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Bioadapter und Vanille-Zukunft
Eine Schau über ein österreichisches Architekturphänomen
3. Mai 2004 - Paul Jandl
«Erfrischend und weich» war die «Vanille-Zukunft», man rollte nackt in riesigen Plasticbällen durch den Schönbrunner Schlosspark, erfand kybernetische Glücksanzüge zur Selbstversorgung und entwickelte mit dem «Environmental Control Kit» gleich einen Spray zur Veränderung der Umwelt. Für Aussenstehende muss das, was da in Wien und Graz geschah, ziemlich beeindruckend gewesen sein, und so nannte Peter Cook in einem Aufsatz die schrägen Visionen österreichischer Architekten anerkennend ein «Austrian Phenomenon». Dem österreichischen Phänomen, das vom Ende der fünfziger bis zum Anfang der siebziger Jahre anhielt, widmet sich jetzt eine Ausstellung des Wiener Architekturzentrums. Einen Rest psychedelischer Grundstimmung hat man ins Konzept übernommen.
Droge Architektur
Die Wände der grossen Halle sind mit Namen, Daten und Projekten tapeziert. Es ist ein Zeitpanorama buntester Visionen, von der Traumstadt bis zur Raumfahrt. Architektur war damals eine monumentale Bastelei, die alles, was heute aus smarten Computerlaboratorien kommt, umso mehr beschämt, weil dieses den Ideen von einst so ähnlich sieht. Buntes, Blob und Biomorphes sind längst da gewesen. Pneumatische Modelle, die das Ich mit einem aufblasbaren Wohlfühl-Organ ausstatteten, wurden von Coop Himmelb(l)au entworfen. Walter Pichler brachte Oswald Wieners Idee eines «Bioadapters» zu Papier, durch den die Grenzen zwischen innen und aussen aufgehoben werden sollten. Ein freudig erregtes Ich, das in technisch erzeugter Halluzination mit seiner Umwelt verschmilzt - so ungefähr muss man sich das vorgestellt haben, und man hatte jede Menge Spass dabei. Drogen? Architektur! Selbstentgrenzung war zu dieser Zeit nicht nur das grosse Thema amerikanischer Flower-Power-Gurus, sondern auch der österreichischen Szene.
Die Bewegung, die das Architekturzentrum jetzt in allen Farben präsentiert, hat Barrieren übersprungen und ist doch insgesamt literarisch geblieben. Aufs tatsächliche Bauen kam es, wie bei Archigram in England, Superstudio in Italien und bei den japanischen Metabolisten, nur am Rande an. Schon Ende der fünfziger Jahre wurden Proklamationen gegen den Funktionalismus verfasst. Friedensreich Hundertwasser schrieb sein «Verschimmelungsmanifest», Günther Feuerstein, der für die jungen Architekten zur Leitfigur wurde, definierte die «Inzidente Architektur». Es gab Happenings, man zeichnete, schuf Fotomontagen, erdachte hochtechnologische Mikrokosmen des Wohnens und hatte selbstbewusste Visionen zukünftiger Städte und grenzenloser Mobilität. Die Architektur-Kommune «Zünd-up» entwarf einen riesenhaften und universell einsetzbaren «City-Expander», Haus-Rucker-Co. schlugen Pop-Interventionen an Manhattans Skyline vor, und Walter Pichler grub seine urbanen Utopien vorzugsweise in den Boden.
«Alles ist Architektur» hiess eine programmatische Ausstellung in der Wiener Galerie nächst St. Stephan. Die Architektur als Medium zu entdecken, in dem die alten Zwecke und Zwänge kurzerhand entsorgt wurden, gehört zu diesem österreichischen Aufbruch der sechziger Jahre. Die Proklamationen waren das eine, die Realität aber ein anderes. Furore machte Hollein, der Wortführer der jungen Wilden, eben nicht durch die Idee, einen Flugzeugträger auf einem Berggipfel zu montieren, sondern durch sein 1965 entstandenes Wiener Kerzengeschäft Retti. Das war keineswegs so anarchisch wie Holleins zeichnerische Entwürfe oder die Manifeste in der Zeitschrift «Bau», die zum publizistischen Schrittmacher der Bewegung wurde. «Der Angesehenste unter den Neuen ist Hans Hollein», schrieb Peter Cook 1970 in seinem Aufsatz. Dass Hollein auch unter den Alten zu den Angesehensten zählt, gehört zu einer ironischen Konstante der Wiener Ausstellung.
Vom Krawall zum Kompromiss
Die Krawallmacher von damals sind heute arriviert. In der Spasstruppe Haus-Rucker-Co. waren die Architekten Ortner & Ortner tonangebend, die sich heute gerne zum architektonischen Kompromiss bekennen. Coop Himmelb(l)au sind vielleicht am ehesten geblieben, was sie waren. «The Austrian Phenomenon», zu dem die Ausstellung noch Raimund Abraham, Max Peintner, Günther Domenig, Eilfried Huth, Friedrich St. Florian, Angela Hareither oder Missing Link zählt, wirkt wie ein fröhliches Klassentreffen nach dem Motto: Was haben wir gelacht. Weniger gelacht hätte man, wäre so mancher Entwurf verwirklicht worden. Gerhard Rühms Idee, Wien zur Apotheose seiner selbst zu machen, blieb in der Schublade. In Buchstaben, so hoch wie der Stephansdom, sollte im Stadtbild geschrieben stehen: Wien.
[Bis 12. Juli. Zur Ausstellung ist zum Preis von 6 Euro ein Sonderheft der Zeitschrift «Hintergrund» erschienen.]
Droge Architektur
Die Wände der grossen Halle sind mit Namen, Daten und Projekten tapeziert. Es ist ein Zeitpanorama buntester Visionen, von der Traumstadt bis zur Raumfahrt. Architektur war damals eine monumentale Bastelei, die alles, was heute aus smarten Computerlaboratorien kommt, umso mehr beschämt, weil dieses den Ideen von einst so ähnlich sieht. Buntes, Blob und Biomorphes sind längst da gewesen. Pneumatische Modelle, die das Ich mit einem aufblasbaren Wohlfühl-Organ ausstatteten, wurden von Coop Himmelb(l)au entworfen. Walter Pichler brachte Oswald Wieners Idee eines «Bioadapters» zu Papier, durch den die Grenzen zwischen innen und aussen aufgehoben werden sollten. Ein freudig erregtes Ich, das in technisch erzeugter Halluzination mit seiner Umwelt verschmilzt - so ungefähr muss man sich das vorgestellt haben, und man hatte jede Menge Spass dabei. Drogen? Architektur! Selbstentgrenzung war zu dieser Zeit nicht nur das grosse Thema amerikanischer Flower-Power-Gurus, sondern auch der österreichischen Szene.
Die Bewegung, die das Architekturzentrum jetzt in allen Farben präsentiert, hat Barrieren übersprungen und ist doch insgesamt literarisch geblieben. Aufs tatsächliche Bauen kam es, wie bei Archigram in England, Superstudio in Italien und bei den japanischen Metabolisten, nur am Rande an. Schon Ende der fünfziger Jahre wurden Proklamationen gegen den Funktionalismus verfasst. Friedensreich Hundertwasser schrieb sein «Verschimmelungsmanifest», Günther Feuerstein, der für die jungen Architekten zur Leitfigur wurde, definierte die «Inzidente Architektur». Es gab Happenings, man zeichnete, schuf Fotomontagen, erdachte hochtechnologische Mikrokosmen des Wohnens und hatte selbstbewusste Visionen zukünftiger Städte und grenzenloser Mobilität. Die Architektur-Kommune «Zünd-up» entwarf einen riesenhaften und universell einsetzbaren «City-Expander», Haus-Rucker-Co. schlugen Pop-Interventionen an Manhattans Skyline vor, und Walter Pichler grub seine urbanen Utopien vorzugsweise in den Boden.
«Alles ist Architektur» hiess eine programmatische Ausstellung in der Wiener Galerie nächst St. Stephan. Die Architektur als Medium zu entdecken, in dem die alten Zwecke und Zwänge kurzerhand entsorgt wurden, gehört zu diesem österreichischen Aufbruch der sechziger Jahre. Die Proklamationen waren das eine, die Realität aber ein anderes. Furore machte Hollein, der Wortführer der jungen Wilden, eben nicht durch die Idee, einen Flugzeugträger auf einem Berggipfel zu montieren, sondern durch sein 1965 entstandenes Wiener Kerzengeschäft Retti. Das war keineswegs so anarchisch wie Holleins zeichnerische Entwürfe oder die Manifeste in der Zeitschrift «Bau», die zum publizistischen Schrittmacher der Bewegung wurde. «Der Angesehenste unter den Neuen ist Hans Hollein», schrieb Peter Cook 1970 in seinem Aufsatz. Dass Hollein auch unter den Alten zu den Angesehensten zählt, gehört zu einer ironischen Konstante der Wiener Ausstellung.
Vom Krawall zum Kompromiss
Die Krawallmacher von damals sind heute arriviert. In der Spasstruppe Haus-Rucker-Co. waren die Architekten Ortner & Ortner tonangebend, die sich heute gerne zum architektonischen Kompromiss bekennen. Coop Himmelb(l)au sind vielleicht am ehesten geblieben, was sie waren. «The Austrian Phenomenon», zu dem die Ausstellung noch Raimund Abraham, Max Peintner, Günther Domenig, Eilfried Huth, Friedrich St. Florian, Angela Hareither oder Missing Link zählt, wirkt wie ein fröhliches Klassentreffen nach dem Motto: Was haben wir gelacht. Weniger gelacht hätte man, wäre so mancher Entwurf verwirklicht worden. Gerhard Rühms Idee, Wien zur Apotheose seiner selbst zu machen, blieb in der Schublade. In Buchstaben, so hoch wie der Stephansdom, sollte im Stadtbild geschrieben stehen: Wien.
[Bis 12. Juli. Zur Ausstellung ist zum Preis von 6 Euro ein Sonderheft der Zeitschrift «Hintergrund» erschienen.]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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