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Bauen!
Den Nebelwerfern, Claqueuren und dem Starkult zum Trotz: Nur das reale Bauwerk ist Architektur. Die bloße Zeichnung bleibt Projekt. Das Metier braucht mehr als schöne Bilder.
8. Januar 2005 - Walter Zschokke
Eine Überbetonung äußerlich-for malistischer Aspekte, die Ein schränkung auf zweidimensio nale Bilder meist glatter Oberflächen sowie unkritische, sprachlich holperige Lobeshymnen kennzeichnen in jüngster Zeit die mediale Kommunikation von Gebautem. Besonders avanciert sich wähnende Auguren konstatieren einen Trend zu reinen Bildmedien und verabschieden sich vorauseilend von einer sprachlichen Auseinandersetzung mit Architektur. In der Not fachlicher Inkompetenz greifen die Schreiber zu populistischen Metaphern, die bei näherer Analyse des architektonischen Kontextes nicht standhalten. Kürzlich tauchte in einem Bericht über das geplante Stadion in Beijing von Herzog & de Meuron die Bezeichnung „Vogelnest“ auf. Mit seiner strukturell und maßstäblich falschen Metapher demonstriert der Schreiber sein eigenes Unverständnis architektonischer Zusammenhänge.
Mag sein, dass im Bürojargon, vor dem Modell 1:500, solche Übernamen - von mir aus sogar „liebevoll“ - in Gebrauch sind. Für das Raumgefühl im bewusst astatisch wirkenden Tragsystem im Maßstab 1:1 mit seinen mächtigen, sich wild kreuzenden Kastenträgern aus Stahl helfen solche populistischen Anbiederungen nicht weiter; viel schlimmer, sie leiten in die Irre. Denn methodisch Entwerfenden dient ein Modell als Kontrollmedium der Vorstellung des Projekts vor dem inneren Auge in wahrer Größe, andernfalls stolpern sie leicht über die Strukturformel, die besagt, dass ein Großteil der Parameter beim Vergrößern nicht linear, sondern mit der zweiten und dritten Potenz wächst. Es sind daher sprachliche Bilder zu finden, die sich nicht am Modell auf dem Tisch, sondern am realen architektonischen Konzept orientieren
Zwar gilt vordergründig als allgemeiner Konsens, dass Architektur nur in Kenntnis des Originals beurteilbar sei. Die Vernebelungsagenturen des Stararchitektenkults forcieren jedoch das Gegenteil. Indem sie isolierte und geschönte Bilder publizieren, versuchen sie Ansichten bereits vor einem Besuch an Ort und Stelle zu fixieren, eifrig bestrebt, deren unkritische Bestätigung zu provozieren. Und nicht wenige der solcherart gehuldigten Architekten verlieren die Bodenhaftung, schwimmen oben auf der Welle mit und geben unverständliches Geraune von sich, das mit ihren Bauten und Projekten wenig zu tun hat. Dazu ist zu sagen: Nur das real vollendete Bauwerk ist Architektur. Gezeichnetes bleibt Projekt; Geredetes bestenfalls Luftschloss.
Denn Architektur bleibt ein anspruchsvolles Komplexon, das zahlreichen Kriterien unterliegt. Vor 2000 Jahren fixierte der römische Militäringenieur Vitruv in der Hauptquelle unseres theoretischen Wissens über die Architektur der Antike, „Zehn Bücher über Architektur“, drei Kriterien: „firmitas“ (Festigkeit), „utilitas“ (Zweckmäßigkeit) und „venustas“ (Anmut). Zudem äußert er sich bereits zur Notwendigkeit der Kostenkontrolle, da der Architekt mit fremdem Geld baue. Vieles hat sich seither verändert, einiges ist erstaunlich aktuell geblieben. Die Renaissance, durch Leon Battista Alberti eingeleitet, erneuerte die Gültigkeit von Vitruvs Kriterien bis weit ins 18. Jahrhundert.
Mit dem Anbruch des bürgerlichen Zeitalters erhielt die Ökonomie wesentlich mehr Gewicht, und Jean Nicolas Louis Durand formulierte mit seinen Typologien grundrissökonomische Kriterien. Die Verwissenschaftlichung des Denkens und die zunehmenden Verluste an vertrauten Bauwerken im Zuge der Industrialisierung aktualisierten die Geschichte der eigenen Disziplin im Historismus, und mit der Entwicklung einer Theorie der Denkmalpflege durch Georg Dehio und Alois Riegl erhielten die Kriterien zur Wahrung des Kulturerbes eine moderne Grundlage. Gleichzeitig erstarrte jedoch der Historismus im billigem Eklektizismus.
Dennoch bleibt die Architekturgeschichte für das zeitgenössische Bauen eine unabdingbare Wurzel zur kritischen Selbstanalyse. Die wiederkehrenden Bestrebungen, dieses Kriterium zu umgehen oder zu verdrängen, wie dies von selbst ernannten Avantgardisten immer wieder probiert wird, sind ihrerseits zu Historismen verkommen. Denn was wegweisend sein wird, lässt sich bei einer langsamen und per se nachhaltigen Kunst wie der Architektur erst aus zeitlicher Distanz beurteilen. Das Übrige ist Kaffeesatzleserei und Wichtigmacherei.
Die soziale Komponente in der Architektur wird nicht von allen gleich gewertet. Im Interesse gesellschaftlicher Stabilität wird sie jedoch im Städte- und Wohnbau vernünftigerweise ernst genommen. Spät hat die Industrialisierung das Bauwesen erfasst, beflügelt vom Erfolg der Fordschen Fließbandproduktion von Automobilen. Die meisten Architekten verirrten sich jedoch in vordergründigen Formalismen, die oft genug zu Bauschäden führten. Das Kriterium einer optimierten Industrialisierung des Bauens ist jedoch heute unabdingbar. Die Ölkrise von 1973 verschaffte endlich der Energiefrage und der Forderung nach Nachhaltigkeit die nötige Beachtung. Und die Erneuerung historischer Stadtteile führte rasch zur Frage nach der städtebaulichen Angemessenheit der Interventionen. Alle diese Kriterien sind auch heute aktuell. Wenn sie vernachlässigt werden, kommt es zu unnötigen Reibungen im Entwurfs- und Bauprozess. Ihre Bearbeitung im Zuge der planerischen Durcharbeitung ist anpruchsvolles Architektenhandwerk und erfordert qualifizierte Berufsleute. Künstlerische Kompetenz in Bezug auf Konzeptidee, Raumstruktur, Materialwirkungen und Proportionen ist jedoch Voraussetzung.
Aber damit ist das Haus noch nicht gebaut, denn die Umsetzung der Planung in jener Qualität, die den integralen architektonischen Anspruch im späteren Bauwerk sicherstellt, erfordert eine vom Starkult in der Regel unterschlagene intensive Beteiligung von Spezialisten. Es beginnt mit der ingenieurwissenschaftlichen Komponente für das Tragwerk, die Konstruktion und die bauphysikalischen Aspekte. Dazu kommen die Leistungen der Baustoff- und Bauteilindustrie. Vieles wird heute vorgefertigt und auf der Baustelle montiert. Erst heute befinden wir uns dort, wo sich die Pioniere in den 1920er-Jahren hinträumten. Trotzdem bedingt die Bauherstellung weiterhin ein technisch versiertes zeitgenössisches Handwerk. Das „Gewusst-wie“ und eine perfekte Endfertigung sind unverzichtbar, sonst kommt es schwerlich zu Architektur.
Die organisatorisch-technische Komponente für den gesamten Ablauf, die Bauleitung, ist von zentraler Bedeutung. Nicht von ungefähr kooperieren namhafte Architekten immer wieder mit denselben spezialisierten Bauleitungsbüros. Und dabei gibt es auch eine Ästhetik schlanker, wirksamer Baubesprechungs-Protokolle!
In den vergangenen Jahrzehnten ist das Errichten architektonisch qualifizierter Bauwerke immer mehr zu einem extrem anspruchsvollen Prozess mit permanentem Mediationsbedarf geworden. Wohl hat der Architekt in manchen Ländern seine zentrale Rolle zu Gunsten der Architektur wahren können. Das Herunterspielen der Herstellungsproblematik sowie eine formalistisch orientierte Vernebelung durch Claqueure auf der medialen Ebene spalten jedoch die Ansprüche von der Wirklichkeit ab - mittelfristig zu Lasten der Architektur.
Mag sein, dass im Bürojargon, vor dem Modell 1:500, solche Übernamen - von mir aus sogar „liebevoll“ - in Gebrauch sind. Für das Raumgefühl im bewusst astatisch wirkenden Tragsystem im Maßstab 1:1 mit seinen mächtigen, sich wild kreuzenden Kastenträgern aus Stahl helfen solche populistischen Anbiederungen nicht weiter; viel schlimmer, sie leiten in die Irre. Denn methodisch Entwerfenden dient ein Modell als Kontrollmedium der Vorstellung des Projekts vor dem inneren Auge in wahrer Größe, andernfalls stolpern sie leicht über die Strukturformel, die besagt, dass ein Großteil der Parameter beim Vergrößern nicht linear, sondern mit der zweiten und dritten Potenz wächst. Es sind daher sprachliche Bilder zu finden, die sich nicht am Modell auf dem Tisch, sondern am realen architektonischen Konzept orientieren
Zwar gilt vordergründig als allgemeiner Konsens, dass Architektur nur in Kenntnis des Originals beurteilbar sei. Die Vernebelungsagenturen des Stararchitektenkults forcieren jedoch das Gegenteil. Indem sie isolierte und geschönte Bilder publizieren, versuchen sie Ansichten bereits vor einem Besuch an Ort und Stelle zu fixieren, eifrig bestrebt, deren unkritische Bestätigung zu provozieren. Und nicht wenige der solcherart gehuldigten Architekten verlieren die Bodenhaftung, schwimmen oben auf der Welle mit und geben unverständliches Geraune von sich, das mit ihren Bauten und Projekten wenig zu tun hat. Dazu ist zu sagen: Nur das real vollendete Bauwerk ist Architektur. Gezeichnetes bleibt Projekt; Geredetes bestenfalls Luftschloss.
Denn Architektur bleibt ein anspruchsvolles Komplexon, das zahlreichen Kriterien unterliegt. Vor 2000 Jahren fixierte der römische Militäringenieur Vitruv in der Hauptquelle unseres theoretischen Wissens über die Architektur der Antike, „Zehn Bücher über Architektur“, drei Kriterien: „firmitas“ (Festigkeit), „utilitas“ (Zweckmäßigkeit) und „venustas“ (Anmut). Zudem äußert er sich bereits zur Notwendigkeit der Kostenkontrolle, da der Architekt mit fremdem Geld baue. Vieles hat sich seither verändert, einiges ist erstaunlich aktuell geblieben. Die Renaissance, durch Leon Battista Alberti eingeleitet, erneuerte die Gültigkeit von Vitruvs Kriterien bis weit ins 18. Jahrhundert.
Mit dem Anbruch des bürgerlichen Zeitalters erhielt die Ökonomie wesentlich mehr Gewicht, und Jean Nicolas Louis Durand formulierte mit seinen Typologien grundrissökonomische Kriterien. Die Verwissenschaftlichung des Denkens und die zunehmenden Verluste an vertrauten Bauwerken im Zuge der Industrialisierung aktualisierten die Geschichte der eigenen Disziplin im Historismus, und mit der Entwicklung einer Theorie der Denkmalpflege durch Georg Dehio und Alois Riegl erhielten die Kriterien zur Wahrung des Kulturerbes eine moderne Grundlage. Gleichzeitig erstarrte jedoch der Historismus im billigem Eklektizismus.
Dennoch bleibt die Architekturgeschichte für das zeitgenössische Bauen eine unabdingbare Wurzel zur kritischen Selbstanalyse. Die wiederkehrenden Bestrebungen, dieses Kriterium zu umgehen oder zu verdrängen, wie dies von selbst ernannten Avantgardisten immer wieder probiert wird, sind ihrerseits zu Historismen verkommen. Denn was wegweisend sein wird, lässt sich bei einer langsamen und per se nachhaltigen Kunst wie der Architektur erst aus zeitlicher Distanz beurteilen. Das Übrige ist Kaffeesatzleserei und Wichtigmacherei.
Die soziale Komponente in der Architektur wird nicht von allen gleich gewertet. Im Interesse gesellschaftlicher Stabilität wird sie jedoch im Städte- und Wohnbau vernünftigerweise ernst genommen. Spät hat die Industrialisierung das Bauwesen erfasst, beflügelt vom Erfolg der Fordschen Fließbandproduktion von Automobilen. Die meisten Architekten verirrten sich jedoch in vordergründigen Formalismen, die oft genug zu Bauschäden führten. Das Kriterium einer optimierten Industrialisierung des Bauens ist jedoch heute unabdingbar. Die Ölkrise von 1973 verschaffte endlich der Energiefrage und der Forderung nach Nachhaltigkeit die nötige Beachtung. Und die Erneuerung historischer Stadtteile führte rasch zur Frage nach der städtebaulichen Angemessenheit der Interventionen. Alle diese Kriterien sind auch heute aktuell. Wenn sie vernachlässigt werden, kommt es zu unnötigen Reibungen im Entwurfs- und Bauprozess. Ihre Bearbeitung im Zuge der planerischen Durcharbeitung ist anpruchsvolles Architektenhandwerk und erfordert qualifizierte Berufsleute. Künstlerische Kompetenz in Bezug auf Konzeptidee, Raumstruktur, Materialwirkungen und Proportionen ist jedoch Voraussetzung.
Aber damit ist das Haus noch nicht gebaut, denn die Umsetzung der Planung in jener Qualität, die den integralen architektonischen Anspruch im späteren Bauwerk sicherstellt, erfordert eine vom Starkult in der Regel unterschlagene intensive Beteiligung von Spezialisten. Es beginnt mit der ingenieurwissenschaftlichen Komponente für das Tragwerk, die Konstruktion und die bauphysikalischen Aspekte. Dazu kommen die Leistungen der Baustoff- und Bauteilindustrie. Vieles wird heute vorgefertigt und auf der Baustelle montiert. Erst heute befinden wir uns dort, wo sich die Pioniere in den 1920er-Jahren hinträumten. Trotzdem bedingt die Bauherstellung weiterhin ein technisch versiertes zeitgenössisches Handwerk. Das „Gewusst-wie“ und eine perfekte Endfertigung sind unverzichtbar, sonst kommt es schwerlich zu Architektur.
Die organisatorisch-technische Komponente für den gesamten Ablauf, die Bauleitung, ist von zentraler Bedeutung. Nicht von ungefähr kooperieren namhafte Architekten immer wieder mit denselben spezialisierten Bauleitungsbüros. Und dabei gibt es auch eine Ästhetik schlanker, wirksamer Baubesprechungs-Protokolle!
In den vergangenen Jahrzehnten ist das Errichten architektonisch qualifizierter Bauwerke immer mehr zu einem extrem anspruchsvollen Prozess mit permanentem Mediationsbedarf geworden. Wohl hat der Architekt in manchen Ländern seine zentrale Rolle zu Gunsten der Architektur wahren können. Das Herunterspielen der Herstellungsproblematik sowie eine formalistisch orientierte Vernebelung durch Claqueure auf der medialen Ebene spalten jedoch die Ansprüche von der Wirklichkeit ab - mittelfristig zu Lasten der Architektur.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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