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Ärzte statt Zigaretten: Leben und Gesundwerden in einer alten Tabakfabrik
Leben in der denkmalgeschützten Tabakfabrik in Fürstenfeld: Statt einem schon geplanten Einkaufszentrum sind hier Wohnungen in Kombination mit einem Ärztezentrum entstanden, unter Einsatz von hochwertigen, langlebigen Baustoffen und traditionellen Handwerkstechniken.
25. März 2024 - Sigrid Verhovsek
Umbauten oder Sanierungen sind nicht so rentabel wie Neubau, vor allem nicht bei denkmalgeschützten Gebäuden, wo man zum Einsatz hochwertiger, langlebiger Baustoffe und traditionellen Handwerkstechniken angehalten wird. Nicht nur ökologische Überlegungen forcieren das Weiterbauen: Erhalt, Transformation und Anpassung des Bauerbes ist der verantwortungsvollste Umgang mit endlichen Ressourcen. Auch gesellschaftlich gesehen ist die schrittweise Überformung eine gute Lösung: Orte und Formen bewahren materialisierte Erzählungen, entwickeln sich funktionell und setzen neue Impulse in einem sich wandelnden sozialen Umfeld.
Die Fürstenfelder Tabakfabrik bietet eine besonders facettenreiche Geschichte. Das südoststeirische Grenzgebiet erlebte im Mittelalter eine wechselvolle Geschichte. Die an der Nord-Ost-Kante der Renaissance-Bastei eingebundene, aus dem zwölften Jahrhundert stammende landesfürstliche Burg „Schloss am Stein“ wurde mehrmals zerstört, um- bzw. wiederaufgebaut.
Im Umkreis von Fürstenfeld hatte sich seit dem 16. Jahrhundert der Tabak-Anbau ausgebreitet. Zunehmender Bedarf führte zu einer Monopolisierung durch die Habsburger, die hier anstelle der mittlerweile zerfallenen Burg 1776 eine staatseigene Tabakfabrik errichteten. Ausbauten vor allem im 19. Jahrhundert ließen ein prosperierendes Industrieensemble entstehen, bestehend aus dem Vierkanthof des Hauptgebäudes und mehreren Nebengebäuden wie Altesse, Tischlerei, Kegelbahn und einer imposanten Eisenbahnbrücke. Im Nebeneinander historischer Gebäude und Industriebau wuchs ein eigener Stadtteil heran, dessen Bedeutung für den Ort immens war: Um 1900 zählte die Stadt Fürstenfeld etwa 4000 Einwohner:innen, während die Fabrik Arbeitsplätze für über 2000 Männer, Frauen und Kinder bot. Nach dem Verlust des Monopolrechts beim EU-Eintritt Österreichs wurde die ehemalige k. k. Austria Tabakfabrik 2001 verkauft und endgültig geschlossen.
Der Arkadenhof wurde entsiegelt
Das beinahe zwei Hektar große Areal wurde 2005 von der Stadt Fürstenfeld erworben, die es gemeinsam mit örtlichen Firmen zunächst selbst entwickeln wollte. Ideen der Bürger:innen wurden gesammelt, man suchte nach neuen Investor:innen.
Schließlich wurde das Areal an ein Konsortium verkauft, dass hier ein Einkaufszentrum errichten wollte – eine fragwürdige Strategie angesichts des sich teppichartig ausbreitenden Fachmarktzentrums am Fuße der Stadt und zahlreichen Geschäften, aber auch drohendem Leerstand in der Altstadt. Die ersten Abbrucharbeiten hatten bereits begonnen, als sich das Projekt zerschlägt und das Konsortium zerbricht. Bei dem bereits entkernten und nun vor allem fensterlosen Gebäude bestand die Gefahr irreparabler Schäden an der Substanz. 2013 beschloss deshalb der Fürstenfelder Architekt Friedrich Ohnewein, das Risiko auf sich zu nehmen und zu handeln.
Nach und nach vereinte er das Areal in seiner Immobiliengesellschaft und arbeitete sich mit seinem Team abschnittsweise durch die Entwicklung des Ensembles. Eine erste Idee, die Errichtung eines Reha-Zentrums zur Behandlung von Suchtkrankheiten, wurde von zuständiger Seite aufgrund „des nicht vorhandenen Bedarfs“ abgelehnt – ein Urteil, das heute in Frage gestellt werden darf. Aber das nächste Konzept erwies sich als ideal: Zwei langgestreckte Nebengebäude und die Obergeschosse des Hauptgebäudes boten sich mithilfe Landesförderungen für den Umbau zu leistbarem Wohnen geradezu an, in Kombination dazu wurde für das Erdgeschoß des eindrucksvollen Hauptgebäudes eine Lösung gefunden, die Architektur und Ort gerecht wird und die Verbindung zur Stadt wiederherstellt. Im Einvernehmen mit dem BDA wurde das hofüberspannende Glasdach rückgebaut, der klösterlich anmutende Arkadenhof wurde entkernt und entsiegelt. Die Sandsteinquader der Arkadenpfeiler sind vermutlich „Reste“ der alten Burg: Von Putz befreit bilden sie die statische wie historische Basis des Gebäudes. Rund um diesen schnörkellos verglasten Innengang wurden verschiedene Facharztpraxen und therapeutische Einrichtungen angesiedelt, ein Café als Lounge für alle ergänzt das Angebot des vielbesuchten Ärzte- und Gesundheitszentrums.
Interaktives Museum in der Bastei
Gleicherweise beeindruckend sind die Stiegenhäuser, die zu den 88 Wohneinheiten führen: Vor modern weißen, überhohen Wänden heben sich alte Steinböden, hölzerne Dachträger mit eisernen Schließen und schwarze schmiedeeiserne Geländer mit altersdunklem Handlauf ab. Es entstehen neue Durchblicke, Gänge erweitern sich zu quadratischen Grundrissen, deren Ecken von gusseisernen Stützen bewacht werden.
Die Wohneinheiten profitieren von über vier Metern Raumhöhe, die teilweise für Galerieeinbauten genutzt wurde. Die Dachgeschossmaisonetten bieten sensationelle Ausblicke aus langgezogenen Schleppgaupen. Im direkt auf der alten Stadtmauer thronenden, zum Seminarzentrum umfunktionierten Basteigebäude betritt man fühlbar historischen Boden: Fünf bis acht Zentimeter dicke Holzbohlen halten Jahrhunderte aus. Die Qualitäten verschiedener Epochen zeigen sich versöhnlich: Zwischen der Industriearchitektur aus dem 18. und 19. Jahrhundert, einem Waschbeton-Eingangsportal aus den 1950er- oder 1960er-Jahren und modernen Balkonzubauten entsteht keine Konkurrenz, sondern entspannte Kontinuität. Die konsequent umgesetzte Vision ergibt sich in diesem Fall auch aus der riskanten Personalunion von Bauherr und Architekt. Zur Zwickmühle zwischen Ökonomie und Ästhetik befragt, schmunzelt Architekt Ohnewein: „Bei einem solchen Projekt wäre Profit nur möglich, wenn man Eigentumswohnungen baut und sie möglichst schnell verkauft. Das wollte ich aber nie, Qualität und Verantwortung für das Umfeld lagen immer im Fokus.“
Die Tabakfabrik wird übrigens noch immer weitergebaut: Im nächsten Abschnitt soll in der Bastei ein interaktives Museum entstehen, das die bekannt aktive regionale Musikszene würdigt.
Die Fürstenfelder Tabakfabrik bietet eine besonders facettenreiche Geschichte. Das südoststeirische Grenzgebiet erlebte im Mittelalter eine wechselvolle Geschichte. Die an der Nord-Ost-Kante der Renaissance-Bastei eingebundene, aus dem zwölften Jahrhundert stammende landesfürstliche Burg „Schloss am Stein“ wurde mehrmals zerstört, um- bzw. wiederaufgebaut.
Im Umkreis von Fürstenfeld hatte sich seit dem 16. Jahrhundert der Tabak-Anbau ausgebreitet. Zunehmender Bedarf führte zu einer Monopolisierung durch die Habsburger, die hier anstelle der mittlerweile zerfallenen Burg 1776 eine staatseigene Tabakfabrik errichteten. Ausbauten vor allem im 19. Jahrhundert ließen ein prosperierendes Industrieensemble entstehen, bestehend aus dem Vierkanthof des Hauptgebäudes und mehreren Nebengebäuden wie Altesse, Tischlerei, Kegelbahn und einer imposanten Eisenbahnbrücke. Im Nebeneinander historischer Gebäude und Industriebau wuchs ein eigener Stadtteil heran, dessen Bedeutung für den Ort immens war: Um 1900 zählte die Stadt Fürstenfeld etwa 4000 Einwohner:innen, während die Fabrik Arbeitsplätze für über 2000 Männer, Frauen und Kinder bot. Nach dem Verlust des Monopolrechts beim EU-Eintritt Österreichs wurde die ehemalige k. k. Austria Tabakfabrik 2001 verkauft und endgültig geschlossen.
Der Arkadenhof wurde entsiegelt
Das beinahe zwei Hektar große Areal wurde 2005 von der Stadt Fürstenfeld erworben, die es gemeinsam mit örtlichen Firmen zunächst selbst entwickeln wollte. Ideen der Bürger:innen wurden gesammelt, man suchte nach neuen Investor:innen.
Schließlich wurde das Areal an ein Konsortium verkauft, dass hier ein Einkaufszentrum errichten wollte – eine fragwürdige Strategie angesichts des sich teppichartig ausbreitenden Fachmarktzentrums am Fuße der Stadt und zahlreichen Geschäften, aber auch drohendem Leerstand in der Altstadt. Die ersten Abbrucharbeiten hatten bereits begonnen, als sich das Projekt zerschlägt und das Konsortium zerbricht. Bei dem bereits entkernten und nun vor allem fensterlosen Gebäude bestand die Gefahr irreparabler Schäden an der Substanz. 2013 beschloss deshalb der Fürstenfelder Architekt Friedrich Ohnewein, das Risiko auf sich zu nehmen und zu handeln.
Nach und nach vereinte er das Areal in seiner Immobiliengesellschaft und arbeitete sich mit seinem Team abschnittsweise durch die Entwicklung des Ensembles. Eine erste Idee, die Errichtung eines Reha-Zentrums zur Behandlung von Suchtkrankheiten, wurde von zuständiger Seite aufgrund „des nicht vorhandenen Bedarfs“ abgelehnt – ein Urteil, das heute in Frage gestellt werden darf. Aber das nächste Konzept erwies sich als ideal: Zwei langgestreckte Nebengebäude und die Obergeschosse des Hauptgebäudes boten sich mithilfe Landesförderungen für den Umbau zu leistbarem Wohnen geradezu an, in Kombination dazu wurde für das Erdgeschoß des eindrucksvollen Hauptgebäudes eine Lösung gefunden, die Architektur und Ort gerecht wird und die Verbindung zur Stadt wiederherstellt. Im Einvernehmen mit dem BDA wurde das hofüberspannende Glasdach rückgebaut, der klösterlich anmutende Arkadenhof wurde entkernt und entsiegelt. Die Sandsteinquader der Arkadenpfeiler sind vermutlich „Reste“ der alten Burg: Von Putz befreit bilden sie die statische wie historische Basis des Gebäudes. Rund um diesen schnörkellos verglasten Innengang wurden verschiedene Facharztpraxen und therapeutische Einrichtungen angesiedelt, ein Café als Lounge für alle ergänzt das Angebot des vielbesuchten Ärzte- und Gesundheitszentrums.
Interaktives Museum in der Bastei
Gleicherweise beeindruckend sind die Stiegenhäuser, die zu den 88 Wohneinheiten führen: Vor modern weißen, überhohen Wänden heben sich alte Steinböden, hölzerne Dachträger mit eisernen Schließen und schwarze schmiedeeiserne Geländer mit altersdunklem Handlauf ab. Es entstehen neue Durchblicke, Gänge erweitern sich zu quadratischen Grundrissen, deren Ecken von gusseisernen Stützen bewacht werden.
Die Wohneinheiten profitieren von über vier Metern Raumhöhe, die teilweise für Galerieeinbauten genutzt wurde. Die Dachgeschossmaisonetten bieten sensationelle Ausblicke aus langgezogenen Schleppgaupen. Im direkt auf der alten Stadtmauer thronenden, zum Seminarzentrum umfunktionierten Basteigebäude betritt man fühlbar historischen Boden: Fünf bis acht Zentimeter dicke Holzbohlen halten Jahrhunderte aus. Die Qualitäten verschiedener Epochen zeigen sich versöhnlich: Zwischen der Industriearchitektur aus dem 18. und 19. Jahrhundert, einem Waschbeton-Eingangsportal aus den 1950er- oder 1960er-Jahren und modernen Balkonzubauten entsteht keine Konkurrenz, sondern entspannte Kontinuität. Die konsequent umgesetzte Vision ergibt sich in diesem Fall auch aus der riskanten Personalunion von Bauherr und Architekt. Zur Zwickmühle zwischen Ökonomie und Ästhetik befragt, schmunzelt Architekt Ohnewein: „Bei einem solchen Projekt wäre Profit nur möglich, wenn man Eigentumswohnungen baut und sie möglichst schnell verkauft. Das wollte ich aber nie, Qualität und Verantwortung für das Umfeld lagen immer im Fokus.“
Die Tabakfabrik wird übrigens noch immer weitergebaut: Im nächsten Abschnitt soll in der Bastei ein interaktives Museum entstehen, das die bekannt aktive regionale Musikszene würdigt.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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