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So bleibt auch der Spitalsbau länger gesund
Neue Klinik in Oberwart: Der Neubau kostete weniger, als im Budget vorgesehen. Das bedeutet keinen Abstrich an spannender Architektur.
23. August 2024 - Sigrid Verhovsek
Voller Stolz seitens Bauherrin Krankenanstalten-Gesellschaft Burgenland und der Landesregierung wurde im Frühsommer die neue Klinik in Oberwart eingeweiht. Das am südlichen Stadtrand gelegene Vorzeigeprojekt hat nicht nur die Bauzeit eingehalten, sondern sogar weniger gekostet als veranschlagt. 2016 konnten die ARGE Ederer+Haghirian und Generalplan GmbH den internationalen Wettbewerb für sich entscheiden. Nach vierjähriger Planungszeit erfolgte 2020 der Spatenstich, ab Mai 2024 wurden Patient:innen aufgenommen.
Der vorgegebenen Budgetobergrenze von 235 Millionen Euro stehen die vorliegenden Gesamtbaukosten von „nur“ 180 Millionen gegenüber. Diese für einen Bauherrn, der öffentliche Gelder verwaltet, höchst erfreulichen Fakten bedeuten keinen Abstrich an spannender Architektur: Die Megastruktur mit über 44.000 m² Nutzfläche setzt sich elegant in den sanft geneigten Hang. An die breite Hauptschlagader der etwa 200 Meter langen Magistrale reihen sich in unterschiedlich langen, immer wieder geknickten Querbauten die gebündelten Funktionseinheiten. Die unterschiedlichen Höhen dieser Querbauten rhythmisieren das Gebäude ebenso wie die nach oben abnehmenden Fensterhöhen, die in Hinblick auf abnehmenden Lichteinfall und somit Wärmeertrag konzipiert wurden. Auf einem der höchsten Punkte im 5. OG sitzt der Zugangsseite abgewandt der Heliport wie eine heimliche Krone.
Zwischen den wie lose aufgefädelten Querbauten finden sich immer wieder wunderschön komponierte Gartenlandschaften, ständige Blickbeziehungen durch teils raumhohe Verglasungen verbinden Innen und Außen. In der Maschine, die ein Krankenhaus nun einmal auch ist, ermöglicht dieser Naturbezug dringend benötigte Atempausen.
Die Pracht endet an der Grenze
Dennoch darf man nicht vergessen, dass dieser Ort ein hochfunktionales Innenleben birgt. Die innere Organisation ist entscheidend: Welche Wege müssen – für Personal wie für Patient:innen – möglichst kurz sein oder dürfen sich nicht kreuzen, welche Einheiten gehören zusammen, welche brauchen Entkoppelungen ihrer Wege? In über 400 Nutzer:innenworkshops wurden Notwendigkeiten und Bedürfnisse ausgehandelt.
Schade ist nur, dass die ganze Pracht an der Grundgrenze endet – das Umfeld besteht aus einer ungestalteten Straße mit kargen Bushaltestellen, aus eklektizistischen Gewerbebauten, Brachflächen und dem einen oder anderen Wohnhaus. Der Stadtrand als Abstellkammer? Auch Vorzeigeprojekte brauchen Rahmen: Hier ist viel Anstrengung nötig, um das Spitalsgelände mit seiner Umgebung zu verzahnen. Nur direkt neben dem Neubau findet sich ein einziges interessantes Bauwerk: das alte Spital, das ab den 1970er-Jahren von Matthias Szauer und Gottfried Fickl erbaut worden war. Der überhöhte, sechseckige Zentralbau erinnert an die Donjons der umliegenden Burgen. In Y-Formation sind rundherum drei Stationsflügel angeordnet – eine kompakte Antithese zur linearen Erschließung des Neubaus. Um den streng symmetrischen Kernbau haben sich im Laufe der Jahre wie eine Art Wurmfortsatz Personalwohnhaus, Krankenpflegeschule und Rotkreuzstation angelagert.
In deren Sichtbetonfassaden prangen Fenster und Portale aus leuchtend orangem Metall im Wechsel mit Waschbetonbrüstungen. Der markante brutalistische Baustil öffentlicher Bauten ist im Burgenland (noch) ungewöhnlich oft zu sehen: Dem strukturellen Nachholbedarf des jüngsten, rural geprägten Bundeslandes begegnete man in den 1950er- und 1960er-Jahren mit einem kompromisslosen Aufbruch in die Moderne. Im Oberwarter Stadtkern findet man schon die nächste Ikone in Form der Osterkirche von Domenig/Huth.
Eine Generalsanierung wäre möglich gewesen
Interessanterweise konkurrenzieren sich die beiden Spitalsbauten bei all ihrer formalen Gegensätzlichkeit trotz räumlicher Nähe nicht. Sie begegnen sich auf jener Augenhöhe, die über verschiedene Zeit- und Stilvorgaben vielleicht nur selbständige, ihrer je eigenen Bauzeit angemessene Architektur zustande bringt.
Diese gute Nachbarschaft wird bald traurige Geschichte sein: 2009 war noch ein Wettbewerb zur Sanierung des alten Spitals ausgeschrieben worden: Geringe Bauteilstärken führten dazu, dass die Bewehrung korrodierte und an einigen Stellen frei lag, Brandschutz, Elektro- und Haustechnik entsprachen nicht mehr dem Stand der Technik. Aber die Tragstruktur war in Ordnung, eine Generalsanierung wäre möglich gewesen. Obwohl die Planung also da war, entschloss man sich 2013/2014, doch neu zu bauen. Begründet wurde dies durch ein zu großes finanzielles Risiko aufgrund von möglichen, derzeit nicht vorhersehbaren tiefergreifenden Schäden.
Instandsetzung zu aufwändig
Die 2022 erfolgte Entscheidung des BDA, dass die brutalistische Megastruktur nicht schützenswert sei, bedeutete das Ende der Hoffnungen auf deren Erhalt. Den leerstehenden Komplex instand zu setzen wäre zu aufwändig, neue Nutzungen wurden nicht gefunden, vielleicht auch gar nicht gesucht: Das Gelände soll für eine Erweiterung des Gesundheitsangebotes frei gemacht werden. Die Ausschreibung zum Abbruch erfolgte in der Endphase der Fertigstellung des Neubaus. Emotionslos betrachtet musste für den „Modernitätsgedanken“ in Brutalismusform seinerzeit auch das noch ältere Gründerzeit-Spital weichen. Dessen Lebenszeit betrug immerhin noch etwa 60 Jahre. Fakt ist, dass die Lebenszeit von hochfunktionalen Gebäuden trotz zunehmenden Wissens um graue Energie abnimmt, bei Krankenhaus(neu)bauten rechnet man derzeit mit etwa 40 Jahren.
Die Architektur des neuen Oberwarter Spitals antizipiert Zukünftiges: Die Magistrale lässt sich leicht verlängern, um neue Querbauten aufzunehmen, bestehende Trakte können erhöht werden, hohe Räume lassen Spielraum für technische Umbauten, und bei der Materialwahl wurden alle gängigen Öko-Standards beachtet. Die vorgehängte Putzfassade wäre bei einem Rückbau leicht von der Tragstruktur zu trennen. Dennoch sollte dringend gesetzlich verankert werden, dass bereits vor der Phase der Konzeptionierung und Planung eine Lebenszyklus-Analyse, ein Rückbaukonzept oder eine Nachnutzungsstudie erstellt wird. Hier liegt viel Optimierungspotential, und nicht zuletzt ließe sich damit auch das vorrangige Ziel erreichen: Bestandsbauten ohne große Umstände länger „gesund“ zu erhalten.
Der vorgegebenen Budgetobergrenze von 235 Millionen Euro stehen die vorliegenden Gesamtbaukosten von „nur“ 180 Millionen gegenüber. Diese für einen Bauherrn, der öffentliche Gelder verwaltet, höchst erfreulichen Fakten bedeuten keinen Abstrich an spannender Architektur: Die Megastruktur mit über 44.000 m² Nutzfläche setzt sich elegant in den sanft geneigten Hang. An die breite Hauptschlagader der etwa 200 Meter langen Magistrale reihen sich in unterschiedlich langen, immer wieder geknickten Querbauten die gebündelten Funktionseinheiten. Die unterschiedlichen Höhen dieser Querbauten rhythmisieren das Gebäude ebenso wie die nach oben abnehmenden Fensterhöhen, die in Hinblick auf abnehmenden Lichteinfall und somit Wärmeertrag konzipiert wurden. Auf einem der höchsten Punkte im 5. OG sitzt der Zugangsseite abgewandt der Heliport wie eine heimliche Krone.
Zwischen den wie lose aufgefädelten Querbauten finden sich immer wieder wunderschön komponierte Gartenlandschaften, ständige Blickbeziehungen durch teils raumhohe Verglasungen verbinden Innen und Außen. In der Maschine, die ein Krankenhaus nun einmal auch ist, ermöglicht dieser Naturbezug dringend benötigte Atempausen.
Die Pracht endet an der Grenze
Dennoch darf man nicht vergessen, dass dieser Ort ein hochfunktionales Innenleben birgt. Die innere Organisation ist entscheidend: Welche Wege müssen – für Personal wie für Patient:innen – möglichst kurz sein oder dürfen sich nicht kreuzen, welche Einheiten gehören zusammen, welche brauchen Entkoppelungen ihrer Wege? In über 400 Nutzer:innenworkshops wurden Notwendigkeiten und Bedürfnisse ausgehandelt.
Schade ist nur, dass die ganze Pracht an der Grundgrenze endet – das Umfeld besteht aus einer ungestalteten Straße mit kargen Bushaltestellen, aus eklektizistischen Gewerbebauten, Brachflächen und dem einen oder anderen Wohnhaus. Der Stadtrand als Abstellkammer? Auch Vorzeigeprojekte brauchen Rahmen: Hier ist viel Anstrengung nötig, um das Spitalsgelände mit seiner Umgebung zu verzahnen. Nur direkt neben dem Neubau findet sich ein einziges interessantes Bauwerk: das alte Spital, das ab den 1970er-Jahren von Matthias Szauer und Gottfried Fickl erbaut worden war. Der überhöhte, sechseckige Zentralbau erinnert an die Donjons der umliegenden Burgen. In Y-Formation sind rundherum drei Stationsflügel angeordnet – eine kompakte Antithese zur linearen Erschließung des Neubaus. Um den streng symmetrischen Kernbau haben sich im Laufe der Jahre wie eine Art Wurmfortsatz Personalwohnhaus, Krankenpflegeschule und Rotkreuzstation angelagert.
In deren Sichtbetonfassaden prangen Fenster und Portale aus leuchtend orangem Metall im Wechsel mit Waschbetonbrüstungen. Der markante brutalistische Baustil öffentlicher Bauten ist im Burgenland (noch) ungewöhnlich oft zu sehen: Dem strukturellen Nachholbedarf des jüngsten, rural geprägten Bundeslandes begegnete man in den 1950er- und 1960er-Jahren mit einem kompromisslosen Aufbruch in die Moderne. Im Oberwarter Stadtkern findet man schon die nächste Ikone in Form der Osterkirche von Domenig/Huth.
Eine Generalsanierung wäre möglich gewesen
Interessanterweise konkurrenzieren sich die beiden Spitalsbauten bei all ihrer formalen Gegensätzlichkeit trotz räumlicher Nähe nicht. Sie begegnen sich auf jener Augenhöhe, die über verschiedene Zeit- und Stilvorgaben vielleicht nur selbständige, ihrer je eigenen Bauzeit angemessene Architektur zustande bringt.
Diese gute Nachbarschaft wird bald traurige Geschichte sein: 2009 war noch ein Wettbewerb zur Sanierung des alten Spitals ausgeschrieben worden: Geringe Bauteilstärken führten dazu, dass die Bewehrung korrodierte und an einigen Stellen frei lag, Brandschutz, Elektro- und Haustechnik entsprachen nicht mehr dem Stand der Technik. Aber die Tragstruktur war in Ordnung, eine Generalsanierung wäre möglich gewesen. Obwohl die Planung also da war, entschloss man sich 2013/2014, doch neu zu bauen. Begründet wurde dies durch ein zu großes finanzielles Risiko aufgrund von möglichen, derzeit nicht vorhersehbaren tiefergreifenden Schäden.
Instandsetzung zu aufwändig
Die 2022 erfolgte Entscheidung des BDA, dass die brutalistische Megastruktur nicht schützenswert sei, bedeutete das Ende der Hoffnungen auf deren Erhalt. Den leerstehenden Komplex instand zu setzen wäre zu aufwändig, neue Nutzungen wurden nicht gefunden, vielleicht auch gar nicht gesucht: Das Gelände soll für eine Erweiterung des Gesundheitsangebotes frei gemacht werden. Die Ausschreibung zum Abbruch erfolgte in der Endphase der Fertigstellung des Neubaus. Emotionslos betrachtet musste für den „Modernitätsgedanken“ in Brutalismusform seinerzeit auch das noch ältere Gründerzeit-Spital weichen. Dessen Lebenszeit betrug immerhin noch etwa 60 Jahre. Fakt ist, dass die Lebenszeit von hochfunktionalen Gebäuden trotz zunehmenden Wissens um graue Energie abnimmt, bei Krankenhaus(neu)bauten rechnet man derzeit mit etwa 40 Jahren.
Die Architektur des neuen Oberwarter Spitals antizipiert Zukünftiges: Die Magistrale lässt sich leicht verlängern, um neue Querbauten aufzunehmen, bestehende Trakte können erhöht werden, hohe Räume lassen Spielraum für technische Umbauten, und bei der Materialwahl wurden alle gängigen Öko-Standards beachtet. Die vorgehängte Putzfassade wäre bei einem Rückbau leicht von der Tragstruktur zu trennen. Dennoch sollte dringend gesetzlich verankert werden, dass bereits vor der Phase der Konzeptionierung und Planung eine Lebenszyklus-Analyse, ein Rückbaukonzept oder eine Nachnutzungsstudie erstellt wird. Hier liegt viel Optimierungspotential, und nicht zuletzt ließe sich damit auch das vorrangige Ziel erreichen: Bestandsbauten ohne große Umstände länger „gesund“ zu erhalten.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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