Zeitschrift
Metamorphose 03/10
Untergrundbewegung
Fokus: Untergrundbewegung
„Ein Tunnel (...) ist ein besonderer Ort: Seine Form antwortet auf die Kräfte der Natur, seine herstellungsbedingte Oberfläche zeigt die Spuren des Menschen. Sie gilt es zu respektieren statt sie zu verkleiden und so zu tun, als handle es sich um irgendein gewöhnliches Gebäude. Man sollte fühlen, dass man sich unter Tage befindet, und es sollte ein besonderes Erlebnis sein.“ (Norman Foster, 2000 [1])
Verkehrsbauten unter der Erde sind nicht jedermanns Sache: Auf das „besondere Erlebnis“, sich unter Tage zu befinden, wie Norman Foster es proklamiert, verzichten viele Menschen dankend. Das Gefühl von Enge oder mangelnder Sicherheit lässt sie einen großen Bogen etwa um Unterführungen und U-Bahnhöfe machen. Dabei könnten in diesen öffentlichen Räumen schon kleine bauliche Eingriffe große Verbesserungen erzielen.
Sie genießen heute deutlich mehr Aufmerksamkeit als früher: Verkehrsbauwerke in unseren Städten, jahrelang nicht ernsthaft zur Kenntnis genommen, rücken seit einiger Zeit verstärkt ins Blickfeld des Kulturbetriebs. Der Renault Traffic Design Award etwa prämiert seit der Jahrtausendwende gelungene Verkehrsarchitektur, auch die Bundesstiftung Baukultur richtet ihr Augenmerk in ihrer jüngsten Publikation auf die Verkehrsinfrastruktur, mahnt eine sorgfältigere Gestaltung an und betont die baukulturelle Bedeutung von Verkehrsräumen.
Durch den Blick auf die raren Beispiele mit gestalterischem Anspruch werden jedoch die zahlreichen Defizite des Bestands umso schmerzlicher bewusst. In beengten Innenstädten musste die Verkehrsinfrastruktur früher häufig unter die Erde wandern, vor allem in Bahnhofsnähe, wo sie sich besonders ballt. Doch gerade beim Ausweichen unter die Erde, dorthin also, wo eine besondere gestalterische Sensibilität gefragt wäre, wurden architektonische Fragen vielerorts vollkommen ausgeblendet. Die Folgen sind bekannt: Unterführungen, Tiefgaragen und U-Bahnhöfe sind zu eng und unübersichtlich, erzeugen Beklemmungen, werden als Orte mangelnder Sicherheit wahrgenommen und müssen zur Kompensation für fehlende öffentliche Toiletten herhalten. Bauliche Korrekturen sind dringend nötig. Hinzu kommt eine sich wandelnde Mobilität, die neue Anforderungen an vorhandene Bauwerke stellt: Immer stärker wird sie durch den Verbund unterschiedlicher Verkehrsmittel geprägt, die Bauten sind also häufiger Orte des Umsteigens – vom Fahrrad in die Metro, vom Zug in den Mietwagen, vom Flugzeug in den ICE, vom Mietrad in den Bus, von der S-Bahn in den Privat-Pkw, vom Taxi in die Straßenbahn. Für diese Wechsel des Verkehrsmittels müssen bestehende Bauten umgerüstet werden.
Kaum ein Bauwerkstyp ist im Durchschnitt so lieblos gestaltet wie Verkehrsräume unter Tage. Man mag dies beklagen und sich über die zahllosen unwirtlichen Beispiele aufregen, aber drehen wir den Spieß doch einmal um: Kein anderer Bauwerkstyp bietet so große Chancen, dass sich schon mit geringen Mitteln erhebliche Verbesserungen erzielen lassen.
Noch wird dieses Potenzial kaum genutzt. Wenn Kommunen ihr knappes Geld überhaupt in Bauten stecken, dann lieber in prestigeträchtige Architektur über der Erde. Doch sind Verkehrsbauwerke nicht die öffentlichsten einer Stadt? Ziehen sie nicht die meisten Menschen an – quer durch alle Bevölkerungsschichten? Werden Bahnhof, Unterführung und Metrostation nicht viel stärker frequentiert als Oper, Museum und Theater? Und sind es nicht die Orte des Transits, die Besuchern den ersten Eindruck von einer fremden Stadt vermitteln? Wäre eine Kommune, die ihre Attraktivität steigern und etwas für ihr Image tun will, nicht besser beraten, ihr Geld im Zweifel eher in die Aufwertung dieser Verkehrsbauten zu investieren? Wo solche Überlegungen kein Gehör finden, hilft vielleicht ein ganz profaner Hinweis an städtische Betreibergesellschaften, in deren Verantwortungsbereich der öffentliche Raum unter Tage meist fällt: Eine höhere Aufenthaltsqualität sorgt für eine längere Verweildauer und steigert damit den Wert von Verkaufs- und Werbeflächen.
Es gibt eine Reihe guter Gründe, sich der lange vernachlässigten Verkehrsarchitektur anzunehmen – einiges spricht erfreulicherweise bereits dafür, dass diese Bauaufgabe an Bedeutung gewinnt. Hoffen wir, dass sie auch weiter in den Blick der Öffentlichkeit rückt!
Christian Schönwetter
Anmerkungen:
[01] David Jenkins: On Foster … Foster On, Prestel Verlag, München 2000, S. 642
Bestandsaufnahme
06-08 | Projekte
09 | Bücher
10-11 | Untergrundbewegung
12-15 | Vom Zweckbau zum Kunstraum: Zur Geschichte der Architektur von U-Bahnhöfen
16-19 | 01 Mehr Licht am Ende des Tunnels: U-Bahn-Station „Drassanes“ in Barcelona
20-23 | 02 Einladende Geste: Bahnhofsplatz und „Christoffelunterführung“ in Bern
24-29 | 03 Selbstbewusst im Untergrund: Unterirdischer Bahnhof „Löwenstraße“ in Zürich
30-31 | 04 Tiefflieger: Bahnunterführung „Schwarzwaldstraße“ in Karlsruhe
Technik
32-33 | Autos verschwinden lassen: Mechanische Parksysteme
34-39 | Brandschutz mit Augenmaß: Sonderlösungen fürs Baudenkmal
Produkte
40-41 | Boden
42-43 | Betoninstandsetzung
Rubriken
44-45 | Verkannte Perlen – Abbruch auf Raten: Hamburg entsorgt seine historische Bahnarchitektur
„Ein Tunnel (...) ist ein besonderer Ort: Seine Form antwortet auf die Kräfte der Natur, seine herstellungsbedingte Oberfläche zeigt die Spuren des Menschen. Sie gilt es zu respektieren statt sie zu verkleiden und so zu tun, als handle es sich um irgendein gewöhnliches Gebäude. Man sollte fühlen, dass man sich unter Tage befindet, und es sollte ein besonderes Erlebnis sein.“ (Norman Foster, 2000 [1])
Verkehrsbauten unter der Erde sind nicht jedermanns Sache: Auf das „besondere Erlebnis“, sich unter Tage zu befinden, wie Norman Foster es proklamiert, verzichten viele Menschen dankend. Das Gefühl von Enge oder mangelnder Sicherheit lässt sie einen großen Bogen etwa um Unterführungen und U-Bahnhöfe machen. Dabei könnten in diesen öffentlichen Räumen schon kleine bauliche Eingriffe große Verbesserungen erzielen.
Sie genießen heute deutlich mehr Aufmerksamkeit als früher: Verkehrsbauwerke in unseren Städten, jahrelang nicht ernsthaft zur Kenntnis genommen, rücken seit einiger Zeit verstärkt ins Blickfeld des Kulturbetriebs. Der Renault Traffic Design Award etwa prämiert seit der Jahrtausendwende gelungene Verkehrsarchitektur, auch die Bundesstiftung Baukultur richtet ihr Augenmerk in ihrer jüngsten Publikation auf die Verkehrsinfrastruktur, mahnt eine sorgfältigere Gestaltung an und betont die baukulturelle Bedeutung von Verkehrsräumen.
Durch den Blick auf die raren Beispiele mit gestalterischem Anspruch werden jedoch die zahlreichen Defizite des Bestands umso schmerzlicher bewusst. In beengten Innenstädten musste die Verkehrsinfrastruktur früher häufig unter die Erde wandern, vor allem in Bahnhofsnähe, wo sie sich besonders ballt. Doch gerade beim Ausweichen unter die Erde, dorthin also, wo eine besondere gestalterische Sensibilität gefragt wäre, wurden architektonische Fragen vielerorts vollkommen ausgeblendet. Die Folgen sind bekannt: Unterführungen, Tiefgaragen und U-Bahnhöfe sind zu eng und unübersichtlich, erzeugen Beklemmungen, werden als Orte mangelnder Sicherheit wahrgenommen und müssen zur Kompensation für fehlende öffentliche Toiletten herhalten. Bauliche Korrekturen sind dringend nötig. Hinzu kommt eine sich wandelnde Mobilität, die neue Anforderungen an vorhandene Bauwerke stellt: Immer stärker wird sie durch den Verbund unterschiedlicher Verkehrsmittel geprägt, die Bauten sind also häufiger Orte des Umsteigens – vom Fahrrad in die Metro, vom Zug in den Mietwagen, vom Flugzeug in den ICE, vom Mietrad in den Bus, von der S-Bahn in den Privat-Pkw, vom Taxi in die Straßenbahn. Für diese Wechsel des Verkehrsmittels müssen bestehende Bauten umgerüstet werden.
Kaum ein Bauwerkstyp ist im Durchschnitt so lieblos gestaltet wie Verkehrsräume unter Tage. Man mag dies beklagen und sich über die zahllosen unwirtlichen Beispiele aufregen, aber drehen wir den Spieß doch einmal um: Kein anderer Bauwerkstyp bietet so große Chancen, dass sich schon mit geringen Mitteln erhebliche Verbesserungen erzielen lassen.
Noch wird dieses Potenzial kaum genutzt. Wenn Kommunen ihr knappes Geld überhaupt in Bauten stecken, dann lieber in prestigeträchtige Architektur über der Erde. Doch sind Verkehrsbauwerke nicht die öffentlichsten einer Stadt? Ziehen sie nicht die meisten Menschen an – quer durch alle Bevölkerungsschichten? Werden Bahnhof, Unterführung und Metrostation nicht viel stärker frequentiert als Oper, Museum und Theater? Und sind es nicht die Orte des Transits, die Besuchern den ersten Eindruck von einer fremden Stadt vermitteln? Wäre eine Kommune, die ihre Attraktivität steigern und etwas für ihr Image tun will, nicht besser beraten, ihr Geld im Zweifel eher in die Aufwertung dieser Verkehrsbauten zu investieren? Wo solche Überlegungen kein Gehör finden, hilft vielleicht ein ganz profaner Hinweis an städtische Betreibergesellschaften, in deren Verantwortungsbereich der öffentliche Raum unter Tage meist fällt: Eine höhere Aufenthaltsqualität sorgt für eine längere Verweildauer und steigert damit den Wert von Verkaufs- und Werbeflächen.
Es gibt eine Reihe guter Gründe, sich der lange vernachlässigten Verkehrsarchitektur anzunehmen – einiges spricht erfreulicherweise bereits dafür, dass diese Bauaufgabe an Bedeutung gewinnt. Hoffen wir, dass sie auch weiter in den Blick der Öffentlichkeit rückt!
Christian Schönwetter
Anmerkungen:
[01] David Jenkins: On Foster … Foster On, Prestel Verlag, München 2000, S. 642
Bestandsaufnahme
06-08 | Projekte
09 | Bücher
10-11 | Untergrundbewegung
12-15 | Vom Zweckbau zum Kunstraum: Zur Geschichte der Architektur von U-Bahnhöfen
16-19 | 01 Mehr Licht am Ende des Tunnels: U-Bahn-Station „Drassanes“ in Barcelona
20-23 | 02 Einladende Geste: Bahnhofsplatz und „Christoffelunterführung“ in Bern
24-29 | 03 Selbstbewusst im Untergrund: Unterirdischer Bahnhof „Löwenstraße“ in Zürich
30-31 | 04 Tiefflieger: Bahnunterführung „Schwarzwaldstraße“ in Karlsruhe
Technik
32-33 | Autos verschwinden lassen: Mechanische Parksysteme
34-39 | Brandschutz mit Augenmaß: Sonderlösungen fürs Baudenkmal
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Konradin Medien GmbH