Artikel
Von Bramante bis Le Corbusier
Eine Architekturgalerie im Victoria and Albert Museum
29. Januar 2005 - Georges Waser
Ihr Entstehen verdankt die neue, vor kurzem eröffnete Londoner Architecture Gallery sowohl dem Victoria and Albert Museum (V & A), wo sie ihr Domizil hat, als auch dem Royal Institute of British Architects (RIBA). Was in der Galerie zu sehen ist - Pläne, Modelle und bauliche Fragmente - kommt aus den weltweit einzigartigen Sammlungen beider Institutionen und soll nicht nur wie bisher eine Inspirationsquelle für Architekten und Studenten sein, sondern auch einem breiten Publikum die Baukunst näher bringen. Neben der permanenten Schau mit ihren 180 Exponaten steht ein separater Raum für temporäre Ausstellungen zur Verfügung; solche sind dreimal im Jahr vorgesehen. Die erste trägt den Titel «Great Buildings». Wer seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Architektur vertiefen will, dem stehen jetzt im Henry-Cole-Flügel des Museums sogar Studienräume offen. Diese beherbergen nicht nur den gesamten bisherigen Bestand der Architekturarchive des V & A, sondern auch über eine Million Zeichnungen und Manuskripte aus dem Hauptquartier des RIBA.
Verzicht auf Chronologie
Die Galerie mit der Dauerausstellung bietet drei thematische Schwerpunkte; der Rundgang beginnt im Sektor, welcher mit «The Art of Architecture» überschrieben und der Analyse verschiedener Baustile gewidmet ist. Doch Besucher seien gleich gewarnt: Wer nach chronologischen oder geographischen Anhaltspunkten sucht, wird enttäuscht. Was diese Schau zeigen will, sind Ideen und nicht eine strenge Ordnung. So widmet sich «The Art of Architecture» der Entwicklung und Bedeutung verschiedener Stile, indem zum Beispiel die Neugotik der Gotik und der Neoklassizismus dem Altertum gegenübergestellt werden. Am übersichtlichsten - weil einem zumindest hier die Daten zu Hilfe kommen - sind die Exponate, die den «Classical Revival» dokumentieren. Den Anfang macht ein Modell von Bramantes um 1502-1512 in Rom erbautem Tempietto. Dieser dient als Wegweiser bis ins England des 19. Jahrhunderts, wo der neoklassizistische Stil, wie es das Modell von James Bunstone Bunnings 1847 in London entstandenem Coal Exchange verdeutlicht, besonderen Anklang als ein Statussymbol kommerzieller Bauten fand. Schön sind im selben Sektor auch Modelle und Fragmente maurischer und fernöstlicher Architektur. Nur ihre Positionierung zwischen Neoklassizismus und Modernismus, Postmoderne und Hightech irritiert.
Der zweite Sektor soll unter dem Titel «The Function of Buildings» Aufschlüsse darüber vermitteln, wie der Zweck eines Gebäudes dessen Design beeinflusst. Wiederum werden Gegensätze hervorgehoben: So stehen sich zum Beispiel das Modell einer Moschee in Ahamabad, Indien, und dasjenige für Eric Kuhnes Bluewater-Einkaufszentrum in der englischen Grafschaft Kent gegenüber. Dass ein solcher Vergleich dem Laien wenig bringt, veranschaulichen die ratlosen Gesichter der Besucher. Es hätte hier der Erklärung bedurft, dass nicht nur die Funktion der Bauten das Design beeinflusste, sondern ebenso der Umstand, wo, unter welchen kulturellen Voraussetzungen und wann sie entstanden (die Moschee um 1465, das Shopping Centre 1996-99). Richtigerweise empfiehlt das als Begleitband zu der Eröffnung der Galerie herausgegebene Buch «Exploring Architecture» jenem, der vor den Modellen die Funktion eines Gebäudes verstehen will, die Zuhilfenahme eines Grundrisses oder ersten Entwurfs. Doch auch dazu sind, wie es insbesondere die englischen Kirchen erkennen lassen, oft weitere Hinweise erforderlich. Was das Design der vor und nach der Reformation entstandenen Sakralbauten betrifft, gab schon Christopher Wren einen Fingerzeig: Gemäss dem Erbauer der St.-Pauls-Kathedrale hatten katholischen Kirchgängern einst der Weihrauch und das Gemurmel eines Priesters genügt - während in den protestantischen Kirchen ein jeder deutlich sehen und hören wollte, weshalb die Gotteshäuser mehr und mehr wie offene Hallen gebaut wurden.
Im dritten Sektor schliesslich geht es unter dem Stichwort «Architects and Architecture» um den dem Bauen vorangehenden Prozess des Planens. Hier sind denn auch einige der bedeutendsten Zeichnungen aus den Archiven des V & A und des RIBA ausgestellt - Pläne zum Beispiel von Palladio (Villa Pisani, 1539-40), von Vanbrugh (eine frühe Skizze für Castle Howard, 1695) sowie von Frank Lloyd Wright (All-Steel House, 1937), Eric Mendelson (De La Warr Pavilion) und Mies van der Rohe (IIT-Bibliothek, Chicago). Unter den Modellen finden sich Alt und Neu wiederum Seite an Seite; so eine Reproduktion von Brunelleschis Holzmodell für die Laterne der Florentiner Domkuppel neben Daniel Libeskinds Erweiterungsbau für das V & A (den, wie bereits mitgeteilt, der Aufsichtsrat des Museums vor kurzem ablehnte). Dennoch wird in diesem Sektor ein Zusammenhang leichter als zuvor erkennbar, ist doch das Entstehen eines Projekts im Kopf des Architekten schrittweise - von ersten Entwürfen bis hin zum endgültigen Plan und Auftrag an die Bauhandwerker - dokumentiert.
Als vor rund 250 Jahren im Londoner Vorort Richmond die Kew Gardens entstanden, wurden dort inmitten einer üppigen Pflanzenwelt mehrere Tempel im klassischen Stil, eine «Alhambra», eine «Moschee» sowie eine «gotische Kathedrale», gebaut. Diese eklektische Anlage sollte zeigen, dass die unterschiedlichsten Bauten bezüglich Stil und Zweckbestimmung nebeneinander existieren können. Ob dieser Gedanke etwa auch die Auslese in der «Architecture Gallery» des V & A inspirierte?
Ungezügelte Vielfalt
Ebenso eklektisch zusammengestellt wie die Exponate in der Galerie wirken übrigens auch die Arbeiten, die nebenan in der temporären Schau «Great Buildings» gezeigt werden - darunter beispielsweise Christopher Wrens zeichnerische Rekonstruktion des Mausoleums von Halikarnassos, Le Corbusiers 1947 für eine Vorlesung angefertigtes Diagramm seiner Unité d'Habitation in Marseille, Pläne für William Morris' «Red House» in Bexleyheath, ein vermutlich um 1470 von Moritz Ensinger angefertigter Entwurf für den Westturm der Kathedrale von Ulm sowie Souvenir-Modelle des Empire State Building und des Opernhauses von Sydney. Kein Zweifel, die Exponate sowohl in der permanenten als auch der temporären Ausstellung sind sehenswert. Ihren Ambitionen allerdings hätten die Verantwortlichen Zügel anlegen sollen - die Vielfalt, mit der sie die Eröffnung der Architecture Gallery zelebrieren wollten, mutet auf engem Raum zu sehr wie ein Architektur- Schnellkurs an.
[ Die Eröffnungsausstellung «Great Buildings» dauert bis zum 13. Februar. Begleitbuch: Exploring Architecture - Buildings, Meaning and Making. Hrsg. Eleanor Gawne und Michael Snowdin. V & A Publications, London 2004. 192 S., £ 30.-. ]
Verzicht auf Chronologie
Die Galerie mit der Dauerausstellung bietet drei thematische Schwerpunkte; der Rundgang beginnt im Sektor, welcher mit «The Art of Architecture» überschrieben und der Analyse verschiedener Baustile gewidmet ist. Doch Besucher seien gleich gewarnt: Wer nach chronologischen oder geographischen Anhaltspunkten sucht, wird enttäuscht. Was diese Schau zeigen will, sind Ideen und nicht eine strenge Ordnung. So widmet sich «The Art of Architecture» der Entwicklung und Bedeutung verschiedener Stile, indem zum Beispiel die Neugotik der Gotik und der Neoklassizismus dem Altertum gegenübergestellt werden. Am übersichtlichsten - weil einem zumindest hier die Daten zu Hilfe kommen - sind die Exponate, die den «Classical Revival» dokumentieren. Den Anfang macht ein Modell von Bramantes um 1502-1512 in Rom erbautem Tempietto. Dieser dient als Wegweiser bis ins England des 19. Jahrhunderts, wo der neoklassizistische Stil, wie es das Modell von James Bunstone Bunnings 1847 in London entstandenem Coal Exchange verdeutlicht, besonderen Anklang als ein Statussymbol kommerzieller Bauten fand. Schön sind im selben Sektor auch Modelle und Fragmente maurischer und fernöstlicher Architektur. Nur ihre Positionierung zwischen Neoklassizismus und Modernismus, Postmoderne und Hightech irritiert.
Der zweite Sektor soll unter dem Titel «The Function of Buildings» Aufschlüsse darüber vermitteln, wie der Zweck eines Gebäudes dessen Design beeinflusst. Wiederum werden Gegensätze hervorgehoben: So stehen sich zum Beispiel das Modell einer Moschee in Ahamabad, Indien, und dasjenige für Eric Kuhnes Bluewater-Einkaufszentrum in der englischen Grafschaft Kent gegenüber. Dass ein solcher Vergleich dem Laien wenig bringt, veranschaulichen die ratlosen Gesichter der Besucher. Es hätte hier der Erklärung bedurft, dass nicht nur die Funktion der Bauten das Design beeinflusste, sondern ebenso der Umstand, wo, unter welchen kulturellen Voraussetzungen und wann sie entstanden (die Moschee um 1465, das Shopping Centre 1996-99). Richtigerweise empfiehlt das als Begleitband zu der Eröffnung der Galerie herausgegebene Buch «Exploring Architecture» jenem, der vor den Modellen die Funktion eines Gebäudes verstehen will, die Zuhilfenahme eines Grundrisses oder ersten Entwurfs. Doch auch dazu sind, wie es insbesondere die englischen Kirchen erkennen lassen, oft weitere Hinweise erforderlich. Was das Design der vor und nach der Reformation entstandenen Sakralbauten betrifft, gab schon Christopher Wren einen Fingerzeig: Gemäss dem Erbauer der St.-Pauls-Kathedrale hatten katholischen Kirchgängern einst der Weihrauch und das Gemurmel eines Priesters genügt - während in den protestantischen Kirchen ein jeder deutlich sehen und hören wollte, weshalb die Gotteshäuser mehr und mehr wie offene Hallen gebaut wurden.
Im dritten Sektor schliesslich geht es unter dem Stichwort «Architects and Architecture» um den dem Bauen vorangehenden Prozess des Planens. Hier sind denn auch einige der bedeutendsten Zeichnungen aus den Archiven des V & A und des RIBA ausgestellt - Pläne zum Beispiel von Palladio (Villa Pisani, 1539-40), von Vanbrugh (eine frühe Skizze für Castle Howard, 1695) sowie von Frank Lloyd Wright (All-Steel House, 1937), Eric Mendelson (De La Warr Pavilion) und Mies van der Rohe (IIT-Bibliothek, Chicago). Unter den Modellen finden sich Alt und Neu wiederum Seite an Seite; so eine Reproduktion von Brunelleschis Holzmodell für die Laterne der Florentiner Domkuppel neben Daniel Libeskinds Erweiterungsbau für das V & A (den, wie bereits mitgeteilt, der Aufsichtsrat des Museums vor kurzem ablehnte). Dennoch wird in diesem Sektor ein Zusammenhang leichter als zuvor erkennbar, ist doch das Entstehen eines Projekts im Kopf des Architekten schrittweise - von ersten Entwürfen bis hin zum endgültigen Plan und Auftrag an die Bauhandwerker - dokumentiert.
Als vor rund 250 Jahren im Londoner Vorort Richmond die Kew Gardens entstanden, wurden dort inmitten einer üppigen Pflanzenwelt mehrere Tempel im klassischen Stil, eine «Alhambra», eine «Moschee» sowie eine «gotische Kathedrale», gebaut. Diese eklektische Anlage sollte zeigen, dass die unterschiedlichsten Bauten bezüglich Stil und Zweckbestimmung nebeneinander existieren können. Ob dieser Gedanke etwa auch die Auslese in der «Architecture Gallery» des V & A inspirierte?
Ungezügelte Vielfalt
Ebenso eklektisch zusammengestellt wie die Exponate in der Galerie wirken übrigens auch die Arbeiten, die nebenan in der temporären Schau «Great Buildings» gezeigt werden - darunter beispielsweise Christopher Wrens zeichnerische Rekonstruktion des Mausoleums von Halikarnassos, Le Corbusiers 1947 für eine Vorlesung angefertigtes Diagramm seiner Unité d'Habitation in Marseille, Pläne für William Morris' «Red House» in Bexleyheath, ein vermutlich um 1470 von Moritz Ensinger angefertigter Entwurf für den Westturm der Kathedrale von Ulm sowie Souvenir-Modelle des Empire State Building und des Opernhauses von Sydney. Kein Zweifel, die Exponate sowohl in der permanenten als auch der temporären Ausstellung sind sehenswert. Ihren Ambitionen allerdings hätten die Verantwortlichen Zügel anlegen sollen - die Vielfalt, mit der sie die Eröffnung der Architecture Gallery zelebrieren wollten, mutet auf engem Raum zu sehr wie ein Architektur- Schnellkurs an.
[ Die Eröffnungsausstellung «Great Buildings» dauert bis zum 13. Februar. Begleitbuch: Exploring Architecture - Buildings, Meaning and Making. Hrsg. Eleanor Gawne und Michael Snowdin. V & A Publications, London 2004. 192 S., £ 30.-. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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