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Zitterpartie
Neue Zürcher Zeitung

Ungewisse Zukunft der Frankfurter Universitätsbauten

Seit geraumer Zeit stehen Bauten der Nachkriegszeit in Frankfurt am Main zur Disposition. Mit dem umstrittenen Abriss des Zürich-Hauses im Februar 2002 wurde an der einst als Hochhausachse konzipierten Bockenheimer Landstrasse ein unerfreulicher Umbau eingeleitet, der bald die Bauten des Universitätscampus erreichen dürfte.

4. September 2004 - Corinne Elsesser
An der Schnittstelle von Frankfurter Westend und angrenzendem Bockenheim-Viertel entstand seit 1953 unter der Leitung des damals gerade aus dem Exil zurückgekehrten Ferdinand Kramer die erste deutsche Campus-Universität nach amerikanischem Vorbild. Angesichts steigender Studentenzahlen wurde sie über die Jahrzehnte immer wieder erweitert und die Institute zunehmend auch ausgelagert. Vor zwei Jahren hat die geisteswissenschaftliche Fakultät ihr neues Domizil im 1930 von Hans Poelzig erbauten und 2002 von den dänischen Architekten Dissing und Weitling vorbildlich restaurierten IG-Farben-Gebäude auf dem neuen Campus Westend bezogen. Dieser soll nun für die noch in Bockenheim verbliebenen Institute ausgebaut werden. Die Finanzierung will das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, dem die Universität untersteht, mit dem Verkauf der am alten Standort bestehenden Gebäude sichern. Im Juni letzten Jahres wurde ein städtebaulicher Wettbewerb entschieden, der eine Neubebauung des gesamten Campus-Areals vorsieht. Dieses Vorhaben hätte seinen Lauf genommen, wenn sich die seit Jahren anhaltende Krise auf dem Immobilienmarkt und die stagnierende Nachfrage nach Büroraum gebessert hätten. Inzwischen suchen die Verantwortlichen nach anderen Wegen. Seitens der Universität Frankfurt und der Fachhochschule Wiesbaden sind baugeschichtliche Untersuchungen im Gange, die eine Umnutzung der Bauten in Betracht ziehen.
Vernachlässigtes Baudenkmal

Das 1960 von Ferdinand Kramer als Institut der geisteswissenschaftlichen Fakultät an der Gräfstrasse erbaute Philosophicum zum Beispiel gilt als erhaltenswertes Baudenkmal. Doch zeigte der Fall des Zürich-Hauses, das ebenfalls unter Denkmalschutz stand, wie wenig verlässlich dieser Status in Frankfurt ist. Seit dem Umzug der Fakultät steht das Gebäude leer und sein inzwischen ruinöser Zustand ist das Resultat einer schon Jahre andauernden Vernachlässigung. Obwohl die Architektur des Philosophicums heute vielen nicht eben am Herzen liegt, galt es zu seiner Entstehungszeit als eine Pionierleistung. Im Unterschied zu anderen Institutsgebäuden auf dem Campus basiert es nicht auf einer Stahlbetonkonstruktion, sondern auf einer Stahlskelettstruktur, die nicht ummantelt wurde. Jeweils 21 Stahlstützen sind an den Aussenseiten vorgelagert und gliedern als Doppel-T-Träger die Längsfassaden des neungeschossigen Scheibenhochhauses. Das Konstruktionsraster bleibt klar ablesbar und ist einheitlich mit vorgefertigten, weiss gefassten Betonplatten und Fensterelementen aus Aluminium ausgefacht. Zur Gräfstrasse hin akzentuieren zwei Versorgungstürme mit Treppenhäusern, Liftschächten und Toiletten die Fassade. Sie dienen zugleich der Versteifung des nur gut 10 Meter breiten Hochhauses.

Die Orientierung an amerikanischen Vorbildern tritt in Details wie den als aussen liegende Fluchtwege dienenden Feuerleitern zutage und auch an der Stahlskelettbauweise selbst, die in den USA nicht nur im Industrie- sondern auch im Bürobau längst üblich war. In Deutschland war diese Anwendung damals ein Experiment. Reduziert auf das Wesentliche seines Rasters, lässt das Gebäude auch an die funktionalen Konzeptionen des neuen Bauens in den zwanziger Jahren denken. Nach dem Krieg wollte man genau dort wieder ansetzen. Und keiner vertrat diese Haltung exemplarischer als Ferdinand Kramer. Er wurde 1898 in Frankfurt geboren und war nach seinem Studium an der TU München ab 1925 im Frankfurter Hochbauamt unter Ernst May an der Entstehung der Siedlungen des Neuen Frankfurt massgeblich beteiligt. In der Abteilung für Typisierung entwarf er Möblierungssysteme, die mit der Werkbundausstellung «Die Wohnung für das Existenzminimum» von 1929 wegweisend für die Einrichtungen klein bemessener Wohnungen wurden. Nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil im Jahre 1952 wurde er mit dem Neuaufbau der kriegszerstörten Frankfurter Universität betraut. Hier musste Kramer mit einem beschränkten Budget möglichst schnell Raum für Lehre und Forschung schaffen. Er arbeitete deshalb ausschliesslich mit standardisierten Bauteilen und konzipierte selbst Ausstattungselemente wie Türen, Beleuchtungskörper und Möbelstücke einheitlich. In diesen Universitätsbauten, die äusserst kostensparend und auf den ersten Blick rein rechnerisch realisiert wurden, liegt aber eine Vielfalt an Variationsmöglichkeiten. In den Details zeigt jedes Gebäude einen eigenen Charakter.
Architektonische Feinheiten

Der Stahlskelettbau des Philosophicums erlaubte mittels der Auslagerung der Stützen eine flexible Gestaltung im Inneren. Neben einbündigen Anordnungen von Arbeitsräumen, die durch schmale Flure erschlossen werden, gibt es grosszügige, die gesamte Etagenbreite einnehmende und beidseitig belichtete Seminar- und Bibliotheksräume. Im obersten Stockwerk werden die ehemaligen Räume des Archäologischen Instituts von kreisrunden Oberlichtern in ein diffuses Licht getaucht und in den Versorgungstürmen erhalten die Treppenhäuser Tageslicht durch Bänder aus Glasbausteinen, die von aussen betrachtet die Erschliessungstrakte vertikal markieren.

Feinheiten wie diese machen den Reiz der Bauten auf dem Universitätscampus aus. Sie erschliessen sich allerdings erst auf den zweiten Blick. Im Fall des 1957 erbauten Instituts für Lebensmittelchemie und Pharmazie hat man dies erkannt und plant inzwischen eine Umnutzung. Es wäre wünschenswert, wenn dies auch für die anderen Institute vorgesehen würde und ein bauliches Ensemble aus der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht einer unüberlegten Neubebauung zum Opfer fiele.

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