Artikel
Papierindustrielle und Architekten
Die Baugeschichte der St.-Johanns-Vorstadt in Basel
In den letzten 550 Jahren war Basels Stadtbild in stetem Wandel. Ein Blick auf den 1615 von Matthäus Merian d. Ä. publizierten Vogelschauplan verdeutlicht ganz besonders die Veränderungen in der St.-Johanns-Vorstadt. Diese weist heute neben wichtigen klassizistischen Architekturen auch bedeutende zeitgenössische Bauwerke auf.
4. Januar 2005 - Lutz Windhöfel
Als Matthäus Merian d. Ä. im Jahre 1615 seinen Vogelschauplan der Stadt Basel publizierte, stand dort, wo heute in der St.-Johanns-Vorstadt der Hauptgeschäftssitz der Architekten Herzog & de Meuron liegt, eine imposante Kirche. Direkt daneben verlief das linksrheinische Ende der spätmittelalterlichen Stadtmauer. Hier lag an der Ausfallachse nach Mülhausen, Colmar und Strassburg ein Kontrollpunkt der Stadt. Gleichwohl war es hier ruhig, denn der Personen- und Warenverkehr, den das reiche Basel mit dem Sundgau und dem Burgund, mit Besançon, Lyon und Paris pflegte, wurde am Spalentor abgewickelt. Die St.-Johanns-Vorstadt, die sich fast parallel zum sanften Bogen des Rheins erstreckt, hatte beim Erdbeben 1356 Glück gehabt, blieb sie doch zusammen mit dem Hügel des Münsters und wenigen anderen Strassenzügen nahezu unversehrt. Deshalb sind hier Häuser, deren Existenz sich 700 Jahre zurückverfolgen lässt, keine Seltenheit.
Renaissance und Klassizismus
Als Merians Plan erschien, war das ruhige St.- Johanns-Quartier schon länger ein bevorzugtes Wohngebiet mit guter Verkehrsanbindung und direkter Rheinlage. Heinrich Halbysen, den der bürokratische Papierbedarf des Basler Konzils (1431-1449) zum ersten Papierindustriellen der Stadt machte, kaufte sich 1447 das Haus St.- Johanns-Vorstadt 17. Bald sollte hier Johannes Petri eine Druckerei, eine «Officin», eröffnen. Halbysen, ein international denkender Unternehmer, hatte das Know-how für seine Papierproduktion aus der Lombardei importiert. Das weiter rheinaufwärts gelegene Areal hinter dem St.-Alban-Kloster schätzte er als idealen Standort mit optimaler Energieversorgung ein. Hier kaufte oder baute Halbysen an einem Kanalzufluss eine Mühle nach der anderen. Als Gutenberg 1462 in Mainz den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfand, waren im Basler St.-Alban-Tal rund zehn Papiermühlen in Betrieb, und das Kloster lag bereits in einem frühneuzeitlichen Industriequartier.
Halbysens Privathaus in der St.-Johanns-Vorstadt erlebte in den folgenden Jahrhunderten eine architekturgeschichtliche Karriere: als Einzelbau, aber auch hinsichtlich seiner Nutzung. 1535 gelangte es in den Besitz von Hans Jacob Loss, der mäzenatisch für die Universität wirkte und einen in Conrad Gessners Buch «Horti Germaniae» erwähnten Garten mit Orangen- und Zitronenbäumen anlegte. Unter Loss erhielt das Haus Fresken, die von Hans Holbein d. J. inspiriert waren. Holbein hatte sich 1528 vis-à-vis ein Haus mit Rheinblick gekauft und es mit Fassadenmalereien dekoriert. Im Jahre 1650 kaufte Margaretha von Erlach das ehemalige Halbysen-Haus, das nun «Erlacher Hof» genannt wurde. Diesem liess sein späterer Besitzer Christian von Mechel 1785 eine klassizistische Fassade vorblenden. Der bauliche Eingriff repräsentierte die Harmonielehre Johann Joachim Winckelmanns, den Mechel in Rom besucht hatte und mit dem er über verlegerische und ästhetische Fragen korrespondierte. Mit diesem Umbau war vier Jahre vor Beginn der Französischen Revolution in Basel ein frühes Beispiel des europäischen Klassizismus entstanden.
Christian Mechel, vom österreichischen Kaiser Joseph II. geadelt, gilt als eine der schillerndsten Figuren der an bedeutenden Personen nicht armen Basler Kulturgeschichte. Dabei war er nicht nur ein Fürstendiener, sondern auch ein erfolgreicher Verleger und druckgraphischer Produzent, der Stiche nach berühmten Gemälden herstellen liess und gut verkaufte. Der Kunsthändler und Sammler nahm auch am Geistesleben seiner Heimatstadt regen Anteil. Zu seinen Briefpartnern gehörte unter anderem Johann Bernoulli, der Astronomie in Berlin lehrte und sich rühmend über die permanente Kunstausstellung äusserte, die von Mechel in der St.-Johanns-Vorstadt eingerichtet hatte. Zu dem Kunstpilgern aus Mittel- und Westeuropa gehörten 1779 auch Herzog Carl August von Weimar und sein Geheimer Rat Johann Wolfgang Goethe.
Moderne zwischen alten Mauern
Parallel zur St.-Johanns-Vorstadt liegt in leichter Hanglage die Hebelstrasse. Hier begann 1705 eine neue Zeit für das Quartier am Rhein. Die Hebelstrasse, in der Herzog & de Meuron 1988 mit ihrem Neubau in einem Hinterhof erstmals international auf sich aufmerksam machten, erhielt vor 300 Jahren ein fürstliches Stadthaus durch Friedrich Magnus, Markgraf von Baden-Durlach. Vom Volumen her musste sich das Palais vor vergleichbaren Häusern in den Residenzstädten Europas nicht verstecken. Aber der dreiflüglige Bau war ornamental bereits so entschlackt, dass er die Bürgerhäuser auf der anderen Strassenseite nicht erdrückte. 1895 wurde zwischen dem «Markgräflerhof» (heute Universitätsklinik) und dem «Erlacher Hof» mit einer Textilfabrik ein dritter Grossbau (von Architekt Rudolf Linder) errichtet. In den dreissiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts erhielt das Quartier mit einer neungeschossigen und 180 Meter langen Klinik von Hermann Baur auch noch einen Monumentalbau der modernen Architektur.
Im «Erlacher Hof», dem einstigen Wohnhaus von Heinrich Halbysen und Christian von Mechel, hatte der Architekt Otto Senn 1933 sein Büro eröffnet. Senn, längst ein bedeutender Name der modernen Schweizer Architekturgeschichte, bestimmte seither die Nutzung des Hauses durch Büros und Ateliers. Auf Senns lokale und nationale Bautätigkeit folgten Silvia Gmür und Livio Vacchini, die den beruflichen Fokus auch über die Landesgrenzen lenken und während der letzten 15 Jahre nicht nur Hermann Baurs 1945 bezogenes Kantonsspital äusserst sensibel sanierten, sondern im vergangenen Jahr auch eine neue Frauenklinik an der Spitalstrasse fertigstellten.
Zeitgenössisches Bauen
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts nun ist das Gebiet zwischen dem Kantonsspital und dem Rhein zu einer Art personalem Pool für Bauen und Gestaltung geworden. Christian von Mechels frühindustrieller Bildproduktions- und Verlagsbetrieb wurde im frühen 19. Jahrhundert zu einer Seidenfabrik umgenutzt und um ein Fabrikgebäude und einen Verwaltungstrakt erweitert. 1914, kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges, stellte Hans Bernoulli einen schlanken Anbau in den Hof, der den mittelalterlich-barocken «Erlacher Hof» mit einer Eisen-Stahl-Konstruktion an die Moderne anschloss. Im viergeschossigen Fabrikationsgebäude, das jahrelang leer stand und wo hohe und fast stützenfreie Räume wie bei einem Sandwich aufeinander liegen, sind mittlerweile das ETH-Studio Basel und die Architekturausbildung der FHBB (Fachhochschule beider Basel) eingezogen. Der ehemalige Verwaltungsbau des Textilunternehmens wird von Morger & Degelo gerade zum eigenen Firmensitz umgebaut. Und gleich daneben steht das von einer grünen Glasfassade umhüllte Institut für Spitalpharmazie, mit dem Herzog & de Meuron in den späten neunziger Jahren eine innerstädtische Grossplastik realisierten. Im «Erlacher Hof» selbst, der unter dem aufmerksamen Auge der Denkmalpflege in den letzten Jahren von Rainer und Lislott Senn saniert und leicht umgebaut wurde, sind heute sieben Architekturbüros und drei Graphikbetriebe tätig.
Am Ende der St.-Johanns-Vorstadt, wo 1978 Jacques Herzog und Pierre de Meuron als blutjunge Architekten ein Büro eröffneten, plant und koordiniert man derzeit Bauten in Peking und San Francisco, in Japan, Deutschland und Italien. Aber nun wollen Herzog & de Meuron die eigene Haus-Collage, in der sie heute rund 130 Mitarbeiter beschäftigen, mit einem schlanken Glaskubus an der Rheinuferstrasse akzentuieren. Das neue Basler Haus der Architekturstars soll nur ein paar Meter neben der Stadtmauer aus dem 14. und 15. Jahrhundert zu liegen kommen. Als jüngster architektonischer Akzent der St.-Johanns-Vorstadt wird es die bauliche Dynamik der letzten 550 Jahre in diesem Basler Viertel weiter auf Touren halten.
Renaissance und Klassizismus
Als Merians Plan erschien, war das ruhige St.- Johanns-Quartier schon länger ein bevorzugtes Wohngebiet mit guter Verkehrsanbindung und direkter Rheinlage. Heinrich Halbysen, den der bürokratische Papierbedarf des Basler Konzils (1431-1449) zum ersten Papierindustriellen der Stadt machte, kaufte sich 1447 das Haus St.- Johanns-Vorstadt 17. Bald sollte hier Johannes Petri eine Druckerei, eine «Officin», eröffnen. Halbysen, ein international denkender Unternehmer, hatte das Know-how für seine Papierproduktion aus der Lombardei importiert. Das weiter rheinaufwärts gelegene Areal hinter dem St.-Alban-Kloster schätzte er als idealen Standort mit optimaler Energieversorgung ein. Hier kaufte oder baute Halbysen an einem Kanalzufluss eine Mühle nach der anderen. Als Gutenberg 1462 in Mainz den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfand, waren im Basler St.-Alban-Tal rund zehn Papiermühlen in Betrieb, und das Kloster lag bereits in einem frühneuzeitlichen Industriequartier.
Halbysens Privathaus in der St.-Johanns-Vorstadt erlebte in den folgenden Jahrhunderten eine architekturgeschichtliche Karriere: als Einzelbau, aber auch hinsichtlich seiner Nutzung. 1535 gelangte es in den Besitz von Hans Jacob Loss, der mäzenatisch für die Universität wirkte und einen in Conrad Gessners Buch «Horti Germaniae» erwähnten Garten mit Orangen- und Zitronenbäumen anlegte. Unter Loss erhielt das Haus Fresken, die von Hans Holbein d. J. inspiriert waren. Holbein hatte sich 1528 vis-à-vis ein Haus mit Rheinblick gekauft und es mit Fassadenmalereien dekoriert. Im Jahre 1650 kaufte Margaretha von Erlach das ehemalige Halbysen-Haus, das nun «Erlacher Hof» genannt wurde. Diesem liess sein späterer Besitzer Christian von Mechel 1785 eine klassizistische Fassade vorblenden. Der bauliche Eingriff repräsentierte die Harmonielehre Johann Joachim Winckelmanns, den Mechel in Rom besucht hatte und mit dem er über verlegerische und ästhetische Fragen korrespondierte. Mit diesem Umbau war vier Jahre vor Beginn der Französischen Revolution in Basel ein frühes Beispiel des europäischen Klassizismus entstanden.
Christian Mechel, vom österreichischen Kaiser Joseph II. geadelt, gilt als eine der schillerndsten Figuren der an bedeutenden Personen nicht armen Basler Kulturgeschichte. Dabei war er nicht nur ein Fürstendiener, sondern auch ein erfolgreicher Verleger und druckgraphischer Produzent, der Stiche nach berühmten Gemälden herstellen liess und gut verkaufte. Der Kunsthändler und Sammler nahm auch am Geistesleben seiner Heimatstadt regen Anteil. Zu seinen Briefpartnern gehörte unter anderem Johann Bernoulli, der Astronomie in Berlin lehrte und sich rühmend über die permanente Kunstausstellung äusserte, die von Mechel in der St.-Johanns-Vorstadt eingerichtet hatte. Zu dem Kunstpilgern aus Mittel- und Westeuropa gehörten 1779 auch Herzog Carl August von Weimar und sein Geheimer Rat Johann Wolfgang Goethe.
Moderne zwischen alten Mauern
Parallel zur St.-Johanns-Vorstadt liegt in leichter Hanglage die Hebelstrasse. Hier begann 1705 eine neue Zeit für das Quartier am Rhein. Die Hebelstrasse, in der Herzog & de Meuron 1988 mit ihrem Neubau in einem Hinterhof erstmals international auf sich aufmerksam machten, erhielt vor 300 Jahren ein fürstliches Stadthaus durch Friedrich Magnus, Markgraf von Baden-Durlach. Vom Volumen her musste sich das Palais vor vergleichbaren Häusern in den Residenzstädten Europas nicht verstecken. Aber der dreiflüglige Bau war ornamental bereits so entschlackt, dass er die Bürgerhäuser auf der anderen Strassenseite nicht erdrückte. 1895 wurde zwischen dem «Markgräflerhof» (heute Universitätsklinik) und dem «Erlacher Hof» mit einer Textilfabrik ein dritter Grossbau (von Architekt Rudolf Linder) errichtet. In den dreissiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts erhielt das Quartier mit einer neungeschossigen und 180 Meter langen Klinik von Hermann Baur auch noch einen Monumentalbau der modernen Architektur.
Im «Erlacher Hof», dem einstigen Wohnhaus von Heinrich Halbysen und Christian von Mechel, hatte der Architekt Otto Senn 1933 sein Büro eröffnet. Senn, längst ein bedeutender Name der modernen Schweizer Architekturgeschichte, bestimmte seither die Nutzung des Hauses durch Büros und Ateliers. Auf Senns lokale und nationale Bautätigkeit folgten Silvia Gmür und Livio Vacchini, die den beruflichen Fokus auch über die Landesgrenzen lenken und während der letzten 15 Jahre nicht nur Hermann Baurs 1945 bezogenes Kantonsspital äusserst sensibel sanierten, sondern im vergangenen Jahr auch eine neue Frauenklinik an der Spitalstrasse fertigstellten.
Zeitgenössisches Bauen
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts nun ist das Gebiet zwischen dem Kantonsspital und dem Rhein zu einer Art personalem Pool für Bauen und Gestaltung geworden. Christian von Mechels frühindustrieller Bildproduktions- und Verlagsbetrieb wurde im frühen 19. Jahrhundert zu einer Seidenfabrik umgenutzt und um ein Fabrikgebäude und einen Verwaltungstrakt erweitert. 1914, kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges, stellte Hans Bernoulli einen schlanken Anbau in den Hof, der den mittelalterlich-barocken «Erlacher Hof» mit einer Eisen-Stahl-Konstruktion an die Moderne anschloss. Im viergeschossigen Fabrikationsgebäude, das jahrelang leer stand und wo hohe und fast stützenfreie Räume wie bei einem Sandwich aufeinander liegen, sind mittlerweile das ETH-Studio Basel und die Architekturausbildung der FHBB (Fachhochschule beider Basel) eingezogen. Der ehemalige Verwaltungsbau des Textilunternehmens wird von Morger & Degelo gerade zum eigenen Firmensitz umgebaut. Und gleich daneben steht das von einer grünen Glasfassade umhüllte Institut für Spitalpharmazie, mit dem Herzog & de Meuron in den späten neunziger Jahren eine innerstädtische Grossplastik realisierten. Im «Erlacher Hof» selbst, der unter dem aufmerksamen Auge der Denkmalpflege in den letzten Jahren von Rainer und Lislott Senn saniert und leicht umgebaut wurde, sind heute sieben Architekturbüros und drei Graphikbetriebe tätig.
Am Ende der St.-Johanns-Vorstadt, wo 1978 Jacques Herzog und Pierre de Meuron als blutjunge Architekten ein Büro eröffneten, plant und koordiniert man derzeit Bauten in Peking und San Francisco, in Japan, Deutschland und Italien. Aber nun wollen Herzog & de Meuron die eigene Haus-Collage, in der sie heute rund 130 Mitarbeiter beschäftigen, mit einem schlanken Glaskubus an der Rheinuferstrasse akzentuieren. Das neue Basler Haus der Architekturstars soll nur ein paar Meter neben der Stadtmauer aus dem 14. und 15. Jahrhundert zu liegen kommen. Als jüngster architektonischer Akzent der St.-Johanns-Vorstadt wird es die bauliche Dynamik der letzten 550 Jahre in diesem Basler Viertel weiter auf Touren halten.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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