Artikel

Die Poetik eines Thermoputzvorsprungs
Der Standard

Der „Spiegel“ zählte sie zu den Neuen Romantikern: Die Architekten Hild & K. aus München sind auf der Suche nach einer verfeinerten Alltäglichkeit. Am 1. April hält Andreas Hild einen Vortrag in Wien.

26. März 2005 - Oliver Elser
Venedig, Architekturbiennale, im September des vergangenen Jahres: Nach langen Jahren der Ödnis und Langeweile ist den Deutschen in ihrem Länderpavillon eine Überraschung gelungen. Durch die klassisch-strengen Räume ringelt sich eine Fototapete, die die deutsche Realität, von der Dönerbude bis zum Tagebau, geschickt mit vierzig neueren Architekturprojekten durchsetzt. Das Ganze ist nicht nur grafisch beeindruckend und eine mutige Kuratorenentscheidung (verantwortlich: Francesca Ferguson) gegen das unter Architekten so verbreitete Bedürfnis, die eigene Arbeit auf einen eigenen Sockel gesetzt zu bekommen.

In der Schwierigkeit, viele der Neubauten aus der Menge des abgebildeten Siedlungsbreis überhaupt herauspicken zu können, steckte sogar der Hauch einer neuen Tendenz, die Morgenröte einer möglichen neuen Richtung, die ein bestimmter Teil der deutschen Architektur ganz unmerklich eingeschlagen hatte und die nun in Venedig zum ersten Mal präsentiert wurde: weniger architektonischer Protz, mehr Zuneigung zur Normalität, zum Hässlichen, zur dezenten Veredelung von Satteldach und Vollwärmeschutz.

Das wohl am schwersten als „Architektur“ zu erkennende Bauwerk auf der Fototapete war ein Parkhaus und stammte von Andreas Hild. Wer dem Architekten in Venedig über den Weg lief, musste den Eindruck bekommen, er sei so etwas wie der Pate der neuen, interessanten Strömung in der sonst so seichten deutschen Architektur. Hild ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, die Arbeit der Kollegen aufs Korn zu nehmen und zu sortieren, wer denn nun eigentlich zu Recht dabei ist und wer nicht.

Sein Parkhaus ist ohne Zweifel ein Prototyp für eine Architektur auf den zweiten Blick. Es steht in der Messestadt Riem, einer Retortensiedlung auf dem Gelände des ehemaligen Münchner Flughafens. Die Wohnbauten ringsum, meist lange Zeilen mit drei bis fünf Geschoßen, sehen aus, als habe die Bauindustrie einfach alles, was an Katalogdetails vorrätig ist, einmal ausprobieren wollen. Hild stört das nicht: „Riem wird boomen, ganz sicher. Den Leuten ist doch die Architektur egal, solange ein Park in der Nähe ist und die Grundrisse nicht allzu mies sind.“ Die drei Bauten, die sein Büro in Riem bisher errichten konnte, neben dem Parkhaus noch das angrenzende Bauzentrum der Stadt München sowie ein Wohnbau, treten im großen Formengeplänkel als spröde Verweigerer auf.

Aber Hild ist kein Minimalist, der sich nach möglichst kistiger Einfachheit sehnt. Prägend für ihn waren die Studienjahre bei Miroslav Sik an der Eidgenössichen Technischen Hochschule in Zürich. Hild zählte dort zum schwarz gekleideten Kreis, der mit spitzen Schnallenschuhen Tag und Nacht mit dem Meister unterwegs war, um die „Analoge Architektur“ aus der Taufe zu heben. Mitte der Achtzigerjahre entstanden in Siks Umfeld riesige, altmeisterlich mit Kreide kolorierte Perspektivzeichnungen von beunruhigenden Vorstadtszenarien, in die die Studenten ihre Entwürfe hineinsetzten. „Analog“ bedeutete, dass versucht wurde, die Brüche in der Architektur des 20. Jahrhunderts zu kitten und Verdrängtes freizulegen. Viel monumentales Pathos kam dabei zutage, aber auch ein Interesse an längst abgelegten Ornamenten und Mustern.

Als Hild sich Anfang der Neunzigerjahre zusammen mit Tillmann Kaltwasser selbstständig machte, wurden sie bereits nach ein, zwei Bauten als Geheimtipp gehandelt. Aus Hild & Kaltwasser wurde durch den tragischen Tod des Partners dann später Hild & K.

Das Büro zählt zu den wenigen, die zwar für eine Haltung bekannt sind, sich aber nicht auf eine typische „Handschrift“ festlegen lassen. Weil sie in Berlin die verlorenen Stuckverzierungen als flache Grafik in die Fassade eines Gründerzeithauses einritzen ließen oder eine Bushaltestelle mit computergefrästem Blumenmuster entwarfen, rangierte sie der Spiegel vor einigen Monaten unter die Neuen Romantiker in der Kunst. Aber sie können auch anders. Das Münchner Bauzentrum etwa ist ein knochentrockener Betonbau, in dem die Romantik nur in der fast klassizistischen Detaillierung des tragenden Skeletts zum Vorschein kommt. „Etwas für Feinschmecker“, sagt der Architekt mehr als einmal bei der Tour, die zu einigen seiner Bauten in München führt.

Nur für Feinschmecker ist auch ein Laborgebäude, das jüngst fertig gestellt wurde. Aus Kostengründen wurden die unterschiedlichen, von Geschoß zu Geschoß variierenden Funktionen hinter eine stur durchlaufende Fassade mit nur zwei Fenstergrößen gepackt. Der einzige gestalterische Luxus besteht aus einer farbigen Lasur, die den Fensterraster aufnimmt und eine Art Stoffmuster à la Burberry über den Bau legt. Sehr zurückhaltend, bei Sonnenschein ist es fast nicht zu sehen. Aber stärkere Farben, erklärt Hild, hätten zur Folge, dass der glatte Putz sich unterschiedlich aufheizt und reißt. „Sind doch alle schon kaputt, diese schwarzen Putzbauten bei euch da in Österreich.“ Er hingegen sei überzeugt, dass Architektur nicht nur mit dem Kopf durch die Wand, sondern auch auf einem intelligent affirmativen Weg machbar sei: „Plastikfenster, hohl klingender Plastikverputz, das hat doch auch alles ein poetisches Potenzial.“

Das mag sich vielleicht akademisch anhören, aber Hild ist Praktiker. Er weiß, wie Gebäude funktionieren. Im Inneren des Laborgebäudes sind die Farben daher um einiges kräftiger. Der Rhythmus von Schwarz und Grau ist so stark, dass die übliche Unordnung eines Universitätsverwaltungsflurs mit all den Aushängen und Zimmerpflanzen vollständig geschluckt wird.

Hier zeigt sich, dass Hild eigentlich ein eher barocker Charakter ist, der sich nur damit abgefunden hat, dass heutige Bauaufgaben in den seltensten Fällen die Möglichkeit bieten, im Überfluss zu schwelgen. Schon gar nicht in Deutschland.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: