Bauwerk
Literaturmuseum der Moderne
David Chipperfield - Marbach am Neckar (D) - 2005
Sinnlichkeit und Askese
David Chipperfields Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar
Ende letzten Jahres hat der britische Architekt David Chipperfield seinen Neubau für das Literaturmuseum der Moderne in Marbach fertig gestellt. Nun wurde das Gebäude der Öffentlichkeit vorgestellt, ehe im kommenden Juni die erste Ausstellung zu sehen sein wird.
18. Januar 2006 - Roman Bucheli
Das 1903 erbaute und wie ein kleines Lustschloss über dem Neckar bei Marbach thronende Schiller-Nationalmuseum konnte seine Aufgabe als Ausstellungsgebäude und Archiv nie zur Zufriedenheit erfüllen. Zu sehr war es auf Repräsentation bedacht, zu theatralisch inszenierte es das Gedächtnis. Es war Denkmal und Musentempel in einem, für die Ausstellung lichtempfindlicher Dokumente jedoch höchst ungeeignet. Seine ausstellungstechnische Sanierung zählt denn auch zu den dringlichsten Anliegen der Deutschen Schillergesellschaft.
Funktionale Eleganz
Vorläufig hat man indes auf der Schillerhöhe in Marbach Grund zum Durchatmen. Zum Jahresende wurde das von dem britischen Architekten David Chipperfield entworfene Literaturmuseum der Moderne fertig gestellt, darauf jüngst dem Publikum vorgestellt, ehe nun bis im Juni die neue Dauerausstellung eingerichtet werden soll. David Chipperfield ist in Zusammenarbeit mit seinem Projektleiter, dem im benachbarten Ludwigsburg und also auf Sichtweite mit der Schillerhöhe aufgewachsenen Alexander Schwarz, eine ebenso beeindruckende wie betörende Lösung der durchaus tückenreichen Bauaufgabe gelungen.
Nicht allein die schwierige Topographie auf dem steil über dem Neckarufer aufragenden Hügel galt es zu bewältigen; der Neubau musste sich ausserdem in ein disparates Ensemble von bestehenden Gebäuden einfügen, von denen das tempelartige Nationalmuseum den markantesten Akzent setzte, während das 1973 gebaute Literaturarchiv und das zwanzig Jahre später hinzugekommene Collegiengebäude sowohl in ihrer Formensprache wie in ihrer Anordnung auf dem Hügel jeden architektonischen Dialog verweigerten. Ausserdem musste eine Antwort gefunden werden auf die Frage, wie ein Haus zu gestalten sei, das ausschliesslich der Präsentation literarischer Zeugnisse - kleinformatige Manuskripte, lichtempfindliche Schriftstücke, bibliophile Kostbarkeiten usw. - dienen sollte.
Da sich die Jury des Architekturwettbewerbs nicht zur Vergabe eines ersten Preises durchringen konnte, oblag es der Schillergesellschaft als Bauherrin, ein Projekt zur Ausführung auszuwählen. Sie entschied sich für eine Lösung, die augenscheinlich auf alle Ansprüche mit bautechnischer Evidenz wie mit ästhetischer Eleganz zu antworten vermochte. Chipperfields Bau besetzt eine Lücke auf dem Areal, das erst jetzt als architektonische Sinneinheit erfahrbar wird. Vom zentralen Schillerdenkmal her gesehen, erscheint das Literaturmuseum der Moderne (oder LiMo, wie es, halb ironisch, halb im Ernst, bereits genannt wird) als filigraner Kubus, der nun den an dieser Flanke bisher randlosen Platz säumt.
Auf gleicher Traufhöhe wie das Nationalmuseum (und dank Flachdach dennoch niedriger und zurückhaltender als dieses) nimmt das Literaturmuseum das Zwiegespräch mit seinem Nachbarn ohne Anbiederung auf. Es trumpft nicht auf und setzt dennoch einen selbstbewussten Akzent in die Landschaft. Wie das Nationalmuseum gibt sich auch Chipperfields Bau erst von der Hangseite her als zweigeschossiges Volumen zu erkennen, das sich sachte über die Geländekante schiebt. Mit zwei Flügeln und einem aufragenden, von schlanken Säulen gesäumten Mittelteil stellt es sich als eine abstrakte und luftig- leichte Variante des mit Mittelrisalit und -kuppel wuchtigen Nationalmuseums dar.
Über die neckarseitige Terrasse betritt man das Museum, das die Besucher in einem lichtdurchfluteten Eingangsbereich mit den für den Bau verwendeten Materialien vertraut macht: gepflegter Sichtbeton an den Wänden, Muschelkalk für die Fussböden, brasilianisches Tropenholz für die raumhohen Flügeltüren, grün getöntes Glas und grauer Filz für die Sitzflächen. Diese radikale Askese setzt sich fort in der reduktionistischen Formensprache. David Chipperfield hat zwar in Fläche und Höhe variierende Raumfolgen geschaffen, die ungeachtet ihrer komplexen Anordnung eine äusserste baukünstlerische Enthaltsamkeit signalisieren und eine intime Atmosphäre erzeugen.
Eine breite Treppe führt die Besucher hinunter in die Ausstellungsbereiche, dabei schwindet allmählich das Tageslicht, das dunkle Tropenholz dominiert nun und dämpft die Abstrahlung. Die Wände der Ausstellungssäle schliesslich sind vollends bis unter die Decke mit dem parkettartig verleimten Holz ausgekleidet und erscheinen wie höhlenartig verdunkelte Hallen. Lediglich die Vitrinen werden wie Lichtinseln den Besucher anlocken. In drei der sechs Räume wird nun bis zur Eröffnung am 6. Juni die Dauerausstellung zur Literatur seit 1900 eingerichtet. Die übrigen drei ebenso unterschiedlich dimensionierten Säle dienen für Wechselausstellungen, in denen die Schätze aus den mehr als 1200 in Marbach gesammelten Dichternachlässen aus vier Jahrhunderten gezeigt werden sollen. Für den Juli ist eine Kabinettausstellung zu Gottfried Benns autobiografischem Text «Doppelleben» geplant, und im September folgt eine Ausstellung zu Tischbein.
Durchgänge zu verglasten Loggien laden den Besucher zum Verweilen und Ausruhen. Hier öffnet sich dem aus den abgedunkelten Räumen heraustretenden Besucher der Blick auf das Neckartal und auf das terrassenartig abfallende Gelände. Und abermals bewährt sich die Zurückhaltung von Chipperfields Architektur: Während in den Ausstellungen das Auge sich vollkommen auf die Exponate konzentriert, soll es sich beim Blick ins Weite und Offene entspannen können.
Ausblicke ins Weite und Offene
Wie sich das Museum im Alltag bewährt, wird sich weisen. Einen gewichtigen Nachteil freilich hat man sich eingehandelt. Vor drei Jahren beklagte Heike Gfrereis, die Leiterin der Museumsabteilung in Marbach, dass im Schiller-Nationalmuseum zwischen den Fenstern, Türen und Kaminen kaum Hängeflächen vorhanden seien. Mit dem Literaturmuseum der Moderne hat sich die Ausstellungsfläche in Marbach beinahe verdreifacht, indessen ist kein Quadratmeter Hängefläche hinzugekommen. Die holzverkleideten Wände sind dafür nicht vorgesehen. So werden - um das Manko zu beheben - die Gestalter der zugleich als Leuchtkörper fungierenden Vitrinen ihr ganzes Können unter Beweis stellen müssen.
Funktionale Eleganz
Vorläufig hat man indes auf der Schillerhöhe in Marbach Grund zum Durchatmen. Zum Jahresende wurde das von dem britischen Architekten David Chipperfield entworfene Literaturmuseum der Moderne fertig gestellt, darauf jüngst dem Publikum vorgestellt, ehe nun bis im Juni die neue Dauerausstellung eingerichtet werden soll. David Chipperfield ist in Zusammenarbeit mit seinem Projektleiter, dem im benachbarten Ludwigsburg und also auf Sichtweite mit der Schillerhöhe aufgewachsenen Alexander Schwarz, eine ebenso beeindruckende wie betörende Lösung der durchaus tückenreichen Bauaufgabe gelungen.
Nicht allein die schwierige Topographie auf dem steil über dem Neckarufer aufragenden Hügel galt es zu bewältigen; der Neubau musste sich ausserdem in ein disparates Ensemble von bestehenden Gebäuden einfügen, von denen das tempelartige Nationalmuseum den markantesten Akzent setzte, während das 1973 gebaute Literaturarchiv und das zwanzig Jahre später hinzugekommene Collegiengebäude sowohl in ihrer Formensprache wie in ihrer Anordnung auf dem Hügel jeden architektonischen Dialog verweigerten. Ausserdem musste eine Antwort gefunden werden auf die Frage, wie ein Haus zu gestalten sei, das ausschliesslich der Präsentation literarischer Zeugnisse - kleinformatige Manuskripte, lichtempfindliche Schriftstücke, bibliophile Kostbarkeiten usw. - dienen sollte.
Da sich die Jury des Architekturwettbewerbs nicht zur Vergabe eines ersten Preises durchringen konnte, oblag es der Schillergesellschaft als Bauherrin, ein Projekt zur Ausführung auszuwählen. Sie entschied sich für eine Lösung, die augenscheinlich auf alle Ansprüche mit bautechnischer Evidenz wie mit ästhetischer Eleganz zu antworten vermochte. Chipperfields Bau besetzt eine Lücke auf dem Areal, das erst jetzt als architektonische Sinneinheit erfahrbar wird. Vom zentralen Schillerdenkmal her gesehen, erscheint das Literaturmuseum der Moderne (oder LiMo, wie es, halb ironisch, halb im Ernst, bereits genannt wird) als filigraner Kubus, der nun den an dieser Flanke bisher randlosen Platz säumt.
Auf gleicher Traufhöhe wie das Nationalmuseum (und dank Flachdach dennoch niedriger und zurückhaltender als dieses) nimmt das Literaturmuseum das Zwiegespräch mit seinem Nachbarn ohne Anbiederung auf. Es trumpft nicht auf und setzt dennoch einen selbstbewussten Akzent in die Landschaft. Wie das Nationalmuseum gibt sich auch Chipperfields Bau erst von der Hangseite her als zweigeschossiges Volumen zu erkennen, das sich sachte über die Geländekante schiebt. Mit zwei Flügeln und einem aufragenden, von schlanken Säulen gesäumten Mittelteil stellt es sich als eine abstrakte und luftig- leichte Variante des mit Mittelrisalit und -kuppel wuchtigen Nationalmuseums dar.
Über die neckarseitige Terrasse betritt man das Museum, das die Besucher in einem lichtdurchfluteten Eingangsbereich mit den für den Bau verwendeten Materialien vertraut macht: gepflegter Sichtbeton an den Wänden, Muschelkalk für die Fussböden, brasilianisches Tropenholz für die raumhohen Flügeltüren, grün getöntes Glas und grauer Filz für die Sitzflächen. Diese radikale Askese setzt sich fort in der reduktionistischen Formensprache. David Chipperfield hat zwar in Fläche und Höhe variierende Raumfolgen geschaffen, die ungeachtet ihrer komplexen Anordnung eine äusserste baukünstlerische Enthaltsamkeit signalisieren und eine intime Atmosphäre erzeugen.
Eine breite Treppe führt die Besucher hinunter in die Ausstellungsbereiche, dabei schwindet allmählich das Tageslicht, das dunkle Tropenholz dominiert nun und dämpft die Abstrahlung. Die Wände der Ausstellungssäle schliesslich sind vollends bis unter die Decke mit dem parkettartig verleimten Holz ausgekleidet und erscheinen wie höhlenartig verdunkelte Hallen. Lediglich die Vitrinen werden wie Lichtinseln den Besucher anlocken. In drei der sechs Räume wird nun bis zur Eröffnung am 6. Juni die Dauerausstellung zur Literatur seit 1900 eingerichtet. Die übrigen drei ebenso unterschiedlich dimensionierten Säle dienen für Wechselausstellungen, in denen die Schätze aus den mehr als 1200 in Marbach gesammelten Dichternachlässen aus vier Jahrhunderten gezeigt werden sollen. Für den Juli ist eine Kabinettausstellung zu Gottfried Benns autobiografischem Text «Doppelleben» geplant, und im September folgt eine Ausstellung zu Tischbein.
Durchgänge zu verglasten Loggien laden den Besucher zum Verweilen und Ausruhen. Hier öffnet sich dem aus den abgedunkelten Räumen heraustretenden Besucher der Blick auf das Neckartal und auf das terrassenartig abfallende Gelände. Und abermals bewährt sich die Zurückhaltung von Chipperfields Architektur: Während in den Ausstellungen das Auge sich vollkommen auf die Exponate konzentriert, soll es sich beim Blick ins Weite und Offene entspannen können.
Ausblicke ins Weite und Offene
Wie sich das Museum im Alltag bewährt, wird sich weisen. Einen gewichtigen Nachteil freilich hat man sich eingehandelt. Vor drei Jahren beklagte Heike Gfrereis, die Leiterin der Museumsabteilung in Marbach, dass im Schiller-Nationalmuseum zwischen den Fenstern, Türen und Kaminen kaum Hängeflächen vorhanden seien. Mit dem Literaturmuseum der Moderne hat sich die Ausstellungsfläche in Marbach beinahe verdreifacht, indessen ist kein Quadratmeter Hängefläche hinzugekommen. Die holzverkleideten Wände sind dafür nicht vorgesehen. So werden - um das Manko zu beheben - die Gestalter der zugleich als Leuchtkörper fungierenden Vitrinen ihr ganzes Können unter Beweis stellen müssen.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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