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Innovativer Ideenpool
Präsentation des Europan17 Wettbewerbs „Living Cities“ im vai
8. März 2024 - Martina Pfeifer Steiner
Mit einem speziellen Auftakt, nämlich der Preisverleihung des Ideenwettbewerbs Europan 17, startet die kommende Ausstellung im vai Vorarlberger Architektur Institut in Dornbirn. Europan ist ein europaweit offener Wettbewerb zum Thema Architektur, Städtebau und Landschaftsarchitektur mit der Besonderheit, dass einzige Einschränkung zur Teilnahme die Altersgrenze von vierzig Jahren ist. Die junge Generation ist also gefragt, ohne irgendwelche Kammer-Befugnisse, Konzessionen, was auch immer, sondern mit guten, innovativen, zukunftsfähigen Ideen und interdisziplinären Ansätzen. Seit dem Start 1989 hat sich das europäische Kooperationsprojekt zu einem der weltweit größten Think-Tanks entwickelt, 25 Länder und mehr als 600 Städte bzw. Gemeinden haben sich bis jetzt an einem der Wettbewerbsverfahren mit anschließendem Umsetzungsprozess beteiligt.
Die weitere Besonderheit ist nämlich, dass es vorerst keinen Realisierungsdruck gibt, wie bei üblichen Wettbewerben, wo die Ausschreibung schon vieles vorwegnimmt und determiniert. Bei Europan geht es darum, die Perspektiven zu erweitern, frei zu denken, Potenziale aufzuspüren um die Lebensräume zu verbessern, positive soziale, ökologische, kulturelle Veränderungen voranzutreiben sowie die Brücke zwischen Ideen und Umsetzungsprozessen zu schlagen. Europan17 steht diesmal unter dem Motto „Living Cities“: Wie können wir die Regenerationsfähigkeit von Lebensräumen stärken, wie Sorgetragen und eine gute Grundlage für jedes Leben auf unserem Planeten schaffen? „Care“ ist das Schlagwort. Ein neues Verständnis der Koexistenz muss anstelle von „weiter wie bisher“ treten!
Wien Graz Lochau Celje
An dieser Runde nehmen insgesamt 52 Städte aus elf verschiedenen europäischen Ländern teil, in Österreich gibt es eine Kooperation mit Slowenien. Es wurden vier Standorte mit spezifischen lokalen Herausforderungen als Wettbewerbsgebiet ausgewählt: In Wien ist ein visionärer Masterplan mit urbanem Paradigmenwechsel bezüglich Stadtklima und gerechter Teilhabe im Quartier entlang der U2-Linie im 22. Bezirk gefragt. In Graz gibt es Potenzial zur Entwicklung der Infrastruktur in Gösting, um als neue Mobilitätsdrehscheibe auch das soziale Umfeld zu stärken. Das Gelände der ehemaligen Zinkhütte wird in Celje zur Chance den jahrhundertealten Konflikt zwischen Industrie und Ökologie zu überwinden. Und für die Gemeinde Lochau wurden ebenfalls von den besten Teams junger Planerinnen Strategien für ressourcenschonende und innovative Architektur entwickelt.
Die ausgewählten Kommunen müssen zwar einen nicht unerheblichen finanziellen Beitrag leisten, sie sind damit jedoch – in einem von der Vorbereitung bis zur Umsetzung professionell und engagiert abgewickelten Gesamtprozess – Teil des Kompetenznetzwerks europäischer Planungskultur, die nach ganzheitlichen und fürsorglichen Lösungen sucht. Eindrucksvoll liest sich die umfangreiche Auslobung für Lochau, die den Ort im städtebaulichen, geografischen, ökologischen und geschichtlichen Kontext betrachtet. In monatelanger Recherchearbeit und einigen Workshops vor Ort wurden vom Europan-Team Planungsperimeter festgelegt: nämlich der eigentliche Projektstandort und dazu das größere Reflexionsgebiet, in dem dieser verankert ist.
Wo Wildnis noch gedeiht
Die Menschen in Lochau empfinden das Ufer am Bodensee – in diesem Abschnitt unverbaut und öffentlich zugänglich! – als ihren wertvollsten und schönsten Ort. Hier befinden sich der Yachthafen, ein Hafengebäude und die alte, identitätsstiftende Fähre, die als Restaurant bzw. Kiosk gestrandet ist, doch nun durch Korrosion so fortgeschritten verfallen, dass eine Renovierung wohl zu teuer wäre. Die Aufgabenstellung lautete: Wie können die Qualitäten dieses ausnehmend schönen Standorts gestärkt sowie mit Nutzungsmöglichkeiten als gastfreundliches Umfeld für alle Menschen – ob alt oder jung, einheimisch oder Gast, Schwimmer, Segler, Spazierende – angereichert werden. Im großen Zusammenhang sollten zudem der Rhythmus der Küstenlinie und die Verbindung zum Dorf Lochau strategisch untersucht werden. Wie könnte der trennende Mobilitätskorridor – Bahnlinie und Straße – aufgeweicht und integraler Bestandteil des urbanen Gefüges werden?
Das Gewinnerprojekt arbeitete laut Jury am besten die Gesamtstruktur heraus, insbesondere im Hinblick auf die Naturlandschaft mit den vielen Bächen und Wasserläufen. „Die Idee eines Bandes um Lochau mit einem Garten im Inneren ist äußerst überzeugend“, und die Wiesen als Grünkorridore zu erhalten sei ein wesentlicher Aspekt, der von der Gemeinde unmittelbar umgesetzt werden könne. Dass die alte Fähre im gemeinschaftlichen Event fragmentiert wird – Erinnerungsstücke davon wandeln sich zu Pflanzentrögen – sei ebenfalls identitätsstiftend.
Im Kerngebiet selbst wird die Position der Fähre durch einen biophilen Neubau übernommen, bei dem die Vegetation den wesentlichen Teil der Fassadengestaltung darstellt. Auf dem im Erdgeschoß zum großen Teil transparenten Gebäude sitzt ein überhöhter Dachaufbau mit Dachterrasse und überdimensionalen Lichtschächten, die viel Sonne ins Restaurant schicken. Die umfassende Fassadenschicht ist üppig bepflanzt um ganz im Sinne der Artenvielfalt Vögel und Insekten anzulocken. Ein ausgeklügeltes Bewässerungs- sowie Belüftungssystem und die großzügige Sitzstufenanlage Richtung Westen und Lindauer Skyline sind ebenfalls Pluspunkte. So würde in Zukunft mit der „Lochauer Laube“ ein neuer Treffpunkt für alle im Küstengarten entstehen.
Das Ergebnis des Europan-Wettbewerbs dient nun als Machbarkeitsstudie und bildet die Grundlage für die Realisierung des Gebäudes, das in einem anschließenden Wettbewerbsverfahren ausgeschrieben wird. Das Gewinner-Team um Christopher Gruber und Christina Ehrmann wird selbstverständlich in die mittel- bis langfristige Entwicklung des Hafengebiets einbezogen.
Zur Vernissage im vai gibt es also die feierliche Preisverleihung, als Keynote-Speaker konnte der bekannte Architekturtheoretiker Bart Lootsma gewonnen werden. Sämtliche ausgezeichnete Projekte – Gewinner, Nachrücker, die besonderen Erwähnungen, die auf der Shortlist – aller vier Standorte von Europan17 Austria werden präsentiert, die Preisträger mit kurzem Video. Damit so eine Ausstellung von Wettbewerbsergebnissen auch für das breite Publikum interessant und leicht zugänglich vermittelt wird, bietet das vai wieder die bewährten Führungen mit dem Kurator Clemens Quirin an. Die Schau wird dann weiter wandern, nächste Station ist Lochau.
[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, März 2024, http://www.kulturzeitschrift.at ]
Die weitere Besonderheit ist nämlich, dass es vorerst keinen Realisierungsdruck gibt, wie bei üblichen Wettbewerben, wo die Ausschreibung schon vieles vorwegnimmt und determiniert. Bei Europan geht es darum, die Perspektiven zu erweitern, frei zu denken, Potenziale aufzuspüren um die Lebensräume zu verbessern, positive soziale, ökologische, kulturelle Veränderungen voranzutreiben sowie die Brücke zwischen Ideen und Umsetzungsprozessen zu schlagen. Europan17 steht diesmal unter dem Motto „Living Cities“: Wie können wir die Regenerationsfähigkeit von Lebensräumen stärken, wie Sorgetragen und eine gute Grundlage für jedes Leben auf unserem Planeten schaffen? „Care“ ist das Schlagwort. Ein neues Verständnis der Koexistenz muss anstelle von „weiter wie bisher“ treten!
Wien Graz Lochau Celje
An dieser Runde nehmen insgesamt 52 Städte aus elf verschiedenen europäischen Ländern teil, in Österreich gibt es eine Kooperation mit Slowenien. Es wurden vier Standorte mit spezifischen lokalen Herausforderungen als Wettbewerbsgebiet ausgewählt: In Wien ist ein visionärer Masterplan mit urbanem Paradigmenwechsel bezüglich Stadtklima und gerechter Teilhabe im Quartier entlang der U2-Linie im 22. Bezirk gefragt. In Graz gibt es Potenzial zur Entwicklung der Infrastruktur in Gösting, um als neue Mobilitätsdrehscheibe auch das soziale Umfeld zu stärken. Das Gelände der ehemaligen Zinkhütte wird in Celje zur Chance den jahrhundertealten Konflikt zwischen Industrie und Ökologie zu überwinden. Und für die Gemeinde Lochau wurden ebenfalls von den besten Teams junger Planerinnen Strategien für ressourcenschonende und innovative Architektur entwickelt.
Die ausgewählten Kommunen müssen zwar einen nicht unerheblichen finanziellen Beitrag leisten, sie sind damit jedoch – in einem von der Vorbereitung bis zur Umsetzung professionell und engagiert abgewickelten Gesamtprozess – Teil des Kompetenznetzwerks europäischer Planungskultur, die nach ganzheitlichen und fürsorglichen Lösungen sucht. Eindrucksvoll liest sich die umfangreiche Auslobung für Lochau, die den Ort im städtebaulichen, geografischen, ökologischen und geschichtlichen Kontext betrachtet. In monatelanger Recherchearbeit und einigen Workshops vor Ort wurden vom Europan-Team Planungsperimeter festgelegt: nämlich der eigentliche Projektstandort und dazu das größere Reflexionsgebiet, in dem dieser verankert ist.
Wo Wildnis noch gedeiht
Die Menschen in Lochau empfinden das Ufer am Bodensee – in diesem Abschnitt unverbaut und öffentlich zugänglich! – als ihren wertvollsten und schönsten Ort. Hier befinden sich der Yachthafen, ein Hafengebäude und die alte, identitätsstiftende Fähre, die als Restaurant bzw. Kiosk gestrandet ist, doch nun durch Korrosion so fortgeschritten verfallen, dass eine Renovierung wohl zu teuer wäre. Die Aufgabenstellung lautete: Wie können die Qualitäten dieses ausnehmend schönen Standorts gestärkt sowie mit Nutzungsmöglichkeiten als gastfreundliches Umfeld für alle Menschen – ob alt oder jung, einheimisch oder Gast, Schwimmer, Segler, Spazierende – angereichert werden. Im großen Zusammenhang sollten zudem der Rhythmus der Küstenlinie und die Verbindung zum Dorf Lochau strategisch untersucht werden. Wie könnte der trennende Mobilitätskorridor – Bahnlinie und Straße – aufgeweicht und integraler Bestandteil des urbanen Gefüges werden?
Das Gewinnerprojekt arbeitete laut Jury am besten die Gesamtstruktur heraus, insbesondere im Hinblick auf die Naturlandschaft mit den vielen Bächen und Wasserläufen. „Die Idee eines Bandes um Lochau mit einem Garten im Inneren ist äußerst überzeugend“, und die Wiesen als Grünkorridore zu erhalten sei ein wesentlicher Aspekt, der von der Gemeinde unmittelbar umgesetzt werden könne. Dass die alte Fähre im gemeinschaftlichen Event fragmentiert wird – Erinnerungsstücke davon wandeln sich zu Pflanzentrögen – sei ebenfalls identitätsstiftend.
Im Kerngebiet selbst wird die Position der Fähre durch einen biophilen Neubau übernommen, bei dem die Vegetation den wesentlichen Teil der Fassadengestaltung darstellt. Auf dem im Erdgeschoß zum großen Teil transparenten Gebäude sitzt ein überhöhter Dachaufbau mit Dachterrasse und überdimensionalen Lichtschächten, die viel Sonne ins Restaurant schicken. Die umfassende Fassadenschicht ist üppig bepflanzt um ganz im Sinne der Artenvielfalt Vögel und Insekten anzulocken. Ein ausgeklügeltes Bewässerungs- sowie Belüftungssystem und die großzügige Sitzstufenanlage Richtung Westen und Lindauer Skyline sind ebenfalls Pluspunkte. So würde in Zukunft mit der „Lochauer Laube“ ein neuer Treffpunkt für alle im Küstengarten entstehen.
Das Ergebnis des Europan-Wettbewerbs dient nun als Machbarkeitsstudie und bildet die Grundlage für die Realisierung des Gebäudes, das in einem anschließenden Wettbewerbsverfahren ausgeschrieben wird. Das Gewinner-Team um Christopher Gruber und Christina Ehrmann wird selbstverständlich in die mittel- bis langfristige Entwicklung des Hafengebiets einbezogen.
Zur Vernissage im vai gibt es also die feierliche Preisverleihung, als Keynote-Speaker konnte der bekannte Architekturtheoretiker Bart Lootsma gewonnen werden. Sämtliche ausgezeichnete Projekte – Gewinner, Nachrücker, die besonderen Erwähnungen, die auf der Shortlist – aller vier Standorte von Europan17 Austria werden präsentiert, die Preisträger mit kurzem Video. Damit so eine Ausstellung von Wettbewerbsergebnissen auch für das breite Publikum interessant und leicht zugänglich vermittelt wird, bietet das vai wieder die bewährten Führungen mit dem Kurator Clemens Quirin an. Die Schau wird dann weiter wandern, nächste Station ist Lochau.
[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, März 2024, http://www.kulturzeitschrift.at ]
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