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Sonnenaufgang am Clyde?
Besuch in der «UK City of Architecture and Design»
Nach Jahrzehnten der wirtschaftlichen Rezession besinnt sich Glasgow auf seine Vergangenheit. Gleichzeitig sucht die Stadt, die für das Jahr 1999 vom britischen Arts Council zur «UK City of Architecture and Design» erkoren wurde, den Anschluss an die Zukunft. Dass hier Architektur und Design blühen, versucht man mit einem dichten Veranstaltungskalender zu beweisen.
5. Oktober 1999 - Georges Waser
Einst Hochburg des Lokomotiven- und Schiffsbaus sowie der Textilindustrie, gewann Glasgow das Image einer «big city» - nicht zuletzt auch, weil Architektur und Design hier den jeweiligen Entwicklungen das Geleit gaben. Mit der grossen Depression der dreissiger Jahre und der Nachkriegszeit kam allerdings ein Stillstand; das Abwandern der Aufträge für Schiffe und Lokomotiven bedeutete für die Stadt am Clyde gar einen Sonnenuntergang. Dennoch, auf die Vergangenheit ihrer «big city» sind waschechte «Glaswegians» stolz. Jetzt aber sucht die Stadt, ist sie doch für das Jahr 1999 vom britischen Arts Council zur «UK City of Architecture and Design» erkoren worden, energisch den Anschluss an die Zukunft - und dass Glasgow auf den Gebieten Architektur und Design eine Zukunft hat, will man seit Januar mit einem vollgepackten Veranstaltungskalender beweisen. Aber genügen für ein derartiges Festival allein Ausstellungen und Konferenzen? Sollte man einem solchen einjährigen Bekenntnis an die Zukunft nicht vielmehr mit neuen Bauten ein Denkmal setzen?
Edinburg im Vorteil
In der bereits zu Ende gegangenen Ausstellung «Architecture and Democracy» in den McLellan Galleries war vom spanischen Architekten Enric Miralles das Modell für das neue schottische Parlamentsgebäude zu sehen (NZZ 30. 6. 99). Doch dieses Gebäude kommt nicht in Glasgow, sondern in Edinburg zu stehen - in jener Stadt also, die, als vor fünf Jahren die «UK City of Architecture and Design 1999» ausgerufen wurde, der Rivalin Glasgow unterlegen war. Und darin liegt auch die Ironie: Während man sich jahrelang darauf verlassen konnte, dass in Edinburg nichts geschehen, sich in Glasgow hingegen mit renovierten oder neuen Bauten ein Vorwärtsdrang manifestieren würde, scheinen jetzt die Rollen plötzlich vertauscht. So ist denn in Edinburg der Ort, für den Miralles sein in Glasgow gezeigtes Modell anfertigte, auch bereits ein geschäftiger Bauplatz.
An anderen Beispielen fehlt es nicht. So hat Edinburg sein neues, von der Firma Benson & Forsyth erbautes und bereits mit einem Architekturpreis ausgezeichnetes Museum of Scotland erhalten, während in Glasgow das Vorhaben, in der 1875-78 von Robert Matheson erbauten Hauptpost ein Museum für schottische Kunst und Design einzurichten, gescheitert ist und dieser Bau weiter leer dasteht. Und so steht in Edinburg, wenngleich klein, auch eine neue Scottish Poetry Library da - erbaut von Malcom Fraser, der überdies für das am Grassmarket entstehende National Centre for Dance verantwortlich ist. Schliesslich ist, wiederum in Edinburg, das im Juli eröffnete Dynamic Earth-Museum zu nennen - von Michael Hopkins für 34 Millionen Pfund gebaut und bereits ein Wahrzeichen geworden.
All dem hat die «UK City of Architecture and Design» immerhin mitten in der Stadt ein neues Museum entgegenzusetzen: nämlich das einst von Mackintosh gestaltete, jetzt in ein Zentrum für Architektur und Design umgewandelte frühere Druckereigebäude des «Glasgow Herald». Was nebst diesem Museum, «Lighthouse» genannt, in Glasgow vom einjährigen Festival bleiben wird, ist ein Berg von Katalogen und Büchern zu den verschiedenen Ausstellungen - Ausstellungen, in denen Mies van der Rohe, Frank Lloyd Wright, Alvar Aalto und Alexander Thomson, er wie Mackintosh mehr als ein «Lokalheld», die Vorreiter spielten. Und was sonst? Dass die Buchanan Street, die man schon vor vier Jahren in «eine der grossen Strassen Europas» zu verwandeln versprach, gerade 1999 aufgerissen und somit im Stadtzentrum ein Chaos angerichtet werden musste, zeugt nicht von besonderer Weitsicht. Allerdings war dafür nur noch bis Ende Jahr Geld von der EU verfügbar. Und eben, nicht nur versteht sich Glasgow - wohl mehr als jede andere Stadt in Grossbritannien - als europäisch: im Laufe ihrer Geschichte hat sich die Stadt am Clyde auch immer wieder in neuen Inkarnationen zu bestätigen vermocht. Einen Schritt in Richtung Wiedergeburt hat sie jetzt mit der Ausstellung «Homes for the Future» (bis zum 24. Oktober) auch bereits getan.
Heime für die Zukunft
Zugegeben, als «Housing Expo» ist «Homes for the Future» ein den europäischen Modernisten abgegucktes Experiment; in Glasgow allerdings war ein solches Experiment bisher einzig 1938 zu sehen. Am Rande von Glasgow Green, auf dem brachen Gelände einer einst vornehmen, dann aber heruntergekommenen Gegend, ist das Ganze mehr ein urban village als eine Ausstellung: hundert neue Heime von unterschiedlicher Grösse nämlich, gebaut von sowohl schottischen als auch ausländischen Architekturfirmen. Doch nicht allein ihnen - darunter RMJM Scotland, Ushida Findlay Partnership, McKeown Alexander sowie Wren & Rutherford -, sondern auch einer Gruppe von Designern dient «Homes for the Future» als Schaufenster, haben doch zum Beispiel Anne McKevitt sowie Anusas & Anwyl für einzelne Heime vollständige Interieurs geschaffen.
Wollen Glaswegians tatsächlich so leben: in einer einfallsreichen, an Farb- und Tastsinn appellierenden Umgebung, wo bereits den Vorgarten eine Note der Sinnlichkeit auszeichnet und schliesslich auch die Dachterrasse noch visuelle Überraschungen bereithält? Allem Anschein nach schon - dass heisst: wenn an einem trüben Augusttag die Gesichter der Besucher, darunter auch ältere Semester, ein Massstab waren. Laut Deyan Sudjic, dem über die Veranstaltungen des laufenden Jahres waltenden Direktor, waren Ende August denn auch bereit 85 Prozent der «Heime für die Zukunft» verkauft und stammen die Käufer grossenteils aus Glasgow. Übrigens ist auch dafür gesorgt, dass nach der Ausstellung dieses «village» am Glasgow Green wachsen kann; hier soll sich nämlich die Zahl der Heime bis ins Jahr 2005 verdreifachen.
Grosse Stadt, arme Stadt
Das eingangs erwähnte Image der «big city» ist Glasgow mit dem Gittermuster der Stadtanlage - was auch heisst: mit einer amerikanischen Note - erhalten geblieben. Diesem Image entspricht zudem die Vielzahl der schönen Bars und Restaurants, die in jüngster Zeit in den Palästen der Versicherungsgesellschaften rund um die St. Vincent Street Einzug hielten. Und dennoch: die «big city» ist zugleich eine arme Stadt. Zu dieser Einsicht kommt, wer der desolaten Aussenquartiere mit ihren stadteigenen Wohnhäusern oder der einige Viertel brutal zerschneidenden Motorways ansichtig wird, die heute - ein gutes Vierteljahrhundert nachdem die Stadtväter die Idee dazu aus Los Angeles zurückgebracht haben - am Einknicken und Auseinanderbrechen sind. Glasgow hat eine Vitaminspritze dringend nötig. Als eine solche sollte sich für die «UK City of Architecture and Design» eigentlich das Jahr 1999 erweisen. Dass sie die Gelegenheit finanziell zu nutzen weiss, hat die Stadt bereits bewiesen. Ursprünglich wurden ihr nämlich für die Veranstaltungen in diesem Jahr vom Arts Council nur 400 000 Pfund bewilligt; Glasgow allerdings verstand es dann derart gut, die Lotterie, die EU sowie Subventionen von anderswoher für sich zu gewinnen, dass schliesslich zum Zelebrieren der «UK City of Architecture and Design» um die 40 Millionen Pfund bereitstanden.
Edinburg im Vorteil
In der bereits zu Ende gegangenen Ausstellung «Architecture and Democracy» in den McLellan Galleries war vom spanischen Architekten Enric Miralles das Modell für das neue schottische Parlamentsgebäude zu sehen (NZZ 30. 6. 99). Doch dieses Gebäude kommt nicht in Glasgow, sondern in Edinburg zu stehen - in jener Stadt also, die, als vor fünf Jahren die «UK City of Architecture and Design 1999» ausgerufen wurde, der Rivalin Glasgow unterlegen war. Und darin liegt auch die Ironie: Während man sich jahrelang darauf verlassen konnte, dass in Edinburg nichts geschehen, sich in Glasgow hingegen mit renovierten oder neuen Bauten ein Vorwärtsdrang manifestieren würde, scheinen jetzt die Rollen plötzlich vertauscht. So ist denn in Edinburg der Ort, für den Miralles sein in Glasgow gezeigtes Modell anfertigte, auch bereits ein geschäftiger Bauplatz.
An anderen Beispielen fehlt es nicht. So hat Edinburg sein neues, von der Firma Benson & Forsyth erbautes und bereits mit einem Architekturpreis ausgezeichnetes Museum of Scotland erhalten, während in Glasgow das Vorhaben, in der 1875-78 von Robert Matheson erbauten Hauptpost ein Museum für schottische Kunst und Design einzurichten, gescheitert ist und dieser Bau weiter leer dasteht. Und so steht in Edinburg, wenngleich klein, auch eine neue Scottish Poetry Library da - erbaut von Malcom Fraser, der überdies für das am Grassmarket entstehende National Centre for Dance verantwortlich ist. Schliesslich ist, wiederum in Edinburg, das im Juli eröffnete Dynamic Earth-Museum zu nennen - von Michael Hopkins für 34 Millionen Pfund gebaut und bereits ein Wahrzeichen geworden.
All dem hat die «UK City of Architecture and Design» immerhin mitten in der Stadt ein neues Museum entgegenzusetzen: nämlich das einst von Mackintosh gestaltete, jetzt in ein Zentrum für Architektur und Design umgewandelte frühere Druckereigebäude des «Glasgow Herald». Was nebst diesem Museum, «Lighthouse» genannt, in Glasgow vom einjährigen Festival bleiben wird, ist ein Berg von Katalogen und Büchern zu den verschiedenen Ausstellungen - Ausstellungen, in denen Mies van der Rohe, Frank Lloyd Wright, Alvar Aalto und Alexander Thomson, er wie Mackintosh mehr als ein «Lokalheld», die Vorreiter spielten. Und was sonst? Dass die Buchanan Street, die man schon vor vier Jahren in «eine der grossen Strassen Europas» zu verwandeln versprach, gerade 1999 aufgerissen und somit im Stadtzentrum ein Chaos angerichtet werden musste, zeugt nicht von besonderer Weitsicht. Allerdings war dafür nur noch bis Ende Jahr Geld von der EU verfügbar. Und eben, nicht nur versteht sich Glasgow - wohl mehr als jede andere Stadt in Grossbritannien - als europäisch: im Laufe ihrer Geschichte hat sich die Stadt am Clyde auch immer wieder in neuen Inkarnationen zu bestätigen vermocht. Einen Schritt in Richtung Wiedergeburt hat sie jetzt mit der Ausstellung «Homes for the Future» (bis zum 24. Oktober) auch bereits getan.
Heime für die Zukunft
Zugegeben, als «Housing Expo» ist «Homes for the Future» ein den europäischen Modernisten abgegucktes Experiment; in Glasgow allerdings war ein solches Experiment bisher einzig 1938 zu sehen. Am Rande von Glasgow Green, auf dem brachen Gelände einer einst vornehmen, dann aber heruntergekommenen Gegend, ist das Ganze mehr ein urban village als eine Ausstellung: hundert neue Heime von unterschiedlicher Grösse nämlich, gebaut von sowohl schottischen als auch ausländischen Architekturfirmen. Doch nicht allein ihnen - darunter RMJM Scotland, Ushida Findlay Partnership, McKeown Alexander sowie Wren & Rutherford -, sondern auch einer Gruppe von Designern dient «Homes for the Future» als Schaufenster, haben doch zum Beispiel Anne McKevitt sowie Anusas & Anwyl für einzelne Heime vollständige Interieurs geschaffen.
Wollen Glaswegians tatsächlich so leben: in einer einfallsreichen, an Farb- und Tastsinn appellierenden Umgebung, wo bereits den Vorgarten eine Note der Sinnlichkeit auszeichnet und schliesslich auch die Dachterrasse noch visuelle Überraschungen bereithält? Allem Anschein nach schon - dass heisst: wenn an einem trüben Augusttag die Gesichter der Besucher, darunter auch ältere Semester, ein Massstab waren. Laut Deyan Sudjic, dem über die Veranstaltungen des laufenden Jahres waltenden Direktor, waren Ende August denn auch bereit 85 Prozent der «Heime für die Zukunft» verkauft und stammen die Käufer grossenteils aus Glasgow. Übrigens ist auch dafür gesorgt, dass nach der Ausstellung dieses «village» am Glasgow Green wachsen kann; hier soll sich nämlich die Zahl der Heime bis ins Jahr 2005 verdreifachen.
Grosse Stadt, arme Stadt
Das eingangs erwähnte Image der «big city» ist Glasgow mit dem Gittermuster der Stadtanlage - was auch heisst: mit einer amerikanischen Note - erhalten geblieben. Diesem Image entspricht zudem die Vielzahl der schönen Bars und Restaurants, die in jüngster Zeit in den Palästen der Versicherungsgesellschaften rund um die St. Vincent Street Einzug hielten. Und dennoch: die «big city» ist zugleich eine arme Stadt. Zu dieser Einsicht kommt, wer der desolaten Aussenquartiere mit ihren stadteigenen Wohnhäusern oder der einige Viertel brutal zerschneidenden Motorways ansichtig wird, die heute - ein gutes Vierteljahrhundert nachdem die Stadtväter die Idee dazu aus Los Angeles zurückgebracht haben - am Einknicken und Auseinanderbrechen sind. Glasgow hat eine Vitaminspritze dringend nötig. Als eine solche sollte sich für die «UK City of Architecture and Design» eigentlich das Jahr 1999 erweisen. Dass sie die Gelegenheit finanziell zu nutzen weiss, hat die Stadt bereits bewiesen. Ursprünglich wurden ihr nämlich für die Veranstaltungen in diesem Jahr vom Arts Council nur 400 000 Pfund bewilligt; Glasgow allerdings verstand es dann derart gut, die Lotterie, die EU sowie Subventionen von anderswoher für sich zu gewinnen, dass schliesslich zum Zelebrieren der «UK City of Architecture and Design» um die 40 Millionen Pfund bereitstanden.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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