Bauwerk
Friedhofserweiterung und Aufbahrungshalle
Marte.Marte Architekten, Martin Rauch - Zwischenwasser (A) - 2002
Lehmige Luft in Luzifers Leuchtturm
Friedhöfe sind die Belege einer Sepulkralkultur: Der gesellschaftliche Umgang mit Tod und Toten wird lesbar. Der wilde Gottesacker von einst ist oft nur mehr Dienstleistungszone der Schicksalsabwickler. Zur Versinnlichung eines Trauerortes in Vorarlberg durch Bernhard und Stefan Marte.
14. September 2002 - Walter Chramosta
Das Jenseitige tritt dort am leichtesten unvermittelt an die Oberfläche des Diesseitigen, wo Tote begraben liegen; Gotteshäuser akzentuieren diese Orte, zumal im dörflichen Ambiente, wo Kirch- und Friedhof noch gleichzusetzen sind. In Batschuns, einer Fraktion der Vorarlberger Gemeinde Zwischenwasser, ist eine direkte sinnliche Annäherung an das Reich der Toten möglich. Art und Weise der dort 2001 begonnenen und kürzlich fertiggestellten Friedhofserweiterung erlauben überraschend diesen Grenzübergang - für den, der bereit ist, seine Konzentration auf das Feinstoffliche der Bauten zu richten. Eine Beerdigung hat im neuen Teil des Friedhofs noch nicht stattgefunden. Aber allein schon das in Material und Form stimmige Sakralarchitekturensemble bietet einen visuellen Zugang zu jenseitiger Grenzerfahrung, noch viel eindrücklicher der monolithisch wirkende Lehmquader des Aufbahrungsgebäudes.
An einem heißen Sommertag klärt schon ein kurzer Aufenthalt im ganz in Lehmbaustoffen ausgeführten Aufbahrungsraum synästhetisch über die prekären Zustände am Ende des Lebens auf: ein enger, seitlich von oben belichteter Raum, in dem einem die bleisatt in der Luft liegende, beklemmende Erdfeuchte und -wärme den Atem nimmt, jede Bewegung lähmt. Selten kann Architektur so direkt über das Körperliche auf den Betrachter wirken und über ihre Zwecke aufklären.
Kaum je wird ein Kultbau seiner Funktion so gerecht, indem er die Benutzer sofort vereinnahmt und zum Kern der Sache führt. Auch wenn dieser bedacht konzipierte und aufgeführte Bau eine solche Erfahrung existentieller Ausgesetztheit niemals bereitstellen wollte, ist es ihm doch als Qualität anzurechnen, daß er die Teilnehmer an einem Totengedenken, die Angehörigen eines Verstorbenen, nicht zuletzt die Geistlichen und die Bestatter, ahnen läßt, welche unberechenbare Naturgewalt der Tod darstellt. Wenn es nicht nur eine Hölle auf Erden, sondern hintergründig auch eine Hölle für einen dauerhafteren Aggregatzustand des Menschen gibt, dann blinkt in Batschuns, zumindest für die absehbare Dauer des Abklingens der Baufeuchte, ein scheinbar kleines, aber aus seiner Sphäre hoch aufragendes, warnendes Leuchtfeuer vor dem Jenseits.
Die Architekten Bernhard und Stefan Marte aus Weiler, schon nach einigen wenigen radikalen und riskanten Bauten zur Elite der Vorarlberger Baukunst zu rechnen und auf dem Weg zu beständiger internationaler Relevanz und Reputation, verfolgen mit dem kleinen Aufbahrungsbau ganz und gar keine belehrende Absicht. Sie wollen die in Stellung und Durchbildung beeindruckende Pfarrkirche zum heiligen Johannes dem Täufer, 1921 bis 1923 nach dem Entwurf von Clemens Holzmeister errichtet, und den anschließenden Friedhof ergänzen. Der neugotische, stämmige Rechteckbau mit Ostchor, Westturm und spitzbogenüberwölbtem Schiff steht auf den Fundamenten eines Vorgängers. Zu seiner Zeit war der Kirchenbau Holzmeisters so umstritten, wie es die Erweiterung des kleinen Friedhofs jetzt ist.
Der in der Vertikalen sehr starken Zeichensetzung der Kirche kann die bis auf den Aufbahrungsbau nur aus Freiraum bestehende Anlage erwartungsgemäß nur eine Neudefinition des geweihten Territoriums beifügen. Es wird der Kirche ein erweiterter Rahmen abgesteckt, mit dem Kubus ein fester Eckpfeiler des Öffentlichen in das private Weideland geschlagen. Batschuns hat als Streusiedlung kein kommerzielles oder politisches Zentrum, die Kirche bildet die Mitte der Ortschaft.
Philippe Ariès, Verfasser der einflußreichen „Geschichte des Todes“, erklärt die alte Doppelbedeutung des Gottesackers als Ortszentrum: „Der mittelalterliche Friedhof war nicht nur der Ort, an dem man Bestattungen vornahm. Das Wort selbst, cimeterium, bezeichnete auch einen Ort, wo man es aufgegeben hatte, Grablegungen vorzunehmen, wo man manchmal sogar nie beigesetzt hatte, der jedoch eine allen Friedhöfen - unter Einschluß derer, die auch weiterhin für Beisetzungen genutzt wurden - gemeinsame Funktion erfüllte: der Friedhof war, im Verein mit der Kirche, Brennpunkt des sozialen Lebens. Er vertrat das antike Forum.“
Das über einen geladenen Wett-bewerb gekürte Werk vom Marte & Marte erzeugt tatsächlich ein unbestimmtes, leicht geneigtes Kiesfeld mit rahmenden Mauerabschnitten. Solange keine Erdbestattung erfolgt, so lange wirkt dieser vom umgebenden Wiesenland samt Obstbäumen sich prägnant absetzende Bereich fast nutzungsneutral. Die Fortschreibung der geometrischen Ordnung des Friedhofs ist zwar evident, aber die lapidare Auslegung der wenigen Bauelemente abstrahiert die Nutzung bis zur Verwechselbarkeit. Durch die Farbe des nahe des Bauplatzes gewonnenen Baumaterials Stampflehm, das sich der Farbe des Holzmeisterschen Putzes so weit annähert, daß man eine bewußte Farbwahl vermuten möchte, stellt sich immerhin eine überzeugende Ensemblewirkung ein.
Was den eher fiktiven Ortsteil- und eher realen Bestattungsplatz von Batschuns zu einem der meistdiskutierten unter den Bauten von Marte & Marte machen wird, ist der gewagte Einsatz des gestampften Lehms für alle tragenden Bauteile und die daraus erwachsende sonderbare Anmut der Anlage, der vielleicht ursprünglich gar nicht explizit angestrebte Rekurs auf Vergänglichkeit. Das vom erfahrenen Schlinser Lehmbaumeister Martin Rauch, der diesem uralten Baumaterial über viele ansprechende Realisierungen eine unerwartete Aktualität in der Gegenwartsarchitektur zurückerobert hat, betreute Projekt, schert aus der pragmatischen Tendenz aus, in der die meisten Friedhofsanlagen nun rationalisiert angelegt werden.
Wenn sich wenige Monate nach der Fertigstellung und nach einigen sommerlichen Starkregenereignissen, am Fuß der Lehmgewände lange, im riesigen Kiesbett durchaus ansprechend aufgehobene Haufen ausgewaschener Lehmbeimengungen sammeln, sodaß die als Schutz in regelmäßigen Schichten eingearbeiteten Mörtelbänder hervortreten und an natürliche Verwitterungsformen von Löß und Konglomerat erinnern, dann fasziniert diese Architektur vor allem einmal durch die Lebendigkeit ihrer groß-flächigen Texturen. Die Analogie zwischen dem reversiblen Substanzverlust des Lehmbaus und dem Kreisen der Menschheit zwischen Geburt
und Tod ist nicht schwer herzustellen.
Das Vergehen des Lebens bei einem Friedhof architektonisch über ein vollständig recyclierbares, in der Natur
gewonnenes und nur durch einfache Vorbereitung nutzbar gemachtes Baumaterial zu thematisieren zeugt von Mut und Willen zur Opposition gegen die allgegenwärtige Technisierung und Banalisierung des Bestattungswesens durch Kommunen und private Anbieter.
Am Batschunser Bau ist nicht nur die Materialwahl Lehm einnehmend, sondern auch die übrige reduktionistische Detailausformung des Aufbahrungsraums: eine schwere Eicheneingangstür, direkt in den Lehm eingeputzt, schmale Schlitze, die das Tageslicht streifend über den Boden und die Rückwand führen, einfache Stahl-beschläge. Wenn sich die Anfangsschwüle verzogen haben wird, bleiben einer Trauerfeier höchst angemessene Architekturfermente im Raum. Ein so stimmiger Rahmen für eine Verabschiedung eines Toten wie in diesem dörflichen Kontext sollte auch im städtischen möglich sein.
Die Angebotslage, etwa in Wien, ist aber konträr. Die noch immer monopolistisch auftretende, aber eigentlich schon in Marktkonkurrenz agierende „Wiener Bestattung“ nötigt ihre Kunden bei den Zeremonien für die Erdbestattung nach wie vor zum Besuch von Räumlichkeiten, die direkt dem Funktionärsbarock mittelasiatischer Nachfolgediktaturen des Sowjetimperiums entsprungen zu sein scheinen: mit dem Preis exponentiell ansteigender Protz. Marte & Marte halten sich dagegen lieber an ein Wunschbild Philippe Ariès': „Kein Schuldgefühl, keine Angst vor dem Jenseits hält mehr davon ab, sich der Faszination des in höchste Schönheit verwandelten Todes zu überlassen.“
An einem heißen Sommertag klärt schon ein kurzer Aufenthalt im ganz in Lehmbaustoffen ausgeführten Aufbahrungsraum synästhetisch über die prekären Zustände am Ende des Lebens auf: ein enger, seitlich von oben belichteter Raum, in dem einem die bleisatt in der Luft liegende, beklemmende Erdfeuchte und -wärme den Atem nimmt, jede Bewegung lähmt. Selten kann Architektur so direkt über das Körperliche auf den Betrachter wirken und über ihre Zwecke aufklären.
Kaum je wird ein Kultbau seiner Funktion so gerecht, indem er die Benutzer sofort vereinnahmt und zum Kern der Sache führt. Auch wenn dieser bedacht konzipierte und aufgeführte Bau eine solche Erfahrung existentieller Ausgesetztheit niemals bereitstellen wollte, ist es ihm doch als Qualität anzurechnen, daß er die Teilnehmer an einem Totengedenken, die Angehörigen eines Verstorbenen, nicht zuletzt die Geistlichen und die Bestatter, ahnen läßt, welche unberechenbare Naturgewalt der Tod darstellt. Wenn es nicht nur eine Hölle auf Erden, sondern hintergründig auch eine Hölle für einen dauerhafteren Aggregatzustand des Menschen gibt, dann blinkt in Batschuns, zumindest für die absehbare Dauer des Abklingens der Baufeuchte, ein scheinbar kleines, aber aus seiner Sphäre hoch aufragendes, warnendes Leuchtfeuer vor dem Jenseits.
Die Architekten Bernhard und Stefan Marte aus Weiler, schon nach einigen wenigen radikalen und riskanten Bauten zur Elite der Vorarlberger Baukunst zu rechnen und auf dem Weg zu beständiger internationaler Relevanz und Reputation, verfolgen mit dem kleinen Aufbahrungsbau ganz und gar keine belehrende Absicht. Sie wollen die in Stellung und Durchbildung beeindruckende Pfarrkirche zum heiligen Johannes dem Täufer, 1921 bis 1923 nach dem Entwurf von Clemens Holzmeister errichtet, und den anschließenden Friedhof ergänzen. Der neugotische, stämmige Rechteckbau mit Ostchor, Westturm und spitzbogenüberwölbtem Schiff steht auf den Fundamenten eines Vorgängers. Zu seiner Zeit war der Kirchenbau Holzmeisters so umstritten, wie es die Erweiterung des kleinen Friedhofs jetzt ist.
Der in der Vertikalen sehr starken Zeichensetzung der Kirche kann die bis auf den Aufbahrungsbau nur aus Freiraum bestehende Anlage erwartungsgemäß nur eine Neudefinition des geweihten Territoriums beifügen. Es wird der Kirche ein erweiterter Rahmen abgesteckt, mit dem Kubus ein fester Eckpfeiler des Öffentlichen in das private Weideland geschlagen. Batschuns hat als Streusiedlung kein kommerzielles oder politisches Zentrum, die Kirche bildet die Mitte der Ortschaft.
Philippe Ariès, Verfasser der einflußreichen „Geschichte des Todes“, erklärt die alte Doppelbedeutung des Gottesackers als Ortszentrum: „Der mittelalterliche Friedhof war nicht nur der Ort, an dem man Bestattungen vornahm. Das Wort selbst, cimeterium, bezeichnete auch einen Ort, wo man es aufgegeben hatte, Grablegungen vorzunehmen, wo man manchmal sogar nie beigesetzt hatte, der jedoch eine allen Friedhöfen - unter Einschluß derer, die auch weiterhin für Beisetzungen genutzt wurden - gemeinsame Funktion erfüllte: der Friedhof war, im Verein mit der Kirche, Brennpunkt des sozialen Lebens. Er vertrat das antike Forum.“
Das über einen geladenen Wett-bewerb gekürte Werk vom Marte & Marte erzeugt tatsächlich ein unbestimmtes, leicht geneigtes Kiesfeld mit rahmenden Mauerabschnitten. Solange keine Erdbestattung erfolgt, so lange wirkt dieser vom umgebenden Wiesenland samt Obstbäumen sich prägnant absetzende Bereich fast nutzungsneutral. Die Fortschreibung der geometrischen Ordnung des Friedhofs ist zwar evident, aber die lapidare Auslegung der wenigen Bauelemente abstrahiert die Nutzung bis zur Verwechselbarkeit. Durch die Farbe des nahe des Bauplatzes gewonnenen Baumaterials Stampflehm, das sich der Farbe des Holzmeisterschen Putzes so weit annähert, daß man eine bewußte Farbwahl vermuten möchte, stellt sich immerhin eine überzeugende Ensemblewirkung ein.
Was den eher fiktiven Ortsteil- und eher realen Bestattungsplatz von Batschuns zu einem der meistdiskutierten unter den Bauten von Marte & Marte machen wird, ist der gewagte Einsatz des gestampften Lehms für alle tragenden Bauteile und die daraus erwachsende sonderbare Anmut der Anlage, der vielleicht ursprünglich gar nicht explizit angestrebte Rekurs auf Vergänglichkeit. Das vom erfahrenen Schlinser Lehmbaumeister Martin Rauch, der diesem uralten Baumaterial über viele ansprechende Realisierungen eine unerwartete Aktualität in der Gegenwartsarchitektur zurückerobert hat, betreute Projekt, schert aus der pragmatischen Tendenz aus, in der die meisten Friedhofsanlagen nun rationalisiert angelegt werden.
Wenn sich wenige Monate nach der Fertigstellung und nach einigen sommerlichen Starkregenereignissen, am Fuß der Lehmgewände lange, im riesigen Kiesbett durchaus ansprechend aufgehobene Haufen ausgewaschener Lehmbeimengungen sammeln, sodaß die als Schutz in regelmäßigen Schichten eingearbeiteten Mörtelbänder hervortreten und an natürliche Verwitterungsformen von Löß und Konglomerat erinnern, dann fasziniert diese Architektur vor allem einmal durch die Lebendigkeit ihrer groß-flächigen Texturen. Die Analogie zwischen dem reversiblen Substanzverlust des Lehmbaus und dem Kreisen der Menschheit zwischen Geburt
und Tod ist nicht schwer herzustellen.
Das Vergehen des Lebens bei einem Friedhof architektonisch über ein vollständig recyclierbares, in der Natur
gewonnenes und nur durch einfache Vorbereitung nutzbar gemachtes Baumaterial zu thematisieren zeugt von Mut und Willen zur Opposition gegen die allgegenwärtige Technisierung und Banalisierung des Bestattungswesens durch Kommunen und private Anbieter.
Am Batschunser Bau ist nicht nur die Materialwahl Lehm einnehmend, sondern auch die übrige reduktionistische Detailausformung des Aufbahrungsraums: eine schwere Eicheneingangstür, direkt in den Lehm eingeputzt, schmale Schlitze, die das Tageslicht streifend über den Boden und die Rückwand führen, einfache Stahl-beschläge. Wenn sich die Anfangsschwüle verzogen haben wird, bleiben einer Trauerfeier höchst angemessene Architekturfermente im Raum. Ein so stimmiger Rahmen für eine Verabschiedung eines Toten wie in diesem dörflichen Kontext sollte auch im städtischen möglich sein.
Die Angebotslage, etwa in Wien, ist aber konträr. Die noch immer monopolistisch auftretende, aber eigentlich schon in Marktkonkurrenz agierende „Wiener Bestattung“ nötigt ihre Kunden bei den Zeremonien für die Erdbestattung nach wie vor zum Besuch von Räumlichkeiten, die direkt dem Funktionärsbarock mittelasiatischer Nachfolgediktaturen des Sowjetimperiums entsprungen zu sein scheinen: mit dem Preis exponentiell ansteigender Protz. Marte & Marte halten sich dagegen lieber an ein Wunschbild Philippe Ariès': „Kein Schuldgefühl, keine Angst vor dem Jenseits hält mehr davon ab, sich der Faszination des in höchste Schönheit verwandelten Todes zu überlassen.“
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