Akteur
Der Name Carl Hanser steht für ein Verlagshaus mit einer Vielfalt, die in der Branche ihresgleichen sucht. Der Bogen spannt sich von Bilderbüchern für Kleinkinder über Kinder- und Jugendliteratur bis zu einem breiten Angebot von Gegenwartsliteratur aus allen Regionen dieser Welt. Ergänzt wird dieses belletristische Programm durch sorgfältige Klassikereditionen internationaler Autoren und durch ein Sachbuchprogramm, das in den Auseinandersetzungen der Gegenwart Wissen vermittelt und Diskussionen anzettelt.
Den Gegenpol zum literarischen Verlag bildet der Fachverlag. Die dort publizierten Bücher, Fachzeitschriften und Onlineportale richten sich an Praktiker in der Industrie sowie an Forscher und Lehrer an Wissenschaftlichen Instituten. Sie werden durch ein vom Verlag organisiertes Angebot an Tagungen und Seminaren sowie durch E-Books ergänzt. Das thematische Spektrum des Fachverlags reicht von der Kunststofftechnik über Qualitätsmanagement bis zu Wirtschaftssachbüchern.
Dass unter einem Dach zwei so unterschiedliche Verlagsteile arbeiten, ist kein Zufall, sondern die ureigenste Geschäftsidee Carl Hansers, der den Verlag 1928 gründete und in der Nähe seines heutigen Standorts in München-Bogenhausen etablierte. Hanser wollte sich seine Unabhängigkeit durch Vielseitigkeit sichern: Und dass sein Verlag bis heute zu den wenigen Häusern dieser Größenordnung zählt, die gegen alle Konzentrationstendenzen der Branche in Familienbesitz geblieben sind, beweist die Weitsicht des damals gerade einmal Siebenundzwanzigjährigen.
Am 3. November 1928 gab Carl Hanser mit einer Annonce im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels der Branche die Gründung seines Verlags bekannt. Zu seinen ersten Publikationen zählte die Zeitschrift Betriebstechnik und Fedor Stepuns Roman Die Liebe des Nikolai Pereslegin. „Von Anfang an war es meine Absicht, neben die belletristische Produktion einen Fachverlag zu stellen, um auf dem schöngeistigen Gebiet einigermaßen abgesichert und nicht der Gefahr des Produktionszwangs ausgeliefert zu sein“, erinnert er sich später.
Die Freiheit vom „Produktionszwang“ rettete dem Verlag 1933 vielleicht das Überleben – denn mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten veröffentlichte Carl Hanser vorerst keine literarischen Neuerscheinungen mehr und konzentrierte sich ausschließlich auf die Bücher und Zeitschriften des ideologisch ungefährdeten Fachverlags. Nach der Befreiung zählte er denn auch 1946 zu den ersten Verlegern in Deutschland, denen die amerikanische Besatzungsbehörde wieder eine Lizenz verlieh.
Erst jetzt konnte der Literaturverlag ein wirkliches Profil entwickeln. Eine wichtige Rolle spielten die Klassiker-Auswahlausgaben, Eugen Roth gelangen mit seinen Gedichtbänden die ersten veritablen Bestseller bei Hanser. Literarisch positionierte man sich mit Autoren wie Emil Strauss oder Friedrich Georg Jünger zunächst einmal gegen die Strömungen der literarischen Moderne. Doch schon die 1953 von Walter Höllerer und Hans Bender gegründete und bis heute erscheinende Literaturzeitschrift Akzente öffnete den Verlag auch für jüngere Autoren und für fremdsprachige Literatur.
Unter den Autoren des internationalen Programms finden sich eine ganze Reihe von Nobelpreisträgern. Mit Ivo Andric erhält 1961 zum ersten Mal ein Hanser-Autor den weltweit wichtigsten Literaturpreis, in jüngster Zeit kamen Orhan Pamuk (2006) und J.-M.G. Le Clézio (2008) dazu. Neben solchermaßen geehrten Autoren wie Joseph Brodsky, Isaac B. Singer oder Czeslaw Milosz präsentiert es freilich auch andere Namen, die ohne Nobelpreis von weltweiter Bedeutung sind: Philip Roth, Susan Sontag, Alessandro Baricco, Italo Calvino, Julien Green, Anna Gavalda, Per Olov Enquist, Lars Gustafsson und viele andere mehr. Mit Umberto Ecos Der Name der Rose platzierte sich der Verlag 1981 erstmals auf der deutschen Bestsellerliste, wo seine Bücher bis heute regelmäßig und in großer Zahl zu finden sind.
Unter den dreizehn Nobelpreisträgern finden sich mit Elias Canetti (1981) und Herta Müller (2009) auch zwei deutschsprachige Autoren. Namen wie Günter Kunert, Reinhard Lettau, Oskar Pastior und Ludwig Harig stehen für die literarische Vielfalt, wie sie in den Sechziger- und Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts jenseits der großen Moden bei Hanser gepflegt wurde; und jenseits aller großen Moden steht schon immer Botho Strauss, als Bühnenautor so erfolgreich wie als Prosaautor bedeutend. Wie die deutsche Literatur in der Öffentlichkeit eine immer größere Rolle spielt, so ist auch ihre Bedeutung im Programm des Carl Hanser Verlags gewachsen: Wilhelm Genazino, Martin Mosebach, Norbert Gstrein, Michael Köhlmeier, Raoul Schrott, Barbara Honigmann, Arno Geiger, Ilija Trojanow, Pascal Mercier, Thomas Glavinic, Reinhard Jirgl, Norbert Niemann und viele andere stehen für die vielfältigen Möglichkeiten, die Gegenwart zu erzählen.
Seit den Sechzigerjahren ergänzt ein Sachbuchprogramm das literarische Angebot. Der Schwerpunkt liegt bei den Geistes- und Sozialwissenschaften, wobei sich die Bücher nicht allein an Spezialisten richten, sondern die Neugierde einer allgemeinen Leserschaft wecken wollen (– die gegen die Angebote von Fernsehen, Printmedien und Internet freilich immer schwieriger zu erreichen ist.) Umso mehr ist das Sachbuch auf die großen Autoren angewiesen, auf die politischen Analysen von Timothy Garton Ash, auf die politischen Einwürfe von Hartmut von Hentig, auf die historischen Bestandsaufnahmen von Eric Hobsbawm. Und auch in der sogenannten Wissensgesellschaft verschwindet das Bedürfnis nach Bildung nicht. Die großen Erfolge der Bücher von Rüdiger Safranski, Jan Assmann, Peter Bieri und Peter von Matt, die teilweise auf den Bestsellerlisten erschienen, beweisen, dass das Buch auch in der Konkurrenz zu elektronischen Informationsquellen gute Chancen hat, sich die Aufmerksamkeit des Publikums zu sichern.
Seine Unverwechselbarkeit kann der Literaturverlag nur bewahren, wenn er sich auf seine ureigensten Stärken konzentriert. Das bedeutet auch, dass das Haus überschaubar bleibt. Um trotzdem in möglichst vielen Segmenten des Marktes agieren zu können, hat der Verlag im Lauf der Jahre ein Netzwerk aus Beteiligungen und Tochterverlagen aufgebaut. Hanser gehörte schon 1960 zu den Gründungsgesellschaftern des Deutschen Taschenbuchverlags (dtv), 1993 war der Verlag bei der Gründung des Hörbuchverlags dabei. Wenige Jahre später übernahm Hanser den Schweizer Geschenkbuchverlag Sanssouci, dann den Wiener Zsolnay Verlag, den Schweizer Verlag Nagel & Kimche und zuletzt den ebenfalls in Wien ansässigen Deuticke Verlag. Angesichts der zunehmenden Konzentration in der Buchbranche sichert ein solcher Verbund unternehmerische und verlegerische Unabhängigkeit – was am Ende den Autoren und ihrem Publikum zugute kommt.
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