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Bauen auf Zeit
Neue Tendenzen in der japanischen Gegenwartsarchitektur
In den dicht bebauten Städten Japans werden die Gebäude in einem sehr raschen Rhythmus gebaut, abgebrochen und wieder ersetzt. Dies ist eine der prägenden Charakteristiken des Umfeldes, in dem japanische Architekten heute tätig sind.
3. Dezember 2004 - Marco Rossi
Japans Lebensräume konzentrieren sich auf die wenigen flachen Stellen der Inselgruppe. In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Siedlungen im Umkreis der grossen Städte stark verdichtet. So leben gegenwärtig allein in der Kanto-Ebene um Tokio etwa 30 Millionen Menschen. Tokio, Yokohama, Kawasaki, Chiba sowie weitere Städte und Vorstädte sind heute fast flächendeckend zusammengebaut. Vor allem junge Menschen ziehen von den ländlichen Regionen in die Zentren. Die Dynamik dieser Entwicklung stellt im Kontext des prognostizierten landesweiten Bevölkerungsrückgangs (NZZ 22. 8. 04) eine planerische und gesellschaftliche Herausforderung dar. Einen Versuch, diese Abwanderungsbewegung zumindest zu thematisieren, unternimmt die «Echigo- Tsumari Art Triennale». Die grösste internationale Kunstveranstaltung in Japan findet absichtlich nicht in einer Metropole statt, sondern in mehreren Ortschaften und der weiten Landschaft der Niigata-Präfektur. Erstmals im Sommer 2000 ausgetragen, soll sie ein interessiertes Publikum über die drei Monate des Festivals hinaus in die Region locken. Die Veranstalter erhoffen sich zudem, mit der lokalen Bevölkerung neue Perspektiven für diese Region zu erarbeiten. Für die Triennale 2003 wurden von den japanischen Architekten Hiroshi Hara und Takaharu & Yui Tezuka sowie vom Rotterdamer Trendbüro MVRDV drei neue Ausstellungsgebäude realisiert.
Heterogene Städte
Die Bebauungen im Grossraum Tokio und in anderen japanischen Städten schossen in den letzten Jahrzehnten schnell aus dem Boden. Sie wirken auf manche europäischen Betrachter chaotisch und heterogen. Städtische Nachbarschaften ändern sich kontinuierlich, da die Gebäude im Durchschnitt nach etwa 30 Jahren abgebrochen werden. Doch dieser rasche Rhythmus von bauen, abreissen und ersetzen erweist sich bei grossen Stahlskelettbauten oder massiven Betonhäusern zusehends als schwierig. Sie werden nun auch in Japan vermehrt umgenutzt oder umgebaut und bleiben deshalb wohl länger stehen.
Bei Neubauten entsteht oft der Eindruck, grössere städtebauliche Linien und Ordnungen würden nicht angestrebt, sondern mitunter absichtlich gebrochen oder gar vermieden. Einen spezifischen Bezug zum Ort oder zur Nachbarschaft meint man nur selten wahrzunehmen. Es sind Stadtlandschaften, auf die sich die in Europa entwickelten städtebaulichen Vorstellungen kaum übertragen lassen. Zweifellos erweist sich die zunehmende Verdichtung als Problem, werden doch grössere Grün- und Freiräume in den Ballungsgebieten immer seltener. Gerade hinsichtlich dieser öffentlichen Aussenräume könnten planerische Eingriffe Akzente setzen. In diesem Zusammenhang fällt ins Gewicht, dass die Abstufungen zwischen «öffentlich» und «privat» in der japanischen Gesellschaft auch heute noch anders als in Europa verlaufen und das Begriffspaar «öffentlich - privat» nicht genau gleich verwendet wird. Es sind diese besonderen, sich zurzeit allerdings stark wandelnden gesellschaftlichen Hintergründe, die sich auch in der Vorstellung von Stadt und «öffentlichem Raum» zeigen.
Während man im Westen vor allem die japanische Spitzenarchitektur von Ando bis Sanaa zur Kenntnis nimmt, wird in Japan das Baugeschehen von einigen wenigen Generalunternehmungen mit eigenen Architekturabteilungen geprägt, die fast alle Grossprojekte ausarbeiten. Mitunter entstehen dabei Bauten von beachtlicher Qualität. Doch viele Investoren wollen sich nicht auf Experimente einlassen, weshalb nur allzu oft gleichförmige, fast austauschbare Bauten erstellt werden.
Verglichen mit diesen Grossfirmen ist das Tätigkeitsfeld der kleineren, auch international bekannten Architekturbüros eingeschränkt. Zu Beginn ihrer Karriere bringen sich die jungen Architekten meist mit Einfamilienhäusern ins Gespräch und auf die begehrten Seiten der populären Lifestyle-Magazine. Dann können sie sich vielleicht einen Auftrag für ein kulturelles Bauwerk sichern. So realisierten in den vergangenen Jahren kleinere Büros zahlreiche Kulturbauten vor allem in ländlichen Regionen. Aufsehen erregte jüngst Sosuke Fujimotos siegreiches Wettbewerbsprojekt für das «Environment Art Forum» in Annaka. Im Gespräch sind aber auch das Büro Mikan oder das Atelier Bow-wow von Momoyo Kajima und Yoshiharu Tsukamoto - dieses nicht zuletzt wegen seiner theoretischen Studien zur «Nicht-Architektur» Tokios. Vermehrt setzt der Nachwuchs seine Hoffnung aber auch auf die Modefirmen, die mit ihren Flagship Stores architektonische Zeichen setzen lassen. Besonders interessante Beispiele sind an der Omotesando in Tokio zu sehen: etwa der satinartig schimmernde, vor einem Jahr eröffnete «Dior»-Modetempel von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa vom Büro Sanaa oder die neue Lichtskulptur des Tod's Store von Toyo Ito, die in wenigen Wochen bezogen wird. Hingegen erstaunt das geringe Engagement im Siedlungsbau. Doch vielleicht werden die Wohnbauten von Riken Yamamoto in Tokio-Shinonome ein Umdenken bewirken.
Zwischen zwei Polen
Die Denkansätze der japanischen Architekten sind vielfältig. Ihr gemeinsamer Nenner könnte vielleicht sein, dass sie sich irgendwo im Einflussbereich zweier Pole bewegen: der japanischen Ideenwelt und Formensprache einerseits und der westlichen Vorbilder anderseits. Hinzu kommen Einflüsse aus anderen geographischen und kulturellen Bereichen. Es ist daher gut möglich, dass jene aus dem asiatischen Kulturraum künftig wieder verstärkt in die Arbeitsprozesse einfliessen werden. Umgekehrt tragen erfolgreiche Architekten seit geraumer Zeit einen Hauch von Japan in die Welt: In Europa sind zurzeit etwa Tadao Ando, Toyo Ito, Sanaa sowie Shigeru Ban an wichtigen Bauten tätig, während zwei Japaner in New York Triumphe feiern konnten: Jun Aoki im vergangenen Februar mit dem «Louis Vuitton»- Store und vor wenigen Tagen Yoshio Taniguchi mit seiner MoMA-Erweiterung. Und vor zwei Tagen meldete die ETH Lausanne, dass aufgrund eines eben abgeschlossenen Wettbewerbs das Büro Sanaa das neue Learning Center auf dem Campus in Ecublens bauen wird.
Heterogene Städte
Die Bebauungen im Grossraum Tokio und in anderen japanischen Städten schossen in den letzten Jahrzehnten schnell aus dem Boden. Sie wirken auf manche europäischen Betrachter chaotisch und heterogen. Städtische Nachbarschaften ändern sich kontinuierlich, da die Gebäude im Durchschnitt nach etwa 30 Jahren abgebrochen werden. Doch dieser rasche Rhythmus von bauen, abreissen und ersetzen erweist sich bei grossen Stahlskelettbauten oder massiven Betonhäusern zusehends als schwierig. Sie werden nun auch in Japan vermehrt umgenutzt oder umgebaut und bleiben deshalb wohl länger stehen.
Bei Neubauten entsteht oft der Eindruck, grössere städtebauliche Linien und Ordnungen würden nicht angestrebt, sondern mitunter absichtlich gebrochen oder gar vermieden. Einen spezifischen Bezug zum Ort oder zur Nachbarschaft meint man nur selten wahrzunehmen. Es sind Stadtlandschaften, auf die sich die in Europa entwickelten städtebaulichen Vorstellungen kaum übertragen lassen. Zweifellos erweist sich die zunehmende Verdichtung als Problem, werden doch grössere Grün- und Freiräume in den Ballungsgebieten immer seltener. Gerade hinsichtlich dieser öffentlichen Aussenräume könnten planerische Eingriffe Akzente setzen. In diesem Zusammenhang fällt ins Gewicht, dass die Abstufungen zwischen «öffentlich» und «privat» in der japanischen Gesellschaft auch heute noch anders als in Europa verlaufen und das Begriffspaar «öffentlich - privat» nicht genau gleich verwendet wird. Es sind diese besonderen, sich zurzeit allerdings stark wandelnden gesellschaftlichen Hintergründe, die sich auch in der Vorstellung von Stadt und «öffentlichem Raum» zeigen.
Während man im Westen vor allem die japanische Spitzenarchitektur von Ando bis Sanaa zur Kenntnis nimmt, wird in Japan das Baugeschehen von einigen wenigen Generalunternehmungen mit eigenen Architekturabteilungen geprägt, die fast alle Grossprojekte ausarbeiten. Mitunter entstehen dabei Bauten von beachtlicher Qualität. Doch viele Investoren wollen sich nicht auf Experimente einlassen, weshalb nur allzu oft gleichförmige, fast austauschbare Bauten erstellt werden.
Verglichen mit diesen Grossfirmen ist das Tätigkeitsfeld der kleineren, auch international bekannten Architekturbüros eingeschränkt. Zu Beginn ihrer Karriere bringen sich die jungen Architekten meist mit Einfamilienhäusern ins Gespräch und auf die begehrten Seiten der populären Lifestyle-Magazine. Dann können sie sich vielleicht einen Auftrag für ein kulturelles Bauwerk sichern. So realisierten in den vergangenen Jahren kleinere Büros zahlreiche Kulturbauten vor allem in ländlichen Regionen. Aufsehen erregte jüngst Sosuke Fujimotos siegreiches Wettbewerbsprojekt für das «Environment Art Forum» in Annaka. Im Gespräch sind aber auch das Büro Mikan oder das Atelier Bow-wow von Momoyo Kajima und Yoshiharu Tsukamoto - dieses nicht zuletzt wegen seiner theoretischen Studien zur «Nicht-Architektur» Tokios. Vermehrt setzt der Nachwuchs seine Hoffnung aber auch auf die Modefirmen, die mit ihren Flagship Stores architektonische Zeichen setzen lassen. Besonders interessante Beispiele sind an der Omotesando in Tokio zu sehen: etwa der satinartig schimmernde, vor einem Jahr eröffnete «Dior»-Modetempel von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa vom Büro Sanaa oder die neue Lichtskulptur des Tod's Store von Toyo Ito, die in wenigen Wochen bezogen wird. Hingegen erstaunt das geringe Engagement im Siedlungsbau. Doch vielleicht werden die Wohnbauten von Riken Yamamoto in Tokio-Shinonome ein Umdenken bewirken.
Zwischen zwei Polen
Die Denkansätze der japanischen Architekten sind vielfältig. Ihr gemeinsamer Nenner könnte vielleicht sein, dass sie sich irgendwo im Einflussbereich zweier Pole bewegen: der japanischen Ideenwelt und Formensprache einerseits und der westlichen Vorbilder anderseits. Hinzu kommen Einflüsse aus anderen geographischen und kulturellen Bereichen. Es ist daher gut möglich, dass jene aus dem asiatischen Kulturraum künftig wieder verstärkt in die Arbeitsprozesse einfliessen werden. Umgekehrt tragen erfolgreiche Architekten seit geraumer Zeit einen Hauch von Japan in die Welt: In Europa sind zurzeit etwa Tadao Ando, Toyo Ito, Sanaa sowie Shigeru Ban an wichtigen Bauten tätig, während zwei Japaner in New York Triumphe feiern konnten: Jun Aoki im vergangenen Februar mit dem «Louis Vuitton»- Store und vor wenigen Tagen Yoshio Taniguchi mit seiner MoMA-Erweiterung. Und vor zwei Tagen meldete die ETH Lausanne, dass aufgrund eines eben abgeschlossenen Wettbewerbs das Büro Sanaa das neue Learning Center auf dem Campus in Ecublens bauen wird.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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