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Bewahrender Stadterneuerer
Neue Zürcher Zeitung

Zum Tod des Architekten Josef P. Kleihues

16. August 2004 - Claudia Schwartz
Zu seinen bekanntesten Bauten zählen das Museum of Contemporary Art in Chicago (1996) und das «Kant-Dreieck» (1994), ein Bürohaus mit Haifischflosse auf dem Dach unweit des Berliner Bahnhofs Zoo. Seinen so sensiblen wie selbstbewussten Umbauten, den Deichtorhallen in Hamburg und dem Museum Hamburger Bahnhof in Berlin, hauchte er mit feinem Gespür für Konstruktion seine «antikisierende Technologie» (Giorgio Grassi) ein. In die Geschichte der Berliner Architektur schrieb sich Josef Paul Kleihues indes mit Macht ein als Mentor einer zeitgenössischen Baukunst, die das klassische Vokabular und die Idee des europäischen Stadtgrundrisses hochhielt. Dafür fand der 1933 im westfälischen Rheine geborene Architekt in der Stadt an der Spree mit ihren historisch bedingten Brüchen früh ein ideales Betätigungsfeld. - Berlin als Stadt des preussischen Klassizismus und des Bauhauses prägte das Denken Kleihues', wie umgekehrt die deutsche Hauptstadt heute ohne ihn nicht das wäre, was sie ist. Sein Werk, dem konkreten Ort verbunden, erinnerte an die Ausdruckskraft Messels oder an das städtebauliche Bewusstsein Scharouns, bei dem er studiert hatte; er wollte das Gedächtnis der Architektur wiederbeleben gegen das «Verlöschen der Stadt» (Wolf Jobst Siedler).

Kleihues kam Ende der fünfziger Jahre zum Architekturstudium an die Spree und eröffnete 1962 ein eigenes Büro. Damit begann ein lebenslanges Engagement, dem theoretische Überlegung und städteplanerisches Anliegen ebenso wichtig waren wie die Baukunst selbst. Den Berliner Bezirk Kreuzberg beispielsweise würde ohne Kleihues' Einfluss heute eine Autobahn durchschneiden: Als Leiter der Neubauabteilung der «Internationalen Bauausstellung Berlin 1984/87» brachte er die Internationalität, die Berlin vor dem Zweiten Weltkrieg architektonisch geprägt hatte, zurück und gab der Westberliner Baupolitik eine entscheidende Wende.

Anlässlich seines 70. Geburtstags im vergangenen Jahr war auch vom architekturpolitischen Kartell Berlins die Rede, in dem Kleihues eine zentrale Rolle spielte, im positiven wie im negativen Sinn. Das Bauen mit modernen Mitteln bei gleichzeitiger Bezugnahme auf den historischen Stadtgrundriss fand vor allem nach der Wende Resonanz und seinen Ausdruck in der «kritischen Rekonstruktion»: Die Bewegung löste den Berliner Architekturstreit aus, als sie sich im rigorosen Festhalten an Traufhöhe und Blockrandbebauung zur rückwärts gewandten Ideologie auswuchs. Kleihues selbst bekam bei der Verzerrung seiner kühnen Entwürfe der Häuser Sommer und Liebermann am Pariser Platz den zwanghaften Charakter der historistisch-restriktiven Berliner Baupolitik am eigenen Leib zu spüren. Sein Plädoyer für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses mag man in diesem Zusammenhang als eine späte resignative Flucht nach vorn interpretieren.

Kleihues bezeichnete sich selbst als «poetischen Rationalisten», und seine Verehrung galt in diesem Sinne dem berühmtesten Baumeister der Stadt an der Spree, Karl Friedrich Schinkel. Kurz vor seinem Tod nahm Josef Paul Kleihues vergangene Woche an der Eröffnung der nächtlich hell erleuchteten Attrappe der Schinkel'schen Bauakademie auf dem Friedrichswerder teil, für deren Wiederaufbau er als Wortführer der preussischen Postmoderne gekämpft hatte. Der letzte Auftritt von Josef Paul Kleihues, der in der Nacht zum 13. August gestorben ist, war zu Ehren seines grössten Vorbilds.

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