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Krümel, Splitter, Ich-AG
Spectrum

Man stelle sich vor: Ein Berufsstand hat Hochkonjunktur, genießt einen exzellenten Ruf - und wird gleichzeitig marginalisiert. Österreichs Architektur im Zeitalter der „Creative Industries“: eine Bestandsaufnahme.

23. April 2005 - Judith Eiblmayr
Kreativarbeit ist eine Sparte, die von Außenstehenden meist romantisch verklärt wird. Der Maler, die Fotografin, der Filmemacher, die Architektin - sie gelten nach wie vor als die Glücklichen, die sich durch künstlerische Tätigkeit ihr Brot verdienen dürfen. Dass dies meist kein Rosinen-Striezel ist, dürfte durchaus bekannt sein, aber immer noch haftet Künstlern und Künstlerinnen das Prädikat privilegiert an, weil die Vorstellung von der wahren Lebenserfüllung der Menschen wohl im Hinterlassen individueller Kreationen liegen dürfte. Von einem diesbezüglichen Kompensationsbedürfnis der „Nicht-Künstler“ zeugen der Hang zum kunsthandwerklichen Hobby oder die Lust am Häuselbauen.

Als Arbeitsstätte der Künstler gilt das Atelier, im Ambiente ärmlich, jedoch charmant, wo man sich nach erfolgter Eingebung tatkräftig ans Werk macht - nicht ohne in und am Raum Spuren zu hinterlassen, wie der Wandel der Bedeutung des Wortes „Atelier“ deutlich macht: Was ursprünglich einen „Haufen von Splittern“ beschrieb, galt später als „Arbeitsraum eines Zimmermanns“, bis es schließlich den „Arbeitsraum eines Künstlers“ bezeichnete.

Aber auch Architekten, die sich als Baukünstler fühlten, stellten ihren Arbeitstisch lieber in einem Atelier als in einem konventionellen Büro auf und konnten mit einigen wenigen technischen Hilfsmitteln wie Reißschienen, Tuschestiften und Tischbeserln saubere Planungen bewerkstelligen, ein Telefon, eine Schreib- und Lichtpausmaschine genügten, um einen seriösen Betrieb aufrechtzuerhalten. Vor ungefähr 15 Jahren setzte allerdings eine Entwicklung ein, die den Charme des weißen Arbeitsmantels und der Radierkrümel auf dem Atelierboden rasch verblassen ließ. Die Computertechnologie hielt Einzug in den kreativen Berufen, und unter der Verheißung von Rationalisierung und völlig neuer Qualitäten im grafischen Bereich wollte keiner den Anschluss verpassen, investierte in ein adäquates Equipment und in die Erlernung von Zeichenprogrammen. Planrollen wurden durch Disketten ersetzt, wo vorher ein Planschrank war, steht nun ein Computerserver.

Die bislang sparsame Büroorganisation begann sich zu verselbstständigen; abgesehen davon, dass das Büro nun clean and proper zu halten war, da Staub das denkbar Schlechteste für die sensiblen elektronischen Geräte ist, musste immer mehr Arbeitszeit dazu verwendet werden, Support-Hotlines, Computerspezialisten und Softwarevertreter zu kontaktieren, welche auch umgehend teuer bezahlt werden wollten. Um diese Kosten wieder hereinzubringen, musste man mehr arbeiten und gleichzeitig die empfohlenen marktstrategischen Maßnahmen setzen, etwa eine Homepage installieren, um überhaupt konkurrenzfähig zu bleiben. Die Kleinunternehmer wurden der neoliberalen Nomenklatur entsprechend in „Ich-AGs“ umbenannt, damit zumindest ein virtuelles Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Segnungen des boomenden Kapitalmarktes aufkommt.

Schließlich war die wachsende Zahl an Kreativarbeitern damit beschäftigt, ihr hart verdientes Geld an die Technologiekonzerne weiterzureichen, deren Aktienwerte in schwindelnde Höhen kletterten. Die Aktien der einzelnen Ich-AGs gingen dabei steil nach unten, denn die Kreativleistung wurde immer billiger, wenn nicht sogar gratis angeboten, um bei der enormen Konkurrenz im Geschäft zu bleiben. Und plötzlich war ein neuer Begriff da, der die Masse der zwar hoch motivierten, aber doch unzufriedenen Freischaffenden neu definieren sollte: Creative Industries war das Zauberwort, in dem das Wesen des Schaffens (lateinisch „creare“) und des Fleißes, der Betriebsamkeit („industria“) subsumiert wurde. Interessanterweise wurde der Begriff Ende der Neunzigerjahre in Großbritannien, dem Land der historischen Industrialisierung, geprägt, als man erkannte, dass in der Umsetzung von guten Ideen ein ungeheures Wirtschaftspotenzial steckt und dass diese Kreativität eher von Kunsthochschul- als von Wirtschaftsuni-Absolventen zu erwarten ist. Pragmatisch gedacht, sollte die Industrialisierung der kreativen Denkarbeit der Wirtschaft in schlechten Zeiten auf die (Umsatz-)Sprünge helfen und die handelnden Personen zu „Kreativarbeitern“ werden lassen.

Mittlerweile ist auch in Österreich der Begriff der Creative Industries etabliert. In einer groß angelegten Studie von Österreichischer Kulturdokumentation, Institut für Wirtschaftsforschung und Mediacult wurde für den Wirtschaftsraum Wien eine Bestandserhebung durchgeführt, die die Arbeitsbedingungen der einzelnen Sektoren wie Architektur, Film, Bildende Kunst, über Grafik, Mode, Design bis zu Musikwirtschaft, Literatur, Multimedia und Werbung erhoben hat und in deren Folge wirtschaftliche Förderprogramme für die Creative Industries etabliert wurden.

Laut Veronika Ratzenböck, einer der Studienautorinnen, ist für die Architektur eine paradoxe Situation ablesbar: Es herrscht Hochkonjunktur zeitgenössisch engagierter Architektur mit ausgezeichnetem internationalem Ruf bei gleichzeitiger Marginalisierung des Berufsstandes. Durch ein rigides Wettbewerbssystem kommen einige wenige etablierte Büros zu lukrativen Bauaufträgen, während die vielen kleinen Büros, um sich zu profilieren, am Rande der Selbstausbeutung operieren und trotzdem wenig Chancen erhalten, den Sprung in die Oberliga zu schaffen. Logische Folge ist, dass viele klassische, idyllische Ateliers „zersplittern“, denn wer seine Tätigkeit von der Finanz nicht länger als Liebhaberei bezeichnet haben, aber trotzdem bauen will, versucht Anschluss an größere Büros zu finden - Büros, wo Computerterminals bereits im Akkord besetzt werden und wo von 8 bis 22 Uhr oft auch am Wochenende gearbeitet wird. Und so schließt sich der Kreis: Die hochqualifizierten Ich-AGs lassen sich - gerne! - als neue Selbstständige übernehmen, um am Baugeschäft, wo viel Geld umgesetzt wird, überhaupt noch teilhaben zu können.

Aber wie meinte schon Andy Warhol, selbst „Kunstarbeiter“ und „Industrieller“ in Personalunion: „Geld verdienen ist Kunst, und Arbeiten ist Kunst, und ein gutes Geschäft ist die beste Kunst.“

Informationen zu Förderungen unter: www.creativeindustries.at

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