Bauwerk

Haus der Geschichte Österreich
BWM Designers & Architects - Wien (A) - 2018
Haus der Geschichte Österreich, Foto: Hertha Hurnaus
Haus der Geschichte Österreich, Foto: Hertha Hurnaus

Vielversprechender Beginn – mit Luft nach oben!

Das Haus der Geschichte Österreich bietet einen spannenden Streifzug durch die Geschichte der Republik, die nach wie vor nicht außer Streit gestellt ist. Was gelungen ist, was irritiert und was fehlt.

20. November 2018 - Andreas Khol
Vollgestopft mit Vorurteilen besuchte ich das Haus der Geschichte am Heldenplatz: „Haus der verkopften Geschichte“, „mit Geschichte kann man viel anstellen“, „ein Jahrhundertsprint auf 60 Metern“ „samt trojanischem Pferd der Republik“, um nur drei führende Zeitungen zu zitieren (Presse, STANDARD, FAZ). Geprägt war ich überdies von der mühseligen Vorgeschichte: Schon 2002 wollte ich das Haus der Geschichte zu einem zentralen Projekt des Parlaments machen, so in meiner Antrittsrede als Nationalratspräsident. Erreicht wurde vorerst wenig. Mit gemischten Gefühlen bestieg ich die gähnend leere, prunkvoll-prachtvolle Marmorstiege hin zur Ephesos-Sammlung. Dann der Kontrapunkt: ein vollgestopfter Raum, und danach ein langes Handtuch mit unendlich vielen Nischen, Vitrinen, Gegenständen, Schaubildern, Kopfhörern, Projektionsflächen. „Selbst das Waldheim-Pferd schrumpft in der Nippes-Flut zum Kinderspielzeug“, so Michael Hochedlinger am 16. 11. in der Presse. Irgendwie doch zeichenhaft: in der marmornen, leicht größenwahnsinnigen Atmosphäre der kaiserlichen Hofburg die zwei vollgepferchten Räume des sich bombastisch Haus der Geschichte nennenden Museumszwergs für die Republik. Die große Monarchie, die kleine, kleinkarierte (?) Republik. Dann vertiefte ich mich in die ersten Tagebücher und Depeschen und wurde sofort vom Ausgestellten in den Bann gezogen. Nach zwei Stunden waren die Vorurteile verflogen. Ich freute mich über einen spannenden Streifzug durch die Geschichte meiner Republik. Ich habe sie erlebt seit 1947 – den Aufstieg aus den Ruinen zum heutigen selbstbewussten und selbstsicheren, wohlhabenden Land in der Europäischen Union.

Warum hatte es so viele Jahre gedauert? Die Diskussion war lange vom Streit der politischen Eliten zwischen Linken und Rechten bestimmt. Die Geschichte unseres Landes seit 1918 ist nach wie vor nicht außer Streit gestellt. Immer noch werden Schuldige gesucht und gefunden, und immer noch glauben Politiker, die Geschichte als Keule verwenden zu können, mit der man den politischen Gegner schlagen kann. Hie Austrofaschisten, da Austromarxisten! Immer noch wird nach der Wahrheit gesucht, die bekanntlich eine Tochter der Zeit ist: So schreibt sich jede Generation ihre eigene Geschichtsauffassung. Sie ist in vielen Fragen in vollem Gang, wir erleben gerade den Höhepunkt einer Neudeutung, was Historiker als Revisionismus bezeichnen. Daher ging ich mit gespannten Erwartungen hinein: Wie würde mit diesen heiklen und umstrittenen Deutungen der jüngsten Geschichte umgegangen? Keulen? Nein, sorgsam! Drei der problematischsten Fragen wurden aufgegriffen, von allen Seiten beleuchtet und dem Besucher seine Entscheidung ermöglicht: War nun Österreich Opfer des Nationalsozialismus oder Mittäter? Was war die autoritäre Staatsform 1934 bis 1938: Austrofaschismus oder Ständestaat? Zu dieser Frage bietet das Museum einen neuen Begriff: die Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur – scheint mir plausibel! Und schließlich: War Bundespräsident Kurt Waldheim ein NS-Kriegsverbrecher? Waldheims Testament wird ein wenig wie ein Schuldeingeständnis präsentiert, was es nicht war. Alles in allem aber: fair, nicht in die Falle getappt. Bewegend und in vielen Fällen rührend hunderte private Sammelstücke, Tagebücher, Zeichnungen, Fotos, Lebensmittelmarken – meine Jugend stand wieder vor meinen Augen.

Was mir fehlte, was ich auch nicht verstand: Die anhaltende Leidensgeschichte der Sinti und Roma über die Oberwarter Attentate hinaus ist nur kurz der Erwähnung, nicht eines eigenen Kapitels wert. Der Aufstieg der Republik im Zeichen der Aussöhnung wird überhaupt nicht dargestellt: Raab/ Böhm und die Sozialpartnerschaft; Kardinal Königs Werk der Absage an den politischen Katholizismus und die neue Standortbestimmung im Mariazeller Manifest; der Raab-Kamitz-Kurs zur Sozialen Marktwirtschaft, der Aufstieg zu einer der wohlhabendsten Demokratien der Welt; Josef Klaus, der bürgerliche Reformer mit Stephan Koren – von Klaus wird nur das Wahlplakat mit dem berüchtigten „echten Österreicher“ gezeigt. Das Haus der Geschichte verkündet, dass die Erinnerung an die Shoah und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zentraler Inhalt des Museums seien – an sich schon problematisch. Einer der zentralen Inhalte, ja, aber der alleinige? Stünde nicht die doch überraschende Bildung der Willensnation Österreich ebenso im Zentrum wie die Erfolgsgeschichte der letzten 100 Jahre und die Aussöhnung der verfeindeten Lager? Wenn dem aber so ist, warum wird dann der ganze Komplex der Restitution, der Gesten der Wiedergutmachung, der Entschädigung der Zwangsarbeiter, des Washingtoner Abkommens bis zuletzt der Pflege der jüdischen Friedhöfe mit keinem Wort erwähnt? Ein Schelm, der Böses dabei denkt! Ein einziger Nachkriegskanzler erhält eine ausführlichere Würdigung: Bruno Kreisky, und hier wird seine Zusammenarbeit mit der FPÖ, die fünf hochrangigen Ex-Nationalsozialisten in seiner ersten Regierung, gnädig übersehen, und seine Angriffe auf Simon Wiesenthal unter Beteiligung des späteren Bundespräsidenten werden nur gestreift! Österreichs grundlegend zustimmende Haltung zu Europa und zum europäischen Einigungswerk wird am Eingang des zweiten Saales symbolisiert. Aber sein Weg von der Neutralität und dem Sonderweg „Mitteleuropa“ hin zur Volksabstimmung 1993 und zum EU-Beitritt wird nicht gewürdigt. Eine Kleinigkeit: Die von Engelbert Dollfuß zur Einrichtung seiner Diktatur benutzte und so bezeichnete „Selbstausschaltung“ des Parlaments wird als Abstimmungspanne beschönigt. Das war keine Panne, die so passiert! Nein, das war der Triumph der persönlichen Taktik über die Gesamtverantwortung, das in Kauf genommene Spiel mit dem Feuer!

Diese Detailkritik soll aber die Gesamtbeurteilung nicht beeinträchtigen: Hier ist ein eindrucksvoller, spannender, in vielem außergewöhnlicher Anfang gelungen. Dazu passt Hermann Hesse: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“

Neuer Standort

Wie könnte es weitergehen? Der Standort Heldenplatz ist nahezu unabdingbar – im großen zentralen Museumsviertel. Die Anbindung ans Parlament als Haus der Republik unter dem Titel „Haus der Geschichte der Republik“ (naturgemäß samt Vorgeschichte) weiterführend und auch unabweisbar: Was derzeit gezeigt wird, ist ausbaufähig und beschäftigt sich ausschließlich mit unserer Republik. Ein eigenes, größeres Haus steht schon da: der dritte, provisorische „Container“ des Parlaments im Innenhof der Hofburg (er beherbergt derzeit den Präsidenten des Nationalrats und seine Verwaltung) und beeinträchtigt in keiner Weise den Heldenplatz – hier knüpfe ich an einen Vorschlag von Stefan Weiss im STANDARD an. Zu guter Letzt: Der nie benützte prachtvolle Behang der Kaiserloge im alten Reichsrat, das Holzpferd und das traumhaft schöne Goldglitzerkleid von Conchita Wurst bereichern das Museum!

[ Andreas Khol war lange Jahre Klubobmann der Parlamentsfraktion der ÖVP und Nationalratspräsident. 2016 trat er bei der Bundespräsidentenwahl an. ]

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