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Kopflos zur Kunst?
Spectrum

Wie entwirft ein Architekt, wie entwirft ein Designer, was er entwirft? Mehr mit Herz? Mehr mit Hirn? Oder mit beidem zusammen? Eine Nachforschung am Beispiel aktueller Architektur- und Designbücher.

2. Oktober 2004 - Wolfgang Freitag
Wie entwirft ein Architekt, was er entwirft? Wir Nichtkreativen tun uns naturgemäß schwer, uns Schaffensprozesse welcher Art immer zu imaginieren. Wie komponiert der Komponist? Wie dichtet der Dichter? Hat man sich das Entwerfen, Dichten, Komponieren tatsächlich so vorzustellen, wie es uns Film- und Fernsehindustrie üblicherweise vor Augen führen? Quasi als Akt der Selbstbefreiung nach langen quälerischen Gefühlsschüben? Oder, alternativ, genialisch, mit leichter Hand, ein hingetupftes Irgendwie, das doch sofort vollendete Meisterschaft bekundet? Jedenfalls: kopfloses Gebeuteltsein vom Wirken metaphysisch-irrationaler Mächte?

Die Antworten der Realität enttäuschen regelmäßig allzu hoch gespannte Erwartungen. Wie gern hätte man doch das Gesicht der Interviewerin gesehen, die von Josef Hader kürzlich auf die Frage, woher denn die Ideen für seine Programme kämen, erfahren musste: „Das ist ganz einfach: Je mehr man nachdenkt, desto mehr fällt einem ein.“ In der Tat: Nichts ist trivialer als die Wirklichkeit. Und so darf es uns nicht wundern, wenn auch Architekten wie Günther Domenig, Gustav Peichl oder Delugan[*]Meissl über das Wie ihres Entwerfens eher wenig Sensationelles zu Protokoll geben. Beispiel Delugan[*]Meissl: „Wir entwerfen natürlich nicht unemotional, aber immer auf der Basis des Wissens um das, was ein Gebäude können und leisten muss.“ Wie sonst, möchte man ergänzen. Dennoch oder vielleicht genau deshalb lesenswert: was Peter Lorenz bei weiteren 24 Architekten und Architektenteams über ihr „Entwerfen“, so auch der Titel seines Bandes, herausgefunden hat.

Und es sind selbstredend nicht nur Entwerfer, sondern auch Entwurfsprofessoren, die zum Match Herz gegen Hirn, so es denn überhaupt eines ist, Gewichtiges zu sagen haben. „Entwickle eine umfassende Technik, dann kannst du dich der Gnade der Inspiration überlassen“: Diese Empfehlung eines nicht näher bekannten japanischen Musikerziehers stellte Hans Puchhammer, seines Zeichens 16 Jahre lang Lehrender an der Abteilung Hochbau und Entwerfen der Technischen Universität Wien, in den Achtzigern an den Anfang eines Ausstellungskatalogs voller Studienarbeiten. Ein Grundsatz, dem er unübersehbar auch in seinem eigenen Werk gefolgt ist, wie die Puchhammer-Monografie „Bauen kann Architektur sein“ belegt.

Dass selbst bei einem so sehr den Primat des Schöpferischen signalisierenden Bau wie dem Kunsthaus Graz kühle Pragmatik die Form bestimmen kann, weiß Colin Fournier, gemeinsam mit Peter Cook verantwortlich für den „Friendly Alien“ am Lendkai, in der gleichnamigen Kunsthaus-Graz-Dokumentation zu berichten: Dieses sei „weniger das Ergebnis einer stilistischen Entscheidung als das ungeplante Ergebnis einer Reihe von Zufällen“. So habe beispielsweise das Grundstück eine so komplexe Geometrie aufgewiesen, „dass daraus die kurvige Gebäudeform entstehen musste“. Kurz: „Die Form des Gebäudes hat für uns weniger mit ästhetischer Rhetorik als vielmehr mit der ,Stärke des Unvermeidlichen' zu tun.“

Gerade mit dieser Stärke des Unvermeidlichen planerisch souverän zurechtzukommen, das kann seinerseits eine besondere Stärke sein. Man denke an das Wiener Büro Nehrer + Medek, wie es von Liesbeth Waechter-Böhm in einer umfassenden Monografie porträtiert wird: „Die experimentelle Vision ist nicht ihr Anliegen. Sie setzen Programme um, unter heutigen Bedingungen, mit heutigen Mitteln, im Rahmen der jetzt geltenden Usancen.“ - Und wie sieht Entwurfsarbeit direkt auf dem Zeichenblock aus? Ein jüngst in einem Archiv aufgefundenes Skizzenbuch der großen französischen Designerin Charlotte Perriand (1903 bis 1999), die Ende der Zwanzigerjahre im Atelier Le Corbusier maßgeblich an der Entwicklung der Inneneinrichtungen mitgewirkt hat, fördert, im Faksimile abgedruckt und von Arthur Rüegg kommentiert, abermals wenig Erstaunliches, schon gar nicht emotional Aufgeladenes zu Tage: klare übersichtliche Studien zu Tischen, Stühlen und Fauteuils, dazu technische Anmerkungen, auffällig nüchtern allesamt.

Und im Fall der Realisierung mit dem Vorzug unmittelbarer Sichtbarwerdung ausgestattet, wie er den Entwürfen von Designern und Architekten grundsätzlich eigen ist: Erst Objekt geworden, steht das Entworfene fertig vor uns da. Nicht so, was Landschaftsarchitekten konzipieren: Die müssen nicht selten gut und gern 20, 30 Jahre warten, bis sich all ihr Gesätes und Gesetztes so ausgewachsen hat, wie sie es sich in ihren Köpfen und auf Papier zusammenfabulierten. Penelope Hill hat für ihre „Contemporary History of Garden Design“ herausragende europäische Beispiele zusammengetragen: ein machtvolles Kompendium, was werden kann, wenn man es werden lässt.

Wo nach Meinung mancher nichts mehr werden soll, weil eh schon genug geworden ist, dort ist das Signet „Unesco-Weltkulturerbe“ nicht weit, das sich derzeit epidemisch über den Globus verbreitet. Auch die Wiener Innenstadt darf sich seit einiger Zeit dieses angeblich fremdenverkehrsfördernde Federchen an den Stephansturm stecken. Das Ende aller Entwerferei, weil damit die Stadt unter einem Glassturz der Unveränderlichkeit verschwindet? Nicht doch, versichert Manfred Wehdorn in seiner Weltkulturerbe-Wien-Dokumentation. Zwar sei „die Bewahrung des Stadtkörpers von zentraler Bedeutung“: „Ebenso wichtig ist aber auch, dass zukunftsweisende Formen von Architektur und Städtebau in den historischen Stadtkörper integriert werden können.“ Die Wiener Architekturdebatten der nachkulturerblichen Vergangenheit lassen anderes erahnen. [*]


Peter Lorenz: Entwerfen. 25 Architekten - 25 Standpunkte. 160 S., geb., € 71,90 (Deutsche Verlags-Anstalt, München).

Hans Puchhammer: Bauen kann Architektur sein. Mit Geleitworten von Friedrich Achleitner und Otto Kapfinger. 176 S., brosch., € 35 (Pustet Verlag, Salzburg).

Liesbeth Waechter-Böhm: Nehrer + Medek. 30 Jahre Architektur im Kontext. 192 S., Ln., € 46,30 (Pustet Verlag, Salzburg).

Arthur Rüegg (Hrsg.): Charlotte Perriand - Livre de Bord 1928-1933. 288 S., geb., € 70 (Birkhäuser Verlag, Basel).
Dieter Bogner, Kunsthaus Graz AG (Hrsg.): A Friendly Alien - Ein Kunsthaus für Graz. Mit Beiträgen von Peter Cook und Colin Fournier. 252 S., brosch., € 32 (Hatje Cantz Verlag, Ostfildern).

Penelope Hill: Contemporary History of Garden Design. European Gardens between Art an Architecture. 262 S., geb., € 82,50 (Birkhäuser Verlag, Basel).

Manfred Wehdorn: Wien. Das historische Zentrum: Weltkulturerbe der Unesco - Eine Dokumentation. Mit Beiträgen von Peter Csendes und Mario Schwarz. 148 S., geb., € 60,70 (Springer Verlag, Wien).

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