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Gebaute Schatten der Vergangenheit
Neue Zürcher Zeitung

Das architektonische Erbe des Kommunismus

In Rumänien wird derzeit eine lebhafte Debatte zum Umgang mit dem gebauten Vermächtnis des Kommunismus geführt. Zwei Brennpunkte haben dabei jüngst die Gemüter erregt: der Carol-Park mit seiner leerstehenden Grabstätte für die Helden des Sozialismus sowie der Ceausescu-Palast als neuer Sitz des Parlaments.

4. Februar 2005 - Martino Stierli
Die Zeiten, da Bukarest sich «Paris des Ostens» nennen konnte, sind längst vorbei. So ist es weniger das bunte städtische Treiben auf eleganten Boulevards der Jahrhundertwende, das unsere Vorstellung von der rumänischen Kapitale heute prägt, als vielmehr ein Gebäude, das den Bewohnern Bukarests vor nicht allzu langer Zeit Inbegriff für Unterdrückung und Staatsterror schlechthin war: Es handelt sich dabei um das gigantische «Haus des Volkes», das Ceausescu in den achtziger Jahren unter enormen Aufwendungen erbauen liess und das heute als einer der weltweit grössten Profanbauten überhaupt gilt. Es mag die schiere Grösse sein, die den südlich des Zentrums sich erhebenden Koloss im neostalinistischen Gewand zu einer der gefragtesten Tourismusattraktionen der Stadt hat werden lassen, ja zu ihrem eigentlichen Emblem.

Architektur und Identität

Die Faszination der Touristen ist das eine, die Haltung der Bukarester das andere. Im Unterschied zur Intelligenzia des Landes scheint die Bevölkerung den Palast nicht nur lieb gewonnen, sondern ihn zum identitätsstiftenden Objekt erhoben zu haben. Vergessen sind die entbehrungsreichen achtziger Jahre, als erhebliche Teile des Bruttoinlandprodukts dem Bau zuflossen und Zwangsarbeit an der Tagesordnung war. Und vergessen scheint auch die noch immer sichtbare Wunde, die das Unternehmen in den Stadtorganismus riss. Gut ein Fünftel der Innenstadt hatte damals dem Grössenwahn des Diktators weichen müssen; 40 000 Menschen wurden in Retortensiedlungen am Stadtrand umgesiedelt. Dass ausgerechnet dieses Bauwerk nun als «Parlamentspalast» das neue, demokratische Rumänien verkörpern soll, erscheint als eine Ironie der Geschichte.

Die erstaunliche Ausblendung der politischen Dimension von Architektur und ihrer Instrumentalisierung durch Ceausescu zeigt sich deutlich in der Debatte um die Nutzung des Palastes, der ursprünglich als repräsentativer Regierungssitz vorgesehen war. Kurz nach dem Sturz des «Genius der Karpaten» hatte zunächst ein Wettbewerb eine Reihe utopischer Projekte hervorgebracht, die auf das Problem hinwiesen, dass sich der Bau angesichts seiner semantischen Überlagerungen vermutlich gar nicht ohne weiteres würde umnutzen lassen. Schnell ging man indes zur Tagesordnung über. Nach dem Einzug eines Kongresszentrums, das seit längerem zu den horrenden Unterhaltskosten des unvollendeten Baus beiträgt, kamen im Jahr 2000 das Abgeordnetenhaus und im vergangenen Jahr auch noch der Senat des nationalen Parlaments dazu.

Die heikle Frage der Transformation eines Bauwerks des Totalitarismus zum architektonischen Platzhalter des jungen demokratischen Staats wird wohl von einer späteren Generation aufgegriffen werden müssen. Pikant ist nicht zuletzt, dass die für den Senat notwendigen Um- und Ausbauarbeiten von Anca Petrescu ausgeführt wurden, der ehemaligen Chefarchitektin Ceausescus, die damit unbehelligt an ihrem Lebenswerk weiterbauen kann. Gnädiger stimmte da vor kurzem die Eröffnung eines Museums für Gegenwartskunst im rückwärtigen Teil des Hauses (NZZ 4. 12. 04). Der Architekt Adrian Spirescu kontrastierte den neobarocken Prunk mit einer zurückhaltenden, modernistischen Formensprache und handelte sich so prompt die Kritik Petrescus und ihrer Parteigänger ein. Als Handicap für den Museumsbetrieb könnte sich erweisen, dass der Palast, vom städtischen Leben durch weite Brachen abgetrennt, ein ziemlich isoliertes Dasein fristet.

Ein Mausoleum ohne Helden

Fragen zum Umgang mit dem architektonischen Erbe der jüngeren Vergangenheit stellen sich in Bukarest derzeit auch an anderen Objekten. Eine lebhafte Debatte entspann sich jüngst um den «Parcul Carol», wo sich in fast exemplarischer Weise die für Bukarest so typische Überlagerung von historischen Schichten beobachten lässt. Der Park wurde 1906, anlässlich der 40-jährigen Regentschaft des ersten Königs der Rumänen, vom französischen Landschaftsarchitekten Edouard Redont als Gelände für eine Landesausstellung konzipiert. Er verstand sich einerseits als Gegenstück zur traditionell wenig kompakten, dem orientalischen Muster verpflichteten Stadtstruktur und damit als Bekenntnis zu deren «Europäisierung». Andrerseits bestand er aus einer romantischen Collage von landschaftsgestalterischen Elementen wie Alleen, See und Hügel sowie von Beispielen rumänischer Architektur, die durch gewundene Wege miteinander verbunden waren.

Die kommunistischen Repräsentationsansprüche führten dann zu einer bedeutenden Umgestaltung des beliebten Naherholungsgebiets, errichteten die Architekten Horia Maicu und Nicolae Cucu hier doch Anfang der sechziger Jahre ein Denkmal für die Helden des Sozialismus, das gleichzeitig als Mausoleum für die Spitzenfunktionäre der Partei und als Wahrzeichen diente. Damals wurde vom Parkeingang her eine monumentale Achse mit Treppenabschluss durch die Anlage gelegt, was ihren Charakter nachhaltig veränderte. Zwar wurden Symmetrie und Monumentalität als Leitprinzipien des bereits überwundenen Stalinismus beibehalten; architektonisch aber artikuliert sich das Denkmal durch formale Reduktion im Sinne eines modernisierten Klassizismus. Nach dem Sturz des Regimes wurden die Gebeine der kommunistischen Machthaber entfernt, womit das Denkmal seinen ursprünglichen Daseinszweck verlor.

Ausgerechnet an diesem historisch neuralgischen Punkt, der sich als Ort zur Reflexion der jüngeren Geschichte (etwa in Form eines Museums) geradezu anböte, möchte nun die rumänisch-orthodoxe Kirche eine riesige «Kathedrale des Volkes» errichten. Kritik erwuchs diesem Projekt nicht nur aufgrund seiner eindeutig nationalistischen Ideologie. Anstoss erregte auch der Umstand, dass das Vorhaben mit dem bestehenden Park in bekannt unzimperlicher Weise umzuspringen gedenkt. Nicht zuletzt wurde dem Bukarester Patriarchen seine Unterstützung des Projekts zum Vorwurf gemacht, nachdem er einst die Zerstörung zahlreicher künstlerisch wertvoller Kirchen im Zeichen des gigantomanischen Stadtumbaus unter Ceausescu widerspruchslos hingenommen hatte. Erst als die Vorarbeiten zum Abbruch des Denkmals im Park - notabene ohne Konsultierung der Denkmalkommission - bereits begonnen hatten, verfügte der Bürgermeister der Stadt, der inzwischen als Vertreter der Opposition zum Staatspräsidenten gewählt worden ist, vorerst einen Baustopp.

Gleichwohl sind der Fortbestand von Park und Denkmal und die Möglichkeit zur Schaffung eines zentralen Orts der Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit noch keineswegs gesichert, verfügt die Kirche in der Bevölkerung doch über grossen Rückhalt. Immerhin aber ist die gegenwärtige Denkpause dem beherzten Widerspruch der Mehrheit der Einwohner der Hauptstadt, den Intellektuellenkreisen und der Presse zu verdanken. Die Reife der heranwachsenden Zivilgesellschaft wird sich nicht zuletzt an ihrer Fähigkeit ermessen lassen, die Vergangenheit als Element der eigenen Identität zu akzeptieren, statt sie hinter leeren Gesten der (nationalen) Repräsentation zu verstecken.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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