Bauwerk
Biomasse-Heizkraftwerk
reitter_architekten - Fügen (A) - 2004
Späne, Lärche, Zirbe
Beton, Stahl, Glas und vor allem Holz, viel Holz. Ein Paradebeispiel, wie man aus einem Industriebau ein Stück Eventarchitektur macht: Helmut Reitters Biomasse-Heizkraftwerk im Zillertal.
26. Februar 2005 - Liesbeth Waechter-Böhm
Das Tiroler Holzwerk Binder zählt zu den ganz großen Holzverarbeitenden Unternehmen nicht nur in Österreich, sondern in Europa. Es verarbeitet jährlich eine Million Festmeter Rundholz - im ganzen Land wurden vergangenes Jahr 1,3 Millionen Festmeter eingeschlagen -, das ist beinahe die gesamte „Holzernte“ von Tirol. Dementsprechend umfangreich fällt auch jener Abfall aus, der bei der Holzverarbeitung entsteht und den wir heute, in Zeiten eines geänderten Umweltbewusstseins, respektvoll „Biomasse“ nennen. Die Binder-Biomasse besteht aus Sägespänen, Holzschnitzeln und Rinde.
Damit sind die wesentlichen Voraussetzungen für die Industrieanlage - ein Biomasse-Heizkraftwerk und eine Pelletserzeugung - skizziert, die Helmut Reitter auf einer Grundfläche von 70 mal 70 Metern und mit einer Höhe von immerhin 27 Metern errichtet hat. Die Anlage wurde am Beginn des Zillertales, auf dem riesigen Werksgelände von Binder, am Rand von Fügen gebaut. Und sie ist eingebettet in eine Art Urlandschaft aus Holz - Holz in Form von endlosen, gigantischen Stapeln von Stämmen, in unmittelbarer Nachbarschaft der Anlage, dann aber auch in weniger geordneter, mehr „organischer“ Form, zum Beispiel als 20 Meter hohe Rindenberge. Das alles ist ein recht großartiger Eindruck, optisch genauso wie geruchsmäßig.
Helmut Reitter war Sieger eines Wettbewerbs, den die Binder-Werke ausgeschrieben haben. Den haben sie vielleicht nicht ganz freiwillig durchgeführt, sondern unter dem Druck der Touristiker und der Öffentlichkeit, die um das „Erscheinungsbild der Region“ fürchteten. Böse Argumente sollen im Vorfeld des Baus gefallen sein - unter anderem wurde Binder unterstellt, er wolle dioxinverseuchtes Holz aus Russland in seinem Biomasse-Heizkraftwerk verbrennen.
In diesem Zusammenhang ist übrigens ein Einwurf angebracht: Die Binder-Werke haben immerhin jahrzehntelang mit Josef Lackner gearbeitet und verdanken ihm ein paar wirklich bemerkenswerte Bauten. Der Beitrag des Unternehmens zur Baukultur in der Region ist also nicht ganz uninteressant. Was hingegen die Touristiker für das Zillertal getan haben, ist mir nicht klar. Das Ortsbild von Fügen zum Beispiel wurde ungemein verschandelt.
Wenden wir uns erfreulicheren Dingen zu - und die Anlage von Helmut Reitter ist erfreulich. Er hat gleich beim Wettbewerb erkannt, dass es bei dieser Aufgabe inhaltlich um etwas geht, das man als Weiterstricken eines Produktionsprozesses bezeichnen könnte. Biomasse fällt in diesem Prozess reichlich an, und jetzt kann man sie an Ort und Stelle in großem Stil verwerten - für Fernwärme, die für ganz Fügen und wahrscheinlich noch für einen zweiten Ort reicht, die aber auch den eigenen Wärmebedarf des Unternehmens deckt (einschließlich der Kammern zum Trocknen des Holzes). Sägespäne fallen an und werden zu Pellets weiterverarbeitet, das sind jene gepressten Holzwürstchen, die man sich dann mittels Tankwagen liefern lassen kann. So kommt man zu einer Holzheizung, die den Komfort einer Ölheizung bietet.
Wenn man sich die architektonische Durchbildung der Anlage anschaut, versteht man gleich, dass Reitter die einzelnen Funktionsgruppen erkennbar macht. Er hat sie in eine sinnvolle Ordnung unterschiedlicher Körper zergliedert, die jeweils auch ganz unterschiedlich materialisiert sind. Die Anlage wird dadurch zu einem höchst komplexen Konglomerat von Notwendigkeiten, und obendrein - „oben“ stimmt in diesem Fall wörtlich - veredelt durch eine sowohl architektonisch als auch konstruktiv besondere Maßnahme: eine Art Brückenbauwerk aus Holz, das über 28 Meter gespannt ist und dann 18 Meter frei auskragt.
Der gesamte Komplex ist von vornherein so ausgelegt, dass Besucherrundgänge möglich sind. Diese Besucher kommen zunächst in ein Empfangsbauwerk mit Shop, Galerie und einem kleinen (technisch bestens ausgestatteten) Kinosaal. Man sieht hier schon - und das zieht sich bis zur Skybar durch -, worauf Wert gelegt wurde: die eigenen Produkte von Binder zu verwenden. Das können Plattenelemente aus Lärche sein - nur im reinen Industriebereich hat man sich mit Fichte begnügt - oder zum Beispiel Räuchereiche auf dem Boden; oben, im Seminarraum, ist es die so aus der Mode gekommene, dabei tirolspezifische Zirbe (Zirbenstube!).
Beim Wettbewerb hatten natürlich vor allem Architekten mitgemacht, die sich für den Holzbau interessieren. Helmut Reitter selbst hat vor Jahren beim Freizeitpark in Zell am Ziller eine wunderbare Holzkonstruktion realisiert. Trotzdem war es der richtige Vorschlag, nichts zu verkleiden und zu verstecken, sondern das Material entsprechend der jeweiligen Aufgabe zu wählen. Im Turbinenhaus zum Beispiel gibt es einen enormen Lärmpegel - einen Holzbau so zu dämmen, dass man ihn akustisch in den Griff bekommt, wäre nur mit ungeheurem Aufwand möglich. Reitter hat ganz pragmatisch reagiert: Die lauten Teile und die Silos sind in Beton, der Beton ist sehr dunkel, anthrazitfarben, aber nicht gefärbt, sondern gestrichen. Das Kesselhaus wiederum ist in rot lackiertem Stahl ausgeführt. Und der böse, böse Schornstein schießt aus einem gläsernen Gehäuse in die Höhe, er ist auch aus Stahl. Dieser geordnete Materialmix, wie er sich nach außen präsentiert, in Verbindung mit Holz und Glas, macht aus etwas so Statischem wie einem Bauwerk auf einer zweiten, eben nicht kitschigen Ebene spannendste Eventarchitektur.
Reitter hat den Komplex an einer Stelle sozusagen „durchschnitten“. Es ist ein gläserner Schnitt, mit Treppenanlagen. Und irgendwie darüber schwebt dann die Gebäudekrone - sichtbar von weitem, kristallin, besonders. Im Programm war bloß ein Seminarraum gefordert. Der Architekt hat diese Forderung genutzt, um ein Statement abzugeben, das zeigt, was einem kreativen Denker zum Thema Holzbau heutzutage einfallen kann.
Sein schwebender Baukörper - mit von Christian Vogt gestaltetem Dachgarten, einer stimmungsvollen Skybar und einem großen, teilbaren, zum Garten hin zu öffnenden Seminarraum - ist weithin sichtbar, auch beim bloßen Vorbeifahren. Er schwebt gleichsam frei in der Gegend herum. Dass es zwei Stützen gibt, vergisst man ganz. Möglich war das nur, weil Reitter zusammen mit seinem Statiker eine Technologie in den Holzbau eingebracht hat, die aus dem Betonbau stammt. Sie haben kein starres Fachwerk, sondern eine Konstruktion mit Spannkabeln gewählt, die man auch nachjustieren konnte. (Weil der Brückenbau aus Holz eine weiche Konstruktion ist.) Das Ergebnis ist in jeder Hinsicht bemerkenswert - räumlich und konstruktiv.
Diese Anlage wird noch viel von sich reden machen. Sie ist ein Paradebeispiel dafür, dass es auch bei einem Industriebau nicht allein auf die Maschinenbauer und ihre Ordnungssysteme ankommt, sondern dass der Architekt einen substanziellen Beitrag zu leisten vermag. Die Bauherren glauben immer, sie können sich diesen Kostenfaktor sparen; und die Techniker belächeln die gestalterische Komponente in der Arbeit des Architekten. Ach Gott, ist das falsch!
Damit sind die wesentlichen Voraussetzungen für die Industrieanlage - ein Biomasse-Heizkraftwerk und eine Pelletserzeugung - skizziert, die Helmut Reitter auf einer Grundfläche von 70 mal 70 Metern und mit einer Höhe von immerhin 27 Metern errichtet hat. Die Anlage wurde am Beginn des Zillertales, auf dem riesigen Werksgelände von Binder, am Rand von Fügen gebaut. Und sie ist eingebettet in eine Art Urlandschaft aus Holz - Holz in Form von endlosen, gigantischen Stapeln von Stämmen, in unmittelbarer Nachbarschaft der Anlage, dann aber auch in weniger geordneter, mehr „organischer“ Form, zum Beispiel als 20 Meter hohe Rindenberge. Das alles ist ein recht großartiger Eindruck, optisch genauso wie geruchsmäßig.
Helmut Reitter war Sieger eines Wettbewerbs, den die Binder-Werke ausgeschrieben haben. Den haben sie vielleicht nicht ganz freiwillig durchgeführt, sondern unter dem Druck der Touristiker und der Öffentlichkeit, die um das „Erscheinungsbild der Region“ fürchteten. Böse Argumente sollen im Vorfeld des Baus gefallen sein - unter anderem wurde Binder unterstellt, er wolle dioxinverseuchtes Holz aus Russland in seinem Biomasse-Heizkraftwerk verbrennen.
In diesem Zusammenhang ist übrigens ein Einwurf angebracht: Die Binder-Werke haben immerhin jahrzehntelang mit Josef Lackner gearbeitet und verdanken ihm ein paar wirklich bemerkenswerte Bauten. Der Beitrag des Unternehmens zur Baukultur in der Region ist also nicht ganz uninteressant. Was hingegen die Touristiker für das Zillertal getan haben, ist mir nicht klar. Das Ortsbild von Fügen zum Beispiel wurde ungemein verschandelt.
Wenden wir uns erfreulicheren Dingen zu - und die Anlage von Helmut Reitter ist erfreulich. Er hat gleich beim Wettbewerb erkannt, dass es bei dieser Aufgabe inhaltlich um etwas geht, das man als Weiterstricken eines Produktionsprozesses bezeichnen könnte. Biomasse fällt in diesem Prozess reichlich an, und jetzt kann man sie an Ort und Stelle in großem Stil verwerten - für Fernwärme, die für ganz Fügen und wahrscheinlich noch für einen zweiten Ort reicht, die aber auch den eigenen Wärmebedarf des Unternehmens deckt (einschließlich der Kammern zum Trocknen des Holzes). Sägespäne fallen an und werden zu Pellets weiterverarbeitet, das sind jene gepressten Holzwürstchen, die man sich dann mittels Tankwagen liefern lassen kann. So kommt man zu einer Holzheizung, die den Komfort einer Ölheizung bietet.
Wenn man sich die architektonische Durchbildung der Anlage anschaut, versteht man gleich, dass Reitter die einzelnen Funktionsgruppen erkennbar macht. Er hat sie in eine sinnvolle Ordnung unterschiedlicher Körper zergliedert, die jeweils auch ganz unterschiedlich materialisiert sind. Die Anlage wird dadurch zu einem höchst komplexen Konglomerat von Notwendigkeiten, und obendrein - „oben“ stimmt in diesem Fall wörtlich - veredelt durch eine sowohl architektonisch als auch konstruktiv besondere Maßnahme: eine Art Brückenbauwerk aus Holz, das über 28 Meter gespannt ist und dann 18 Meter frei auskragt.
Der gesamte Komplex ist von vornherein so ausgelegt, dass Besucherrundgänge möglich sind. Diese Besucher kommen zunächst in ein Empfangsbauwerk mit Shop, Galerie und einem kleinen (technisch bestens ausgestatteten) Kinosaal. Man sieht hier schon - und das zieht sich bis zur Skybar durch -, worauf Wert gelegt wurde: die eigenen Produkte von Binder zu verwenden. Das können Plattenelemente aus Lärche sein - nur im reinen Industriebereich hat man sich mit Fichte begnügt - oder zum Beispiel Räuchereiche auf dem Boden; oben, im Seminarraum, ist es die so aus der Mode gekommene, dabei tirolspezifische Zirbe (Zirbenstube!).
Beim Wettbewerb hatten natürlich vor allem Architekten mitgemacht, die sich für den Holzbau interessieren. Helmut Reitter selbst hat vor Jahren beim Freizeitpark in Zell am Ziller eine wunderbare Holzkonstruktion realisiert. Trotzdem war es der richtige Vorschlag, nichts zu verkleiden und zu verstecken, sondern das Material entsprechend der jeweiligen Aufgabe zu wählen. Im Turbinenhaus zum Beispiel gibt es einen enormen Lärmpegel - einen Holzbau so zu dämmen, dass man ihn akustisch in den Griff bekommt, wäre nur mit ungeheurem Aufwand möglich. Reitter hat ganz pragmatisch reagiert: Die lauten Teile und die Silos sind in Beton, der Beton ist sehr dunkel, anthrazitfarben, aber nicht gefärbt, sondern gestrichen. Das Kesselhaus wiederum ist in rot lackiertem Stahl ausgeführt. Und der böse, böse Schornstein schießt aus einem gläsernen Gehäuse in die Höhe, er ist auch aus Stahl. Dieser geordnete Materialmix, wie er sich nach außen präsentiert, in Verbindung mit Holz und Glas, macht aus etwas so Statischem wie einem Bauwerk auf einer zweiten, eben nicht kitschigen Ebene spannendste Eventarchitektur.
Reitter hat den Komplex an einer Stelle sozusagen „durchschnitten“. Es ist ein gläserner Schnitt, mit Treppenanlagen. Und irgendwie darüber schwebt dann die Gebäudekrone - sichtbar von weitem, kristallin, besonders. Im Programm war bloß ein Seminarraum gefordert. Der Architekt hat diese Forderung genutzt, um ein Statement abzugeben, das zeigt, was einem kreativen Denker zum Thema Holzbau heutzutage einfallen kann.
Sein schwebender Baukörper - mit von Christian Vogt gestaltetem Dachgarten, einer stimmungsvollen Skybar und einem großen, teilbaren, zum Garten hin zu öffnenden Seminarraum - ist weithin sichtbar, auch beim bloßen Vorbeifahren. Er schwebt gleichsam frei in der Gegend herum. Dass es zwei Stützen gibt, vergisst man ganz. Möglich war das nur, weil Reitter zusammen mit seinem Statiker eine Technologie in den Holzbau eingebracht hat, die aus dem Betonbau stammt. Sie haben kein starres Fachwerk, sondern eine Konstruktion mit Spannkabeln gewählt, die man auch nachjustieren konnte. (Weil der Brückenbau aus Holz eine weiche Konstruktion ist.) Das Ergebnis ist in jeder Hinsicht bemerkenswert - räumlich und konstruktiv.
Diese Anlage wird noch viel von sich reden machen. Sie ist ein Paradebeispiel dafür, dass es auch bei einem Industriebau nicht allein auf die Maschinenbauer und ihre Ordnungssysteme ankommt, sondern dass der Architekt einen substanziellen Beitrag zu leisten vermag. Die Bauherren glauben immer, sie können sich diesen Kostenfaktor sparen; und die Techniker belächeln die gestalterische Komponente in der Arbeit des Architekten. Ach Gott, ist das falsch!
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