugdach. Es ist ein großzügig verglaster Raum mit genügend Platz zum Turnen und Relaxen. Orange strahlen die Laden unter den weißen Waschbecken, durch die Fenster blinzeln See und Traunstein herein. Eine Sprossenwand im Bad animiert zum täglichen Turnen.

Die Treppenskulptur in der Mitte des Hauses ist von integrierten Regalen, einem Schreibpult mit Blick in den Garten und einer Bank vor der Küche flankiert. Sie wird so zum vielfach nutzbaren Dreh- und Angelpunkt. In die Arbeit haben es Bauherr und Baufrau jedenfalls nicht weit. Gleich an das Foyer im Erdgeschoß dockt die Schlosserei-Werkstatt, rechts davon liegen zwei Behandlungsräume zum Massieren. Eine halbhohe Sichtbetonmauer schützt zwar vor Einsicht, lässt die Sonne aber ungehindert in den Raum fallen.

2. August 2008 Der Standard

Die Wohnwürfel neu gemischt

Architektur muss nicht immer dem Straßenraster folgen. In Wien Favoriten realisierte Rüdiger Lainer eine Skulptur mit 250 Wohnungen. Farbkonzept und Freiräume lehnen sich weit aus dem Fenster.

Wien Favoriten. Hier gibt der Blockraster der Gründerzeit den städtebaulichen Ton an. Auch für den Bauplatz des Bauträgers Heimbau & Eisenhof sah der Widmungsentwurf eine geschlossene Randbebauung vor. Auf dieser Basis wurde ein offener Wettbewerb für eine Wohnanlage mit 33.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche mitsamt Kindertagesheim ausgeschrieben.

Das Büro Rüdiger Lainer+Partner setzte an der Wurzel an, mischte die Karten der Widmung neu und schichtete das Volumen komplett um. Zweistöckige Hofhäuser bilden eine kleinteilige, mediterran anmutende Sockelzone. Darüber erobern vier freigeformte Hausformationen den Luftraum über dem Block. Die geknickten Fassaden, aus denen kühn auskragende Bauteile weit vorpreschen, mäandern dem Sonneneinfall hinterher und bilden dabei Höfe und Plätze aus. Fast jede Wohnung hat eine Veranda, Loggia oder Terrasse.

Die Architekten hatten das Glück und die Jury auf ihrer Seite. „Wir haben die Volumen neu verteilt, um trotz der hohen Dichte möglichst viele unterschiedliche Freiräume zu schaffen“, erklärt Rüdiger Lainer. Die Staffelung der Baumassen - die hohe Bebauung rückt von der Straße ab - bringt sowohl den Nachbarn als auch den Wohnungen eine bessere Belichtungssituation. „Wir sind davon ausgegangen, dass jede Einheit mindestens drei Stunden am Tag Sonne haben sollte“, so Lainer, „daraus ergibt sich die Verformung der Baukörper.“

Das Terrassenhaus Buchengasse gibt sich durch und durch urban, die Anlage zu durchschreiten ist ein absolutes Erlebnis. Terrakottafarbene Mauern säumen den Block, der von Wegen und gestalteten Freiräumen durchzogen ist. Dahinter liegen die Gärten und Terrassen der Maisonetten. Gemeinsam mit dem Künstler Oskar Putz wurden die Fassaden in viele frische Farben getaucht.

Am westlichen Eck steht ein kompakter, abgewinkelter Dreispänner. Elf Geschoße ragt dahinter Bauteil C hoch: An den Kanten wechselt der verästelte Baukörper von sattem Orange in zartes Rosa. Die eingeschnittenen Loggien strahlen hellblau. Durch ein Oberlicht fällt die Sonne ins Stiegenhaus, das sich als innere Gemeinschaftszone im ganzen Haus verzweigt. In seiner Mitte ist ein ovaler Luftraum eingeschnitten, der wie eine Wirbelsäule aus Licht alle Ebenen durchwandert.

Hochgebirge in der Stadt

Im Süden ragt auf einem zarten, acht Meter hohen Stützenwald ein mächtiger, mehrstöckiger Bauteil in den Himmel. Wie an einem Fels klettern vorgehängte Veranden die Fassade hoch. In die Schalung der Betonfertigteile wurden Bambusmatten eingelegt. Deutlich sichtbar hat sich das Relief in den Beton gedrückt. Schon bald werden in den Terrassentrögen echte Pflanzen wachsen. „Diese Terrassenhäuser sind wie ein Gebirge“, sagt Projektleiterin Andrea Graßmugg, „man geht hinein, dann verschwinden die Gipfel und tauchen irgendwann wieder auf.“

Entlang des Weges liegt das neue Kindertagesheim. Durch die runden Einschnitte seines Vordachs lugen die Veranden des Wohnbaus dahinter. Wie ein Hochseedampfer ragt dahinter Bauteil D in die Höhe. Am begrünten Dach gibt es Sauna, Beete und Wienblick für alle.

26. Juli 2008 Der Standard

Mit einem Hang zur Eleganz

In den Hang eines prachtvollen Gartens setzte Architekt Dominik Aichinger ein exquisites Feriendomizil. Hinter einer Mauer aus rosa Quarzit offenbaren sich großzügige Wohnräume.

Architekt Dominik Aichinger durchforstete sein Archiv, ließ seine schönsten Bauten fotografieren, betexten und zum Bildband drucken. Ein Exemplar schickte er jenem Ehepaar, das ihm den Dachboden verkauft hatte, in dem er heute lebt. Das Buch kam gerade richtig: Das Paar steckte zu der Zeit knöcheltief in der Planung eines Ferienhauses.

Aichinger wurde zu Rate gezogen. Er entwarf ein Haus, das voll ins Schwarze traf. Während das Erdgeschoß im Hang verschwindet, nimmt die Südfassade die Geländekante auf und öffnet sich mit einem vorgeschalteten Wintergarten ins Freie. Vorwitzig lugt die kupferverkleidete Box mit den Privaträumen der Bauherren über die Böschungsmauer, die das Haus rahmt und es zum integrativen Bestandteil einer kultivierten Gartenlandschaft werden lässt.

Der Baugrund liegt einen Steinwurf vom Steinfeldersee, der einst durch Braunkohleabbau entstanden war. Die Zufahrt im Süden liegt gerade noch im Burgenland. Von hier erstreckt sich über die Grenze zu Niederösterreich hinweg ein riesiger Garten mit Akazien, Magnolien und Kastanien. Auf der Hangkante im Norden fuhren früher die Hunte.

Wasser und Stein

„Das Wertvollste hier ist der Garten“, sagt Aichinger, „der Großteil ist eben, dann steigt der Hang über dem einstigen Gleiskörper steil an. Das Haus sollte wie ein traditioneller Weinkeller hinter einer Stützmauer im Hang verschwinden.“ Wie durch ein Portal schlüpft man unter einem kupferverkleideten Flugdach in den paradiesischen Garten. Eine zarte Bodenmarkierung bezeichnet die Landesgrenze zwischen den Bundesländern. Der Weg ist mit Quarzit gepflastert, auch die Mauer wurde mit dem hellrosa und ocker oszillierenden Stein verkleidet.

Ein Wasserfall ergießt sich aus dem Stein ins Schwimmbiotop. An der Sonnenterrasse ist eine 17 Meter lange, stützenfrei überspannte Öffnung in die Mauer eingeschnitten. Dahinter liegt ein Wintergarten mit raumhohen, rahmenlosen Isoliergläsern, die sich zur Gänze beiseite schieben und kompakt gebündelt hinter der Quarzitwand einparken lassen.

Schiebetüren sorgen für einen fließenden Übergang in die Wohnküche, in deren gigantischen Luftraum die Arbeitsgalerie ragt. Von hier können die Bauherren Fotos und Filme auf die weiße Wand gegenüber projizieren. Die Sonne, die im Norden durchs Oberlicht und im Süden durch die Fenster des Schlaf- und Badezimmers fällt, lässt den sechs Meter hohen Raum fast sakral erscheinen.

„Man hat nie das Gefühl, im Hang zu sein“, sagt die Baufrau, die stolz am weißen Möbel lehnt. Auch der fußwarme Eichenboden ist weiß gelaugt. Hinter dem Küchenblock ragt eine dunkle Schrankwand hoch, davor liegt der offene Raum mit dem Kamin, der von der Decke hängt. Dahinter steckt der Weinkeller tief in der Erde.

Eine rote Schrankwand am hangseitigen Mauerrücken bietet Stauraum für alle. Leicht gefiltert dringt die Sonne durch den Wintergarten in die drei Gästezimmer, in denen Söhne und Enkel an freien Tagen immer willkommen sind. Hinter dem begrünten Flachdach klettert dann der Hang zur Grundgrenze hoch, wo Ribisel wachsen und ein Nussbaum steht.

12. Juli 2008 Der Standard

Klein, aber Design

Eine Stadtwohnung mit 24 Quadratmetern? Das Wiener Architekturbüro Franz Sam und Irene Ott-Reinisch hat aus diesem beengten Umstand eine Garçonnière mit vielen Gadgets gezaubert.

Die Baufrau lebt in Krems und nimmt regen Anteil am Wiener Kulturgeschehen. Um nach Theater- und Konzertabenden in ihren eigenen vier Wänden übernachten zu können, kaufte sie sich eine kleine Garçonnière mit Zimmer, Vorraum und WC. Der altrosa Wandanstrich mit den weiß gemodelten Blumen, Linoleum und Terrazzo stammten aus der Nachkriegszeit, die Haustechnik war nicht viel frischer. Auch die später eingebaute Duschtasse erhöhte die Aufenthaltsqualität nur marginal. De facto nutzte die Baufrau ihre Wiener Bleibe kaum.

„Eigentlich wollte ich Architektur studieren“, bekennt sie, „doch nun lebe ich mit lauter Familienfotos im Haus meiner Urgroßmutter. Wirklich puristisch wohnen, wie ich es eigentlich will, kann ich dort nicht.“ Den Wunsch nach der Reduktion auf das Wesentliche sollte ihr der Wohnungsumbau in Wien erfüllen. „Ich wollte eine Zweitwohnung, in der man bequem schlafen, tagsüber arbeiten und abends dann kochen und Gäste einladen kann.“

Die beiden Architekten Franz Sam und Irene Ott-Reinisch sind pragmatische Tüftler mit einem starken Hang zu multifunktionalen Lösungen. „Die Wohnung ist extrem durchdetailliert. Wir haben einen ganzen Lebensinhalt in diese 23,7 Quadratmeter hineinprojiziert“, sagt Sam, „das ging nur, weil sich fast alles bewegen und verändern lässt.“ An der linken Seitenwand des Vorraums klettert eine aufklappbare Schuhablage hoch, rechts liegt das Bad hinter einer Schiebewand aus Mattglas. Die Spüle wurde eigens per Computer in die Nirostaplatte eingeschweißt, diese wiederum passt genau vor den Installationsschacht. In die Nische dahinter ist das WC eingerückt. Alles ist bis zum letzten Millimeter durchgedacht.

Das beweisen allein schon die ausgeklügelten Türen in der Wohnung: Mit der Schiebetür des Kastens lässt sich zugleich die Küche wegschalten. Wenn die Glaswand der Duschzelle nachrückt, werden damit die Kleider verdeckt. Schiebt man sie in die andere Richtung, trennt sie den Vorraum ab. Bleiben die Schiebewände zu, ist der Wohnbereich zugänglich.

Die Wände wurden weiß beibehalten, fast alle Möbel sind aus hellem Ahorn. Auf dem Boden liegt Eichenparkett, die Küche ist in Grau, Schwarz und Edelstahl gehalten. Ein schmales Wandregal zieht sich bis ins Zimmer vor. Es ist so hoch, dass das rote Sofa und der Klapptisch auf Rollen darunter gerade noch Platz finden. Abends mutiert die Couch zum Doppelbett und der Tisch zum Nachtkästchen.

Viele Funktionen in einem

Die Rückseite des Regals wirkt wie eine Stele im Raum. „Das ist ein voluminöses, innen ausgehöhltes Objekt mit allen technischen Features für einen Computerarbeitsplatz“, verrät Sam. Auf der Metallablage unter der Tischplatte verlaufen sämtliche Kabel, ein Rollcontainer birgt Drucker, Laptop & Co.

Im Normalzustand rahmt der Tisch den Freiraum vor dem Fenster. Schiebt man ihn vor, wird er zur Tafel für sechs Personen, in der Business-Variante wiederum mutiert er zum Besprechungstisch. Die Freude über die Multifunktionalität war jedoch von kurzer Dauer: Ein paar Wochenenden hindurch genoss die Baufrau die Wohnung. Dann zog ihr Sohn ein. Er betreibt hier nun sein Büro.

5. Juli 2008 Der Standard

Schmuckstück am Baggersee

Die Bauvorschriften waren streng und gaben sogar Dachform und Farbe vor. Katja Nagy baute daraufhin eine homogene Schmuckschatulle, die auf Ausblick und Wassernähe ausgerichtet ist.

Der Baggersee hat Geschichte. Vor fast vierzig Jahren wurde er angelegt, damals kaufte sich die Baufrau mit ihrem Gatten einen Grund. Die Ehe ging in Brüche, doch die Liebe zum See blieb. Später legte sie sich eine der letzten Parzellen zu und entschied sich mit ihrem jetzigen Mann fürs dauerhafte Wohnen am Wasser. Als Planerin ihres Hauses kam nur eine infrage: ihre Tochter Katja Nagy.

Aus den kargen Vorschriften der Bauordnung drechselte sie ein lichtdurchflutetes Haus mit einem praktischen Nebengebäude. Außen besticht der mattbraune Baukörper durch schlichte Eleganz. Innen erzeugen differenzierte Raumhöhen, vorstehende Bauteile und ein abgegrabener Keller ungeahnte Weite.

Mit 13 Meter Breite und 27 Meter Länge ist der Grund sehr klein. An einer steilen Böschung ruht dahinter - tief unten im Süden - der See. Die Bauflucht des Hauses musste sich nach den Nachbarn an der Straße richten, mehr als 45 Quadratmeter Grundfläche waren nicht drin. Außerdem war ein flaches Satteldach in Grau oder Braun gefordert. So kam das kleine, kompakte Haus zu seinem beigen Eternitplattenkleid, das es vom Scheitel bis zur Sohle in einen feinen Materialguss taucht.

Split-Levels schaffen Größe

Maximal 3,50 Meter Traufkantenhöhe waren erlaubt, dafür durften die Stiege, eine Gaupe und ein Erker aus dem Haus ragen. „Ich musste die Räume sehr kompakt organisieren, um mehr als ein Geschoß unterzubringen“, sagt Katja Nagy, „in diesem Haus gibt es viele Treppen und Niveaus. Von außen wirkt es klein, von innen riesig.“ Dank dem abgegrabenen Keller bietet das Haus nun mehrere Split-Levels, die einem komplexen Raumplan in bester Loos'scher Tradition folgen.

Der Grundwasserspiegel des Sees schwankt: Abgesenkt in einer Dichtbetonwanne, ruht der Keller in der Erde. Der Rest des Hauses ist aus Holzfertigteilen, wobei der Rohbau in nur drei Tagen stand. Unter der Dachgaube stülpt sich im Norden die Stiege aus der Wetterseite, windgeschützt drückt sich die dunkel verkleidete Eingangsnische in die Westwand. Zwar ist das Vorzimmer nur 2,10 Meter hoch, doch gleich dahinter steigt die Decke an. An der Nordwand führt eine einläufige Treppe auf die Arbeitsgalerie, von der man die ganze Wohnebene überblickt. In die massive Mauerscheibe des Stiegen- und Sanitärkerns sind Bücherregale und ein Kamin integriert, davor breitet sich der offene, verglaste Wohnbereich aus.

Fünf Stufen höher entschwebt der Essplatz im Sonnenerker scheinbar ins Freie. Doppelt gebrochen sieht man durch die Glasscheiben des Nebengebäudes auf den See. „Andere Leute haben eine Fototapete, doch hier ist alles echt“, schwärmt die Baufrau, „am meisten genieße ich es, mitten in der Natur zu sein. Ich muss nicht hinaus - ich hab sie im Haus.“

Im Untergeschoß ist es angenehm kühl. Hier legt sich die Schlafebene um ihre eigene, schattige Terrasse. Davor klettert der Rasen eine Böschung hinauf, die die kleine Nichte schon als Krabbelwiese für sich entdeckt hat. Zwei Streckstühle stehen im Schaufenster des Gästehauses, das auch Sauna und Geräteschuppen birgt. Dahinter führt eine steile Betonstiege durch die wilde Wiese direkt zum Wasser.

28. Juni 2008 Der Standard

Große Villa im kleinen Garten

Dem Kleingartenhaus von t-hoch-n Architektur sieht man die Kompaktheit auf den ersten Blick kaum an. Zur Beschattung ragt im Süden eine waghalsige Pergola aus dem Haus.

Als die beiden Söhne flügge wurden, beschlossen die Eltern, die Wohnung dem Nachwuchs zu übergeben und sich im familieneigenen Kleingarten ein Haus nach Maß planen zu lassen. Die Wunschliste war ellenlang: Eine große, offene Wohnküche mit Terrasse stand da drauf, eine Wellnesszone, ein extern begehbares Büro und ein Gästezimmer mit Kochstelle und Sanitärbereich.

Erst wurden Kleingartenhaus-Spezialisten konsultiert, schließlich landete das Paar beim Wiener Architekturbüro t-hoch-n. „Das Raumprogramm war eine echte Herausforderung“, sagt Architekt Gerhard Binder, „wir mussten eine spezielle Lösung finden, um das alles unterzubringen.“ Die Parzelle ist nur 13 Meter breit und etwa 45 Meter lang. Vom Zugang im Süden steigt das Grundstück an. „Früher stand da ein kleines Knusperhäuschen. Dadurch hatte man kaum noch was von der Aussicht“, so der Architekt, „dabei sieht man von hier bis zu den Windrädern von Parndorf.“ Diesen Blick wollte man zelebrieren und mit den Besonderheiten des Ortes verbinden.

Mehr als 50 Quadratmeter Grundfläche durfte das Haus nicht auf den Hang bringen - so sieht es die Wiener Bauordnung für Kleingärten vor. Die Architekten entschieden sich dazu, einen Quader von 5 mal 10 Metern quer über den Garten zu legen. Die offene Wohnebene erstreckt sich mit raumhohen Glasschiebetüren nach Süden und auf die Terrasse ins Freie.

Das Geschoß darüber springt zurück. Wie eine Skulptur ragt im Süden eine riesige Pergola aus dem Haus. Sie dient als baulicher Sonnenschutz und ist teilweise mit Aluminiumlamellen verkleidet, die viel Schatten werfen. Um auch das Frühstücken im Freien angenehm schattig zu gestalten, ist im Osten ein großes Sonnensegel diagonal über die Terrasse gespannt.

Raffinierte Erschließung

Der Clou des Entwurfs liegt jedoch in der Erschließung, die nach allen Regeln der Kunst den Weg durchs Haus zelebriert. Das beginnt schon an der Grundgrenze. In der Mitte des Gartens führt eine Rampe zwischen der aufgeböschten Wiese direkt zum Eingang. Laut Bauordnung liegt er im Kellergeschoß, dem geheimen Raumreservoir, das von einem südseitigen Oberlichtband erhellt wird. Links ist das Gästezimmer, rechts das Büro, hinter einer Schiebewand aus weiß lasiertem Bambus versteckt sich die Garderobe.

In der Mitte des Hauses liegt ein offenes Atrium mit einer raffinierten Doppeltreppe, die Licht und Blick durchs ganze Haus schweifen lässt. Unten ergibt sich ein geschützter, lichtspendender Innenhof zwischen Gästezimmer und Büro, von dem man - durch die Stufen hindurch - bis hoch in den Himmel sehen kann. „Hier ist man mitten im Geschehen“, schwärmt der Bauherr, „diese Stiege ist ein wahrer Blickfang.“

U-förmig breitet sich eine Terrasse am Flachdach des Kellers aus. Vor dem Schlafzimmer entschwebt das weiße Sonnensegel übers Häusermeer. Beim Aufwachen wird das Paar regelmäßig von Eichhörnchen, Füchsen, Nattern und Vögeln im Garten begrüßt. Auch das Bad am Panoramaglas im Westen hat es in sich: „Von der Wanne aus kann man ganz Wien überblicken“, schwärmt der Bauherr, „ob bei Tag oder Nacht, das ist immer ein tolles Erlebnis.“

21. Juni 2008 Der Standard

Stilvolle Krone für die Gründerzeit

Mitten im dicht verbauten Wien erstrahlt ein Gründerzeithaus im neuen Look. Die pool-Architekten setzten dem Bestand zwei Geschoße auf und verbanden das Alte und das Neue zu einer Einheit.

Das Haus stammt aus dem Baujahr 1890, hatte nur zwei Geschoße und eine kaiserliche Adresse. Es liegt in der Kaiserstraße im hippen siebten Wiener Gemeindebezirk. Das Schönbrunnergelb war stark ergraut, der Laden im Erdgeschoß schon seit langer Zeit geschlossen. Das konnte nicht so bleiben. Der Bauträger Gewog legte daher die Sockelsanierung und den Dachausbau in die Hände der pool-Architekten.

Die Zugangssituation wurde verbessert, die behutsam entkernten und zusammengelegten Wohnungen wurden mit neuen Fenstern, Parkettböden und allerlei haustechnischem Komfort ausgestattet. Im neuen Dachaufbau wurden zudem elf neue Wohneinheiten geschaffen. Die gegeneinander versetzten Bauvolumen und Terrassen sorgen für Licht, Luft und Freiraum.

Das Haus liegt im dicht verbauten Stadtgebiet. Der Hauseingang, der früher in der Mitte der Straßenfassade lag, wurde an die nördliche Feuermauer verlegt. Durch ein dynamisch geknicktes, gläsernes Portal kann man nun von vorn bis hinten das ganze Haus durchschreiten. Frisches Blau an Wänden und Pfeilern und die vielen Rampen bilden einen spannenden Parcours, der bis ins Hinterhaus führt. Zwei Seitenflügel mit eigenen Stiegen umschließen einen sechs Meter schmalen Hof.

Nachdem das Kellerfundament verstärkt wurde, konnte das Abenteuer auf dem Dach beginnen. An der Feuermauer im Süden ist ein Hohlraum eingeschnitten, der als unsichtbare Lichtquelle alle Ebenen durchzieht. Dem Wohnraum im vierten Stock schenkt er eine exklusive, witterungsgeschützte Loggia, der Wohnung darüber eine Terrasse mit Blick zum Wilheminenberg. „Ich finde es sehr schön, dass man vom Balkon in die Kinderzimmer sehen kann“, sagt das Mädchen, das hier wohnt. Auf der Terrasse darunter übt ein Kind gerade Schnurspringen.

Aufbau aus einem Guss

„Wir wollten keine glatte Schachtel auf den Bestand setzen. Es sollte wie aus einem Guss wirken“, erklärt Architekt Axel Linemayr vom Büro pool. Als zeitgenössische Attika ragen die zwei aufgestockten Geschoße mit ihren leicht abgeschrägten Kanten über die Kaiserstraße. Sie tragen denselben elfenbeinfarbenen Putz wie der Bestand. „Die Fenster sollten möglichst groß sein, doch der Straßenraum ist sehr eng. Also mussten wir einen Weg finden, um den Sichtbezug zum Gegenüber zu filtern.“

Zwischen den schlanken, modernen Gesimskanten oben und unten sind die Fensterläden aufgefädelt. Wer sie öffnet oder schließt, gestaltet auf diese Weise das Stadtbild mit. „Wir verwenden diese Fensterläden täglich“, sagt Linemayr. Er ist selbst ins Haus gezogen und wohnt im vierten Stock.

Seine 2,70 Meter hohe Wohnküche ist durchgesteckt, geschlafen wird zur Straße. Vor der Glasfassade ist eine trichterförmige Loggia eingeschnitten. Die Decke darüber steigt zum Hof auf fast sechs Meter an. Der vife Architekturkenner hat es wohl schon erahnt: Der Plafond über der Loggia ist zugleich eine Treppe - über sie gelangt man auf die Terrasse der Wohnung darüber. Dort beginnt der zweistöckige Dachaufbau, der das Haus stilvoll krönt. Von all dieser angewandten Geometriekunst ist von unten jedoch kaum etwas zu sehen.

14. Juni 2008 Der Standard

Aus eins mach zwei mach fünf

Die Wohngegend ist teuer. Für den Bauträger Familienhilfe schuf der Wiener Architekt Otmar Hasler eine kompakte und komplexe Wohn-skulptur, die Platz für fünf Familien bietet.

Liesing ist ein sehr hybrides Stück Stadtlandschaft. Übergangslos treffen hier Einfamilienhäuser, Villen, soziale Wohnanlagen und Gewerbebauten aufeinander. Ein Aquädukt der Wiener Hochquellwasserleitung quert die Peripherie. Gleich dahinter beginnt Perchtoldsdorf mit seinen Weinbergen und Heurigen. Wer hier wohnt, der schätzt den Sprung ins Grüne.

Unmittelbar gegenüber vom Rodauner Friedhof hatte die gemeinnützige Bau- und Siedlungsgesellschaft Familienhilfe einen etwa 1000 Quadratmeter großen Grund gekauft. Die Bauordnung schreibt für diese Gegend Kleinhäuser vor, die bis zu 7,50 Meter hoch und maximal 200 Quadratmeter groß sein dürfen, wobei das Haus ein Viertel der Grundstücksfläche nicht übersteigen darf. Um die nötige Dichte für einen Wohnbau zu erreichen, unterteilte der Bauträger den Bauplatz in zwei Parzellen. Der Bauordnungstrick machte eine gekoppelte Bauweise bindend.

Architekt Otmar Hasler ließ zwei Kleinhäuser zu einem differenzierten Baukörper mit fünf Wohnungen und einem Büro zusammenwachsen. Das fertige Bauwerk ist eine Skulptur mit Vor- und Rücksprüngen, die gleichsam ihr Inneres nach außen stülpt. Nur an der offenen Doppelstiege in der Mitte des Hauses ist die Zweiteilung des Grundstücks noch zu spüren. Als Treppenlandschaft, die das Gebäude perforiert, zieht sie sich vom Erdgeschoß bis aufs Dach.

Im Norden zeigt das Niedrigenergiehaus den Nachbarn seine verputzte Hinterseite. An diesem schattigen Rücken liegt ein Großteil der Schlafzimmer. „Auf einer Fläche, die sonst für zwei reicht, wollte ich insgesamt fünf Familien das Gefühl geben, ihr eigenes Haus zu bewohnen“, sagt Hasler. Auf diese Weise könnten mehr Menschen von der Wohnqualität am Stadtrand profitieren.

Qualität dank freier Räume

Keine der fünf Wohnungen ist gleich. Raumhohe Glasflächen, eingeschnittene Balkone, vorspringende Erker und Terrassen von unterschiedlicher Tiefe reißen die Ecken auf und bilden vielfältige Freiräume aus. „Das wesentliche Thema für mich war, das geforderte Volumen möglichst durchlässig auf dem Grundstück zu verteilen“, so Hasler, „gehobene Wohnqualität bedeutet für mich, weite Räume zu erzeugen und viele Bezüge zwischen Innen und Außen zu schaffen.“ Die uneinsehbaren Freiräume versprühen zudem die Atmosphäre eines Einfamilienhauses.

Von den raumhoch verglasten Wohnräumen im Erdgeschoß gelangt man direkt auf die Terrasse. Dank Oberlichtbändern, eigenen Sanitärzonen und Nebenräumen lassen sich die Keller dieser ebenerdigen Einheiten wunderbar als Büros nutzen. Luftig und vornehm schweben darüber die zwei oberen Geschoße. Die schmalen, vorstehenden Balkonbänder bilden eine klare Zäsur zwischen unten und oben, wo man nah am Himmel wohnt.

Erschlossen werden die Wohnungen im ersten Stock. Hinter den Eingangstüren führt der Weg weiter aufwärts. Die gläsernen Ecken der Wohnräume öffnen sich zu Terrassen, die so tief sind, dass auch Tische darauf Platz haben. Von hier führt eine Treppe weiter auf die Dachterrasse, die von einem Meer aus feinem, schwarzem Lavagestein umgeben ist.

7. Juni 2008 Der Standard

Wohnskulptur mit Kanten

Das Grundstück war steil und schmal. Die syntax architekten stellten auf den grünen Sockel ein Holzhaus mit Wiedererkennungswert. Oberstes Prinzip waren Licht und Ausblick.

Die Bauherren haben viele Bekannte aus der Kunst- und Medienszene. Lange Zeit lebten sie in einem schönen Biedermeierhaus, aus dessen Wintergarten man weit in die Landschaft sah. Die Feste, die sie dort gaben, waren legendär. Als sie ihr Heim räumen mussten, war klar: Auch das neue Haus sollte sich sehen lassen können und eine Atmosphäre ähnlicher Qualität bieten.

Im hügeligen Weidling hatten sie ein Grundstück, das an einen Hohlweg erinnert. Unter dramatischen Steigungen erklimmt es den steilen Südhang. Der Bauherr bat drei Architekten um einen Entwurf. Die Planung wurde schließlich dem ortsansässigen Büro syntax-architektur anvertraut. „Wir fragen nie nach Zimmern, sondern immer nach Prioritäten“, erklärt Architektin Martina Barth-Sedelmayer, „je abstrakter die Antworten, desto besser für uns, weil wir dann freier entwerfen können.“

Maßgeschneiderte Großzügigkeit, Wohnen mit Ausblick, sinnvolle Geländemodellierung und der Erhalt von zwei Fichten standen auf der Liste der Bauherren ganz oben. Wert gelegt wurde außerdem auf eine klare Trennung von Arbeiten und Wohnen, wobei jedes Kind sein eigenes Zimmer und auch die Eltern ihr Refugium haben sollten.

Wie eine wohnliche Skulptur thront der zweigeschoßige Baukörper selbstbewusst am Hang. Um dem gedeckten Balkon und den großen Fenstern möglichst viel Sonne und Ausblick zuzuführen, sind die Fassaden an der Südseite schräg zugespitzt. Für klare räumliche Verhältnisse sorgt ein lichtes Atrium in der Mitte. Es teilt das Haus in zwei Hälften und bildet eine offene Kommunikationsplattform zwischen den innerfamiliären Territorien aus. Die Westseite des Erdgeschoßes gehört den Kindern. Eines von ihnen hat das Glück, mit exklusivem Waldblick zu wohnen. Die anderen beiden Kinderzimmer ragen an die Geländekante vor. Die Fenster blicken nach Süden.

Fassade mit Patinapotenzial

„Ich habe mir ein Holzhaus gewünscht, das im Laufe der Zeit eine Patina bekommt“, sagt die Baufrau. Wie an einer Klamm schreitet man die lärchenverkleidete Fassade entlang. Keck lugt rechts die schräge Wand des Elternbades vor. In der Tiefe des dunklen Hausecks ruht das Schlafzimmer, durch ein Fenster blinzelt zwischen den Bäumen die Morgensonne herein.

Schöne Lichtstimmung auch im Foyer: Durch einen fast haushohen Glasstreifen fallen Sonne, Himmel und Föhrenwipfel in den Raum. Wie eine Skulptur klettert die Treppe über die Garderobe und windet sich ums Atrium. „Das Licht von oben ist wunderbar“, schwärmt die Baufrau, „wenn es regnet, ist es besonders schön.“ Ein Hingucker ist jedenfalls die Brüstung im Stiegenhaus: Die massive Wand ist mit ovalen Löchern perforiert.

Rechts befindet sich das Arbeitszimmer - eine Oase des Wissens mit vollen Bücherregalen und Ausblick in den Garten. Ein Panoramaglas im Süden weitet die Sicht zum Wienerwald. Links erstreckt sich die Wohnküche über die ganze Hauslänge. Die zweizeilige Küche in der Mitte ist ein Magnet für alle. Das hohe Barelement, an dem man so bequem lehnen kann, bringt so manches Gespräch in Gang.

An der Glastür zur schattigen Terrasse steht der Esstisch. Und es ist wie früher: „Wir haben immer viele Menschen da und feiern gern Partys. Auch die Kinder bringen oft ihre Freunde mit.“

31. Mai 2008 Der Standard

Ein Obdach mit keckem Dreh

„Wir geben Obdach“ lautet das Motto des Vereins NeunerHaus. Auf einem Eckgrund in Favoriten planten Karl Langer und Liane Liszt mit dem Bauträger GPA-WBV das erste neue Objekt mit 60 betreuten Wohnplätzen.

Schulden, Scheidung, Arbeitslosigkeit. Viele Wege führen in prekäre Lebenslagen. Ständige Unterkünfte für Obdachlose sind in Wien sehr rar, einige Obdachsuchende kamen sogar schon in geriatrischen Stationen unter. Also beschloss der Fonds Soziales Wien, Wohnplätze für Bedürftige zu fördern - mit 20 Euro pro Tag, Bett und Nase. Diese Wohnform bietet ein Umfeld, in dem man möglichst selbstbestimmt leben kann. Man kann mit Haustieren einziehen, Partnerschaften pflegen und Besuch empfangen. Architektin Liane Liszt ist Mitglied im Verein. Gemeinsam mit Architekt Karl Langer suchte sie für ihr Projekt NeunerHaus einen Bauträger. Die GPA-WBV war bereit, es zu realisieren und hatte auch schon ein Grundstück parat.

Wien Favoriten: Rundum Lochfassaden, im Westen ein Gründerzeitblock, im Süden ein Wohnbau mit Geschäft und nebenan ein kleiner Park. Mit einem kecken Dreh schwingt sich der elegante Neubau über seinem metallenen Sockel ums Eck, ebenso schwungvoll wird die Lochfassade variiert. Vorwitzig tanzen leicht vorstehende französische Fenster in dunklen Metallrahmen über die weiß verputzten Wände.

Wer lang auf der Straße war, muss sich erst wieder ans Wohnen gewöhnen, in die Gemeinschaft integrieren und neue Perspektiven finden. Dabei werden die ehemaligen Obdachlosen von einem Betreuerteam unterstützt. Dessen Büro liegt gleich am Eingang, im runden Eck des Erdgeschoßes. Durchlässige Metallpaneele an der Fassade dienen als Sonnenschutz und sorgen für eine geschützte Arbeitsatmosphäre im Inneren. Wer jedoch lieber im Offenen arbeitet, kann die Lamellen wegschieben. „Eigentlich sind sie immer zu, denn die Architektur soll doch gut aussehen“, sagt Sozialarbeiterin Doris Savvidis, „alles in allem arbeite ich sehr gern da.“

Eigener Rückzugsraum

Wie ein innerer Hauptplatz breitet sich vor der Stiege ein großzügiges Foyer aus. Rot setzt im ganzen Haus vitale Akzente, beispielsweise im Stiegenhaus und an den Möbeln. „Was braucht es, um menschenwürdig zu leben?“, bringt Architekt Langer die Aufgabe auf den Punkt. „Uns war wichtig, dass jeder seine eigenen vier Wände hat und die Tür zusperren kann.“

Kostendruck und Raumbedarf waren sehr hoch. Um die Räume im Untergeschoß vollwertig nutzbar zu machen, wurde im Keller ein Atrium eingeschnitten. An der Glasfassade zum Hof liegt die Kantine, wo man günstig essen kann. Viele treffen sich da, spielen Karten und trinken Kaffee. „Mir gefällt es hier ausgezeichnet. Ich bin froh, dass ich nun meine Ruhe habe“, sagt Kurt aus dem dritten Stock.

Alle Einheiten sind nach Süden und Westen ausgerichtet und machen das Beste aus ihren knapp 20 Quadratmetern. Jede Mini-Wohnung hat Nasszelle, Eichenparkett, eine Kochzeile mit Essplatz und ein raumhohes Fenster. „Wir wollten den Kontakt nach außen verstärken“, so Langer, „man kann sich in die Fensternischen setzen und an der Straße entlang schauen.“ Noch deutlicher sagen es die Bewohner: „Das ist unser Haus. Wir haben ein echtes Wir-Gefühl.“

24. Mai 2008 Der Standard

Halb und halb macht eins

Das Grundstück war eine topografische Herausforderung. Sacht wurde es von den Architekten Herzog und Hrabal modelliert und dann mit einem schlichten Haus aus Beton und roten Fassadenplatten bestückt.

Nachdem die Mutter in Krems ein Grundstück geerbt hatte, teilte sie es für ihre Söhne in drei Parzellen auf. Dem Bauherren fiel das Randstück am Eck zu, das früher ein Weinberg gewesen war. Er und seine Frau sind sehr architekturbegeistert - und wollten daher unbedingt ein modernes Haus. In einem Magazin stießen sie auf ein Haus der Architekten Herzog und Hrabal, dessen Materialität und Formensprache sie sofort überzeugte (siehe Projekt unten). Damit waren die richtigen Architekten gefunden.

Gewünscht war ein Winterquartier für die Gartenpflanzen, ein Zimmer für ihn, eine Praxis für sie sowie ein offener Wohnraum mit Kamin und Terrasse. Doch das Grundstück machte ihnen die Sache nicht einfach: Der Hang liegt exponiert, immer weht von Westen eine scharfe Brise. Im Norden und im Osten wiederum fällt es ab, und in der Mitte zieht sich ein Geländesprung durch den Garten.

„Das Grundstück war ein richtiger Dschungel“, erinnert sich Connie Herzog an den ersten Besuch vor Ort, „doch diese Herausforderung inspirierte uns. Wir wollten das Gelände ausnutzen und ein Haus entwickeln, in das man ebenerdig hinein, in dem man aber auch von jedem Raum ins Freie kann.“ Ganz klar musste sich das Haus nach Süden hin öffnen, wo sich das schillernde Band der Donau am Stift Göttweig vorbei durch die Landschaft schlängelt. „Das Panorama ist sensationell“, schwärmt die Architektin.

Der Zugang liegt im Obergeschoß. Weit ragt ein Flugdach aus Sichtbeton über den Carport. Damit Tageslicht und Sternenschein zum Eingang dringen können, sind darin rechteckige Öffnungen eingeschnitten. Die Tür befindet sich in der Mitte des zweiflügeligen Hauses, zwischen offenem Wohn- und introvertiertem Schlaftrakt.

Gewohnt wird im langen, dunkelrot verkleideten Bauteil, der über dem Kellersockel aus Sichtbeton die Hangkante entlanggleitet. Schon im Vorraum weitet sich ahnungsvoll der Blick übers Tal. Am Eingang liegt die Praxis der Baufrau. Von der überaus praktischen Küche neben dem Wohnbereich führen in der Mitte Stufen hinab zu einem lauschigen Platz an der Morgensonne.

Lieblingsplatz an der Sonne

Im Windschatten der vorspringenden Wand öffnet sich das Wohnzimmer mittels Panoramaglas in die Landschaft. „Der Eames-Chair am großen Fenster ist mein Lieblingsplatz“, sagt die Baufrau, „da kann man so schön über die Landschaft blicken.“ Noch näher ist man der Landschaft auf der Terrasse, die zwischen Wohn- und Schlafbereich eingeschnitten ist und die am Ende wie eine Abflugrampe über dem Gelände zu entschweben scheint.

Neben dem Wohnbereich setzt der Schlaftrakt aus Sichtbeton am Hang auf. Die Zimmer der Kinder liegen im Westen, von ihren Fenstern erhaschen sie einen Zipfel vom Kremstal. „Man sieht die Sonne untergehen“, sagt der Bauherr.

Hinter einer Tapetentür verbirgt sich geschickt die Treppe ins Untergeschoß. Hier liegt auch das Refugium des Bauherren. Es hat eine Mini-Loggia im Süden und direkten Zugang auf das Wiesenplateau, wo die Sandkiste der Kinder steht. Der Ausblick ist eine Inspiration fürs Arbeiten: Ungehindert wachsen auf der steilen Böschung dahinter die alten Obstbäume.

17. Mai 2008 Der Standard

Sag Ja zur Landschaft

Eigentlich hatte der Bauherr schon alle Pläne in der Tasche. Doch ein zweiter Blick schadet nie, dachte er, und so wurde aus der ersten Idee mit Hindernissen eine zweite Idee mit Landschaftsbezug, Stimmung und Flair.

Sonnig, verkehrsarm und am liebsten ohne Nachbarn - so lauteten die Forderungen des Bauherren. Er stammt aus der Baubranche und hatte es eilig mit seinem Haus. Schließlich war der Grund längst gefunden, auch einen fertigen Einreichplan hatte er bereits in der Tasche. Ein weiterer Expertenblick aber schadet nie, dachte er und wandte sich an Marion Wicher vom Büro yes architecture. Die kam, sah und siegte mit einem schlagenden Entwurfsargument. „Für mich war es nicht richtig, das Haus ins Eck zu stellen, da hat man weder den Freiraum, noch die geschützte Privatheit“, erläutert die Architektin, „ein Haus braucht ganz einfach genügend Grünfläche rundherum.“

Also setzte sie die Edelvariante eines Hofhauses in den Hang: Wie auf einem Tablett schwebt es auf der Kellerdecke über der Landschaft. Nach außen geschlossen, innen offen, fasst es L-förmig eine Terrasse mit Swimmingpool ein. Der Freiraum wird so zu einem integrativen Bestandteil des Hauses, die Nachbarn werden auf diese Weise komplett ausgeblendet. Damit war auch das letzte Wunschkriterium erfüllt. Kein Jahr später stand das Haus. „Wir zeichneten teilweise den Baggern hinterher“, erinnert sich die Architektin.

Das Haus liegt an einer Straße, die sich in Serpentinen den Hügel hochschlängelt. Hinter einer Böschungsmauer schiebt sich der Keller aus dem Hang. Er ist mit horizontalen Lärchenlatten verkleidet. In der Mitte liegt die Garage für drei Autos, daneben schält sich am Eingang die künftige Praxis der Baufrau aus der Fassade. Durch eine Glastür kann man während der Arbeit ins Freie treten.

Darüber schwebt die Wohnebene in weltgewandter Weitläufigkeit über den Hügel. Wie in einem Museum wird der Blick von diesem Hauswinkel gerahmt. An der Treppe im Norden fängt ein schmales Fenster das angrenzende Bauern-idyll ein, im Osten flutet die Morgensonne durch hohe Öffnungen den Essplatz und die zwei Küchen - eine für die dezente Entsorgung der Abwasch, die andere mit freistehendem Herdblock zum genussvollen Kochen.

Verschwimmen der Grenzen

„Die schönste Aussicht ist im Süden und Westen. Da hat man das ganze Panorama übers Tal“, sagt die Architektin, „wir wollten den Innenraum zum Außenraum machen.“ An schlanken, runden Stützen mäandern raumhohe Glasfassaden an den sonnigen Filetseiten die Terrasse entlang. An den Rändern der Terrasse scheint der Wasserspiegel des Pools nahtlos in den Horizont zu kippen.

Mit einer Steigerung der Höhen und Perspektiven wird im Westen die Raumfolge von Kochen übers Tafeln bis hin zum Wohnen zelebriert. Mit einer Schiebetür öffnet sich der Essplatz zur Terrasse. Als optische Zäsur hängt eine weiße Kaminwandscheibe von der Decke, hinter Glas lodert an kühlen Tagen ein Feuer. Eine Stufe tiefer liegt der 3,60 Meter hohe Wohnbereich mit Zugang ins Freie. Weit reicht hier der Panoramablick. Wie in einem Cockpit schwebt man da über die Landschaft, wie eine Skulptur rahmt ein Betonbalken den Blick aufs Pool. „Der Bügel hat nur einen Zweck. Er soll den Nachbarn verdecken“, gesteht Architektin Marion Wicher. Den erfüllt er mit hohem ästhetischen Mehrwert. Outdoot-Dusche und Abendlicht stecken außerdem da drin.

Publikationen

2021

Architektur in Niederösterreich 2010–2020
Band 4

Der vierte Band der erfolgreichen Reihe Architektur in Nieder­österreich dokumentiert das Baugeschehen in diesem Bundes­land zwischen 2010 und 2020. Hundert mittels Text, Bild- und Planmaterial beschriebene Projekte legen Zeugnis ab von der Vielfalt und der Qualität ausgewählter Beispiele in sieben Ka­tegorien.
Hrsg: ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
Autor: Isabella Marboe, Eva Guttmann, Franziska Leeb, Gabriele Kaiser, Christina Nägele
Verlag: Park Books

2012

Architektur in Linz 1900-2011

Der Architekturführer erzählt die Linzer Baugeschichte der letzten 110 Jahre. Über das Moment des Gebauten wird u.a. dem Linzer „Stadtgefühl“ nachgespürt, historische Typologien unterschieden oder die wechselvolle Geschichte der Stadt vermittelt. Neben den wesentlichsten 200 Bauwerken aller Typen beinhaltet
Hrsg: Andrea Bina, Lorenz Potocnik
Autor: Isabella Marboe, Theresia Hauenfels, Elke Krasny
Verlag: SpringerWienNewYork