Veranstaltung
Mind Expanders
Ausstellung
25. Juli 2008 bis 30. August 2009
Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig
Museumsplatz 1
A-1070 Wien
Museumsplatz 1
A-1070 Wien
Veranstalter:in: Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig
Eröffnung: Donnerstag, 24. Juli 2008, 19:00 Uhr
Erfrischend und weich
Das Wiener Mumok zeigt utopische Architekturen um 1968
In den späten sechziger Jahren hat Österreichs Avantgarde mit fröhlichen Experimenten zur Bewusstseinserweiterung des Bauens beigetragen. Dass ihre «performativen Körper» in direktem Zusammenhang zur bildenden Kunst stehen, zeigt nun das Wiener Museum Moderner Kunst.
19. August 2008 - Paul Jandl
Manche Dinge werden erst durch komplizierte Zeiten einfach. Ist es das, was man von 1968 lernen kann? Wer in den späten sechziger Jahren gegen das restaurative Klima protestieren wollte, erfand griffige Formeln. «Schluss mit der Wirklichkeit!», tönte es aus der Wiener Gruppe oder: «Jeder kann jetzt Dichter werden!» Dass in diesem Zeitalter der Manifeste auch die Architektur nicht abseitsstehen wollte, versteht sich von selbst. «Alles ist Architektur», verkündete Hans Hollein, der sich am vehementesten daranmachte, die Grenzen zwischen der Kunst und dem Leben zu verwischen. Seine 1967 erfundene «Architektur-Pille» war kein Placebo, sondern Aufputschmittel. Nahm man nur eine der sorgsam in Zellophan verpackten Pillen, so bedeutete das «Haus», zwei standen für ein Wohnviertel und vier für eine Stadt. Holleins pharmazeutische Architektur war im Kleinen, was seine Ideen auch im Grossen sein konnten – eine Reverenz an den menschlichen Körper, an dem sich die Kunst zu messen hatte. Wie die Architektur versuchte, die Köpfe frei zu machen, Kritik zu üben am überkommenen Funktionalismus und Rationalismus der Bauhaus-Kultur, zeigt jetzt das Wiener Museum Moderner Kunst (Mumok) in einer vorzüglichen Ausstellung. «Mind Expanders» heisst die Schau, in der utopische Architekturen aus der Zeit um 1968 zu sehen sind.
Subtile Dramaturgie
«Mind Expander» nennt sich auch eine Apparatur, die von der Gruppe Haus-Rucker-Co erfunden wurde. Im blauen, überdimensionalen Plexiglashelm simulieren blinkende Lichter und über Lautsprecher eingespielte Geräusche eine virtuelle Welt, die weiter ist als der Raum, der den Bewohner umgibt. Der menschliche Körper war das Mass einer Vielzahl von visionären Entwürfen, die das Mumok in subtiler Dramaturgie nebeneinander aufreiht. Wenn Ende der sechziger Jahre von Haus-Rucker-Co die «Vanille-Zukunft» ausgerufen wurde, dann sollte sie unbedingt «hellgelb» sein. Ihr Vorgeschmack war ein gelbes Herz mit Sauerstoffschleuse und belebenden Plus-Minus-Zellen. Technische Erweiterungen des menschlichen Körpers wurden ersonnen, pneumatische Hüllen und multidirektional vernetzte Aggregate des Wohlbefindens. Von Hans Hollein geht es über Raimund Abrahams «Megastructures» und Günther Domenigs «Totale Medien» zu Coop Himmelb(l)au und zum anarchisch-interdisziplinären Kosmos der längst dahingeschiedenen Gruppen Zünd-Up und Missing Link.
Es wäre nur die halbe Wahrheit über eine Epoche, würden im Mumok nicht auch internationale Geistesverwandtschaften gezeigt. Wie Architektur auf kleinstem Raum erdacht wird und dass es von dort zur mobilen Grossstadt namens Walking City der Londoner Gruppe Archigram nur ein kleiner Schritt ist, wird ebenso deutlich wie der Widerspruch zwischen psychedelischer Gemütlichkeit und megalomanen Projekten. In Wien lassen Coop Himmelb(l)au ein nacktes Paar im durchsichtigen Plasticball durch die Parks rollen, während die Italiener von Superstudio gerade ihr «New New York» entwerfen. Die riesenhafte Überbauung ganz Manhattans, man weiss es, wurde nie verwirklicht. Die amerikanischen Ant Farm waren da mit ihren flexiblen und alltagstauglichen Ein-Mann-Polyethylenskulpturen schon erfolgreicher.
Wo beginnt die Architektur, und wo endet sie, wenn überhaupt alles Architektur ist, wie Hans Hollein sagt? «Mind Expanders» gibt sich in dieser Frage, ganz dem Titel gemäss, eher undogmatisch. Ein kurzer Abriss zum Wiener Aktionismus, zur Wiener Gruppe und zu Friedensreich Hundertwassers «Verschimmelungsmanifest» des Jahres 1958 führt hinab in die Tiefenschichten der nachholenden Wiener Avantgarde des menschlichen Bewusstseins. Wenn Ausstellungskurator und Hausherr Edelbert Köb im Untergeschoss des Mumok auch Beispiele der Körperkunst seit den sechziger Jahren unter die «Mind Expanders» mischt, dann hat das durchaus etwas Zwingendes. So wie die Architektur mit ihren Funktionshüllen den Körper neu in die Welt einschreibt, so werden in der Körperkunst die Grenzen zwischen innen und aussen noch einmal nachgezeichnet. Als Stadtmöbel inszeniert Valie Export in ihren Serien aus den sechziger und siebziger Jahren den menschlichen Leib. Zwischen emanzipatorischer Geste und Unterwerfung sind «Aus der Mappe der Hundigkeit», «Aufrundung» und «Aufhockung» angesiedelt. Peter Weibel an der Hundeleine von Valie Export – das ist passagere Stadtarchitektur, deren Bilder den kollektiven Raum nicht weniger belebt haben als Günter Brus' legendärer «Wiener Spaziergang». Weit ist das Feld, das die Ausstellung schon mit ihrem Untertitel «performative Körper» andeutet. Von Marina Abramovics Video «Breathing in – Breathing out» geht es zu Arnulf Rainers Grimassenserie «Nervenkrampf» des Jahres 1970. In Maria Lassnigs lithografischen Sesselserien verfestigt sich der zeichnerische Strich wieder zur Architektur. Dort ist die Kunst bei Bruno Gironcolis schweren Metallskulpturen längst wieder angekommen.
Schwebende Imaginationen
Wo Österreichs architektonische Avantgarde von einst heute angekommen ist, kann man einem Exponat der Ausstellung «Mind Expanders» ansehen, das im Inventar nicht eigens geführt wird. Es ist das 2001 fertiggestellte Gebäude des Wiener Museums Moderner Kunst selbst. Aus den schwebenden Imaginationen von Haus-Rucker-Co ist ein harter, schwerer Block aus schwarzem Basalt geworden. Gebaut hat ihn Laurids Ortner, seinen einstigen Überzeugungen zum Trotz. «Erfrischend und weich» hat er sich die «Vanille-Zukunft» der Architektur vor genau vierzig Jahren noch ausgemalt.
[ Bis 30. August 2009. Kein Katalog ]
Subtile Dramaturgie
«Mind Expander» nennt sich auch eine Apparatur, die von der Gruppe Haus-Rucker-Co erfunden wurde. Im blauen, überdimensionalen Plexiglashelm simulieren blinkende Lichter und über Lautsprecher eingespielte Geräusche eine virtuelle Welt, die weiter ist als der Raum, der den Bewohner umgibt. Der menschliche Körper war das Mass einer Vielzahl von visionären Entwürfen, die das Mumok in subtiler Dramaturgie nebeneinander aufreiht. Wenn Ende der sechziger Jahre von Haus-Rucker-Co die «Vanille-Zukunft» ausgerufen wurde, dann sollte sie unbedingt «hellgelb» sein. Ihr Vorgeschmack war ein gelbes Herz mit Sauerstoffschleuse und belebenden Plus-Minus-Zellen. Technische Erweiterungen des menschlichen Körpers wurden ersonnen, pneumatische Hüllen und multidirektional vernetzte Aggregate des Wohlbefindens. Von Hans Hollein geht es über Raimund Abrahams «Megastructures» und Günther Domenigs «Totale Medien» zu Coop Himmelb(l)au und zum anarchisch-interdisziplinären Kosmos der längst dahingeschiedenen Gruppen Zünd-Up und Missing Link.
Es wäre nur die halbe Wahrheit über eine Epoche, würden im Mumok nicht auch internationale Geistesverwandtschaften gezeigt. Wie Architektur auf kleinstem Raum erdacht wird und dass es von dort zur mobilen Grossstadt namens Walking City der Londoner Gruppe Archigram nur ein kleiner Schritt ist, wird ebenso deutlich wie der Widerspruch zwischen psychedelischer Gemütlichkeit und megalomanen Projekten. In Wien lassen Coop Himmelb(l)au ein nacktes Paar im durchsichtigen Plasticball durch die Parks rollen, während die Italiener von Superstudio gerade ihr «New New York» entwerfen. Die riesenhafte Überbauung ganz Manhattans, man weiss es, wurde nie verwirklicht. Die amerikanischen Ant Farm waren da mit ihren flexiblen und alltagstauglichen Ein-Mann-Polyethylenskulpturen schon erfolgreicher.
Wo beginnt die Architektur, und wo endet sie, wenn überhaupt alles Architektur ist, wie Hans Hollein sagt? «Mind Expanders» gibt sich in dieser Frage, ganz dem Titel gemäss, eher undogmatisch. Ein kurzer Abriss zum Wiener Aktionismus, zur Wiener Gruppe und zu Friedensreich Hundertwassers «Verschimmelungsmanifest» des Jahres 1958 führt hinab in die Tiefenschichten der nachholenden Wiener Avantgarde des menschlichen Bewusstseins. Wenn Ausstellungskurator und Hausherr Edelbert Köb im Untergeschoss des Mumok auch Beispiele der Körperkunst seit den sechziger Jahren unter die «Mind Expanders» mischt, dann hat das durchaus etwas Zwingendes. So wie die Architektur mit ihren Funktionshüllen den Körper neu in die Welt einschreibt, so werden in der Körperkunst die Grenzen zwischen innen und aussen noch einmal nachgezeichnet. Als Stadtmöbel inszeniert Valie Export in ihren Serien aus den sechziger und siebziger Jahren den menschlichen Leib. Zwischen emanzipatorischer Geste und Unterwerfung sind «Aus der Mappe der Hundigkeit», «Aufrundung» und «Aufhockung» angesiedelt. Peter Weibel an der Hundeleine von Valie Export – das ist passagere Stadtarchitektur, deren Bilder den kollektiven Raum nicht weniger belebt haben als Günter Brus' legendärer «Wiener Spaziergang». Weit ist das Feld, das die Ausstellung schon mit ihrem Untertitel «performative Körper» andeutet. Von Marina Abramovics Video «Breathing in – Breathing out» geht es zu Arnulf Rainers Grimassenserie «Nervenkrampf» des Jahres 1970. In Maria Lassnigs lithografischen Sesselserien verfestigt sich der zeichnerische Strich wieder zur Architektur. Dort ist die Kunst bei Bruno Gironcolis schweren Metallskulpturen längst wieder angekommen.
Schwebende Imaginationen
Wo Österreichs architektonische Avantgarde von einst heute angekommen ist, kann man einem Exponat der Ausstellung «Mind Expanders» ansehen, das im Inventar nicht eigens geführt wird. Es ist das 2001 fertiggestellte Gebäude des Wiener Museums Moderner Kunst selbst. Aus den schwebenden Imaginationen von Haus-Rucker-Co ist ein harter, schwerer Block aus schwarzem Basalt geworden. Gebaut hat ihn Laurids Ortner, seinen einstigen Überzeugungen zum Trotz. «Erfrischend und weich» hat er sich die «Vanille-Zukunft» der Architektur vor genau vierzig Jahren noch ausgemalt.
[ Bis 30. August 2009. Kein Katalog ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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