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Provinzkleinode
Neue Zürcher Zeitung

Das junge katalanische Architektenteam Aranda Pigem Vilalta

Fern der Metropolen, in und um Olot, die kleine Pyrenäenstadt, sind drei junge Architekten im Begriff, ein ebenso exquisites wie naturbezogenes Werk zu schaffen. Mit Regionalismus hat das wenig zu tun - eher liegt über den neuerdings sogar in Japan beachteten Bauten der Büros Aranda Pigem Vilalta ein Hauch von Zen.

4. März 2005 - Markus Jakob
Das Haus für eine Coiffeuse und einen Schmied liegt etwas ausserhalb von Olot, einer Kleinstadt hundertzwanzig Kilometer nördlich von Barcelona. Die abgesenkte Eingangspartie wird von einer weissen Box überbrückt. Sie fasst einen beidseits auskragenden Stahlrahmen, aus dem die grossen Aussichtsfenster wie Augen in die Landschaft spähen. Das Haus wirkt abstrakt, doch zugleich animalisch - eine fremde Erscheinung in diesem banalen Vorort. Im unteren Geschoss betreibt die Coiffeuse ihren Salon: Er ist Teil einer intakten Provinzwelt - indessen auf einem architektonischen Niveau, das heute scharenweise Studenten aus Holland oder japanische Architekten in die Garrotxa lockt, wie die von Vulkankegeln geprägte Landschaft rund um Olot heisst. Hier, wo sie aufgewachsen sind, gründeten Rafael Aranda, Carme Pigem und Ramon Vilalta 1988 ihr Büro, und die unmittelbare Umgebung ist bis heute das Zentrum ihres Schaffens. Tupfer um Tupfer haben sie dieses Land mit exquisiten, meist kleinen Bauwerken bereichert: sechs oder sieben Wohnhäusern, aber auch Pavillons und Anlagen, die als «angewandte Land Art» bezeichnet werden könnten.

Spannung aus Vereinfachung

Das Büro der Architekten liegt im Zentrum von Olot an einer Rambla, deren Neugestaltung sie gegenwärtig planen. Topographische, ja erdgeschichtliche Gegebenheiten sind das Substrat dieses Projekts. Die Promenade am Fuss eines Vulkankegels wird jene Lavaströme evozieren, die sich hier einst ergossen. Dunkel, ondulierend und mit einem Minimum an Möblierung, könnte sie dereinst zum Wahrzeichen der mit herausragenden Bauwerken sonst wenig gesegneten Stadt werden. Eine Art Osmose von Stadt und (gestalteter) Natur ist ein zentraler Strang im Werk von Aranda Pigem Vilalta. Während die künftige Rambla die Erinnerung an eine Urlandschaft in die Stadt hineinträgt, erfolgten andere Interventionen in weitläufigen Auen am Stadtrand, die zwar von Bebauungen umzingelt, selbst jedoch unberührt geblieben sind. Ein kleiner Badepavillon am Ufer des Fluvia erscheint selbst wie ein Naturereignis, ebenso monumental wie karg. Zu erkennen sind kaum mehr als die schmalen Streifen von Dach und Sockel. Der Raum dazwischen wird durch vier unscheinbare Baukörper gegliedert, das Ganze wie der Fluss eine leichte Biegung beschreibend. Mit dem geologischen Begriff der exfoliación oder Abblätterung erklären die Architekten ihren Umgang mit Materialien; was gerade im Fall des für Bauten «im Grünen» bevorzugten Cortenstahls recht sinnfällig ist.

Dasselbe Material findet Verwendung auch im nahen Stadion Tussols-Basil, wobei das Wort Stadion vielleicht Verwirrung stiftet. Es ist eine Leichtathletikanlage, in die Lichtung eines Eichenwalds komponiert. Drei geschwungene Reihen von Steinbänken bilden die Zuschauerränge. Dazu kommen einzelne Sitze, gleichsam Hochstände an ausgewählten Stellen im Gehölz. Enigmatisch wirkt die Anlage erst recht durch die Baumgruppen, die innerhalb der Aschenbahn stehen blieben. Die Verschränkung von Natur und Menschenwerk erreicht hier eine seltene Vollkommenheit, gerade auch in einem kleinen Pavillon, an dem sich der Einfluss eines Donald Judd oder Richard Serra erweist. Es ist eines der besten Beispiele dafür, wie skulpturale Spannung durch extreme Vereinfachung geschaffen werden kann.

Die jüngste Arbeit dieser Art - etwas weiter südlich an der einstigen Bahnlinie zur Costa Brava, die in einen fast hundert Kilometer langen Spazierweg verwandelt wurde - ist der Parc de la Pedra Tosca, zu deutsch: des rohen Steins. Es handelt sich um den Eingang zu einem Lehrpfad, der den vulkanischen Ursprung und die nachmalige landwirtschaftliche Nutzung dieser Gegend anschaulich macht. Aranda Pigem Vilalta haben eine künstliche Landschaft aus Gesteinstrümmern geschaffen, die von teils enger, teils breiter gefächerten Stahlpaneelen zurückgehalten werden und so Gassen frei lassen, die zum eigentlichen Pfad führen: instruktiv einerseits, vor allem aber wieder: geheimnisvoll.

Zu den weniger extravaganten Aufträgen für die Öffentlichkeit gehören die Rechtsfakultät der Universität Girona und ein Schulhaus in Sant Feliu de Guíxols. Der äusserlich hermetisch wirkende Fakultätsbau brilliert mit einer raffinierten Lichtführung bis in die Untergeschosse, wie sie auch viele Einfamilienhäuser dieser Architekten auszeichnet. Die Sekundarschule in dem Küstenort hingegen zelebriert, darin den Pavillonbauten verwandt, die Horizontale. Die Grundzüge der Kunst von Aranda Pigem Vilalta sind, so spezifisch dann die Detailarbeit ist, stets dieselben: Ein dem Terrain genau angepasster Perimeter bildet eine Art Chassis, über dem die meist niedrige, horizontale Dachlinie schwebt. Mehr als minimalistisch wirken die so entstehenden Räume - auch bei diesem Schulhaus - und scheinen nachgerade wie geschaffen für Zenmeditationen.

Klappen, Bänder, Riegel

Jedes der Einfamilienhäuser in den Aussenbezirken von Olot ist eine Welt für sich. Gewisse Motive kehren indessen in neuer Form oder Funktion verschiedenenorts wieder, so etwa die transluziden Fensterklappen und andere Arten von Filtern. Die gekrümmten, wie Stoffbänder wirkenden Stahllamellen, die die Wände im Restaurant Les Cols verkleiden, werden in der Casa Horizonte zu Sichtschutz- und Brise-soleil- Elementen abgewandelt. Dieses noch im Bau befindliche Einfamilienhaus, in elf Bändern angelegt, wächst in ebenso vielen vertikalen, frontal verglasten Stahlriegeln aus einer Böschung heraus, an die strenge Schönheit gewisser militärischer Anlagen erinnernd, und treibt die Zelebration der Aussicht auf einen neuen Höhepunkt.

Der Horizont kann aber auch der Himmel sein. Er ist es bei den noch unvollendeten Pavillons, fünf an der Zahl, die an das Restaurant Les Cols in Olot angrenzen. Hier bildet eine wiederum bandförmige Struktur aus transluziden Lamellen gläserne Gassen, die in durch Oberlichter gleichfalls mit dem Himmel kommunizierende Gästezimmer übergehen. Sicher eines der seltsamsten Hotels, die je gebaut worden sind, so wie auch die Casa Horizonte als architektonischer Husarenstreich gelten kann.

Im Gespräch mit Rafael Aranda im ebenfalls von Aranda Pigem Vilalta umgebauten Restaurant Les Cols meinte er auf die Frage nach Einflüssen durch andere Architekten: Er habe gerade Ferien in der Dordogne verbracht, «um die Höhlenmalereien dort zu studieren». Wir sassen in dem goldlackierten Bankettsaal: golden der zwanzig Meter lange Tisch, golden die Stühle und Wände. An beiden Saalenden filtert sich das Licht aus den Gärten: eine zeitlos phantastische Schatulle, in ein altes katalanisches Bauernhaus gefügt. Dieses Restaurant wäre in London oder New York zweifellos eine Sensation. Doch die Architekten scheuen sich, ihr Wirkungsgebiet auszuweiten. In Planung sind nun zwar auch einige Bauten in Barcelona und andern spanischen Städten; Einladungen zu Wettbewerben im Ausland werden aber nur nach sorgfältiger Abwägung angenommen. Wer die Kleinode von Aranda Pigem Vilalta sehen will, muss vorläufig den Weg in die Garrotxa auf sich nehmen.

Literatur: RCR Aranda Pigem Vilalta. Between Abstraction and Nature. Editorial Gustavo Gili, Barcelona 2004. 320 S., Fr. 128.-. Das Werk der Architekten wird auch in zwei Ausgaben von «El Croquis» (96/97 und 115/116) vorgestellt.

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