Bauwerk

Kindergarten
BUSarchitektur, Rainer Lalics - Wien (A) - 1999
Kindergarten, Foto: Sasha Pirker
Kindergarten, Foto: Sasha Pirker
Kindergarten, Foto: Sasha Pirker

Freiräume im Schallschatten

Wie eine Komposition aus Durchsichten wirkt der Kindergarten, den BUS-Architektur in Wien-Favoriten konzipiert hat. Und diese gebaute Lektion in Raum ermöglicht den Kindern eine ungewohnte Perspektive: den Blick von oben nach unten.

16. Juli 1999 - Liesbeth Waechter-Böhm
Die Lage ist gewissermaßen – ein Privileg. Denn der Kindergarten von BUS-Architektur steht in einem Park, umgeben von wunderbaren alten Bäumen. Früher war da ein Tröpferlbad. Das wurde aber abgerissen. Und diese Entscheidung war ohne Zweifel richtig. Nicht nur, weil die Instandsetzung des Gebäudes mehr gekostet hätte als ein Neubau, sondern auch aus städtebaulichen Gründen.

Dieser kleine Koloß in der Mittelachse des Parks – das ist es eigentlich nicht, was man sich unter dem Vorzeichen „zeitgenössischer“ Architektur erwartet. Zugegeben, mit der Vokabel „zeitgenössisch“ muß man vorsichtig umgehen. Denn sie behauptet allzu leichtfertig eine Art Trend, irgend etwas sehr Oberflächliches. Andererseits: So ein auf Mittelachse ausgerichtetes gründerzeitliches Monument ist auch nicht das, was man sich als ersten architektonischen Eindruck für eine heranwachsende Generation vorstellt.

Der neue Kindergarten von BUS-Architektur löst entsprechende Vorstellungen schon viel eher ein. Das Haus ist in den Park, unter und zwischen die Bäume hineinkomponiert. Es definiert die Grenze des Parks, es macht Front zur Straße, und es schützt sich damit sozusagen selbst vor dem Verkehrslärm: Die an der Rückseite angelagerten Freiräume für die Kinder liegen alle im Schallschatten, nur die Dachterrasse ist mehr oder weniger ungeschützt.

Man könnte auch sagen, das Haus ist eine Komposition aus Durchsichten. Wenn man sich davor hinstellt, ist das der erste Eindruck: Man sieht durch, dahinter in den Park. Aber schon der zweite Eindruck ist an etwas anderem festgemacht: an den unterschiedlichen Farben, an den verschiedenen Oberflächen der einzelnen Gebäudeteile; am leuchtenden Blau und am leuchtenden Orange der herkömmlichen Putzfassaden, am sehr spezifischen grobkörnigen Putz, am (aluminium)verblechten Bauteil und am Baumhaus in Holz und Glas. Es ist bezaubernd, wie sich diese Versatzstücke zusammenfügen, wie sie eben nicht nur Versatz, sondern ein Satz, ein Ganzes sind.

Die Organisation ist pragmatisch: Es gibt eine Art Servicezone über die volle Länge des Hauses, und der angelagert sind die verschiedenen Gruppenräume. Die haben alle den gleichen räumlichen Zuschnitt, Einbauten in Holz, einen grünen Gummiboden – und viel, viel Glas. Und das ist so eingesetzt, daß es den Kindern entspricht: Schließlich sollen die durch- und hinaussehen. Und zwar sehr wortwörtlich. Es gibt nämlich im Obergeschoß auch ein räumliches Apercu, das sozusagen unnütz ist. Die Architekten nennen es: die Rache der Kinder. In Architektur übersetzt bedeutet das: einen rundum verglasten Erker, der den Kindern die nicht ganz alltägliche Perspektive von oben nach unten – und nicht umgekehrt – ermöglicht.

Man könnte sagen, daß dieser Kindergarten so etwas wie poetisch ist. Er ist eine Komposition, die sich in den Park einbettet, die sich städtebaulich wohltuend unaufgeregt verhält. Der Eingang ist klar definiert, links davon ist das Büro der Kindergartenleiterin – sie schaut zum Eingang, ins Foyer, aber auch nach hinten, in den Freibereich. Der ist teilweise überdacht, und eine Art organische Form in Holz ist in den Boden eingelassen. Das Spiel mit den Oberflächen haben die Architekten sehr konsequent durchgezogen.

Vor allem beim „Baumhaus“ macht es sich bemerkbar. Da sind die Holzpaneele absichtsvoll willkürlich verlegt, der Charakter des Handgestrickten, des Gebastelten wird so transportiert. Es ist ein wunderbarer Raum, den die Architekten den Kindern der Hortgruppe mit diesem Baumhaus zur Verfügung stellen. Denn er ist wirklich in den Baumkronen angesiedelt.

Überhaupt ist der Bezug zur Natur, zu den Bäumen des Parks sehr schön in Szene gesetzt. Wenn man oben auf der Terrasse steht, wo es übrigens ein architektonisches Implantat in Form eines Kasperltheaters gibt, dann ist man dem Grün, aber man ist auch den Vögeln ganz nahe. Die Architekten hatten sich für diese Terrasse noch einiges mehr vorgestellt. Mehr an „Einrichtung“. Das wurde nicht ausgeführt, es ist aber kein Mangel, der ins Gewicht fällt. Was überrascht, das sind die schwarzen Fensterrahmen. Schwarz ist ja eine Farbe, die man Kindern in der Regel nicht zumutet. Es ist zwar „kindisch“, aber Schwarz ist irgendwie negativ besetzt, und das scheint nicht ins „kindliche“ Bild zu passen. Insofern ist es ein Wunder, daß die zuständige Magistratsabteilung ihren Sanctus zu den schwarzen Rahmen gegeben hat. Andererseits haben sie aber auch einen Sinn: Denn sie verschwinden gewissermaßen, zumindest aus der Ferne betrachtet werden sie unsichtbar. Und das gehört mit zum Konzept der Architekten, das fällt unter das Stichwort der Durchsichten.

Man muß bei diesem Kindergarten auch ein Wort zum Mobiliar sagen. Denn es macht sich sehr gewinnbringend bemerkbar, daß die Architekten weitgehend auch die Einrichtung entwerfen konnten. Das betrifft zum Beispiel im Garderobenbereich Bänke für die Kinder, das betrifft aber auch die Kücheneinrichtung. Man spürt es mehr, als daß man es sieht.

Aber auf diesen Unterschied kommt es an. Es gibt architektonische Spitzfindigkeiten, die man nicht erkennt, wenn man sie nicht weiß. Dazu gehören vor allem niedrige Wände, mit denen das Gelände markiert, mit denen es abgesteckt ist. Sie setzen ein Zeichen, das nur im Vorübergehen wahrgenommen wird. Wenn überhaupt. Aber auch dieses Detail spielt eine Rolle. Den Kindern wird mit diesem Kindergarten ein geradezu luxuriöses Angebot gemacht. Wenn man sich die Umgebung anschaut – wir befinden uns mitten in Favoriten, in einem Quartier, das aus Zinskasernen besteht –, dann weiß man dieses Angebot erst richtig zu schätzen.

Natürlich sind jeder Gruppe Freibereiche zugeordnet, natürlich sind alle Gruppenräume „maßstabgerecht“interpretiert, also auch für die kindliche Perspektive zugeschnitten. Und natürlich ist in den Innenräumen eine Einheitlichkeit des Materials durchgehalten, die den Eindruck von Großzügigkeit vermittelt. Kein unnötiges Detail, keinerlei Zierat – aber ein reizvolles Spiel mit Baukörpern, mit Transparenz und Geschlossenheit, mit Oberflächen und Farben, mit Blickwinkeln.

Man könnte sagen, daß mit diesem Kindergarten eine Lektion formuliert ist, die gerade in dieser Umgebung einen eigenen Stellenwert hat. Denn was Raumerlebnisse sind, was sie bedeuten können, werden die meisten der Kinder, die hier ihre Tage verbringen, zuallererst hier erfahren. Nicht in den Zinskasernen, in denen sie wohnen. Und später vielleicht auch nicht mehr.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft

Tragwerksplanung