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Ein Meister von Raum und Licht
Der Architekt John Soane in der Londoner Royal Academy
John Soane (1753-1837) war einer der ersten Architekten, die an der Royal Academy of Arts studierten. Nun widmet ihm diese Londoner Institution eine grosse Retrospektive, die neben Zeichnungen und Modellen auch die berühmten, von Joseph Michael Gandy gemalten Architekturvisionen des Meisters zeigt. Im Zentrum der Schau steht die monumentale Bank of England.
24. September 1999 - Georges Waser
Laut Roger Fry war, wie er 1923 in einer Vorlesung am Royal Institute of British Architects betonte, John Soane eine Ausnahme - einer von bestenfalls zwei oder drei «akzeptablen» Architekten, die Grossbritannien seit dem späten 18. Jahrhundert hervorgebracht hatte. Für Soane, von den ins Ornament verliebten Viktorianern missverstanden, kam mit diesem Verdikt eines Fürsprechers der Modernisten die Wende; sein als Museum offenstehendes Haus in den Londoner Lincoln's Inn Fields ist für Architekten seither längst zum Wallfahrtsort geworden und zieht heute jährlich um die 100 000 Besucher an. In diesem Haus entwickelte Soane seine Ideen für anscheinend schwebende Decken, spielte er mit Licht, Farbe und Spiegeln und manipulierte so die Effekte von wirklichem und vorgetäuschtem Raum.
Unter den Bauten der Neuzeit, die Soanes Einfluss erkennen lassen, ist das Portland Museum of Art von Henry Cobb ebenso wie der Sainsbury Wing der Londoner National Gallery von Robert Venturi und Denise Scott Brown. Und wie Philip Johnson, der Nestor der amerikanischen Architektur, bekennt sich auch der Spanier Rafael Moneo - etwa mit dem Atocha-Bahnhof in Madrid und der eben erst entstandenen Bibliothek in Badajoz - als Anhänger. Nun steht Soanes Welt in der Londoner Royal Academy of Arts in einer ebenso grossen wie gewichtigen Ausstellung dem breiten Publikum offen. Zu sehen sind neben erstmals gezeigten Plänen auch Modelle und Nachbildungen seiner Bauten.
Mit der Leidenschaft eines Spielers
John Soane wurde 1753 in der Nähe von Reading geboren. Als der jüngste von sieben Söhnen eines Maurers nur dürftig ausgebildet, verdiente der Fünfzehnjährige bereits sein Brot als Arbeiter auf einer Baustelle. Einem Londoner Architekten fielen seine Talente auf - und hätte dieser den Jungen nicht mit sich in die Hauptstadt genommen und dort gefördert, wäre die Architekturgeschichte (bis in die Gegenwart hinein) wohl etwas anders zu schreiben.
Soane war einer der ersten Architekten, die an der Royal Academy studierten. Dort gewann er 1776 mit dem Modell für eine Triumphbrücke die Goldmedaille und damit ein Stipendium für eine Italienreise. Diese Reise, zu der er am Morgen des 18. März 1778 aufbrach, sollte die wichtigste Erfahrung seines Lebens sein - spätestens in Rom beim Zeichnen oder Ausmessen, sei es auf dem Forum Romanum oder vor dem Colosseum, begann Soanes manischer Hang zur Architektur, eine Leidenschaft, wie er später sagte, «. . . as difficult to extinguish as a passion for play in the mind of a professional gambler». Zwei Jahre später, wieder in England, überraschte Soane mit einem klaren, geradlinigen Stil. Bei seinen ersten Entwürfen handelte es sich, wie man in der Londoner Ausstellung mit Überraschung feststellt, um Pläne für schlichte Farmgebäude und kleine Landhäuser.
Ganz im Gegensatz dazu steht das, womit sich in der Royal Academy der grösste Ausstellungsraum befasst: die monumentale Bank of England, die, nicht zu Unrecht - wurde sie doch im frühen 20. Jahrhundert demoliert -, auch «London's lost city» genannt wird. Soane war 35, als er zum Architekten für die Bank of England ernannt wurde. Der Bau sollte ihn 45 Jahre lang in Anspruch nehmen. Und in der Tat wurde die in der Londoner City entstehende Bank eine Stadt inmitten einer Stadt: mit Räumen, denen Kuppeln als Lichtquellen dienten und deren Ausstattung an die Bäder im alten Rom erinnerte, mit Innenhöfen, Gärten, Triumphbögen und - last, but not least, sollte doch das Gold der Nation sicher sein - festungsähnlichen Mauern. Wen wundert es beim Anblick der mehr als zwanzig von Soane selbst angefertigten Modelle noch, dass der Kunsthistoriker Nikolaus Pevsner, als die Bank abgebrochen wurde, vom «grössten von London in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlittenen baugeschichtlichen Verlust» sprach? Glücklicherweise hatte damals immerhin Frank Yerbury den Auftrag erhalten, Soanes Bank photographisch zu verewigen. Genau diese Photos waren es übrigens auch, die - als er ein Exemplar des Bandes von Yerbury in der Universitätsbibliothek von Harvard entdeckte - Moneos Begeisterung für Soane weckten.
Visionäre Architektur
Aus Soanes wohl ehrgeizigster Idee, nämlich für George IV eine grandiose, aus neoklassizistischer Architektur bestehende «Processional Route» anzulegen, wurde nichts. Denn im Parlament von Westminster huldigten zu viele Köpfe der Neugotik. Also sind in der Royal Academy Joseph Michael Gandys Aquarelle dieser Route der einzige Zeuge von dem, was hätte sein können. Weiter faszinieren hier Soanes Interieurs zu Wimpole Hall, die Pläne zu seinem Landhaus, Pitshanger Manor, sowie Pläne auch zur Dulwich Picture Gallery. Diese war im Jahr 1817 Grossbritanniens erstes öffentliches Kunstmuseum. Obschon der fertiggestellte Bau nicht durchwegs den Vorstellungen des Architekten entsprach, steht die Dulwich Picture Gallery mit ihrem Minimalismus, den Lichtquellen und Perspektiven im Innern als einer der einflussreichsten Bauten Soanes da.
Die Tatsache, dass Soane, den Meister des Lichts, das Dunkel ebenso beschäftigte wie das Helle, beweist sowohl in Dulwich ein Mausoleum als auch das eigene, in der gegenwärtigen Londoner Ausstellung in Originalgrösse nachgebildete Familiengrab. Damals - Soane starb 1837 - war dieses mit seinen Säulen, Ziergiebeln und der Kuppel das kühnste Grabmal in London; heute steht es unter Denkmalschutz und gehört, wie in der Hauptstadt unter den Gräbern einzig noch dasjenige von Karl Marx, in die exklusive Kategorie «Grade 1». (Bis 2. Dezember)
[ John Soane Architect. Hrsg. Margaret Richardson und Mary Anne Stevens. Royal Academy, London 1999. 302 S., £ 22.50. ]
Unter den Bauten der Neuzeit, die Soanes Einfluss erkennen lassen, ist das Portland Museum of Art von Henry Cobb ebenso wie der Sainsbury Wing der Londoner National Gallery von Robert Venturi und Denise Scott Brown. Und wie Philip Johnson, der Nestor der amerikanischen Architektur, bekennt sich auch der Spanier Rafael Moneo - etwa mit dem Atocha-Bahnhof in Madrid und der eben erst entstandenen Bibliothek in Badajoz - als Anhänger. Nun steht Soanes Welt in der Londoner Royal Academy of Arts in einer ebenso grossen wie gewichtigen Ausstellung dem breiten Publikum offen. Zu sehen sind neben erstmals gezeigten Plänen auch Modelle und Nachbildungen seiner Bauten.
Mit der Leidenschaft eines Spielers
John Soane wurde 1753 in der Nähe von Reading geboren. Als der jüngste von sieben Söhnen eines Maurers nur dürftig ausgebildet, verdiente der Fünfzehnjährige bereits sein Brot als Arbeiter auf einer Baustelle. Einem Londoner Architekten fielen seine Talente auf - und hätte dieser den Jungen nicht mit sich in die Hauptstadt genommen und dort gefördert, wäre die Architekturgeschichte (bis in die Gegenwart hinein) wohl etwas anders zu schreiben.
Soane war einer der ersten Architekten, die an der Royal Academy studierten. Dort gewann er 1776 mit dem Modell für eine Triumphbrücke die Goldmedaille und damit ein Stipendium für eine Italienreise. Diese Reise, zu der er am Morgen des 18. März 1778 aufbrach, sollte die wichtigste Erfahrung seines Lebens sein - spätestens in Rom beim Zeichnen oder Ausmessen, sei es auf dem Forum Romanum oder vor dem Colosseum, begann Soanes manischer Hang zur Architektur, eine Leidenschaft, wie er später sagte, «. . . as difficult to extinguish as a passion for play in the mind of a professional gambler». Zwei Jahre später, wieder in England, überraschte Soane mit einem klaren, geradlinigen Stil. Bei seinen ersten Entwürfen handelte es sich, wie man in der Londoner Ausstellung mit Überraschung feststellt, um Pläne für schlichte Farmgebäude und kleine Landhäuser.
Ganz im Gegensatz dazu steht das, womit sich in der Royal Academy der grösste Ausstellungsraum befasst: die monumentale Bank of England, die, nicht zu Unrecht - wurde sie doch im frühen 20. Jahrhundert demoliert -, auch «London's lost city» genannt wird. Soane war 35, als er zum Architekten für die Bank of England ernannt wurde. Der Bau sollte ihn 45 Jahre lang in Anspruch nehmen. Und in der Tat wurde die in der Londoner City entstehende Bank eine Stadt inmitten einer Stadt: mit Räumen, denen Kuppeln als Lichtquellen dienten und deren Ausstattung an die Bäder im alten Rom erinnerte, mit Innenhöfen, Gärten, Triumphbögen und - last, but not least, sollte doch das Gold der Nation sicher sein - festungsähnlichen Mauern. Wen wundert es beim Anblick der mehr als zwanzig von Soane selbst angefertigten Modelle noch, dass der Kunsthistoriker Nikolaus Pevsner, als die Bank abgebrochen wurde, vom «grössten von London in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlittenen baugeschichtlichen Verlust» sprach? Glücklicherweise hatte damals immerhin Frank Yerbury den Auftrag erhalten, Soanes Bank photographisch zu verewigen. Genau diese Photos waren es übrigens auch, die - als er ein Exemplar des Bandes von Yerbury in der Universitätsbibliothek von Harvard entdeckte - Moneos Begeisterung für Soane weckten.
Visionäre Architektur
Aus Soanes wohl ehrgeizigster Idee, nämlich für George IV eine grandiose, aus neoklassizistischer Architektur bestehende «Processional Route» anzulegen, wurde nichts. Denn im Parlament von Westminster huldigten zu viele Köpfe der Neugotik. Also sind in der Royal Academy Joseph Michael Gandys Aquarelle dieser Route der einzige Zeuge von dem, was hätte sein können. Weiter faszinieren hier Soanes Interieurs zu Wimpole Hall, die Pläne zu seinem Landhaus, Pitshanger Manor, sowie Pläne auch zur Dulwich Picture Gallery. Diese war im Jahr 1817 Grossbritanniens erstes öffentliches Kunstmuseum. Obschon der fertiggestellte Bau nicht durchwegs den Vorstellungen des Architekten entsprach, steht die Dulwich Picture Gallery mit ihrem Minimalismus, den Lichtquellen und Perspektiven im Innern als einer der einflussreichsten Bauten Soanes da.
Die Tatsache, dass Soane, den Meister des Lichts, das Dunkel ebenso beschäftigte wie das Helle, beweist sowohl in Dulwich ein Mausoleum als auch das eigene, in der gegenwärtigen Londoner Ausstellung in Originalgrösse nachgebildete Familiengrab. Damals - Soane starb 1837 - war dieses mit seinen Säulen, Ziergiebeln und der Kuppel das kühnste Grabmal in London; heute steht es unter Denkmalschutz und gehört, wie in der Hauptstadt unter den Gräbern einzig noch dasjenige von Karl Marx, in die exklusive Kategorie «Grade 1». (Bis 2. Dezember)
[ John Soane Architect. Hrsg. Margaret Richardson und Mary Anne Stevens. Royal Academy, London 1999. 302 S., £ 22.50. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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