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Das Schlossgefühl
Mit Empfehlungen geht die Berliner Debatte weiter
Seit der Wiedervereinigung dauert die Diskussion um einen möglichen Wiederaufbau des Berliner Schlosses an. Eine internationale Expertenkommission hat nun ihre Empfehlung für eine teilweise Rekonstruktion abgegeben. Vor allem der vorgeschlagene Nachbau der barocken Fassaden ist umstritten. Die Politik will ihre Entscheidung erst nach Überprüfung der Nutzungs- und Finanzierungskonzepte fällen.
22. April 2002 - Claudia Schwartz
Neuzugezogene sehen sich in Berlin meist nach kurzer Zeit mit der Frage konfrontiert, wie sie es denn mit dem Schloss halten. Ein leichtfertiges Achselzucken, so lernt man schnell, provoziert mit Sicherheit nächtelange, hochemotionale Ausführungen, egal, ob das Gegenüber einen Wiederaufbau befürwortet oder ablehnt. Zum Ausgleich neigende Charaktere haben fortan ein sorgfältig abgewogenes Dafür und Dawider im Gepäck. Diesen Anschein machte jedenfalls Hannes Swoboda, der aus Wien stammende Vorsitzende der Kommission Historische Mitte Berlin, als er den Abschlussbericht an Bundesbauminister Kurt Bodewig übergab. Bei Aufnahme seiner Arbeit in Berlin, so der Architekt und Europapolitiker, habe er «gemeint, man müsse etwas ganz Neues bauen», aber nun beschliesse er sie als «moderater Schlossbefürworter».
Seit der Wiedervereinigung scheiden sich die Geister an der Frage, ob die einstige Hohenzollernresidenz wieder aufgebaut werden soll oder ob nicht doch vielleicht zeitgenössische Architektur der deutschen Hauptstadt im Europa des 21. Jahrhunderts besser ansteht. Hinter der ästhetischen Diskussion um Berlins prominenteste Ödnis verbirgt sich eine ideologische Auseinandersetzung. Der Ort, an dem die DDR-Spitze 1950 den im Krieg schwer beschädigten Barockbau als Symbol feudaler Herrschaft sprengen liess, soll zum Paradeplatz der Wiedervereinigung stilisiert werden: Mit Preussens Glanz und Gloria will man die Irrungen deutsch-deutscher Geschichte camouflieren. Nur so ist zu verstehen, weshalb auf der einen Seite der Spreeinsel die angebliche Leidenschaft für eine historische Baukunst, die real nicht existiert, derart heftig aufbricht, während auf der anderen Seite kein Förderverein Spruchbänder hochhält für Preussens schönstes Architekturensemble auf der Museumsinsel, deren Sanierung in der hoch verschuldeten Stadt chronisch gefährdet ist.
Kulissenarchitektur
Die Schlossfrage wurde in den vergangenen zehn Jahren so etwas wie die Berliner Glaubensfrage. Mit ihr lässt sich umgekehrt viel über Berliner Befindlichkeiten in Erfahrung bringen: über die Beschädigungen, die einer Stadt im Laufe ihrer Zeit dauerhaft zugefügt wurden, über geschichtliche Unbehaustheit und die Sehnsucht nach dem Alten, über Ressentiments in Ost und West. Als die Diskussion nach zehn Jahren nur noch um sich selbst kreiste, weil alles gesagt schien, reichten die Staatlichen Museen den Vorschlag nach, ihre in Dahlem beheimateten aussereuropäischen Sammlungen in einem dereinstigen Bau auf dem Schlossplatz unterzubringen.
Das grösste Problem war endlich angesprochen: Keiner wusste bis dahin, was in den herbeigeredeten Prunkbau denn eigentlich hineinkommen sollte. Schon höhnten die Gegner, wie denn ozeanische Totenmasken in ein Preussenschloss passten, ohne freilich zu begründen, weshalb diesen eine moderne Architektur besser zu Gesicht stehen sollte. Ein Ende der erbitterten Debatte um den Schlossplatz, den man symbolisch «zur Mitte der Republik» aufgeladen hatte, war nicht abzusehen. Die Bundesregierung setzte zur Klärung eine internationale Kommission Historische Mitte Berlin ein. Diese schliesst nun ihre von der Öffentlichkeit mit Interesse verfolgte Arbeit nach mehr als einem Jahr mit einer «Empfehlung» ab.
Die Experten sprechen sich für einen Bau aus, der in Grundriss, Kubatur, drei Fassaden, Schlüterhof und Stülers Kuppel dem Zustand des Schlosses vor seiner Zerstörung gleichkommt. Die schönste Seite nach Osten, ein malerisches Ensemble aus der Renaissancezeit, wird nicht mehr wiederherzustellen sein. Im Innern sollen einzelne altehrwürdige Räume (zum Beispiel der weisse Saal oder Schlüters berühmtes Treppenhaus) das Neue ergänzen. Eine vollständige Rekonstruktion, so viel steht also fest, wird es nicht geben. Es soll vielmehr eine Architektur sein, die zwar nicht das wiederaufgebaute Schloss darstellt, die aber, steht man davor, zumindest so aussieht - etwas für das Schlossgefühl, wenn man so will.
Als potenzielle Nutzer des neuen Ortes bieten sich neben den Staatlichen Museen die Humboldt-Universität mit ihren wissenschaftsgeschichtlichen Sammlungen sowie die Landesbibliothek an. Zum angestrebten «Dialog der Kulturen» sollen zudem Cafés, Restaurants, Läden und Veranstaltungssäle beitragen. Alles in allem übersteigt das die Raumverhältnisse des ehemaligen Schlosses um das Dreifache, womit wir beim typischen Berliner Kompromiss wären, der die gerade mit offenen Armen empfangenen Institutionen teilweise gleich wieder auslagert: in den Marstall zum Beispiel oder in neu zu Errichtendes. Skepsis weckt auch der in diesem Zusammenhang geäusserte Vorschlag, den berühmten Schlüterhof zu überdecken sowie den Eosanderhof zu überbauen. Das mächtige Schlossgeviert würde damit seine Transparenz einbüssen. Auch die von der Kommission «wo möglich» zur Nachahmung empfohlene alte Geschosshöhe dürfte dem Platzmangel geopfert werden, was die äussere Fassadengliederung vollends zum Trugbild machen würde.
Der Lauf der Geschichte
Zu begrüssen wäre der Vorschlag, die einstige städtebauliche Fassung wiederherzustellen, deren Bürgerhäuser unter Wilhelm II. dem Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal weichen mussten; sie rangen dem Schloss Verhältnismässigkeit ab. Der Palast der Republik soll abgerissen werden, wobei dem Neubau denkmalswürdige Teile (zum Beispiel der Volkskammersaal) implantiert würden. Die SED baute übrigens einst das rekonstruierte Schlossportal, von dessen Balkon aus Karl Liebknecht 1918 die sozialistische Republik ausgerufen hatte, ins Staatsratsgebäude ein. Dieses, wohl das anmutigste DDR-Bauwerk, soll erhalten bleiben. Somit könnten Passanten vielleicht dereinst zwei Rekonstruktionen des einen Portals vergleichen: das Liebknecht-Portal der DDR und ein neues Eosander-Portal der Berliner Republik, die sich bei aller Gleichheit ja irgendwie doch grundsätzlich unterscheiden müssten. Die Nachbarschaft von Schlossfassade und Staatsratsgebäude würde ausserdem deutlich machen, wie die DDR in ihrem staatlichen Repräsentationsbau in königlicher Raumhöhe die Gliederung jenes Prunkbaus zitierte, den sie zuvor zerstört hatte.
Vielleicht lässt sich bei dem Projekt ja doch mehr historische Erkenntnis über das Wahre im Falschen gewinnen, als man anfänglich vermutete. Der Bundesbauminister und der Regierende Bürgermeister von Berlin bedankten sich bei der Übergabe im Staatsratsgebäude jedenfalls höflich für die wertvolle «Entscheidungsgrundlage», die der Kommissionsbericht für die Politik darstelle. Es gelte jetzt, die Nutzung und Finanzierung des auf rund 700 Millionen Euro geschätzten Projektes abzuklären. Berlin hat, wie man weiss, kein Geld, und ob man im fernen Süden und im Westen der Bundesrepublik dieses Projekt mit Steuergeldern unterstützen will, bleibt fraglich. Laut Expertenbericht soll ein Drittel der Mittel durch die öffentliche Hand, der Rest durch Investoren, private Anleger und Sponsoren aufgebracht werden. Über Letztere lässt sich jetzt schon sagen, dass sie ihre Unterstützung von einer historischen Fassade abhängig machen. Zur Fassadenfrage - die Kommission hatte sich mit einem äusserst knappen Mehr von nur einer Stimme für Barock entschieden - wollte sich wiederum der Bundesbauminister lieber nicht äussern. Die Abklärungen zu Nutzung und Finanzierung, sagte er, würden ein Jahr dauern. Von deren Ergebnissen hingen am Ende auch die Vorgaben für einen Architekturwettbewerb und die Frage nach der äusseren Gestalt ab.
Währenddessen demonstrierte draussen vor dem Staatsratsgebäude vorsorglich schon einmal ein versprengtes Grüppchen «für die Wiedererrichtung des Schlosses». Unweit davon erinnerte die Initiative «Berliner Unwille» mit einer Performance an das historische Ereignis von 1448, als die Berliner ihren Unwillen gegen den Bau der ersten Hohenzollernresidenz kundtaten und den Schlossplatz fluteten, indem sie die Schleusen des Spreekanals öffneten. So hat alles ein Ende, nur das Berliner Schloss hat zwei.
Seit der Wiedervereinigung scheiden sich die Geister an der Frage, ob die einstige Hohenzollernresidenz wieder aufgebaut werden soll oder ob nicht doch vielleicht zeitgenössische Architektur der deutschen Hauptstadt im Europa des 21. Jahrhunderts besser ansteht. Hinter der ästhetischen Diskussion um Berlins prominenteste Ödnis verbirgt sich eine ideologische Auseinandersetzung. Der Ort, an dem die DDR-Spitze 1950 den im Krieg schwer beschädigten Barockbau als Symbol feudaler Herrschaft sprengen liess, soll zum Paradeplatz der Wiedervereinigung stilisiert werden: Mit Preussens Glanz und Gloria will man die Irrungen deutsch-deutscher Geschichte camouflieren. Nur so ist zu verstehen, weshalb auf der einen Seite der Spreeinsel die angebliche Leidenschaft für eine historische Baukunst, die real nicht existiert, derart heftig aufbricht, während auf der anderen Seite kein Förderverein Spruchbänder hochhält für Preussens schönstes Architekturensemble auf der Museumsinsel, deren Sanierung in der hoch verschuldeten Stadt chronisch gefährdet ist.
Kulissenarchitektur
Die Schlossfrage wurde in den vergangenen zehn Jahren so etwas wie die Berliner Glaubensfrage. Mit ihr lässt sich umgekehrt viel über Berliner Befindlichkeiten in Erfahrung bringen: über die Beschädigungen, die einer Stadt im Laufe ihrer Zeit dauerhaft zugefügt wurden, über geschichtliche Unbehaustheit und die Sehnsucht nach dem Alten, über Ressentiments in Ost und West. Als die Diskussion nach zehn Jahren nur noch um sich selbst kreiste, weil alles gesagt schien, reichten die Staatlichen Museen den Vorschlag nach, ihre in Dahlem beheimateten aussereuropäischen Sammlungen in einem dereinstigen Bau auf dem Schlossplatz unterzubringen.
Das grösste Problem war endlich angesprochen: Keiner wusste bis dahin, was in den herbeigeredeten Prunkbau denn eigentlich hineinkommen sollte. Schon höhnten die Gegner, wie denn ozeanische Totenmasken in ein Preussenschloss passten, ohne freilich zu begründen, weshalb diesen eine moderne Architektur besser zu Gesicht stehen sollte. Ein Ende der erbitterten Debatte um den Schlossplatz, den man symbolisch «zur Mitte der Republik» aufgeladen hatte, war nicht abzusehen. Die Bundesregierung setzte zur Klärung eine internationale Kommission Historische Mitte Berlin ein. Diese schliesst nun ihre von der Öffentlichkeit mit Interesse verfolgte Arbeit nach mehr als einem Jahr mit einer «Empfehlung» ab.
Die Experten sprechen sich für einen Bau aus, der in Grundriss, Kubatur, drei Fassaden, Schlüterhof und Stülers Kuppel dem Zustand des Schlosses vor seiner Zerstörung gleichkommt. Die schönste Seite nach Osten, ein malerisches Ensemble aus der Renaissancezeit, wird nicht mehr wiederherzustellen sein. Im Innern sollen einzelne altehrwürdige Räume (zum Beispiel der weisse Saal oder Schlüters berühmtes Treppenhaus) das Neue ergänzen. Eine vollständige Rekonstruktion, so viel steht also fest, wird es nicht geben. Es soll vielmehr eine Architektur sein, die zwar nicht das wiederaufgebaute Schloss darstellt, die aber, steht man davor, zumindest so aussieht - etwas für das Schlossgefühl, wenn man so will.
Als potenzielle Nutzer des neuen Ortes bieten sich neben den Staatlichen Museen die Humboldt-Universität mit ihren wissenschaftsgeschichtlichen Sammlungen sowie die Landesbibliothek an. Zum angestrebten «Dialog der Kulturen» sollen zudem Cafés, Restaurants, Läden und Veranstaltungssäle beitragen. Alles in allem übersteigt das die Raumverhältnisse des ehemaligen Schlosses um das Dreifache, womit wir beim typischen Berliner Kompromiss wären, der die gerade mit offenen Armen empfangenen Institutionen teilweise gleich wieder auslagert: in den Marstall zum Beispiel oder in neu zu Errichtendes. Skepsis weckt auch der in diesem Zusammenhang geäusserte Vorschlag, den berühmten Schlüterhof zu überdecken sowie den Eosanderhof zu überbauen. Das mächtige Schlossgeviert würde damit seine Transparenz einbüssen. Auch die von der Kommission «wo möglich» zur Nachahmung empfohlene alte Geschosshöhe dürfte dem Platzmangel geopfert werden, was die äussere Fassadengliederung vollends zum Trugbild machen würde.
Der Lauf der Geschichte
Zu begrüssen wäre der Vorschlag, die einstige städtebauliche Fassung wiederherzustellen, deren Bürgerhäuser unter Wilhelm II. dem Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal weichen mussten; sie rangen dem Schloss Verhältnismässigkeit ab. Der Palast der Republik soll abgerissen werden, wobei dem Neubau denkmalswürdige Teile (zum Beispiel der Volkskammersaal) implantiert würden. Die SED baute übrigens einst das rekonstruierte Schlossportal, von dessen Balkon aus Karl Liebknecht 1918 die sozialistische Republik ausgerufen hatte, ins Staatsratsgebäude ein. Dieses, wohl das anmutigste DDR-Bauwerk, soll erhalten bleiben. Somit könnten Passanten vielleicht dereinst zwei Rekonstruktionen des einen Portals vergleichen: das Liebknecht-Portal der DDR und ein neues Eosander-Portal der Berliner Republik, die sich bei aller Gleichheit ja irgendwie doch grundsätzlich unterscheiden müssten. Die Nachbarschaft von Schlossfassade und Staatsratsgebäude würde ausserdem deutlich machen, wie die DDR in ihrem staatlichen Repräsentationsbau in königlicher Raumhöhe die Gliederung jenes Prunkbaus zitierte, den sie zuvor zerstört hatte.
Vielleicht lässt sich bei dem Projekt ja doch mehr historische Erkenntnis über das Wahre im Falschen gewinnen, als man anfänglich vermutete. Der Bundesbauminister und der Regierende Bürgermeister von Berlin bedankten sich bei der Übergabe im Staatsratsgebäude jedenfalls höflich für die wertvolle «Entscheidungsgrundlage», die der Kommissionsbericht für die Politik darstelle. Es gelte jetzt, die Nutzung und Finanzierung des auf rund 700 Millionen Euro geschätzten Projektes abzuklären. Berlin hat, wie man weiss, kein Geld, und ob man im fernen Süden und im Westen der Bundesrepublik dieses Projekt mit Steuergeldern unterstützen will, bleibt fraglich. Laut Expertenbericht soll ein Drittel der Mittel durch die öffentliche Hand, der Rest durch Investoren, private Anleger und Sponsoren aufgebracht werden. Über Letztere lässt sich jetzt schon sagen, dass sie ihre Unterstützung von einer historischen Fassade abhängig machen. Zur Fassadenfrage - die Kommission hatte sich mit einem äusserst knappen Mehr von nur einer Stimme für Barock entschieden - wollte sich wiederum der Bundesbauminister lieber nicht äussern. Die Abklärungen zu Nutzung und Finanzierung, sagte er, würden ein Jahr dauern. Von deren Ergebnissen hingen am Ende auch die Vorgaben für einen Architekturwettbewerb und die Frage nach der äusseren Gestalt ab.
Währenddessen demonstrierte draussen vor dem Staatsratsgebäude vorsorglich schon einmal ein versprengtes Grüppchen «für die Wiedererrichtung des Schlosses». Unweit davon erinnerte die Initiative «Berliner Unwille» mit einer Performance an das historische Ereignis von 1448, als die Berliner ihren Unwillen gegen den Bau der ersten Hohenzollernresidenz kundtaten und den Schlossplatz fluteten, indem sie die Schleusen des Spreekanals öffneten. So hat alles ein Ende, nur das Berliner Schloss hat zwei.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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