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Heilende Architektur
26. Juni 2024 - Martina Pfeifer Steiner
Zum Krankenhausbau in Vorarlberg gibt es eigentlich lauter gute Beispiele: das Krankenhaus Dornbirn mit der subtilen Farbgebung in den einzelnen Stationen; das Landeskrankenhaus Feldkirch mit ganz neuer Eingangsgestaltung, abgesehen von den Neubauten und dem erschließungsraumgreifenden Lehmbaukunstwerk; neugierig dürfen wir auf den Neubau des Landeskrankenhauses Rankweil sein … man könnte hier freilich noch einige gelungene Adaptierungen anführen. Auch wenn das Individuum lieber nichts in bzw. mit Krankenhäusern zu tun haben will und vielleicht deshalb räumliche Befindlichkeiten gar nicht wahrnimmt oder reflektiert, ist es umso spannender, diese Thematik fundiert und inspirierend aufbereitet zu servieren. Aktuelle Entwicklungen zu zeigen, die auf Herausforderungen der heutigen Zeit antworten, ist auch das große Anliegen des Vorarlberger Architektur Instituts. Darum bringt das vai die aufsehenerregende Ausstellung „Das Kranke(n)haus. Wie Architektur heilen hilft“ des Architekturmuseums der Technischen Universität München nach Dornbirn.
Gesundheitswirksame Architektur
In einer breit angelegten Forschungsarbeit von Naturwissenschaftlerin Tanja C. Vollmer – sie ist seit 2019 Gastprofessorin für Architekturpsychologie und Gesundheitsbau an der TUM – in Kooperation mit der niederländischen Architektin Gemma Koppen wurde die Theorie zum neuen Raummaß einer heilenden Architektur und der Begriff Raumanthropodysmorphie entwickelt: „Er fasst die komplexen Zusammenhänge in einer simplen Formel zusammen: Wenn der Körper schwer erkrankt, erkrankt der Raum mit ihm. Zu diesen „Raumerkrankungen“ zählen die messbaren Veränderungen der Wahrnehmung Kranker, wie beispielsweise die Herabsetzung der Aufmerksamkeit und Orientierungsfähigkeit, gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber Umweltreizen, der Verlust der Verarbeitung von Sinnesreizen und die Fehleinschätzung von räumlichen und zeitlichen Maßen. Sie treten krankheits- oder therapiebedingt auf sowie infolge der existenziellen psychischen Belastungen“. Im Zentrum der Betrachtung stehen eine psychologisch unterstützende Gestaltung (Evidence Based Design) von Krankenhäusern und sieben Umgebungsvariable, die beeinflussen wie schädigender Stress im Krankenhaus erlebt wird.
Diese „heilenden Sieben“ – Orientierung, Geruchs-, Geräuschkulisse, Privatheit, Stimulationsaspekte, Aus- und Weitsicht, Menschliches Maß – werden in der Ausstellung mit beispielgebenden Projekten sehr gut vermittelt. In einem Lehrforschungsprojekt an der TUM beschäftigten sich Masterstudierende mit herausragenden Krankenhausbauten und analysierten sowie ordneten sie nach diesen Aspekten. Narrative Isometrien, einem 3-D-Comics gleich, bringen die Ergebnisse auf den Punkt. Zum Beispiel die Zeichnung der Schnittstelle aus Verkehrskorridor, Behandlungs- und Warteraumkette in der Ambulanz des Bürgerspitals Solothurn mit den vielschichtigen Sichtbeziehungen. Offenkundig weiß auch die Ausstellungsarchitektur die Variablen zu akzentuieren, wie hier mit einem großen runden Ausschnitt oder an anderer Stelle mit Rückzug und Privatheit. Durch die räumliche Gliederung der farblich abgestimmten freistehenden Tafeln in kleinere Kabinette und Nischen kann man die kurzen Texte gut erfassen und die aussagekräftigen Fotos in Ruhe betrachten.
Atmosphäre schaffen
Im Bereich der Therapie- und Nachsorgeeinrichtungen, die nicht so stark reglementiert, technisiert und nicht so komplex sind wie Krankenhäuser, lassen sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Einfluss von Architektur auf die Gesundheit etwas leichter umsetzen. Diese Kliniken stellen seit Langem erfolgreiche Experimentierfelder heilender Architektur dar. Im diesem Thema gewidmeten zweiten Teil der Ausstellung wird das Neurorehabilitationszentrum Basel von Herzog & de Meuron ausführlicher betrachtet: Licht, offen, mit viel Holz vermitteln Innenhöfe, Plätze und Wege einen stadtähnlichen Charakter, in dem sich die Menschen trotz eingeschränkter Mobilität intuitiv bewegen können. Die Zimmer im Obergeschoß bieten großzügige Ausblicke in die Umgebung und kugelförmige „Sky Lights“ an der Decke sogar zum Himmel, deren Wirkung auf Wachkomapatienten untersucht wurde.
Oft zitiertes Beispiel sind die Maggie´s Centres: Die Initiatorin Maggie Keswick Jencks wollte aufgrund ihrer eigenen schweren Erkrankung einen Gegenentwurf zu den sterilen Umgebungen universitärer Krebskliniken finden, nämlich psychoonkologische Behandlungs- und Begegnungszentren. Inzwischen haben bekannte Architekturbüros aus aller Welt Maggie´s gebaut – die Visionärin erlebte leider die Eröffnungen nicht – und das auf einem „Briefing der Sinne“ beruhende Raumprogramm in vielfältige, hochwertige Architektur übersetzt. Drei Beispiele sind im vai zu sehen: Maggie´s Fife von Zaha Hadid (2006), Maggie´s Gartnavel von OMA (2011) und Maggie´s Manchester von Foster + Partners (2015), das durch Holzfachwerkträger und großflächige Verglasungen eine besondere Atmosphäre schafft. Es gehört zur onkologischen Abteilung des Krankenhauses und bietet mit Gewächshaus, begrünten Höfen, Küche, gemütlichen Sitzgruppen höchst angenehme Aufenthaltsqualitäten.
Ziemlich ambitioniert war wohl die Anfrage des vai-Kurators Clemens Quirin diese wichtige Ausstellung des Architekturmuseums der TUM nach Dornbirn zu bringen. Das Münchner Museum hat in der Pinakothek der Moderne nämlich 600 Quadratmeter zur Verfügung und in den vai-Räumlichkeiten sind es 150. Und wie gut das gelungen ist! Ein ausgeklügeltes Arrangieren der Tafelelemente lässt den inspirierenden Weg durch die thematischen Gruppierungen ohne inhaltliche Schmälerung finden, nur die Modelle mussten für die Adaptierung weggelassen werden.
Wie brisant die Anregungen über innovative Ansätze im Gesundheitsbau nachzudenken sind, zeigen die vielen Anmeldungen von Gruppen aus Kommunen und Institutionen, berichtet Direktorin Verena Konrad. Empfehlenswert ist auch das Begleitprogramm mit Ausstellungsführungen des vai-Kurators, Exkursionen in Vorarlberger Krankenhäuser, Vorträge und die sehr schön gemachte begleitende gleichnamige Publikation.
[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Juli/August 2024, http://www.kulturzeitschrift.at ]
Gesundheitswirksame Architektur
In einer breit angelegten Forschungsarbeit von Naturwissenschaftlerin Tanja C. Vollmer – sie ist seit 2019 Gastprofessorin für Architekturpsychologie und Gesundheitsbau an der TUM – in Kooperation mit der niederländischen Architektin Gemma Koppen wurde die Theorie zum neuen Raummaß einer heilenden Architektur und der Begriff Raumanthropodysmorphie entwickelt: „Er fasst die komplexen Zusammenhänge in einer simplen Formel zusammen: Wenn der Körper schwer erkrankt, erkrankt der Raum mit ihm. Zu diesen „Raumerkrankungen“ zählen die messbaren Veränderungen der Wahrnehmung Kranker, wie beispielsweise die Herabsetzung der Aufmerksamkeit und Orientierungsfähigkeit, gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber Umweltreizen, der Verlust der Verarbeitung von Sinnesreizen und die Fehleinschätzung von räumlichen und zeitlichen Maßen. Sie treten krankheits- oder therapiebedingt auf sowie infolge der existenziellen psychischen Belastungen“. Im Zentrum der Betrachtung stehen eine psychologisch unterstützende Gestaltung (Evidence Based Design) von Krankenhäusern und sieben Umgebungsvariable, die beeinflussen wie schädigender Stress im Krankenhaus erlebt wird.
Diese „heilenden Sieben“ – Orientierung, Geruchs-, Geräuschkulisse, Privatheit, Stimulationsaspekte, Aus- und Weitsicht, Menschliches Maß – werden in der Ausstellung mit beispielgebenden Projekten sehr gut vermittelt. In einem Lehrforschungsprojekt an der TUM beschäftigten sich Masterstudierende mit herausragenden Krankenhausbauten und analysierten sowie ordneten sie nach diesen Aspekten. Narrative Isometrien, einem 3-D-Comics gleich, bringen die Ergebnisse auf den Punkt. Zum Beispiel die Zeichnung der Schnittstelle aus Verkehrskorridor, Behandlungs- und Warteraumkette in der Ambulanz des Bürgerspitals Solothurn mit den vielschichtigen Sichtbeziehungen. Offenkundig weiß auch die Ausstellungsarchitektur die Variablen zu akzentuieren, wie hier mit einem großen runden Ausschnitt oder an anderer Stelle mit Rückzug und Privatheit. Durch die räumliche Gliederung der farblich abgestimmten freistehenden Tafeln in kleinere Kabinette und Nischen kann man die kurzen Texte gut erfassen und die aussagekräftigen Fotos in Ruhe betrachten.
Atmosphäre schaffen
Im Bereich der Therapie- und Nachsorgeeinrichtungen, die nicht so stark reglementiert, technisiert und nicht so komplex sind wie Krankenhäuser, lassen sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Einfluss von Architektur auf die Gesundheit etwas leichter umsetzen. Diese Kliniken stellen seit Langem erfolgreiche Experimentierfelder heilender Architektur dar. Im diesem Thema gewidmeten zweiten Teil der Ausstellung wird das Neurorehabilitationszentrum Basel von Herzog & de Meuron ausführlicher betrachtet: Licht, offen, mit viel Holz vermitteln Innenhöfe, Plätze und Wege einen stadtähnlichen Charakter, in dem sich die Menschen trotz eingeschränkter Mobilität intuitiv bewegen können. Die Zimmer im Obergeschoß bieten großzügige Ausblicke in die Umgebung und kugelförmige „Sky Lights“ an der Decke sogar zum Himmel, deren Wirkung auf Wachkomapatienten untersucht wurde.
Oft zitiertes Beispiel sind die Maggie´s Centres: Die Initiatorin Maggie Keswick Jencks wollte aufgrund ihrer eigenen schweren Erkrankung einen Gegenentwurf zu den sterilen Umgebungen universitärer Krebskliniken finden, nämlich psychoonkologische Behandlungs- und Begegnungszentren. Inzwischen haben bekannte Architekturbüros aus aller Welt Maggie´s gebaut – die Visionärin erlebte leider die Eröffnungen nicht – und das auf einem „Briefing der Sinne“ beruhende Raumprogramm in vielfältige, hochwertige Architektur übersetzt. Drei Beispiele sind im vai zu sehen: Maggie´s Fife von Zaha Hadid (2006), Maggie´s Gartnavel von OMA (2011) und Maggie´s Manchester von Foster + Partners (2015), das durch Holzfachwerkträger und großflächige Verglasungen eine besondere Atmosphäre schafft. Es gehört zur onkologischen Abteilung des Krankenhauses und bietet mit Gewächshaus, begrünten Höfen, Küche, gemütlichen Sitzgruppen höchst angenehme Aufenthaltsqualitäten.
Ziemlich ambitioniert war wohl die Anfrage des vai-Kurators Clemens Quirin diese wichtige Ausstellung des Architekturmuseums der TUM nach Dornbirn zu bringen. Das Münchner Museum hat in der Pinakothek der Moderne nämlich 600 Quadratmeter zur Verfügung und in den vai-Räumlichkeiten sind es 150. Und wie gut das gelungen ist! Ein ausgeklügeltes Arrangieren der Tafelelemente lässt den inspirierenden Weg durch die thematischen Gruppierungen ohne inhaltliche Schmälerung finden, nur die Modelle mussten für die Adaptierung weggelassen werden.
Wie brisant die Anregungen über innovative Ansätze im Gesundheitsbau nachzudenken sind, zeigen die vielen Anmeldungen von Gruppen aus Kommunen und Institutionen, berichtet Direktorin Verena Konrad. Empfehlenswert ist auch das Begleitprogramm mit Ausstellungsführungen des vai-Kurators, Exkursionen in Vorarlberger Krankenhäuser, Vorträge und die sehr schön gemachte begleitende gleichnamige Publikation.
[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Juli/August 2024, http://www.kulturzeitschrift.at ]
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