Artikel
Chalet und Schweizer Kiste
Modernität und Nostalgie in der Schweizer Baukultur
29. März 2005 - Martino Stierli
Unter dem augenzwinkernden Titel «Nicht Disneyland» hat der Zürcher Kunsthistoriker Stanislaus von Moos ein neues Buch zur jüngeren Schweizer Architektur- und Kunstgeschichte vorgelegt. Wenn so suggestiv eine Verneinung an den Anfang des Titels gestellt ist, liegt der Verdacht nicht fern, dass die hier angestellten Betrachtungen mit dem angesprochenen Sachverhalt mehr teilen, als den Protagonisten des Buches vielleicht lieb ist. Und in der Tat beobachtet von Moos in seinen einleitenden Überlegungen zur Schweizer Kulturlandschaft zwei einander widersprechende Phänomene: eine «puritanische Verhärtung im Ästhetischen», die jedoch durch eine «hedonistische Entkrampfung im Kulturpolitischen» zusehends unterwandert werde. Entsprechend ist der Ansatz des Autors von einem Misstrauen gegenüber dem vorgeblich Authentischen in Architektur und Stadtgestaltung geprägt, auf das sich der «gehobene ästhetische Mainstream» als Bannerträger im Dienste des guten Geschmacks mit Vorliebe beruft.
Landesausstellungen und Städtebau
Das Buch «Nicht Disneyland», in seiner Gestaltung vielleicht ein bisschen gar gesucht unprätentiös, vereint neben einer programmatischen Standortbestimmung zehn Aufsätze, die zwischen 1993 und der Gegenwart entstanden sind. In ihrer Gesamtheit bilden die Essays ein Panoptikum zur jüngeren Schweizer Architektur- und Kulturgeschichte, wobei der zeitliche Rahmen durch zwei für die Identitätsstiftung des Landes bedeutende Grossereignisse abgesteckt wird - die Landi 1939 am einen Ende sowie die Expo 02 am anderen. Diese Events eignen sich vorzüglich zur Illustration der These, die sich lose durch die gesamte Argumentation zieht: dass nämlich - gerade in der Schweiz - Architektur und Stadtgestaltung seit etwa der Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend der Logik der Ausstellung folgten; dass mithin beide einem ästhetischen Diskurs unterliegen, womit freilich die politische und ökonomische Dimension von Architektur zusehends aus dem Blick gerät.
Die Gesamtschau zielt dabei nicht auf eine umfassende lineare historische Darstellung ab, sondern entwirft anhand ausgewählter Tiefenbohrungen ein präzises und mitunter überraschendes Bild schweizerischer kultureller Befindlichkeit. Die Untersuchungen werden gelenkt von einem Interesse an den Kreuzbestäubungen nicht nur zwischen den Gattungen Kunst, Architektur und Design, sondern auch zwischen den Polen der Hochkunst und der Massenkultur (sofern es diese überhaupt noch gibt); ein Denkansatz, der einem bereits aus früheren Publikationen von von Moos bestens vertraut ist. Dabei ist die Operation motiviert durch eine Neugier an soziologischen und kulturgeschichtlichen Zusammenhängen, die einer «gewissen Ungeduld mit einer vor allem beschreibenden, inventarisierenden oder abgehoben theoretisierenden Kunsthistorie» entspringt.
Die ersten beiden Aufsätze des Bandes befassen sich mit allgemeinen Überlegungen zur Thematik und verstehen sich als theoretische Grundlegung. Während in einem dieser Beiträge die historische Dimension der Karnevalisierung des Urbanen bis etwa zu den «sacri monti» der Gegenreformation zurückverfolgt wird, stellt von Moos im anderen im Hinblick auf die schweizerische kulturelle Identität das schizophrene Nebeneinander von Nostalgie und Modernität fest. Und kommt dabei zum Schluss, dass das Chalet als Prototyp nationalromantischen Schwelgens und die in den neunziger Jahren zum Exportschlager avancierten minimalistischen «Swiss Boxes» vielleicht gar keine sich ausschliessenden Erscheinungen sind, sondern die Kehrseiten ein und derselben Medaille. In den weiteren Essays werden sodann exemplarische Einzelbetrachtungen angestellt, wobei der Fokus nun spezifisch auf die Schweiz gerichtet ist. So zeigt von Moos an den Beispielen von Luzern und der Unterschutzstellung der Burganlagen von Bellinzona durch die Unesco den Zusammenhang zwischen der Ökonomie des Massentourismus und der Kultur des Spektakels auf.
Unterhaltsam und subversiv
Des Weiteren werden zwei für die kulturelle Schweiz zentrale Figuren aufs Korn genommen: der von der Kunstgeschichte seit Jahrzehnten totgeschwiegene Hans Erni sowie Max Bill, dessen Projekt einer «konstruktiven Schweiz» gewissermassen im Gegenzug eine Adelung zur offiziellen Staatskunst erfuhr. Aber auch Figuren und Ereignisse aus der jüngeren Vergangenheit rücken in den Blickpunkt der Betrachtungen, so das Duo Fischli/Weiss und Pipilotti Rist in ihrer Funktion als künstlerische Direktorin der Expo 02 bei den Künstlern sowie Mario Botta und Herzog & de Meuron bei den Architekten. All das wird in einem sprachlichen Duktus vorgeführt, der nicht nur anregend und erhellend, sondern unterhaltsam und bisweilen subversiv zugleich ist. Die Beiträge verbinden ein scharfsinniges Nachdenken über Phänomene, die nur allzu gerne unter den Teppich gekehrt werden, mit essayistischer Verve. Wem die Schweiz und das Schicksal des Projekts der Moderne hierzulande am Herzen liegt, der wird in dem Band in mehrfacher Hinsicht lesenswerte Beiträge finden.
[ Stanislaus von Moos: Nicht Disneyland. Und andere Aufsätze über Modernität und Nostalgie. Verlag Scheidegger & Spiess. Zürich 2004. 236 S., Fr. 48.-. ]
Landesausstellungen und Städtebau
Das Buch «Nicht Disneyland», in seiner Gestaltung vielleicht ein bisschen gar gesucht unprätentiös, vereint neben einer programmatischen Standortbestimmung zehn Aufsätze, die zwischen 1993 und der Gegenwart entstanden sind. In ihrer Gesamtheit bilden die Essays ein Panoptikum zur jüngeren Schweizer Architektur- und Kulturgeschichte, wobei der zeitliche Rahmen durch zwei für die Identitätsstiftung des Landes bedeutende Grossereignisse abgesteckt wird - die Landi 1939 am einen Ende sowie die Expo 02 am anderen. Diese Events eignen sich vorzüglich zur Illustration der These, die sich lose durch die gesamte Argumentation zieht: dass nämlich - gerade in der Schweiz - Architektur und Stadtgestaltung seit etwa der Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend der Logik der Ausstellung folgten; dass mithin beide einem ästhetischen Diskurs unterliegen, womit freilich die politische und ökonomische Dimension von Architektur zusehends aus dem Blick gerät.
Die Gesamtschau zielt dabei nicht auf eine umfassende lineare historische Darstellung ab, sondern entwirft anhand ausgewählter Tiefenbohrungen ein präzises und mitunter überraschendes Bild schweizerischer kultureller Befindlichkeit. Die Untersuchungen werden gelenkt von einem Interesse an den Kreuzbestäubungen nicht nur zwischen den Gattungen Kunst, Architektur und Design, sondern auch zwischen den Polen der Hochkunst und der Massenkultur (sofern es diese überhaupt noch gibt); ein Denkansatz, der einem bereits aus früheren Publikationen von von Moos bestens vertraut ist. Dabei ist die Operation motiviert durch eine Neugier an soziologischen und kulturgeschichtlichen Zusammenhängen, die einer «gewissen Ungeduld mit einer vor allem beschreibenden, inventarisierenden oder abgehoben theoretisierenden Kunsthistorie» entspringt.
Die ersten beiden Aufsätze des Bandes befassen sich mit allgemeinen Überlegungen zur Thematik und verstehen sich als theoretische Grundlegung. Während in einem dieser Beiträge die historische Dimension der Karnevalisierung des Urbanen bis etwa zu den «sacri monti» der Gegenreformation zurückverfolgt wird, stellt von Moos im anderen im Hinblick auf die schweizerische kulturelle Identität das schizophrene Nebeneinander von Nostalgie und Modernität fest. Und kommt dabei zum Schluss, dass das Chalet als Prototyp nationalromantischen Schwelgens und die in den neunziger Jahren zum Exportschlager avancierten minimalistischen «Swiss Boxes» vielleicht gar keine sich ausschliessenden Erscheinungen sind, sondern die Kehrseiten ein und derselben Medaille. In den weiteren Essays werden sodann exemplarische Einzelbetrachtungen angestellt, wobei der Fokus nun spezifisch auf die Schweiz gerichtet ist. So zeigt von Moos an den Beispielen von Luzern und der Unterschutzstellung der Burganlagen von Bellinzona durch die Unesco den Zusammenhang zwischen der Ökonomie des Massentourismus und der Kultur des Spektakels auf.
Unterhaltsam und subversiv
Des Weiteren werden zwei für die kulturelle Schweiz zentrale Figuren aufs Korn genommen: der von der Kunstgeschichte seit Jahrzehnten totgeschwiegene Hans Erni sowie Max Bill, dessen Projekt einer «konstruktiven Schweiz» gewissermassen im Gegenzug eine Adelung zur offiziellen Staatskunst erfuhr. Aber auch Figuren und Ereignisse aus der jüngeren Vergangenheit rücken in den Blickpunkt der Betrachtungen, so das Duo Fischli/Weiss und Pipilotti Rist in ihrer Funktion als künstlerische Direktorin der Expo 02 bei den Künstlern sowie Mario Botta und Herzog & de Meuron bei den Architekten. All das wird in einem sprachlichen Duktus vorgeführt, der nicht nur anregend und erhellend, sondern unterhaltsam und bisweilen subversiv zugleich ist. Die Beiträge verbinden ein scharfsinniges Nachdenken über Phänomene, die nur allzu gerne unter den Teppich gekehrt werden, mit essayistischer Verve. Wem die Schweiz und das Schicksal des Projekts der Moderne hierzulande am Herzen liegt, der wird in dem Band in mehrfacher Hinsicht lesenswerte Beiträge finden.
[ Stanislaus von Moos: Nicht Disneyland. Und andere Aufsätze über Modernität und Nostalgie. Verlag Scheidegger & Spiess. Zürich 2004. 236 S., Fr. 48.-. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom