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Profil

Promotion in Germanistik und Philosophie an der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf

Lehrtätigkeit

Lehraufträge an der Universität Essen, der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf und der Kunstakademie Düsseldorf

Publikationen

Jacques Derrida, Paderborn (UTB) 2009
New Museums in Spain, Stuttgart (Edition Axel Menges) 2010
Barcelona, Berlin (DOM Publishers), 2018

Veranstaltungen

Instituto Cervantes München, 2012
Instituto Cervantes Frankfurt, 2012
Architektenkammer NRW, 2012
„Smart Cities“, Fraport-Tagung Frankfurt, 2018

Karte

Artikel

5. Mai 2017 TEC21

Passage zur Stadtoase

Bibliothek, Seniorenzentrum und Garten, Barcelona 2007

Öffentlich zugängliche Innenhöfe sind in Barcelona nicht üblich. Im Stadtteil Eixample haben RCR Arquitectes 2007 einen solchen Hof geöffnet, mit neuen Nutzungen belebt und zu einem idyllischen Lebensmittelpunkt im Quartier aufgewertet.

Das 2007 fertiggestellte Ensemble von Joan-Oliver-Bibliothek, Seniorenzentrum und Cándida-Pérez-Garten liegt an der Carrer del Comte Borrell im dichten Viertel Sant Antoni in Barcelona. Es zählt zu den gelungensten Eingriffen in die historische Stadterweiterung, die der katalanische Ingenieur Ildefons Cerdà nach dem Niederreissen der Stadtmauer 1854 in einem regelmässigen, streng quadratischen Blockrandraster angelegt hatte.

RCR Arquitectes orientierten sich an Cerdàs ursprünglicher Absicht, die Innenhöfe der Wohnblöcke nicht für gewerbliche Zwecke, sondern für öffentliche Anlagen und Einrichtungen zu nutzen. Nachdem die Fabrik, die früher im Hof gestanden war, abgebrochen worden war, erstellten die Architekten ein Nutzungs­programm, das sich vornehmlich an den Bedürfnissen der Anwohnerinnen und Anwohner orientierte. Das Raumprogramm umfasst nicht nur die Joan-Oliver-Bibliothek – eine von Barcelonas insgesamt 40 Stadtteilbibliotheken –, sondern auch ein Seniorenzentrum und einen Garten samt Kinderspielplatz.

Rafael Aranda, Carme Pigem und Ramón Vilalta gelang es, die unterschiedlichen Nutzungen zu einem harmonischen Gefüge zu ordnen und den Eindruck zu erwecken, das Ensemble, aus dessen Mitte ein Industrieschlot als Relikt der industriellen Vergangenheit ragt, sei immer schon hier gewesen. Eine neu geschaffene Passage verbindet die Strasse mit den Lesesälen der Bibliothek und dem Innenhof. Wer sie durchschreitet, taucht überrascht in eine lebendige, von Wohnbauten gefasste Oase ein.

Das sowohl zur Strasse als auch zum Hof orien­tierte Torgebäude, das die Bibliothek beherbergt, ist ­ als Stahlgerippe konstruiert. Hinter der verglasten ­Strassenfront sind die Lesesäle sichtbar. Die drei Obergeschosse bilden zueinander versetzte Ebenen. Nahezu eingerahmt von Lesesälen und Galerien entstand ein offen gestaltetes Auditorium. Über diesem bühnenarti­gen Raum befindet sich ein weiterer Lesesaal. Die Mate­rialisierung verstärkt das kontrastreiche Raumkonzept: Hinter dem verglasten Stahlgerippe der Fassade steht der Bibliothekskorpus, dessen Treppe von einer massiven, stählernen Brüstung flankiert ist. Es scheint, als habe die herbe, spröde Ästhetik der vulkanischen Landschaft der Garrotxa die Architekten inspiriert.

Hinter dem Bibliotheksquader, direkt daran anschliessend, erstrecken sich die eingeschossigen Gebäude mit dem Seniorenzentrum. Sie öffnen sich zu einem Karree und umschliessen dabei einen kleinen, schattigen Park, in dem Kinder spielen. Äusserlich verbunden wird die Stahl-Glas-Konstruktion von Bibliothek und Seniorenzentrum durch eigens konstruierte Stahllamellen, die als Sonnenschutz, Raumteiler, Geräusch- und Intimitätspuffer zwischen innen und ­aus­sen funktionieren.

Das friedliche Neben- und Ineinander von ­Bi­bliothek, Seniorenzentrum, Park und Spielplatz ge­neriert im Innenhof eine heile Welt im Kleinen: Alte und Kinder, Besucher und Anwohner kommen zusammen, teilen ein gemeinsames Areal und wechseln wohlwollende Blicke. Wie auch die Pritzker-Jury hervorhebt, ist das Ensemble ein herausragendes Beispiel für den dialogischen Charakter, der viele Projekte von RCR Arquitectes auszeichnet.

28. August 2015 TEC21

Holländischer Hybrid

Rotterdam befindet sich im Umbruch. Im Herbst 2014 wurde das neueste städtische Wahrzeichen eröffnet – eine einzigartige Markthalle, konzipiert von den Koolhaas-Schülern Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries (MVRDV).

Rotterdam ist eine Handelsstadt. Zweimal in der Woche verwandelt sich der der Platz über der ehemaligen Binnenrotte am drittgrössten Seehafen der Welt zu einem riesigen Freiluftmarkt. Anbieter aus allen Landesteilen präsentieren an mehr als 400 Ständen ihre Waren. Der Markt im Stadtzentrum, zwischen BlaakBoulevard und SintLaurenskerk, bietet einen unüberschaubaren Reichtum an Fischen und exotischen Früchten, die Palette reicht vom einheimischen Käse bis zur religiös korrekten Kleidung für die muslimische Frau. Der Rotterdamer Bevölkerung war das nicht genug. 2004 schrieb die Stadtverwaltung einen Investorenwettbewerb für einen Überbauung im Laurensviertel aus, das bislang durch ein Übermass an Büros und Läden geprägt war. Das Ziel: innere Verdichtung und die Verbesserung der Lebensqualität im Quartier. Die Ausschreibungsbedingungen sahen deswegen neben Wohnungen auch einen Markt vor, als Ergänzung zum bestehenden. Neue EUVorschriften verlangten aus hygienischen Gründen allerdings eine überdachte Variante.

Markthalle – neu interpretiert

Das Team von MVRDV, das gemeinsam mit dem Investor Provast den Wettbewerb gewann, nahm den Anspruch wörtlich und setzte auf ein Hybridgebäude, das wesentlich dazu beitragen soll, das Viertel zu beleben. So errichteten die Rotterdamer an der Seite des Wochenmarkts auf dem sumpfigen Grund der Binnenrotte eine Markthalle, die sich zwar an die grossen Vorbilder in Barcelona und Valencia anlehnt, dabei aber eine völlig neue Typologie schuf. MVRDV orientierte sich nicht an den spanischen EisenGlasKonstruktionen, sondern wählte ein riesiges Tonnengewölbe mit einer Länge von 120 m, einer Höhe von 40 m und einer Breite von 70 m. Ausserdem waren vier Tiefgeschosse vorgesehen, was einen Aushub von 15 m erforderlich machte.

Da die Markthalle dort errichtet werden sollte, wo einst der Damm durch die Rotte verlief, war der Boden nass und instabil, der Grundwasserspiegel lag bei 3 m unter dem Strassenniveau. Es galt also, die Baugrube durch Spundwände und ein Fundament aus 2500 Betonpfählen zu stabilisieren. Es folgte ein Stahlbetonrahmen, der die Baugrube zusätzlich bis auf 8 m sicherte und als Tragwerk des 1. Untergeschosses diente. Derartige Tiefbauarbeiten, eine Spezialität niederländischer Ingenieurtechnik, sind schwierig zu bewerkstelligen, da der auf Spundwände und Stahlbetongerüst wirkende Druck durch Flutung der Baugrube ausgeglichen werden muss. Deshalb führten Spezialisten die weiteren Aushubarbeiten und die folgende Stahlbewehrung unter Wasser durch, in einem grossen künstlichen See. Mittels schwimmender Kräne wurde die Baugrube weiter ausgehoben, der Einsatz von GPS Technologie sollte verhindern, dass das bereits bestehende Betontragwerk beschädigt wurde. Taucher verlegten die Bewehrung für die 1.5 m dicke Bodenplatte. In einem 72StundenEinsatz wurde sie ebenfalls un ter Wasser gegossen. Nach Auspumpen der Baugrube erwies sich die Platte, die eine Last von 12?000 kg/m² tragen muss, als wasserdicht. Es folgte die Errichtung der vier Untergeschosse. So entstand peu à peu die Markthalle der Superlative. Aussergewöhnlich ist die überdimensionale transparente Glaswand an den Stirnseiten des Baus.

Es handelt sich um eine Seilnetzfassade, bestehend aus einem Raster vorgespannter, 9 bis 15 cm dicker Stahlseile, zwischen die die jeweiligen Glasscheiben geklemmt wurden. Vergleichbar mit einem Tennisschläger bilden die Seiten der Fassadenöffnung einen steifen Rahmen, während die Fassade selber beweglich ist und auch schweren Stürmen standhält. Sie kann bis zu 70 cm nach innen gedrückt werden, dabei dehnen sich die Seile um bis zu 4 cm.

Kurz bevor die Markthalle im Herbst 2014 eröffnete, erhielt das Gewölbe den letzten Schliff. Neben dem Detailhandel auf der ersten Ebene überspannt es 96 Marktstände, die alles anbieten – von der rheinischen Currywurst bis zu arabischen Gewürzen, vom holländischen Käse bis zum türkischen Baklava. Einige der Stände sind für temporäre Nutzungen reserviert. Auf 4500 perforierten Aluminiumpaneelen, 2 mm dick und 152?×?152 cm gross, haben die Rotterdamer Künstler Arno Coenen und Iris Roskam ein computergeneriertes Riesengemälde aufgetragen, das bereits auf dem Vorplatz die Blicke der Passanten auf sich zieht. Das 11?000 m² grosse, nachts erleuchtete Pixelbild «Füllhorn», das an Motive niederländischer Barockstillleben erinnert, lässt über den Köpfen der Marktbesucher allerlei Früchte und Gemüse in kräftigen Farben herabregnen.

Keine Luxusinsel

Die Grossform der Markthalle mutet zwar wie ein überdimensionaler Fremdkörper im Rotterdamer Stadtbild an, doch verrät die langjährige Beschäftigung der Architekten mit dem öffentlichen Raum, dass sie sich für eine technisch innovative, an Nachhaltigkeitskriterien orientierte Architektur begeistern, die den Stadtraum bereichert. Daraus entwickelten sie ihre Vorliebe fürs Hybridgebäude. Die MVRDVLosung «Eine Stadt in der Stadt errichten» zielt nicht auf einen massiven Turmkomplex, wie ihn Rem Koolhaas an der Maas hochgezogen hat («De Rotterdam» von 2013). Vielmehr steckte das Rotterdamer Trio Maas, van Rijs und de Vries 228 Wohnungen mit unterschiedlichen Grundrissen zwischen dem dritten und elften Geschoss in die Flügel des Tonnengewölbes. Die über dem Detailhandel in den ersten beiden Ebenen gelegenen 102 Miet und 126 Eigentumswohnungen, 80 bis 300 m² gross, verfügen alle über eine Terrasse, die sich über die gesamte Länge der Wohnung erstreckt. In der Angebotspalette finden sich Lofts und Maisonettewohnungen; die Hälfte gestatten – hinter dreifach verglasten Scheiben – den Blick aufs quirlige Treiben des Markts. Allerdings sind die oberen Penthousewohnungen, die den Bogen schliessen, stark abgeschrägt, da ansonsten der Tageslichteinfall nicht ausreichend gewesen wäre.

Mehr als nur Architektur

Den Rotterdamer Architekten ist es gelungen, eine Stadt im Kleinen zu errichten – mit Marktständen, unterirdischen Parkgeschossen, einer kleinen, von Kossmann.dejong gestalteten archäologischen Dauerausstellung, Supermarkt, Detailhandel sowie Miet und Eigentumswohnungen. Alles unter einem Dach. Das Resultat – die Architekten nennen es «24StundenGebäude» – ist ein kleines holländisches Wunder, das dereinst auch Kulturveranstaltungen einschliessen soll. Schon jetzt ist der Bau aus Rotterdam nicht mehr wegzudenken

14. Dezember 2014 TEC21

Eiskalte Linie und Feuerpunkt

Das Steilneset-Mahnmal des Architekten Peter Zumthor und der Künstlerin Louise Bourgeois im norwegischen Vardø erinnert an die Hexenprozesse in der Finnmark. Die Installation im Gedenken an die Vergangenheit soll auch helfen, die Zukunft der Stadt zu sichern.

Siri Knudsdatter wurde am 11. Januar 1621 im nordnorwegischen Vardø der Hexerei angeklagt. Die Gerichtsakten verzeichnen, die Beschuldigte «habe Leute verzaubert, die dann krank wurden und starben». Da die Frau leugnete, musste sie sich der Wasserprobe stellen: An Händen und Füssen gefesselt wurde sie in die eiskalten Fluten der Barentssee geworfen. Die Akten vermerken: «Wurde der Wasserprobe unterzogen und schwamm wie ein Korken.» Die Wasserprobe zögerte ihren Tod lediglich hinaus – wäre Siri Knudsdatter untergegangen, hätte der Richter das als Zeichen ihrer Unschuld gewertet. Dass die Angeklagte obenauf schwamm, sah er als Beweis ihrer Schuld an: Das reine Element des Wassers habe den vom Teufel besessenen Körper nicht aufnehmen wollen. So wurde sie öffentlich verbrannt. Zwölf weitere Frauen mussten sich im Lauf des Jahres der Wasserprobe unterziehen. Auch sie gingen nicht unter. Auch sie ereilte der Tod auf dem Scheiterhaufen.

Fatale Willfährigkeit

Die an der Universität Tromsø lehrende Historikerin Liv Helene Willumsen erforscht seit Jahren die Hexenprozesse in der Finnmark des 17. Jahrhunderts, einer Region von der Grösse der Schweiz. Wie Willumsen herausfand, war die Hinrichtungsserie von 1621 darauf zurückzuführen, dass John Cunningham, der kurz zuvor zum Festungskommandanten von Vardøhus berufen wurde, unnachgiebige Strenge und moralische Integrität gegenüber dem dänischen König beweisen wollte. Cunningham war zuständig für den Verwaltungsbezirk Finnmark, wo lediglich 0.8 % der norwegischen Bevölkerung lebten, aber 31 % von Norwegens Hexenprozessen stattfanden.[1] Allein in Vardø, einem kleinen Dorf mit damals kaum mehr als 300 Einwohnern, wurden ­zwischen 1601 und 1692 91 Personen wegen Hexerei hingerichtet. Die Historikerin fand heraus, dass die Festungskommandanten, die die Macht in Vardø innehatten und lediglich dem König in Kopenhagen unterstellt waren, vornehmlich die weibliche Bevölkerung im Visier hatten: Neben 14 Männern wurden 77 Frauen der Hexerei beschuldigt und auf dem Scheiterhaufen hingerichtet. Unter ihnen waren besonders die Zugezogenen der indigenen Sámi-Bevölkerung der Kommandantenwillkür ausgeliefert.

Ansichten der Stille

Willumsen brachte ihr Wissen in ein aussergewöhn­liches Projekt ein: Sie beriet den Architekten Peter ­Zumthor und die Künstlerin Louise Bourgeois, die beide am nordöstlichen Ende der 2100 km langen Norwegischen Landschaftsrouten[2], dort, wo der Varanger-Fjord an russisches Territorium grenzt, eine imposante Installation errichteten. Im Rahmen ihres «Detour»-Programms möchte die norwegische Strassenverwaltung, die Attraktivität bestimmter Standorte entlang der Landschaftsrouten erhöhen.

Deswegen engagierte sie bislang rund fünfzig Architekten, Landschafts­architekten, Designer und Künstler, möglichst ori­ginelle Beiträge für die norwegische Küstenlandschaft zu liefern. Die Projekte sollen Provinzorte zu Aus­flugszielen aufwerten. Bislang kamen bis auf wenige Ausnahmen junge norwegische Büros zum Zug. Für den nördlichsten Punkt der Route in Vardø wollte man aber zwei international bekannte Grössen einladen. Die Wahl fiel auf den Architekten Peter Zumthor und die hochbetagte französisch-amerikanische Künstlerin Louise Bourgeois. Sie realisierten ein künstlerisch gestaltetes Denkmal am Steilneset, dem Hinrichtungsplatz aus dem 17. Jahrhundert, zum Gedenken an die hier Verstorbenen.

Mythischer Ort

Dabei ist nicht nur ein Mahnmal entstanden, das schlicht und würdevoll der Opfer gedenkt. Anders als Tausende anderer Denkmäler im städtischen Raum ist Zumthors und Bourgeois’ Mahnmal ein Stück Land-Art, das sich wie selbstverständlich in die ­atemberaubende Naturkulisse einfügt – als sei es mit diesem Ort verwachsen. Zugleich ist ein Gedenkort voller künstlerischer Kraft entstanden. Es überrascht daher nicht, dass der im Juni 2011 eröffneten Gedenkstätte zwei ­Jahre später der North Norwegian Architecture Prize zuerkannt wurde.

Nachdem Bourgeois und Zumthor 2006 mit dem Bau beauftragt worden waren, einigten sie sich auf eine archaische Formensprache. «Zumthor und ich haben Erde, Wasser, Feuer und Licht genutzt, um Ansichten der Stille zu schaffen», sagte Bourgeois wenig später.[3] Zumthor, der damals mit der zum Himmel geöffneten Bruder-Klaus-Kapelle auf den Feldern des Eifeldorfs Mechernich-Wachendorf beschäftigt war, setzte sich in der norwegischen Arktis ebenfalls intensiv mit der Umgebung auseinander. Eine kleine Kapelle mit einem umfriedeten Gottesacker findet sich auch in Vardø. Wer an diesem besinnlichen Ort vorbeikommt, sieht vor sich das Mahnmal wie eine riesige, fragile Holzskulptur auftauchen, dahinter die Meerenge der Barentssee und am Horizont den Domen, den Hexenberg. Unweit von Steilneset ragt die Vardøhus-Festung aus dem frühen 18. Jahrhundert empor, Norwegens als uneinnehmbar geltendes Bollwerk gegen das russische Reich.

Ein Licht für jedes Opfer

Die 120 m lange begehbare Holzkonstruktion des im Juni 2011 fertiggestellten Denkmals erinnert an die Trockenfischanlagen, die heute in den Aussenbezirken von Vardø ungenutzt vor sich hin rotten und weitgehend vergessen sind. Zumthor interessierte sich für diese Konstruktionsweise, die man auch im einzigem Hotel der Stadt auf zeitgenössischen Fotos entdecken kann. Der so entstandene, einfach anmutende Bau ist der ­Tradition der Finnmark-Fischer nachempfunden und trotzt mit minimalem Aufwand den heftigen Winden am Ufer der Barentssee.

Schräg nach aussen greifende Stützen, die jeweils mit einer einfachen Schraube mit den 60 Holzrahmen verbunden sind, stabilisieren die Konstruktion. Darin eingespannt ist der über dem Boden schwebende, schlauchförmige Ausstellungsgang. Er besteht aus einem mit Teflon beschichteten, innen schwarzen, aussen hellen Fiberglastextil, ein Element geht jeweils über drei Felder. Die Textilkonstruktion wurde vorgefertigt, die 17 Einzelteile sowie das Anfangs- und Endstück wurden auf der Baustelle zusammengefügt. Textil und Befestigung erinnern an Segeltuch und Verankerungen aus dem Schiffsbau. Zwei Rampen führen ins Innere.

Zumthor war es wichtig, dass die Passage bei Wind und Wetter, bei Tag und Nacht betretbar ist. Wer den endlos anmutenden, nur rund 1.50 m breiten Gang entlanggeht, vorbei an 91 Tafeln aus schwarzer Seide, fühlt sich niemals allein: Wind und Meeresrauschen sind ständige Begleiter. Kurze biografische Texte künden in weisser Schrift von den Prozessakten, die Inschriften stammen von der Historikerin Willumsen.

Entlang der schwarzen Wände fügte Zumthor 91 in der Höhe variierende Gucklöcher ein, schmale, in das Textil gespannte Metallvitrinen, beleuchtet von 91 Glühbirnen – eine Öffnung für jedes Opfer. Sie geben den Blick auf Dorf und Meer frei und verweisen auf die nordische Tradition, ein Licht im Wohnzimmerfenster aufzustellen, um den dunklen Nächten zu trotzen. Die sinnliche Raumgestaltung, in der jedes Detail den konzisen Gesamtentwurf verrät, steht im Dienst der Opfer, derer das Mahnmal gedenken will.

Verstörende Inszenierung

Während Zumthors Denkmal zur meditativen Ver­senkung einlädt, liefert Bourgeois’ Installation «The Damned, the Possessed and the Beloved» ein starkes Bild zu den Hexenprozessen. Etwas landeinwärts errichtete Zumthor für die Installation einen kubischen, knapp 10 m auf 10 m grossen Pavillon aus 17 Scheiben aus getöntem Rauchglas. Nach dem aufwühlenden Gang durch die Ausstellung erwartet einen unverhofft der dramatische Höhepunkt: Zentrum des Pavillons ist ein stählerner Stuhl, durch dessen Sitzfläche fünf Stichflammen züngeln. Ein schmaler, konkaver Betonring umschliesst den Feuerstuhl, der Gedanke an die sprühenden Feuermassen bei einem Vulkanausbruch liegt nah. Auch theatralische Effekte kommen zum Einsatz: Sieben ovale, um den Stuhl herum befestigte Spiegel verzerren das Konterfei des Besuchers, erinnern an die schmerzverzerrten Gesichter der Opfer.

Die Opfer der Neuzeit

In Vardø gibt es niemanden, der über Steilneset, die Folterungen, die mittelalterliche Festung, die Menta­lität der Kommandanten und die lange Tradition der «Vardøhus Festning» mehr erzählen kann als Elisabeth Eikeland, Majorin der norwegischen Armee und erste weibliche Festungskommandantin nach 44 Vorgängern. So berichtet sie, dass die Festung 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt wurde. Nachdem zwei Partisanen die norwegische Fahne gehisst hatten, ordnete Reichskommissar Josef Terboven, der eigens nach Vardø gereist war, die Erschiessung der beiden Norweger an. Vom Terror, den die Deutschen in Vardø anrichteten, ist auf den Fotos eines Wehrmachtssoldaten, die im kleinen Vardøhus-Museum ausgestellt sind, allerdings nichts zu sehen.

Den Menschen in Vardø ist diese Schreckenszeit weit entrückt. Lieber machen sie heute Werbung für das rund 10 Mio. Euro teure Steilneset Memorial. Anfangs mit wenig Erfolg – den Touristen der Hurtigruten-Kreuzfahrtschiffe, die für ganze zwei Stunden am ­Hafen anlegen, bleibt für eine Besichtigung keine Zeit. Aber das Mahnmal, das vor drei Jahren eröffnete, hat andere städtische Projekte gefördert. Beispielweise ist jetzt am Ende des Hafenbeckens das neue Rathaus fertiggestellt, dem auch ein Kulturzentrum angegliedert ist. Und seit zwei Jahren findet in Ultima Thule zudem jährlich das «Komafest» statt, das sich auch «Urban Art Festival Vardø» nennt und zu dem Künstler sogar aus Brasilien und den Vereinigten Staaten anreisen. Nach vielen Jahren des Niedergangs gibt es also Hoffnung, selbst im kleinen arktischen Vardø.


Anmerkungen:
[01] Liv Helene Willumsen, The Witchcraft Trials in Finnmark Northern Norway, Leikanger 2010
[02] Die Landschaftsrouten sollen die norwegische Natur erlebbar machen. Bis 2023 sollen 250 Rastplätze und Aussichtspunkte mit moderner Architektur und Kunst entlang von 18 Streckenabschnitten realisiert sein. www.nasjonaleturistveger.no/de
[03] Sebastian Frenzel, «Teufelswerk», in: Monopol – Zeitschrift für Kunst und Leben, 10.07.2011
[04] www.archdaily.com

30. März 2012 TEC21

Seilwurf über den Kanal

Die auffallende Fussgängerbrücke mit dem Namen «Slinky springs to fame» über den Rhein-Herne-Kanal im deutschen Oberhausen ist Teil des Projektes «Emscherkunst.2010»: Ein farbiges Band, umwickelt mit einer Spirale, verbindet zwei Parks. Die Leichtigkeit des Entwurfs des Künstlers Tobias Rehberger ist der Konstruktion zu verdanken, die die Ingenieure von schlaich bergermann und partner gewählt haben: einer Spannbandbrücke.

Der Frankfurter Künstler Tobias Rehberger ist es gewohnt, durch künstlerische Eingriffe Innenräume zu gestalten. Er liebt es, mit farbigen Installationen und dynamischen Formen die Raumwirkung zu steigern. Dieses Grundprinzip behielt Rehberger bei, als er sich an der «Emscherkunst» beteiligte, die zu den Aktivitäten der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 gehörte. Sein ungewohnter Beitrag zur Kulturhauptstadt ist eine Fussgänger- und Fahrradbrücke, die seit Mai 2011 am Schloss Oberhausen den Rhein-Herne-Kanal überquert. Die nahe Schnellstrasse steigert die Attraktivität des Ortes allerdings nicht, an dem sich die Brücke vom beschaulichen Kaisergarten über den Kanal bis zum Volkspark auf der Emscherinsel erstreckt. Rehberger, Professor für Bildhauerei an der Frankfurter Städelschule, erzählt, wie es zu dem aussergewöhnlichen Auftrag gekommen ist: «Mit etwa dreissig Künstlern bin ich damals mit dem Bus, mit dem Rad und zu Fuss durch das Ruhrgebiet gestreift, um geeignete Orte für Projekte auszukundschaften. Irgendwann stand ich in der Nähe des Oberhausener Kaisergartens am Rhein-Herne-Kanal und sagte intuitiv zum Kurator Florian Matzner: ‹Hier müssen wir eine Brücke bauen.›»

«Weiche und schlabbrige» Fussgängerbrücke

Die Oberhausener Stadtverwaltung war offenbar von Rehbergers spontaner Eingebung so angetan, dass man ihm binnen kurzer Zeit den Auftrag erteilte. Rehbergers Vorstellung war, dass die Brücke sich wie eine Spirale über den Rhein-Herne-Kanal winden müsse. Dabei solle sie «schlabbrig und weich» aussehen. Hinzu kamen Randbedingungen, die es einzuhalten galt: ein behindertengerechtes Gefälle, ein Lichtraumprofil von 8 m über dem Kanal, Schonung des Baumbestandes und Landschaftsplanung. Bauherrin Martina Oldengott von der Emschergenossenschaft bezog Mike Schlaich vom Stuttgarter Bauingenieurbüro Schlaich, Bergermann und Partner früh in den Entwurfsprozess mit ein. Das Team legte relativ rasch den Grundriss (Abb. 1) und das Längsprofil der Brücke fest.

Ausführlicher war die Diskussion um die tragenden Komponenten. Sowohl die Spirale als auch das Band für den Gehweg hätten die tragende Funktion übernehmen können. Die Spirale hätte zusammen mit dem Gehweg als Untergurt und einem zusätzlich konstruierten Obergurt als Fachwerk ausgebildet werden können. Da diese Tragwerksvariante aber schwerer in Erscheinung getreten wäre als der Entwurf, entschied sich das Team, das farbige Band selbst zum Tragwerk auszubilden. Schlaich konstruierte eine leichte, dreifeldrige Spannbandbrücke, um die sich die nicht tragende Spirale wickelt. Rehberger erinnert sich: «Ich wollte ein Objekt entwerfen, das nicht nach Ingenieurskunst aussieht und das keineswegs statisch wirkt. Es ist Mike Schlaich zu verdanken, dass wir uns dieser Idee annähern konnten. Jedenfalls kann ich im Endprodukt meine Idee der Skulptur wiedererkennen.»

Geworfenes Seil und Schlangenlinien

Die dynamische Wirkung der Brücke, die sich wie ein geworfenes Seil über den Kanal spannt, rührt von den zwei Spannbändern her, die mit den 12 cm dicken und 2.67 m breiten Betonfertigteilen der Lauffläche verbunden sind (Abb. 3). Die Stahlbänder sind 66 m weit über den Rhein-Herne-Kanal gespannt, in den Uferbereichen auf 10 m hohe gespreizte V-Stützen gelegt und an ihren Enden über je zwei Zugstangen pro Spannband in den Widerlagern verankert (Abb. 5). Sie hängen leicht durch – der Stich im Hauptfeld ist L / 50, also etwa 1.30 m –, was ihre Zugbeanspruchung begrenzt. Über den Stützen und an den Verankerungen rollen sie kontrolliert über kreisförmig ausgerundete Sättel ab (Abb. 9). Deshalb und weil die Bauteilstärke respektive die Steifigkeit der Spannbänder mit dem Einsatz von hochfestem Feinkornbaustahl minimiert werden konnte, stellen sich aus der Verkehrsbelastung weder zu hohe Biegespannungen noch starke Materialermüdung ein. An den Enden der Spannbandkonstruktion schliessen Rampenbrücken an. Sie zeichnen sich durch expressive Schlangenlinien aus, die alle 10 m durch leichte, schlichte und paarweise angeordnete Stahlstützen getragen werden (Abb. 4 und 8). Die horizontale Krümmung der 170 bzw. 130mm langen Durchlaufträger mit dem 25 cm starken Betonüberbau (Abb. 6) erlaubt es, das ganze, 406 m lange Bauwerk monolithisch auszubilden. Denn Temperaturverformungen verändern nur die Radien, rufen aber kaum zusätzliche Reaktionen an den Widerlagern hervor.

Windungen, Schwingungen und Farbenspiel

Zu den Attributen der Brückenskulptur gehört auch die Spirale aus Aluminium mit 5 m Durchmesser (Abb. 4). Das Tragwerkskonzept mit den Spannbändern und den Durchlaufträgern ermöglichte es, die Spirale leicht auszubilden und im Grundriss und in der Ansicht frei zu führen – die Umwicklung wurde so zum gestaltungsprägenden Element. Da sie in der Vertikalen und Horizontalen leicht aus der Mittelachse verschoben ist, onduliert die Brücke unregelmässig. Die einzelnen Windungen sind aus jeweils drei Segmenten zusammengesetzt, um Transport und Montage zu vereinfachen. Sie werden in Schwingung versetzt, wenn sie durch eine Horizontaleinwirkung wie Wind angeregt werden. Ihre Eigenfrequenzen, wie auch diejenigen des Brückentragwerks, sind aber unkritisch, sodass jederzeit ein sicheres Gehen gewährleistet ist. Die deutlich spürbaren Schwingungen entsprechen der Entwurfsidee von Rehberger: Die Brücke soll schwingen, um die «schlabbrige und weiche» Wirkung spürbar zu machen. Rehberger gestaltete den tartangleichen Belag mit verschieden langen Feldern, für die er 16 unterschiedliche Farben auswählte (Abb. 1). Diese bunten Felder setzen sich auch auf der Unterseite des Laufbandes fort (Abb. 2 und 7). Nachts schlängelt sich der Überbau bunt leuchtend durch den Park, wobei die Spirale kaum wahrnehmbar ist – sie fällt vor allem tagsüber auf. Zu dieser dynamischen und farblichen Gestalt gesellt sich ein Lichtkonzept, das nachts die Beleuchtung der Brücke regelt (vgl. Kasten «Beleuchtung», Seite 20). Die «Skulptur, die auch eine Brücke ist», oder auch das «Tragwerk, das zugleich ein Kunstobjekt ist», verbindet vortrefflich Funktionalität und ein überzeugendes ästhetisches Konzept. Sie steht mustergültig für die kreative und gegenseitig inspirierende Zusammenarbeit von Künstler und Bauingenieur.

1. Januar 2011 TEC21

Licht-Oratorium

Beim Umbau der Dortmunder Liebfrauenkirche zu einer Grabeskirche für Urnen hat das Lichtplanungsbüro Licht Kunst Licht aus Bonn die Beleuchtungskonzeption geplant und ausgeführt. Das 21 Meter hohe Kirchenschiff wird von dimmbaren LED-Strahlern erleuchtet.

Kolumbarium nannten die Römer einst den Taubenschlag. Da altrömische Grabkammern, in denen die Urnen in übereinander angeordneten Nischenreihen aufgenommen wurden, Taubenschlägen ähnelten, bezeichnete man auch sie als Kolumbarien. Im antiken Rom wählten Bürger die Feuerbestattung, aber auch Reiche, die für ihre Sklaven und für die Freigelassenen selbst nach ihrem Tode zu sorgen hatten. Das Christentum konnte sich mit dieser Praxis nicht anfreunden und lehnte das Urnengrab ab, da diese Bestattungsweise als unvereinbar mit seinem Glauben an die Wiederauferstehung erschien. Erst die Gründerzeit brachte es mit sich, dass in Deutschland, nachdem die katholische Kirche offiziell die Urnenbestattung akzeptiert hatte, die ersten Krematorien und Kolumbarien errichtet wurden. Als der Berliner Peter Behrens 1907 ein Krematorium für Hagen entwarf, gehörte er zu den ersten, die den modern-sachlichen Architekturstil auf die Sakralarchitektur übertrugen.

Nun war es wiederum ein bekanntes Berliner Architekturbüro, das in der nordrhein-westfälischen Stadt Dortmund die bedeutende Liebfrauenkirche – einen neugotischen Bau von 1883 – in ein Kolumbarium für 4200 Urnen verwandelte. Die grösste Kirche Dortmunds teilt ihr Schicksal mit vielen anderen Sakralbauten des Ruhrgebiets, die in den letzten Jahren schliessen mussten, da nicht mehr genug Gläubige den Gottesdiensten beiwohnten. Deswegen wurde vor drei Jahren unter Vorsitz des Architekten Peter Kulka ein Wettbewerb ausgelobt, um die Backsteinkirche in eine Grabeskirche umzuwandeln. Da es der christlichen Tradition entspricht, die Toten in der Kirche oder im angrenzenden Kirchhof zu beerdigen, sah das Erzbistum Paderborn im Kolumbarium die geeignete Fortführung dieses Brauchs.

Zwischen Apsis und Eingang

Das Büro Volker Staab folgte mit seinem Entwurf der christlichen Tradition der Erdbestattung, indem es die Urnengräber nicht als «Hochregallager», sondern wie Kirchenbänke längs des Mittelschiffs und der beiden Seitenschiffe anordnete: als zwei durch die Mittelachse voneinander getrennte und dennoch visuell verbundene Vierergruppen. Auch die Ausführung in Baubronze unterstreicht die Erdnähe. Durch Volker Staabs Umgestaltung konnte nicht nur der Denkmalwert des Sakralbaus erhalten werden, sondern auch, wie Kulka in der Jurybegründung unterstreicht, «das Volumen des Kirchenraums weiterhin zur Geltung kommen ». Gegenüber den anderen Wettbewerbsentwürfen überzeugt Staabs Entwurf, weil die ungewohnte Urnenanordnung dem Sakralraum eine grosse Offenheit und Transparenz belässt. Dabei schafft die axiale Sichtlinie, die durch den Mittelgang die beiden Urnenfelder voneinander trennt, eine unmittelbare visuelle Ordnung. Die klare Achse zwischen Eingang und Apsis, zwischen Weihwasserbecken und dem Altarraum für die Totenmesse symbolisiert die Lebensspanne zwischen Taufe und Begräbnis.

Dieser Mittelgang ist weitgehend frei gehalten, hier finden sich nur das Totenbuch und die Osterkerze. Die minimalistische Ausgestaltung der Apsis nimmt die reduzierte Form- und Materialsprache der Urnenfelder auf: Für die betont schlichte Gestaltung von Altar, Ambo, Urnenstele und Sitzelementen wurden geschichtete Holzplatten ausgewählt, die sich der horizontalen Gliederung des Kirchenraums anpassen.

Indirekte Strahlung

Wer in diesen Tagen die Dortmunder Liebfrauenkirche betritt, wird zunächst an nichts Aussergewöhnliches denken. Die Ruhe nimmt einen gefangen. Die Kirche war ein sakraler Raum, und sie ist es geblieben. Das wird nicht nur durch Staabs Interventionen deutlich, sondern auch durch das zurückhaltende Beleuchtungskonzept des Bonner Büros Licht Kunst Licht, eines Teams von IngenieurInnen, Architekten und Designern um Andreas Schulz. Ganz offensichtlich bestehen für die Beleuchtung einer Gemeindekirche und einer Grabeskirche unterschiedliche Anforderungen. Denn ein Trauergottesdienst braucht einen Ort für Ruhe und Kontemplation. Licht Kunst Licht hat sich intensiv mit der atmosphärischen Raumwirkung beschäftigt und die angemessenen Konsequenzen für eine meditative Beleuchtung gezogen. Die Lichtspezialisten entschieden sich dafür, in der Dortmunder Liebfrauenkirche ein architekturbezogenes direkt / indirekt wirkendes Beleuchtungssystem einzusetzen.

Dem unvoreingenommenen Besucher des Kolumbariums wird dieser Unterschied auf den ersten Blick verborgen bleiben. Doch beim zweiten Hinsehen wird das Prinzip des Beleuchtungskonzepts klar. Die im Mittelschiff, den Seitenschiffen und im Chorraum angebrachten LED-Leuchten, die «gin.o LED», sind Sonderanfertigungen und stufenlos dimmbar. Dass die Apsis als auratischer Ort erfahren werden kann, verdankt sich nicht allein der sensiblen Möblierung durch Volker Staab, sondern auch der einfühlsamen Beleuchtung durch die Lichtexperten. Ein höheres Beleuchtungsniveau hebt den Altarraum aus dem gesamten Kirchenraum hervor und stellt den eigentlichen Ort der Trauerfeierlichkeit dar.

Dies geschieht durch eigens angefertigte, DALI-gesteuerte[1] LED-Leuchten, die im Mittelschiff oberhalb der Kapitelle auf einer Höhe von 12.70 m montiert sind. Im Chorraum und in den Seitenschiffen sind diese Leuchten entsprechend niedriger platziert und als kompaktes, quaderförmiges Gehäuse mit ingesamt sechs Strahlerköpfen ausgeführt. Die atmosphärischen Eigenschaften des Kirchenraumes rühren aus einem direkt / indirekt wirkenden Leuchtensystem. Dabei geben vier an Gelenken geführte und nach unten gerichtete Strahler ein warmtoniges Licht auf die horizontalen Flächen; zwei weitere Strahler blenden das Deckengewölbe gleichmässig mit diffusem Licht aus und erzeugen damit ein ausgewogenes Verhältnis der Leuchtdichten im Raum. Durch die erforderlichen Dimmstufen kann die atmosphärische Dichte der Apsis massgeblich verstärkt werden. Ein Helligkeitssensor ermöglicht eine Reaktion auf unterschiedliche Tageslichtsituationen. So schaltet sich das künstliche Licht im Falle hoher natürlicher Beleuchtungsstärken im Mittelschiff sowie in den Seitenschiffen aus.

Wie ausgefeilt die Lichttechnik ist, zeigt sich an den Wabenrastern, die eine direkte Blendung vermeiden, und an den Abblendschuten, die verhindern, dass die kapitellnahen Gurtbögen vom Licht erfasst werden. Neben dieser Grundbeleuchtung kommt auch eine Ringpendelleuchte zum Einsatz, die im Eingangsbereich das bronzene Weihwasserbecken mit drachentötendem Erzengel Michael, aber auch die Deckenformation anstrahlt. Die von Licht Kunst Licht entwickelte Beleuchtungstechnik bringt den architektonischen Raum der Grabeskirche besser zur Geltung, als es natürliches Licht in den meisten Fällen vermag. Besonders bei Trauerfeierlichkeiten sind regulierbare Lichtverhältnisse angebracht. Dabei verstärkt die dimmbare LED-Technik durch vorsichtige Betonung der Gewölbe die kontemplative Wirkung, die man sich für das neue Dortmunder Kolumbarium wünscht. Stets wirkt sie im Hintergrund, ohne sich aufzudrängen. Und schliesslich: Sie passt sich Volker Staabs Urnenfeldern an, indem sie ihre Plastizität und Materialität hervorhebt.


Anmerkung:
[01] DALI ist ein Steuerprotokoll, mit dem z.B. Leuchten in einem Gebäude angesteuert, in Gruppen zusammengefasst und mit Dimmwerten belegt werden können. Für die Liebfrauenkirche sind nach Abstimmung mit dem Nutzer verschiedene Beleuchtungsszenarien abgespeichert worden, die nun über ein Schaltpaneel abgerufen werden können.

19. März 2010 TEC21

Schwarzer Diamant

Das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum mit einem Anbau zu erweitern, war eine delikate Aufgabe. Die Dominanz des 1935 von Fritz Schupp errichteten Altbaus schien kaum eine Intervention zu ertragen. Gelöst haben die Amsterdamer Benthem Crouwel Architekten die Situation mit einem – je nach Lesart – an Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat oder in Anlehnung an die Zeit der Kohlenförderung an einen «schwarzen Diamanten» erinnernden Baukörper.

Als im Spätsommer 2009 das Emil Schumacher Museum am neuen Hagener Kunstquartier eröffnet wurde, galt das als Startschuss für den Neubau etlicher Museen im Rahmen von «Ruhr 2010». Der zweite Streich erfolgte bereits im Dezember, als das Deutsche Bergbau-Museum (DBM) in Bochum einen kontrastreichen Annex von Benthem Crouwel Architekten erhielt. Der Altbau des DBM ist ein Baudenkmal des Ruhrgebiets- und Zechenarchitekten Fritz Schupp, der mit seinem Partner Martin Kemmer die legendäre Zeche Zollverein in Essen errichtet hatte. Schupp hatte das 1935 vollendete Bergbau-Museum mit den zeittypischen Würdeformeln versehen – mit grosszügigem Ehrenhof und mächtigem, säulengestütztem Portikus. Auch Materialwahl und Grundrissgestaltung zeugen von einem recht traditionellen Baukörper, handelt es sich doch um ein monumentales, rechtwinklig angeordnetes Ensemble, dessen zwei quadratische Innenhöfe von einem Mitteltrakt getrennt werden, den ein 60 m hoher Förderturm überragt. Das weltweit grösste Bergbaumuseum mit gigantischen Ausmassen von 7000 m² Ausstellungsfläche hat aber noch weit mehr zu bieten. Zu dem Museumscarrée kommt noch ein Anschauungsbergwerk von 2.5 km Länge hinzu.

«Abstrakter Kubus», «konkrete» Gänge, Stollen und Rampen

Für das Team von Benthem Crouwel (Amsterdam / Aachen), das derzeit auch den Anbau des Amsterdamer Stedelijk-Museums fertigstellt, war das majestätische Bergbaumuseum aus der Ära des Industriezeitalters, wie es von Krupp und Haniel geprägt wurde, eine Herausforderung. Als sich die Architekten 2006 an dem Wettbewerb beteiligten, wurde ihnen schnell klar, dass der Altbau nach einem expliziten Gegengewicht verlangt, was sie mit deutlichen Anleihen am Expressionismus und an der Bauhaus-Moderne zu bewerkstelligen suchten. Entstanden ist ein Anbau, der die einen an Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat denken lässt. Andere, insbesondere einheimische Ruhrpottler, erinnern sich vielleicht an die Zeit der Kohlenförderung und assoziieren dabei einen «schwarzen Diamanten». Tatsächlich hat sich mittlerweile in Bochum die Redewendung vom «schwarzen Diamanten» eingebürgert. Benthem Crouwel entschieden sich für einen schwarzen Kubus, der lediglich im ersten Augenblick hermetisch wirkt. Während Farbe und Gestalt das Fördermaterial Kohle evozieren, von dem die gesamte Region seit dem frühen 19. Jahrhundert lebte, taucht gleichzeitig der Querschnitt des Bergwerks mit seinen Gängen, Stollen und Rampen vor dem geistigen Auge auf. Daran gemahnen die beiden «Bandbrücken», die den Freiraum zwischen Alt- und Neubau überspannen und sich dabei dramatisch überkreuzen. Die Architekten sparten gleichwohl nicht mit heiteren Farben, und so behandelten sie sämtliche neuen Erschliessungswege – die beiden Rampen, auf denen man zu den Wechselausstellungen im Anbau gelangt, und das neue Stiegenhaus – mit poppigem Melonengelb, bestehend aus einer Polyurethanbeschichtung des Betons.Benthem Crouwel bevorzugen kräftige Farben: Zu dem Schwarz, das auf die fugenlose raue Putzoberfläche des Museumskubus aufgetragen und mit glitzernden Siliciumcarbid- Splittern vermengt wurde, tritt also das grelle Melonengelb, das sich bestens zum expressionistischen Aspekt des Anbaus gesellt, nämlich den Zickzacklinien des Fensterbandes, die vom Erdgeschoss bis hinauf in die zweite Etage verlaufen. Die schwarze Putzfassade, die vor den tragenden Stahlbetonwänden abgehängt ist, kontrastiert auch mit der Glasfassade des Foyers. Abends, wenn die Beleuchtung angeschaltet ist, kommunizieren die Zickzacklinien mit den schmalen Fensterschlitzen der Verbindungsrampen und sorgen für anregende Farbeffekte. Bei Tageslicht entdecken die Museumsbesucher, dass sich die gezackten Fensterbänder auf dem Dach fortsetzen und den Blick auf den Förderturm freigeben.

«Steife» Box, stützenfreie Räume

Konstruktionstechnisch haben sich Benthem Crouwel von der Idee der «steifen Box» leiten lassen, wobei die Aussen- und die Kernwände die vertikal aussteifenden Tragelemente bilden. Aus der Konstruktion resultiert auch die technische Gebäudeausrüstung – Betonkerntemperierung, die es erlaubt, Wände oder Decken zu heizen oder zu kühlen. Die gewählte Struktur bietet bei Ausstellungen grosse Vorzüge: Weil die Deckenscheiben die horizontale Kopplung der Wände gewährleisten, war es möglich, grosse, stützenfrei überspannte Räume zu gestalten, die bestens für die geplanten Wechselausstellungen im Neubau geeignet sind. Dabei setzten die Architekten darauf, dass die für Sonderausstellungen vorgesehenen Bereiche auf der ersten und der zweiten Ebene möglichst flexibel zu bespielen sind. Beispielsweise möchte man im 6 m hohen ersten Geschoss eine Raumhälfte für Vorträge abtrennen, ohne dabei den Ausstellungsbetrieb zu beeinträchtigen.

Wandelt man das melonengelbe Stiegenhaus hinauf zum obersten, etwas niedrigeren Stockwerk, überrascht nicht nur die freie Sicht auf das Fördergerüst. Ein frei gelassener Deckenausschnitt erlaubt auch den ungehinderten Blick auf die untere Ausstellungsetage, wo Videos über die Bergbauregion zu sehen sind. Wegen dieser spannenden Blickbezüge ist die Raumgestaltung des zweiten Obergeschosses am überzeugendsten gelungen.

Bergbauatmosphäre atmen

Für die Kuratoren stellt sich die Frage, wie man am besten Ausstellungen zwischen den rauen Sichtbetonwänden konzipiert. Offenbar ist die widerständige Materialität der Betonwände bestens geeignet, um die Industriearchäologie des Ruhrgebiets zu zeigen. So sieht man hier nicht nur ein blank geputztes Goggomobil, ein niedliches Wirtschaftswunder auf vier Rädern, sondern auch ein monströses Schaltwerk aus dem Steinkohlenabbau im rheinischen Hückelhoven. Heutzutage bedarf es allerdings einer modernen Projektionsleinwand, um verfolgen zu können, wie das Schaltwerk funktioniert – wie es Kohlenförderung, Pumpen und Belüftung regelt. Die Atmosphäre von Bergbau und Industrialisierung, die für die jüngere Ruhrgebietsgeneration keineswegs mehr eine alltägliche Erfahrung bildet, ist hier sinnlich wahrnehmbar. Im Erdgeschoss, wo der reguläre Parcours endet, befindet sich ein kleinerer Raum für die Dauerausstellung – die St. Barbara-Sammlung des Esseners Rolfroderich Nemitz, der zu Ehren der Schutzpatronin der Bergleute Kunstwerke zusammentrug, die besonders die Freunde des Bergbaus interessieren dürften.

Museumsdirektor Rainer Slotta ist sichtlich stolz über den gelungenen Neubau, der weit über den vorgelagerten Europaplatz hinweg sichtbar ist. Kürzlich weihte man die neuen Räume mit einer Ausstellung über den Steinkohlenbergbau nach 1945 ein, es folgen Präsentationen über den Kupferbergbau der Anden und die Alabastersteinbrüche der Königin von Saba. Slottas letzte Errungenschaft: Auch das «Visitors Center» im Altbau, das über die Aktivitäten von «Ruhr 2010» informiert, ist jetzt fertig gestellt worden.

19. Februar 2010 TEC21

Jacobsen «untergraben»

Arne Jacobsens (1902–1971) Munkegårdsskolen in Gentofte bei Kopenhagen (1952–1956) revolutionierte den Schulhausbau: Mit seinem Rastermodell, zweifellos die originellste Entwurfsidee, übersetzte er die pädagogischen Reformgedanken in gebaute Architektur. Und obwohl er Nachahmer fand, wurde es nirgends konsequenter umgesetzt als in der Gentofter Munkegårds-Schule. Die dänische Architektin Dorte Mandrup «huldigt» dem Zeitzeugen mit einer kongenialen, im Herbst 2009 eröffneten Erweiterung.

Gentofte liegt nur wenige Kilometer nördlich von Kopenhagen. Es ist ein beschauliches und wohlhabendes Städtchen, mit ausgeprägtem Trend zum Eigenheim-Idyll. Gentofte ist weder eine gewöhnliche Schlafstadt noch eine der typischen Suburbs, weshalb es die Einheimischen nach getaner Arbeit in Kopenhagen weiterhin vorziehen, ins beschauliche Heim vor den Toren der Hauptstadt zurückzukehren.

Ausgerechnet das kleinstädtische Gentofte war in den 1950er-Jahren Schauplatz einer kleinen architektonischen Revolution. Es war die Zeit, als viele westeuropäische Kommunen aufgrund der Kriegszerstörungen erheblichen Bedarf an neuen, richtungweisenden Schulbauten hatten. Und es war die Zeit, als viele Architekten neue Schultypologien ausprobierten und kindergerechtere Klassenräume bauten (vgl. nebenstehenden Kasten). Die Nouvelle vague neuer Schulen begann allerdings im nördlichen Gentofte, als 1949 ein Wettbewerb für die Munkegårdsskolen ausgelobt wurde, den der damals 47-jährige Arne Jacobsen mit einer ungewöhnlichen Gebäudetypologie gewann. Zunächst widmete sich die Zeitschrift «Arkitekten» dem Thema «eingeschossiger Schulbau» und publizierte den siegreichen Entwurf, schliesslich zog nach Fertigstellung des Projekts die internationale Fachpresse nach, die allseits lobte, durch Jacobsens Munkegårdsskolen seien neue Massstäbe im Schulbau erreicht worden. Anerkennung fand besonders der intime Massstab der Schule, die immerhin 850 Kinder aller Altersgruppen aufnehmen sollte.

Mehrgliedriges Ensemble statt monolithischem Baukörper

Jacobsen war bestrebt, den traditionellen monolithischen, mehrgeschossigen Baukörper zugunsten eines mehrgliedrigen, eingeschossigen Ensembles aufzulösen, und reagierte damit auf die allen voran von Rudolf Steiner propagierte Reformpädagogik, die nicht nur einen mehr auf die kindlichen Bedürfnisse ausgerichteten Unterricht forderte, sondern auch Schulgebäude, die den neuen pädagogischen Erfordernissen besser entsprechen. Diese Reformgedanken machte sich 1933 der Architekt Edvard Thomsen (1884–1980) zu eigen, als er in «Arkitekten» forderte, man solle in Dänemark von der «munteren Renaissance» der Pavillonschule in Deutschland und England lernen. Dabei lobte er die einhüftigen Korridore, da sie im Gegensatz zu den üblichen Mittelkorridoren mehr Tageslicht hereinlassen.

Jacobsens Entwurf zielte darauf ab, den geschlossenen Baukörper zugunsten einer modularen «open-end»-Struktur, einer seriellen Addition von eingeschossigen Klassentrakten aufzulösen, deren Grundriss einem Teppichmuster gleicht (Abb. 1). Die Klassen, die quer zum Festsaal in Bändern angeordnet sind, werden von parallelen Verbindungsgängen durchschnitten, während die verbliebenen Zwischenräume als frei zugängliche Innenhöfe gestaltet wurden. Jacobsen wollte damit erreichen, dass die Kinder während des Unterrichts auf den grünen Patio hinausschauen und sich ablenken können. Entstanden ist dabei ein repetitives Muster aus linearen, rechtwinkligen Modulen. Prima vista hat die Munkegårds- Schule tatsächlich eine offene Struktur. Genaugenommen gehorcht sie aber klaren Ordnungsprinzipien und einer durchaus hierarchischen Ausrichtung: Das schulische Ensemble wird nämlich durch einen mittig angeordneten Festsaal strukturiert, während der zweigeschossige Riegel, der die Fachklassen und die Lehrerbibliothek aufnimmt, den Komplex im Norden abschliesst. Zudem setzt sich diese Begrenzung im südlichen Bereich fort, insofern die Frontgebäude, die überdachten Fahrradschuppen und die beiden Flügel der Sporthallen die Klassentrakte sowie den lang gestreckten Schulhof sehr markant einfassen.

Der Entwurf für die Munkegårds-Schule entbehrt also nicht eines gewissen Paradoxons: Einerseits zeichnet er sich durch eine nicht hierarchisch aufgebaute Systemstruktur aus, die sich am Grundriss des Gitters orientiert. Andererseits ist eine starke Begrenzung und Zentrierung des Ensembles unverkennbar. Jacobsen berücksichtigte zwar auch Elemente, die den seriellen Charakter der Anlage mildern – etwa die nach Norden ausgerichteten Pultdächer der beiden Sporthallen und die nach Süden orientierten Sheddächer der Klassenzimmer –, aber insgesamt ordnen sich diese Elemente dem Gesamtcharakter unter. Das Rastermodell bleibt die originellste Entwurfsidee, und trotz dem Zeittrend wurde es nirgends konsequenter umgesetzt als in der Munkegårds-Schule. Angesichts der internationalen Diskussion um eine Neuausrichtung der Schularchitektur dauerte es nicht lange, bis einige westliche Architekten die Rasterstruktur konsequenter ausbauten (vgl. Kasten S. 16).

Restaurierung und Erweiterung durch Dorte Mandrup

Ähnlich wie in den 1950er-Jahren zeigt sich das Kopenhagener Baudezernat heutzutage offen für neue Entwürfe in der Schularchitektur. Das zeigt sich nicht nur an dem grossartigen, 2007 fertig gestellten Örestad-Gymnasium des dänischen Büros 3XN, das die Schule ausgehend von einem einzigen kontinuierlichen Raumkörper entwickelte und dabei konsequent auf die geometrischen Formen Arne Jacobsens zurückgriff, sondern auch an Erweiterungsbauten für Schulen, die unter Denkmalschutz stehen. Hierzu gehört auch die Gentofter Munkegårdsskolen, die dringend einen Anbau benötigte. Das Baudezernat richtete deswegen einen begrenzten Wettbewerb aus. Die eingereichten Entwürfe kollidierten aber mit den rigiden dänischen Denkmalschutzbestimmungen. Daraufhin, im Februar 2005, beauftragten die Gemeinde Gentofte und die Denkmalschutzbehörde Dorte Mandrup Arkitekter, einen eigenen Entwurf zu erarbeiten, der auf Zustimmung stiess.

Dorte Mandrup, die im trendigen Viertel Nørrebro in Kopenhagen zusammen mit Vandkunsten und dem Senkrechtstarter BIG ein Atelierhaus bezogen hat, musste im Rahmen eines eng begrenzten Etats zwei Aufgaben in Angriff nehmen. Zunächst ging es darum, den Altbau der Munkegårds-Schule zu renovieren, deren Bausubstanz in viel schlechterem Zustand war als zunächst angenommen (vgl. S. 22ff.). Mauerwerk sowie Dachränder und Dacheindeckungen der Flach- und Pultdächer mussten saniert sowie die Bodenbelägeersetzt werden. In den Klassenräumen wurden Verbindungstüren eingebaut, um eine Adhoc- Vergrösserung der Räume zu ermöglichen. Im renovierten Gymnastiksaal wurde die Trennung zwischen Knaben und Mädchen aufgehoben.

Um das Innenraumklima zu verbessern, wurden sowohl die Oberlichter als auch die Jalousien mit einer automatischen Steuerung ausgerüstet. Denn es galt, den teilweise extremen Lichteinfall in die Klassenzimmer zu filtern. Um auch in den sonnenarmen Wintermonaten möglichst viel natürliches Licht in die Räume zu bringen, hatte Jacobsen sie nämlich nach Süden ausgerichtet.

An dem von Jacobsen liebevoll mit eigenen Designentwürfen gestalteten Festsaal nahm Dorte Mandrup den optisch prägnantesten, materiell aber durchaus respektvollen Eingriff am Bestehenden vor. Trotz der Umwandlung in ein «pädagogisches Entwicklungszentrum» mit dem reversiblen Einbau einer Treppenlandschaft mit integrierter Bibliothek bleibt genug Raum, um den Saal nach wie vor als Theater zu nutzen – inklusive originalem Bühnenvorhang (Abb. 4 und 19–22).

Gleichermassen respektvoll wie mutig

Die eigentliche Herausforderung bestand aber darin, für den Gebäudeannex eine einfache, intelligente und die historische Bausubstanz respektierende Lösung zu finden. Dorte Mandrup überzeugte die Denkmalschutzbehörde mit ihrem Vorschlag, den Anbau im südlichen Bereich des Schulkomplexes, unterhalb des vorgelagerten Hofs, anzugliedern. Es handelt sich um einen unsichtbaren, 100 m langen Riegel, der durch die Pavillontrakte erschlossen wird. Auf dem Schulhof ist die Erweiterung einzig durch vier gläserne Atrien wahrnehmbar, die den Innenraum des Riegels mit Tageslicht versorgen. Markant sind die schräg gestellten Stahlstützen und Profile, die entlang dieser Glasprismen die Lasten abtragen.

Design im Geiste Jacobsens

Dorte Mandrup gelang eine einfache räumliche Segmentierung, indem sie den schlauchförmigen Raum in Haupt- und Seitentrakt unterteilte. Der lang gestreckte Riegel wird ausserdem durch die vier begehbaren Atrien unterteilt – eine Replik auf Jacobsens Patios (Abb. 5 und 15–18). Deren Fussböden weisen jeweils unterschiedliche Motive auf: Kreise, Zahlen und Buchstaben, stilisierte Blüten sowie Kristalle. Es sind bildhafte Übersetzungen der in den angelagerten Räumen unterrichteten Fächer Ernährung und Gesundheit, Körper und Bewegung, Natur und Technik sowie Physik und Chemie.

«Natur» hat Dorte Mandrup in den Toilettenbereich gezaubert, der wegen seiner grellen Farbigkeit ins Auge springt. Um das Unfallrisiko zu begrenzen – erläutert die Architektin während eines Rundgangs –, habe sie den Durchgangsraum zu den einzelnen Toiletten nahtlos mit dem Flur verbunden. Dieser offene Bereich ist eine Augenweide: Auf grün schimmerndem Epoxidharz wurden quer über Fussboden, Wände und Toilettentüren Motive von Zweigen, Blättern und Knospen angebracht. Als Vorlage diente ein von Arne Jacobsen entworfenes Motiv für eine Tapete, das in der Danish Art Library aufbewahrt wird. Das Motiv wurde vergrössert und mit einem grünen Grund hinterlegt (siehe inneres Titelbild). Ausserdem wählte sie für Wände und Mobiliar abwechselnde und lichte Farben – für die kreisrunden Tische und die ebenfalls kreisrunde Sitzgarnitur vornehmlich Rot, Grün und Orange. Das ist eine Reverenz an Arne Jacobsen, der im Altbau zur gleichen Farbpalette griff. Besondere Aufmerksamkeit verwendete Mandrup für das kindergerechte Sitzmöbel, denn immerhin hatte Jacobsen für die Munkegårdsskolen neben dem Design der Schreibpulte, der Wanduhren, der Türklinken, der runden Deckenleuchten und des Bühnenvorhangs im Festsaal auch vier unterschiedliche, farbige Stuhltypen entworfen.

Dorte Mandrup, die in Kopenhagen zuvor die viel beachtete Sporthalle «Prisma» in Amager (2006) und die Kindertagesstätte «Krausesvej» im gleichnamigen Quartier (2005) baute, gelang eine sinnvolle Unterteilung des angegliederten Riegels. Entlang der lichtspendenden Atrien gestaltete sie den Haupttrakt als «Mehrzweckraum» für die nachschulischen Aktivitäten der Kinder. Der Trakt endet mit einer hellgrün gestalteten Küche. Hier soll das gemeinsame Kochen als Teil des Unterrichtsprogramms gelernt werden. Kochen steht tatsächlich hoch im Kurs der Munkegårdsskolen: Dorte Mandrup richtete nämlich im Seitentrakt zusätzlich eine kleinere Küche ein, in der exotische Gerichte aus fernen Ländern ausprobiert werden sollen. Aber natürlich ist auch an die Naturwissenschaften gedacht, und so grenzen an die Experimentalküche die nüchterneren Physik- und Chemielabore an. Bereits «Prisma» und «Krausesvej» beweisen, dass die beste Architektur für die spielerischen Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen selbst spielerisch sein sollte. Für den Annex der Munkegårdsskolen ist der Architektin Dorte Mandrup dieser Coup ein weiteres Mal gelungen.

15. Januar 2009 TEC21

«Cultuurcluster», Enschede

Die verheerende Explosion der Feuerwerkfabrik S. E. Fireworks im nördlichen Stadtteil Roombeek der niederländischen Stadt Enschede am 13. Mai 2000, die 23 Menschen in den Tod riss und etwa 1000 Verletzte hinterliess, war Anlass, Pläne für ein gänzlich neues Roombeek zu erarbeiten. Der Masterplan der Amsterdamer Pi de Bruij n Architecten Cie. sollte es den einstigen Bewohnern ermöglichen, wieder in ihren Stadtteil zurückzukehren. Namhafte Architekten schufen ein attraktives städtisches Milieu, qualitätsvollen Wohnungsbau, anspruchsvolle Kultur angebote und soziale Einrichtungen.

Die holländische Grenzstadt Enschede wurde von mehreren schweren Unglücksfällen heimgesucht. 1862 zerstörte ein Grossbrand den historischen Stadtkern. Im 2. Weltkrieg bombardierten versehentlich alliierte Flieger die Stadt, die für ihre blühende Textilindustrie bekannt war. Die jüngste Katastrophe, die Explosion der Feuerwerkfabrik S. E. Fireworks, legte den ganzen nördlichen Stadtteil Roombeek in Trümmer. Selbst acht Jahre nach der Katastrophe sind etliche Wunden noch sichtbar.

Mittlerweile wurde das Zentrum von Roombeek mit Schulen, Kultureinrichtungen, Wohnungsbau und Gastronomie erfolgreich revitalisiert. Auch die wesentlichen Anforderungen des Masterplans von Pi de Bruijn Architecten konnten umgesetzt werden. Es galt zuerst, die Rückkehr der Bewohner in ihr Stadtquartier zu ermöglichen. 1350 Wohnungen sieht der Masterplan vor. Zwar weist die Infrastruktur noch Lücken auf, doch im Zentrum des Stadtquartiers konnten bereits neue Akzente gesetzt werden. Das Industrieviertel wich einem lebendigen Stadtquartier. Am Roombeek-Bach, der gelungen ins Stadtbild integriert wurde, befi ndet sich das ehemalige Grundstück der 1995 aufgegebenen Rozendaal-Textil fabrik. Bjarne Mastenbroek und sein Amsterdamer Büro SeARCH wandelten das Fabrikgelände in den «Cultuurcluster» um – mit Künstlerateliers, Wohnungen, Museum, Kunstgalerie und Café. Auf der Ostseite des Areals beliess Masten broek die lang gestreckte Fabrikhalle, die westlich davon befi ndlichen Gebäude liess er abreissen.

Turmbau

An deren Stelle errichtete er einen sechsgeschossigen Turmbau mit umlaufendem Fensterband als Attraktion des neu entstandenen Roombeek-Viertels. Da die Geschosstiefen nach oben hin zunehmen, ragt der Turm wie ein Keil aus der Fabriklandschaft heraus. An der Fassade hängt ein metallisches Gewebe, das gegen Sonnenstrahlen schützen und an die traditionellen Webetechniken erinnern soll. Das Gebäude nennt sich nach der holländischen Provinz Twentse Welle und bildet den Verwaltungsbau dreier Museumseinrichtungen, die sich auf naturkundliche, heimatkundliche und textilgeschichtliche Sammlungen spezialisiert haben.

Sichelförmige Dacher, bandförmiger Anbau, signalroter Steg

Das Foyer der Twentse Welle gestaltete SeARCH mit expressiven, sichelförmigen Dachelementen. Von hier aus bieten sich zwei Erschliessungen zu den Ausstellungsfl ächen an: zunächst der Zugang zu einem bandförmigen, backsteinverkleideten Anbau, dessen Erdgeschoss Wechselausstellungen dient, während die oberen Geschosse Atelierwohnungen aufnehmen. Und dann der Weg über einen signalroten Stahlsteg, der die «Kulturstrasse » des Quartiers überquert, ins unterirdische Reich der Dauerausstellung. Dieser 110 m lange, vom Amsterdamer Team Opera gestaltete Raum bietet ein lebendiges Ambiente für überraschende Entdeckungsreisen, von lärmenden Maschinenungeheuern bis zu Raumkompartimenten, die Screens mit Informationen zur Regionalgeschichte präsentieren.

Spuren der frühreren Nutzung

Zum «Cultuurcluster», den Mastenbroek in den letzten Jahren auf dem Rozendaal-Areal schuf, gehört auch eine öffentliche Galerie, die sich «21 Rozendaal» nennt und Ausstellungen zeitgenössischer Kunst organisiert. Der Amsterdamer Architekt liess den rechtwinkligen Umbau und das rückseitige, bandförmige Klinkergebilde an der Strassenfront zusammenlaufen, sodass ein begrünter Zwischenbereich als Rückzugsort und Hortus conclusus entstand. Mastenbroek legte beim Umbau des Fabrikgebäudes zur Galerie Wert darauf, Spuren der früheren Nutzung beizubehalten. Und so erinnert das Gebäude etwas an ein Patchworkgebilde: Neben den neuen Beton- und Klinkerfassaden wurden ursprüngliche Pfeiler beibehalten, ebenso Teile des alten, unverputzten Mauerwerks mit Graffi ti- und Keramikresten sowie die unterhalb des Fussbodens sichtbaren Transportbänder fürBaumwolle.

Mastenbroek wollte nicht den üblichen Galerienchic, er spielt lieber mit ruppiger Industrieatmosphäre. Diese Methode wandte er auch im «Cultuurcluster»-Café am Kopfende der Rozendaal-Halle an. Überzeugend gelang SeARCH ebenso die Gestaltung des frei gewordenen Platzes, der durch den Roombeek-Bach und einige expressiv gestaltete Apartmenthäuser eingefasst wird, deren sägeförmige Dachformation an die Zickzacklinien der belassenen Umfassungsmauern von Rozendaal erinnert.

Clash of materials - Cluster of masters

Ein weiteres Museumsprojekt hat sich Bjarne Mastenbroek zusammen mit Rem Koolhaas für das angrenzende Textillager Balengebouw vorgenommen. Koolhaas wird, nachdem er vor einigen Jahren die Kohlenwäsche auf der Essener Zeche Zollverein in das Ruhrmuseum umrüstete, ein weiteres Industriefossil museumstauglich machen. Der quaderförmige Klinkerbau, durch dessen Turm ein während der Explosion emporgeschleuderter Betonblock zwei Löcher gerissen hat, soll die moderne Sammlung des Künstlers Jan Cremer aufnehmen. Das Cremermuseum wird wie ein «clash of materials» anmuten und den Eindruck vermitteln, als ob der bunkerhafte Charakter des Lagergebäudes von 1896 von innen aufgesprengt würde. Pi de Bruijn hat südlich des Balengebouw die Anlage von Wohnhäusern vorgesehen. Eckpunkt und Landmarke ist Roombeeks höchster Wohnturm, «Zorgcluster» der Amsterdamer Claus en Kaan. Die Reihe der individuell geprägten Wohnhäuser entlang des grün belassenen Explosionszentrums erinnert an Amsterdams Scheepstimmermanstraat, wo internationale Architekten ihre persönliche Handschrift hinterliessen. An der Museumslaan, die Cremermuseum und Rijksmuseum Twenthe verbinden wird, baute der Rotterdamer Erick van Egeraat die doppelgeschossige, fast rundum verglaste Villa «Tektoniek» mit mächtigem Betondach. Bolles Wilson errichteten einen langgestreckten Riegel mit einer Fassade aus schwarz-weissen Streifen, und Benthem Crouwel versteckten das Gebäude-Innenleben des Glazen Huis hinter einer gekurvten und opaken Glasfassade.

Das Stigma von der postindustriellen Stagnation hat man im Textilstandort Roombeek schnell überwinden können. Dank einem mutigen Masterplan, der die vorhandene Bausubstanz der industriellen Vergangenheit mit stadtprägender neuer Architektur zu verbinden weiss.

17. November 2008 Metamorphose. Bauen im Bestand
1. September 2008 TEC21

Kunst elektrisiert

Madrid erlebt momentan einen regelrechten Museumsboom. Manche beschwören schon ein neues «siglo de oro», ein neues Goldenes Zeitalter, herauf, denn im Herzen Madrids wird derzeit eine Kunstmeile vollendet, die alles Dagewesene in Spanien in den Schatten stellt.

Entlang dem Paseo del Prado, der von der prachtvollen Plaza Cibeles im Norden bis zum Bahnhof Atocha im Süden führt, befinden sich in kurzer Entfernung die drei wichtigsten Kunstsammlungen Madrids: Museo Thyssen-Bornemisza mit den Sammlungen von Heinrich und Carmen Thyssen-Bornemisza, Museo Nacional del Prado mit den königlichen Sammlungen und Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía mit Werken aus dem 20. Jahrhundert. Die Museumsmeile «Paseo del Arte» umfasst die Erweiterung dieser grossen Kunstsammlungen sowie die Errichtung der gerade fertiggestellten Kunsthalle Caixa Forum der renommierten katalanischen Stiftung La Caixa. Damit ist das ambitionierte Projekt «Paseo del Arte» noch nicht abgeschlossen, denn Prado-Direktor Miguel Zugaza möchte sein Museum durch Hinzunahme des angrenzenden Museo del Ejército (Heeresmuseum) und des Casón del Buen Retiro zum «Campus del Museo del Prado» vereinen, um zusätzliche Ausstellungsflächen und ein Forschungszentrum zu erhalten. Zu guter Letzt kommt noch die städtebauliche Umgestaltung des Paseo del Prado durch den Portugiesen Alvaro Siza hinzu.

Der Umbau der drei namhaften staatlichen Museen am Paseo del Prado konnte im Herbst 2007 mit dem von Rafael Moneo gestalteten Erweiterungsbau des Museo del Prado beendet werden. Im Februar folgte schliesslich die private Kunsthalle der Stiftung La Caixa. Lange mussten die Madrider auf das mit viel Vorschusslorbeeren bedachte Caixa Forum des Basler Teams Herzog & de Meuron warten. Doch nun braucht man nur die Strasse zu überqueren, um vom Prado zur neuen Kunsthalle zu gelangen. Auch der erweiterte Musentempel Museo Thyssen-Bornemisza und das Museo Reina Sofía mit Jean Nouvels aufsehenerregendem Anbau befinden sich in unmittelbarer Nähe.

Herzog & de Meuron stellten sich der anspruchsvollen Aufgabe, die denkmalgeschützten Umfassungsmauern eines Elektrizitätswerks, der «Central Eléctrica del Mediodía» von 1899, nahezu komplett in den Museumsneubau zu integrieren. Arata Isozaki hatte es etwas einfacher, als er sechs Jahre zuvor für die Caixa Forum-Kunsthalle in Barcelona den Ziegelbau der 1911 von Josep Puig i Cadafalch errichteten modernistischen Tuchfabrik lediglich um einen abgesenkten Eingangsbereich erweiterte. Herzog & de Meuron akzentuierten nicht nur die spannungsvollen Beziehungen zwischen Alt- und Neubau, sie erklärten das neue Museum schlechthin zum «Magneten» für ganz Madrid. Gemessen an der moderaten Formensprache des «klassizistischen» Prado-Annexes gingen die Schweizer Baumeister ein grösseres Wagnis ein. Sie wollten beweisen, wie radikal zeitgenössisches und fantasievolles Bauen in einem traditionellen städtischen Umfeld möglich ist. Nun, der Nachweis ist ihnen zweifellos geglückt.

Gebirgsmassiv

Gegenüber des Königlichen Botanischen Gartens gelegen, ragt das Caixa Forum aus dem leicht ansteigenden Wohnviertel wie ein Gebirgsmassiv empor. Der neue Baukörper wurde auf die bestehende Ziegelfassade des Elektrizitätswerks aufgestockt, während man den Granitsockel des Altbaus abriss. Die hochgezogene Fassade versteht Jacques Herzog als «zerklüftete Landschaft», geprägt von Schrägen und Einbuchtungen. Dabei orientiert sich das Rot der gusseisernen Fassadenplatten an den Dachziegeln der angrenzenden Wohnbauten. Diese Platten gehören zur architektonischen Attraktion des Museums: Sie besitzen alle ein engmaschiges Perforationsraster, ausserdem unregelmässig geformte Einschnitte. Diese Module schirmen das aufgepfropfte Gehäuse wie eine Aussenhaut ab. Herzog & de Meuron interessieren sich seit mehreren Jahren für diese hybriden Konstruktionselemente, die sie wegen ihrer textilen und dekorativen Eigenschaften schätzen. Auch in der im Bau befindlichen «Ciudad del Flamenco» von Jérez de la Frontera kommen diese Elemente, die an die Fassadenstruktur der Moschee von Córdoba (784–987 n. Chr.) erinnern, zum Einsatz. Die «porösen» Platten des Caixa Forum funktionieren gleichzeitig als Fassade und Fensteröffnung: Sie schliessen ab, leiten aber zugleich gedämpftes Licht in die Museumsräume, in denen sie für ein angenehmes Clair-obscur sorgen.

Pilzdach

Auch konstruktionstechnisch hebt sich der hochkomplexe Baukörper von allen anderen Museumsprojekten auf dem Paseo del Arte deutlich ab (siehe «Dreibein, Korsett und Regenschirme», S. 24 ff.). Harry Gugger, Partner von Herzog & de Meuron, erklärte dazu: «Anfangs dachte niemand an die enormen Schwierigkeiten, die das Projekt mit sich brachte. Zunächst galt es, das Gebäude abzustützen, erst danach konnte der Granitsockel des Altbaus entfernt werden.» Das gesamte Gebäude lastet in den Untergeschossen auf drei mächtigen Pfeilern, die aus dem Fundament ragen. Doch davon bemerkt der Besucher nichts. Er nimmt nur den verkleideten Betonkern wahr, einen mächtigen Stängel, über dem sich das Gebäude wie ein Pilzdach wölbt. Dieser prismatisch geformte Eingangsbereich mit öffentlichem Platz unter dem schützenden Dach mutet wie expressionistische Filmarchitektur an. Die in den zwei Untergeschossen untergebrachten Säle, an deren Wände perforierte Aluminiumplatten angebracht wurden, sind allesamt stützenlos. Ebenso die Ausstellungssäle in der zweiten und dritten Etage. In den fünf oberen Geschossen, die sich über dem buchstäblich aufgelösten Sockelgeschoss erheben, demonstrieren die Basler, wie man Räume sinnlich gestaltet: Im Restaurant hängen tropfenförmige Lampen aus der Werkstatt von Herzog & de Meuron. Die Treppenhausspirale mit ihren elegant geschwungenen Ecken erstrahlt in blendendem Weiss. Und im Foyer überrascht der ruppige Charme eines von Neonröhren, Stahlboden und unverdeckten Ablüftungsrohren geprägten Industrie-Ambientes. Das Direktorenzimmer mag zunächst klaustrophobische Ängste wecken, bis man die Fensterschlitze unterhalb der Decke entdeckt.

Seit Langem gehört es zum Arbeitsprinzip von Herzog & de Meuron, mit bildenden Künstlern und Fotografen zusammenzuarbeiten. Diesmal luden sie den französischen Gartenkünstler Patrick Blanc ein, auf dem öffentlichen Vorplatz, der früher von einer Tankstelle verstellt war, landschaftsarchitektonische Akzente zu setzen. Blanc gestaltete die Brandmauer eines den Platz einfassenden Gebäudes als lebendige Pflanzenwand. An dieser quer zur Kunsthalle emporragenden Wand wachsen 15 000 Pflanzen von 250 verschiedenen Arten, aufgehängt an einem metallischen Gewebe, das gleichzeitig als Bewässerungssystem dient. Gegenüber dem Botanischen Garten zweifellos ein unwiderstehlicher Blickfang für die Passanten am Paseo del Prado.

Das Caixa Forum wird sich als machtvolle Konkurrenz zum benachbarten Museo Reina Sofía entwickeln. Beide Institutionen haben sich in Spanien als führende Museen für die Kunst des 20. Jahrhunderts etabliert, allerdings liegt der Sammlungsschwerpunkt des Caixa Forum mehr auf der Gegenwartskunst, beginnend mit den Nachkriegsströmungen um Joseph Beuys, Bruce Nauman, Bill Viola, Anselm Kiefer, Gerhard Richter und Georg Baselitz. Ähnlich wie das Museo Reina Sofía, das seit Kurzem der experimentierfreudige Manuel Borja Villel leitet, wird man nicht nur auf Ausstellungen setzen, sondern auf Konzertreihen, Debatten und ungewohnte Veranstaltungsformen. Die Rivalität der beiden Institutionen am Paseo del Prado dürfte sich als befruchtend erweisen.

4. Oktober 2007 Neue Zürcher Zeitung

Ein weisser Tempel über dem Rhein

Richard Meiers Erweiterungsbau des Arp-Museums Rolandseck

Vor sieben Jahren konnte in einem prachtvollen, südlich von Bonn am Rhein gelegenen spätklassizistischen Gebäude, dem ehemaligen Bahnhof Rolandseck, das Arp-Museum eröffnet werden. Wegen der beschränkten Räumlichkeiten für Sammlung und Ausstellungen hatte man schon vorher den New Yorker Architekten Richard Meier mit dem Bau einer Erweiterung beauftragt. Vor wenigen Tagen nun konnte der neue Museumskomplex eingeweiht werden. Überschattet wurde die Feier von einem Kunststreit. Unter anderem bezichtigten Kritiker den Trägerverein des Museums wegen des Verkaufs von Arp-Duplikaten, darunter auch postum hergestellte Güsse, des Handels mit Reproduktionen. Diese und andere Vorwürfe, die noch geklärt werden müssen, dürften allerdings Architekturliebhaber und Kunstfreunde von einem Besuch des in einer der schönsten Landschaften am Mittelrhein situierten Museums kaum abhalten.

Der Eingang zum Museum, in welchem Werke von Hans Arp immer wieder neu mit zeitgenössischer Kunst konfrontiert werden sollen, befindet sich im Bahnhofsgebäude. Dort geht es hinab zu einem vierzig Meter langen Tunnel, der unter den Bahngleisen hindurch zu einem verglasten Konus führt, von wo zwei Aufzüge die Besucher vierzig Meter hinauf zum Museumsneubau befördern. Dieser ist ganz in Meiers bekannter Sprache gehalten und bietet deshalb keine architektonischen Überraschungen. Allenthalben flutet Helligkeit durch Glasfassaden und Oberlichter. Nur auf der Arp gewidmeten Beletage gibt es ein abgeschirmtes Kabinett für kleinere Arbeiten. Sonst aber wirken die Gouachen, Collagen, Ölbilder und Reliefs des elsässischen Dadaisten in den elf Meter hohen, durch Blickachsen erschlossenen Räumen und loftartigen Ausstellungsplattformen reichlich verloren.

Besser fügen sich die sperrigen Grossformate von Anselm Kiefers «Wegen der Weltweisheit» in die helle Umgebung ein. Nur die raumgreifenden Bleibetten aus der Serie «Die Frauen der Revolution» verlieren in der immateriell wirkenden Atmosphäre des mittleren Geschosses ihre Erdenschwere. Günstigere Standorte haben hingegen die Lichtspirale von Barbara Trautmann sowie die Skulpturen und Installationen von Anton Henning, Johannes Brus und Michael Craig-Martin. Trotz allen Schwierigkeiten, die das neue Haus stellt, ist Museumsdirektor Klaus Gallwitz von der Wirksamkeit des Dialogs zwischen dem Klassiker Arp und heutigen Künstlern überzeugt. Nicht Nachlassverwaltung, sondern lebhafter Dialog mit den künstlerischen Strömungen der Gegenwart ist sein Motto. Dieses verspricht nach all den Streitereien einen guten Neuanfang für Rolandseck.

[ Die Ausstellung «Hans Arp. Die Natur der Dinge» dauert bis zum 30. März 2008; die Anselm-Kiefer-Schau «Wege der Weltweisheit / Die Frauen der Revolution» bis 28. September 2008. ]

4. Juli 2007 Neue Zürcher Zeitung

Architektonische Attraktionen

Neue Entwicklungen in der spanischen Museumslandschaft

Seit fünfzehn Jahren erlebt die spanische Museumsarchitektur eine erstaunliche Blüte. Dabei ist in vielen Fällen das Aussehen der neuen Musentempel wichtiger als ihr künstlerischer Inhalt.

Der Schriftsteller Julio Llamazares kritisierte kürzlich, dass sich das kastilische León, eine Stadt mit 135 000 Einwohnern, eines der grössten Museen für Gegenwartskunst in Spanien leiste: das soeben mit dem Europäischen Mies-van-der- Rohe-Preis ausgezeichnete Museo de Arte Contemporáneo (Musac) der Madrider Architekten Luis Mansilla und Emilio Tuñon. Gleichzeitig aber vernachlässige León sein historisches Erbe. Das sei, schrieb Llamazares, für spanische Verhältnisse normal. «Mittlerweile gibt es Orte, die weder über Krankenhäuser noch über wichtige Infrastrukturen verfügen, jedoch über ein Museum der Gegenwartskunst. Wie einst die Kathedralen sind diese Museen heute zu wichtigen Aushängeschildern der Städte geworden.»

Warmer Geldregen

In León, das nicht länger nur auf Kirchen und Adelspaläste setzen möchte, ist seit einigen Jahren Modernisierung angesagt. Zunächst bauten Mansilla und Tuñon eine Konzerthalle, dann Dominique Perrault einen Kongresspalast. Nun erregt das durch bunte Fassaden bestimmte Musac Aufsehen. So mancher Kurator dürfte neidisch auf das neue Haus mit seinen 3400 Quadratmeter Ausstellungsfläche blicken. Laut dem Musac-Kurator Agustín Pérez Rubio möchte man nun «die Bürger für das erste Museum des 21. Jahrhunderts begeistern und damit für die Kunst einer Pipilotti Rist und einer Candida Höfer, eines Thomas Hirschhorn und eines Andreas Gursky».

Von der spendierfreudigen Regionalregierung Castilla-León erhält das Musac jährlich 5 Millionen Euro, aber auch die neuen Museen für Gegenwartskunst in Salamanca und Valladolid werden grosszügig unterstützt. Ohne gefüllte Staatskassen wäre die Freizügigkeit der autonomen Regionen nicht denkbar. Tatsächlich konnte Kulturministerin Carmen Calvo für das laufende Jahr einen Anstieg des Museumsetats um 38 Prozent versprechen. Diese wachsenden Mittel stammen nicht zuletzt aus den hohen Subventionen, die Spanien aus EU-Fonds bezieht. Von diesen profitiert auch das Macba in Barcelona, Richard Meiers blütenweisses Museum für Gegenwartskunst. Bei einem Etat von 10,3 Millionen Euro und wachsenden Besucherzahlen kann sich Macba-Direktor Manuel Borja-Villel wie Krösus unter den spanischen Museumsdirektoren fühlen. Borja-Villel weiss seinen Handlungsspielraum zwar zu schätzen, beklagt aber gleichzeitig, dass die Gelder vornehmlich Museen in den Metropolen und Nordspanien zugutekommen: «In Andalusien gibt es eine lebendige Szene mit vielen Künstlergruppen, aber es fehlen dort die nötigen Kunsthallen.»

In Andalusien gibt es nur eine Ausnahme: Málaga. Die Stadt leistet sich immerhin vier Häuser für moderne Kunst - darunter das in einer rationalistischen Markthalle von 1942 untergebrachte Centro de Arte Contemporáneo (CAC) und das aus verschiedenen Bauten zusammengesetzte und vom amerikanischen Architekten Richard Gluckman vorbildlich umgebaute Picasso-Museum im prachtvollen Altstadtkern. Musac-Kurator Pérez Rubio schätzt zwar das neue Picasso-Museum, kritisiert aber, dass Picassos Geburtsort Málaga auf Kosten anderer Städte privilegiert wird: «Allein mit dem Geld für die Eröffnungsfeierlichkeiten - mit Königspaar, Presse und Gästen aus aller Welt - hätte man neue Kunstzentren in Huelva und Almería aufbauen können. Doch die Region ging leer aus.»

Glitzernde Hülle

Das Musac in León, das Picasso-Museum in Málaga und viele andere spanische Kunstzentren sind Ausdruck jenes Booms, der seit den neunziger Jahren zu Museumsneugründungen führte, sei es in der Hauptstadt oder in einem Dörfchen wie Malpartida de Cáceres in der tiefen Extremadura. Dabei hoffen alle auf den «Bilbao-Effekt». Selbst Kritiker müssen zugestehen, dass das Musac die kulturelle Attraktivität Leóns ebenso nachhaltig verändert hat wie Frank Gehrys Guggenheim- Museum jene der einst grauen Industriestadt am Nervión, die zu einer bei Kulturtouristen beliebten Destination geworden ist.

Mit Blick auf Bilbao kritisiert Macba-Direktor Borja-Villel: «Schnell einigt man sich auf einen internationalen Stararchitekten, der eine glitzernde Museumshülle errichtet. Doch allzu oft weiss später keiner, wie das neue Programm aussehen soll. Oder es kommt vor, dass Geld für eine Sammlung fehlt.» So geschehen in Valencia, wo vor einigen Jahren Guillermo Vázquez Consuegra das «Museum für Aufklärung und Moderne» (Muvim) errichtete. Erst spät besannen sich die Stadtpolitiker darauf, dass Valencia keine erwähnenswerten Dokumente der Aufklärung und der Moderne besitzt. Eine Lösung ist bis heute nicht gefunden, und so bleibt dem Besucher nichts anderes übrig, als das «edificio-paisaje» genannte Museumsgebäude und dessen Einbettung in den archäologischen Garten zu bewundern.

Aufsehenerregende Neubauten

Ähnliches passiert derzeit auf Teneriffa, wo man ebenfalls auf den Bilbao-Effekt setzt. Deshalb beauftragte man die Pritzker-Preis-Träger Herzog und de Meuron mit dem Bau des Instituto Oscar Domínguez, dessen Grundfläche allein schon 20 000 Quadratmeter misst, am Rand der Altstadt von Santa Cruz de Tenerife. Es fragt sich nur, ob der Anspruch eines «Museums von weltweiter Ausstrahlung» mit dem interessanten, aber nicht aufsehenerregenden Werk des kanarischen Surrealisten Oscar Domínguez eingelöst werden kann - oder ob allein der Name der Architekten und deren Bau die Besucher anlocken sollen.

Eine Provinzposse besonderer Art leistete man sich im galizischen La Coruña, wo die jungen Architekten Victoria Acebo und Angel Alonso den gläsernen Kubus des Centro de Arte realisierten, der die Programmbereiche Tanzschule und Museum miteinander vernetzt. Die raffinierte Konstruktion, die sogar in der Spanien- Schau des New Yorker Museum of Modern Art gezeigt wurde, behandelt jeden Bereich wie einen selbständigen Baukörper mit eigener Erschliessung, ohne dass dieses Prinzip von aussen sichtbar wäre. Ungeachtet des originellen Entwurfs ruhen seit etlicher Zeit die Bauarbeiten, da der mittlerweile regierende PSOE von den anfänglichen Plänen abrückte und nun ein Wissenschaftsmuseum einrichten will, obwohl sich La Coruña bereits mehrere vergleichbare Einrichtungen leistet.

Derlei Planungsunsicherheiten sind auch Rafael Moneo bestens vertraut. Erst nach über 13 Jahren Entwurfs- und Bauzeit konnte er in diesem Frühjahr den Annex des Museo Nacional del Prado vollenden. Derzeit ist das Gebäude zur «Vorbesichtigung» offen, denn eingeweiht wird es erst zu einem späteren Zeitpunkt. Zu einem weiteren Highlight am Paseo del Arte soll die Ausstellungshalle Caixa Forum werden, die derzeit Herzog und de Meuron unweit des Prados errichten. Mit ihren schiefen Dachbahnen und der gusseisernen Aussenhaut wird sie sich wie ein drohendes Gebirgsmassiv über dem Paseo und dem angrenzenden Stadtteil erheben. Sie ist ein merkwürdiger Hybride, der über die Umfriedungsmauern des Elektrizitätswerks Central eléctrica del mediodía von 1899 hinauswächst, eine kuriose Mischung aus konventioneller Ziegel- und expressiver Monumentalarchitektur. Da Herzog und de Meuron das Bauwerk aufständerten, gewannen sie ebenerdig einen öffentlichen Platz, der sich am Boulevard zu einer grösseren Freifläche mit dekorativ begrüntem Mauerwerk ausweitet.

Das Caixa Forum wird von der mächtigen katalanischen Sparkassenstiftung «la Caixa» getragen und steht für eine vielfältige spanische Kulturlandschaft, die in grossen Teilen erst durch private Stiftungen ermöglicht wird. Vor kurzem eroberte auch die Caixa Galicia mit einer vom britischen Architekten Nicholas Grimshaw inmitten des Altstadtgewebes von La Coruña errichteten, wellenförmig verglasten Kunsthalle kulturelles Terrain. Und in Huesca hat Rafael Moneo für die Fundación Beulas einen massiv wirkenden Baukörper realisiert. Dabei erinnert dieser zugleich modern und archaisch wirkende Bau an die ausgewaschenen Felsformationen der nahen Pyrenäen. - So verschieden die spanischen Museen auch sein mögen, lassen sie doch Politiker von neuen städtischen Attraktionen, Kuratoren von herausragenden Sammlungen und Architekten von spektakulären Museumsbauten träumen.

2. Juni 2007 Neue Zürcher Zeitung

Kritische Blicke auf wuchernde Städte

Die dritte Architekturbiennale von Rotterdam

Rotterdam präsentiert sich in diesem Jahr als «City of Architecture». Hauptattraktion ist die dritte Architekturbiennale, die sich mit dem sozialen Engagement von Architekten in der Dritten Welt befasst. Daneben lockt das Sommerprogramm mit einer grossen Le-Corbusier-Schau.

Die Rotterdamer Architekturbiennale begeisterte die Besucher bisher stets mit städtebaulicher Aufbruchstimmung. Vor dem Ausstellungsort Las Palmas, einem monumentalen Speichergebäude auf der Wilhelminakade, wurde man Zeuge, wie gleich nebenan der Montevideo-Tower hochgezogen wurde. Inzwischen aber ist im Las-Palmas- Bau das Niederländische Fotoinstitut eingezogen, und die Biennale-Veranstalter mussten sich in der Innenstadt nach neuen Räumlichkeiten umsehen. Es bot sich die Kunsthal an, die zusammen mit dem benachbarten Niederländischen Architekturinstitut (NAI) geeignete Ausstellungsflächen besitzt. Zwar mussten die Organisatoren vom Rotterdamer Berlage-Institut diesmal mit geringeren Subventionen auskommen. Das hatte zur Folge, dass man sich mit «Visionary Power. Producing the Contemporary City» zu einem klaren Themenschwerpunkt durchrang, der durch zwei Begleitveranstaltungen - «The New Dutch City» in der Kunsthal und «A Better World, Another Power» im NAI - sinnvoll ergänzt wird.

Bauen am Rande der Legalität

Der Blick auf die Hauptausstellung macht deutlich, dass der Umzug in die Kunsthal mit einem radikalen Perspektivenwechsel verbunden ist: Dominierten in den beiden vorangegangenen Architekturbiennalen Probleme der westlichen Stadtentwicklung, so sieht man sich nun mit den immensen architektonischen, urbanistischen und sozialen Engpässen der Dritten Welt konfrontiert. Den Kuratoren, die den Ausstellungsparcours in fünf Themenkreise (Capital Cities, Corporate Cities, Spectacle Cities, Informal Cities, Hidden Cities) gliederten, lag es fern, Entwürfe von Stararchitekten für boomende Metropolen wie Schanghai, Singapur oder Dubai vorzustellen, mit denen sich zumeist Hochglanz-Magazine schmücken. Vielmehr haben unspektakuläre Projekte den Weg in die Ausstellungshallen gefunden. Während die von den Medien gefeierten Architekten die Selbstdarstellung der Global Cities mit aufsehenerregenden Gebäuden unterstützen, beschäftigen sich ihre weniger bekannten Kollegen in der südlichen Hemisphäre mit der Aufwertung von Slums. Um ihre Tätigkeit auch in unseren Breitengraden etwas bekannter zu machen, haben acht Forscher vierzehn Architekturbüros unter anderem aus Astana, Ceuta, Johannesburg, Mexiko-Stadt und Tijuana / San Diego eingeladen. Auf dem Biennale-Forum demonstrieren die Architekten, wie sie den Bewohnern der «gegenwärtigen informellen Stadt» zu einem menschenwürdigem Dasein verhelfen wollen.

Ein sensibler Blick auf das bauliche und soziale Umfeld ist den meisten Projekten eigen. Besonders die im Ausstellungsbereich «Immigrant City - Migration» von Alfredo Brillembourg und Hubert Klumpner vorgestellten Studios machen deutlich, dass die Arbeit der Drittwelt-Architekten sich kaum mit den Ausbildungsinhalten westlicher Universitäten deckt. Die Kuratoren fordern eine sozial verantwortliche Architektur, die vermehrt Rücksicht auf Gemeinschaften und deren Lebensbedingungen nimmt. Auf diese sollen sich die Architekten mit möglichst flexiblen Strategien einlassen. Brillembourg und Klumpner - die sich in Petare auskennen, einem Slum in Caracas mit einer Million Einwohnern und eigenem «Regierungssystem» - wissen, dass es heute nicht mehr darum gehen kann, die informellen und illegalen Verhältnisse zu beseitigen. Die Regierungen von Venezuela, aber auch von Brasilien haben das ebenfalls erkannt. Heute bemühen sich daher São Paulo, Rio de Janeiro und andere Städte des Südens, in ihren riesigen Favelas minimale Infrastrukturen herzustellen.

Der Architekt Teddy Cruz demonstriert, wie notwendig schnell zu errichtende, improvisierte Behausungen sind. An der mexikanisch-amerikanischen Grenze von San Ysidro arbeitet er zusammen mit der NGO-Vereinigung «Casa Familia», um für die anschwellenden Migrantenströme «Living Rooms», temporäre Unterkünfte mit privaten und gemeinschaftlichen Räumen, zu errichten. Und in Mexiko-Stadt hat es das Team Arquitectura 911sc mit einem informellen Sektor zu tun, der parallel zur «formellen Stadt» wächst und diese in absehbarer Zukunft in den Schatten stellen wird. In der Grauzone zwischen diesen beiden Bereichen, irgendwo in den ausufernden Metastasen im Osten der Megapole - im Ödland zwischen einer properen Klinkersiedlung und den chaotischen Behausungen eines riesigen Slums -, wollen die Mitarbeiter von Arquitectura 911sc einen Park anlegen. Dabei haben sie erkannt, dass dies nicht ohne Verhandlung mit beiden Seiten und nur mit dezentraler Planung möglich ist. Und es ist ihnen klargeworden, dass der Gegensatz zwischen «formell» und «informell» für ihre Arbeit hinfällig geworden ist.

Kurator Roemer van Thoorn ist davon überzeugt, dass die ausgewählten Projekte aus mehreren Kontinenten den städtischen Raum wiedergewinnen und die Rolle der «civitas» reaktivieren können. Das ist begrüssenswert, doch bleibt es zweifelhaft, ob das traditionelle Bild von der europäischen Stadt ohne weiteres auf die urbanistischen Wucherungen in Caracas oder Mexiko- Stadt übertragbar ist. Der vom Office Kersten Geers entworfene ghettoartige Auffangbereich für afrikanische Migranten in Ceuta ist bestenfalls eine zynische Antwort auf die gängige Praxis von Sicherheitswall und Abschiebehaft. Selbst die von «a-u-r-a/FÜNDC BV» für Havanna vorgeschlagene nachhaltige Stadtentwicklung widerspricht den Idealen der «bürgerlichen Stadt». Die Architekten sehen nämlich die einzige Rettung Havannas vor einem künftigen Ansturm global agierender Investoren in der Musealisierung der Ciudad Vieja, dem Aufbau touristenfreier Pufferzonen und einer Ciudad Nueva, einer künstlichen Wolkenkratzer-Insel vor dem Malecón.

Le Corbusier in Südamerika

Diese funktionalistische Dreiteilung Havannas ist wahrscheinlich ebenso artifiziell und lebensfremd wie Le Corbusiers rationalistische Stadtvisionen der 1920er Jahre. Beim Besuch der von Stanislaus von Moos und Arthur Rüegg betreuten Ausstellung «Le Corbusier. The Art of Architecture», des Glanzlichts der Architekturbiennale im NAI, lässt sich jedoch feststellen, dass die Stadtlandschaft von Rio de Janeiro und deren eigenartige Topographie den Schweizer während der Lateinamerikareise von 1929 zum radikalen Umformulieren seiner städtebaulichen Theorien veranlassten. Rüegg und von Moos zeigen dazu Le Corbusiers Reiseskizze der mäandrierenden Wegführung eines Autobahnviadukts an der Küste Rios. Der Architekt habe sich damals vom geometrischen Schachbrettmuster seines «plan voisin» befreit, mit dem er in seiner Phantasie noch kurz zuvor das Paris nördlich der Seine kahl schlagen und Platz für 18 Hochhäuser schaffen wollte. 1932 übertrug Le Corbusier dann seine neue Vorstellung von einem organischen Städtebau auf Algier - in Form einer schlaufenförmigen Bandstadt mit Wohneinheiten und darüber geführter Autobahn.

Die materialreiche Le-Corbusier-Schau, die im Herbst ins Vitra-Museum in Weil am Rhein weiterziehen wird, befasst sich vornehmlich mit den künstlerischen, kunsthandwerklichen und kulturellen Einflüssen, welche die Architektur des Meisters geprägt haben. Laut von Moos «war Le Corbusiers Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit der modernen Technik nach dem Zweiten Weltkrieg stark erschüttert». Dennoch glaubte er weiterhin an die Machbarkeit der Welt. Seine Idealstadt Chandigarh wurde zum Vorbild von Brasilia und jüngst auch von Astana. Letztlich waren - das zeigt die sehenswerte Ausstellung auch - zwei Seelen in Le Corbusiers Brust: eine, die sich fremden Kultureinflüssen öffnete, und eine andere, die das modernistische Credo von technischem Fortschritt und Rationalisierung hochhielt.

[ Bis 2. September: «Visionary Power. Producing the Contemporary City» und «The New Dutch City» in der Kunsthal sowie «A Better World, Another Power» und «Le Corbusier. The Art of Architecture» im NAI. Der Biennale-Katalog (englisch) kostet Euro 39.50, der Le-Corbusier-Katalog (deutsch/englisch) Euro 84.75. ]

25. Mai 2007 Neue Zürcher Zeitung

Trutzburg und Höhle

Peter Zumthors Bruder-Klaus-Kapelle setzt ein Zeichen in der Eifel

Als sich Peter Zumthor vor neun Jahren von dem Bauernpaar Hermann-Josef und Trudel Scheidtweiler dazu begeistern liess, dem heiligen Niklaus von Flüe ein Sanktuarium im entlegenen Mechernich-Wachendorf in der Eifel zu errichten, dachte er an eine Feldkapelle für einsame Wanderer, die in ihr Andacht und Ruhe finden sollten. Doch von Ruhe ist derzeit rund um das Gotteshaus wenig zu spüren. Denn schon vor Abschluss der Bauarbeiten umschwirrten zahllose Reporter die Baustelle und die Auftraggeber. Man dachte sogar daran, vor der kleinen Bruder-Klaus-Kapelle inmitten eines Kornfelds einen Parkplatz für jene Touristenscharen zu errichten, die anlässlich der Eröffnung von Zumthors Kölner Diözesanmuseum im kommenden September einen Abstecher ins nahe gelegene Wachendorf einlegen werden. Doch zum Glück konnte der Schweizer Architekt den Parkplatz verhindern.

Tradition

Kurz vor der Einweihung der Feldkapelle am letzten Wochenende waren Zumthors Mitarbeiter Rainer Weitschies, die Scheidtweilers und freiwillige Helfer noch damit beschäftigt, dem Bauwerk vor dem Dank- und Festgottesdienst den letzten Schliff zu geben. Hin und wieder kamen Schaulustige aus dem Ort, auch Bauern, die in den letzten Jahren eifrig halfen, die 23 Betonschichten des zwölf Meter hohen Turms aufzutragen. Ein Freund des Auftraggeberpaars, das bereits im Rentneralter ist, erzählte, dass er dabei mitgewirkt habe, den Zement mit Sand und grobem Kiesel aus der Voreifel zu stampfen. Peter Zumthor habe zu dieser Methode geraten, weil sie einer uralten regionalen Bautradition entspreche und selbst von Laien angewandt werden könne. Auf die Frage nach dem Heiligen meinte der tatkräftige Helfer, jeder Rheinländer stutze wohl, wenn er den ihm unbekannten Namen auf der provisorischen Tafel vor der Kapelle lese: «Diese Feldkapelle ist dem Heiligen Niklaus von Flüe geweiht. Er war Bauer und Einsiedler, Ratsherr und Richter, Gottsucher und Friedensstifter.» Daraufhin berichtet der Wachendorfer Bauer, er und Hermann-Josef Scheidtweiler gehörten bereits seit vierzig Jahren dem katholischen Landvolk an, das Bruder Klaus verehre. Deswegen seien sie auch immer wieder nach Flüeli-Ranft bei Sachseln gepilgert.

Hätten die Scheidtweilers einen anderen Heiligen ausgesucht, wäre Zumthors Kapelle in der Eifel wohl kaum Realität geworden. Aber für Bruder Klaus wollte Zumthor die Kapelle sogar honorarfrei errichten, «weil der Innerschweizer Eremit ein Lieblingsheiliger meiner Mutter war». Als Gegenleistung erwartete Zumthor als eigensinniger Perfektionist von Beginn an, den zeitlichen Ablauf und sogar das kleinste Detail selbst bestimmen zu dürfen.

Archaik

Entstanden ist schliesslich ein minimalistischer, blockhafter Turmbau über fünfeckigem Grundriss. Der scharfkantige Monolith mag zunächst an eine Trutzburg denken lassen, doch der Innenraum weckt gänzlich andere Assoziationen. Zumthor versuchte wohl, die Einsiedelei des Eremiten aus dem 15. Jahrhundert mit architektonischen Mitteln in die heutige Zeit zu versetzen. Wer die dreieckige Chromstahltür der fensterlosen Kapelle durchschreitet, betritt einen dunklen, höhlenartigen Raum, der ein gewisses Unbehagen auszulösen vermag. Denn er weckt nicht nur Assoziationen an einen Uterus, sondern auch an die Visionen Sterbender, die am Ende eines Tunnels einen Lichtschein wahrnehmen sollen. Tatsächlich verjüngt sich der Andachtsraum zeltähnlich nach oben und lässt an der Spitze eine schmale Öffnung zum Himmel frei, durch die der Regen ungehindert einfallen kann. Zumthor erreichte die monolithische Wirkung der Fassade und den Höhlencharakter im Innern durch zwei grundverschiedene Schalungsmethoden. Für die äussere Konstruktion wurde der Stampfbeton konventionell in horizontalen Schichten geschalt. Der Innenraum hingegen ist das Resultat einer nahezu vertikalen Schalung aus 120 Fichtenstämmen.

Da die nach dem Trocknen völlig mit dem Beton verbundenen Baumstämme nicht ohne weiteres wieder entfernt werden konnten, entschied sich Zumthor für ein Köhlerfeuer, das bei verschlossener Tür 14 Tage lang schwelte. Nach der Reinigung des Sakralraums blieben nur die Negativrundungen der Stämme und die dunkel glänzende Oberfläche des Betons. Schliesslich wurden in die entstandenen kleinen Öffnungen Hunderte von Glassteinen eingesetzt, welche die von oben hereinfallenden Lichtstrahlen brechen.

Im ersten Augenblick fesselt die archaische Wucht dieses Innenraums, der einen gleichzeitig schaudert und begeistert. Dann denkt man vielleicht an die Höhle von Bruder Klaus, die so ähnlich ausgesehen haben mag - ein schmaler Eingang, vom Feuer verrusste Wände, der freie Blick zum Himmel und mitten im Andachtsraum eine schlichte Holzbank.

2. März 2007 Neue Zürcher Zeitung

Buntes Treiben am Wasser

Der Innenhafen als Herz von Duisburgs Stadterneuerung

Dem Phänomen des Einwohnerschwunds antworten die Städte des Ruhrgebiets mit einem Ausbau der Geschäftszonen. Gleichzeitig wird in Duisburg das Gebiet rund um den Innenhafen neu belebt.

«Duisburg baut Zukunft», ist auf einer Tafel im Zentrum der Stadt zu lesen. Tatsächlich ist am König-Heinrich-Platz, in zentraler Lage, das Baufieber ausgebrochen. Hier entsteht das City Palais, ein multifunktionales Stadthaus mit Philharmonie, Spielkasino, Hotel, Büros, Geschäften und Parkhaus. Nach Abschluss der Arbeiten im Frühjahr wird Duisburg, so hofft man, das schmuddlige Ruhrgebiet-Image abgestreift haben. Für das neue Stadtbild liessen die Kommunalpolitiker sogar die denkmalgeschützte Mercator-Halle abreissen. Dabei war der Flachbau des Duisburger Büros Stumpf und Voigtländer ein gelungenes Beispiel der Nachkriegsmoderne.

Banaler Stadtpalast

Realisiert wird nun der konventionelle Vorschlag des Londoner Büros Chapman Taylor. Dieses setzt auf banale Geschäftsarchitektur. Aus der Mitte des Ensembles stösst ein gläserner Bug auf den König-Heinrich-Platz vor. Der fünfgeschossige, elliptische Office-Riegel bildet den Blickfang des City Palais. Doch den für die Innenstadt erhofften architektonischen Mehrwert bietet er nicht. Positiv ist einzig die Tatsache, dass das Gebäude die Bezüge zwischen Liebfrauenkirche, Theater und Landgericht klärt. Bald wird noch das von Chapman Taylor zusammen mit dem Wiener Büro Ortner und Ortner entworfene Forum Duisburg hinzukommen. Vom Forum, das als multifunktionales Zentrum für Büro, Einzelhandel und Gastronomie geplant ist, erhofft sich die Stadt den entscheidenden Anstoss zum wirtschaftlichen Aufschwung. Das österreichisch-englische Gemeinschaftsprojekt weist eine ähnlich bewegte Geschichte auf wie das City Palais. Denn zunächst hatte man den extravaganten Japaner Shin Takamatsu beauftragt, neben dem strengen Klinkerbau des Hauptbahnhofs die bizarre Shopping-Mall Multi Casa zu bauen. Doch dann bevorzugte der niederländische Investor plötzlich die Innenstadt als Standort.

Der geplante Abriss eines Nachkriegs-Kaufhauses am König-Heinrich-Platz kam den Investoren entgegen. Chapman Taylor übernahm die Grundrissgestaltung, Ortner und Ortner entwarfen die Fassaden der Shopping-Mall. Die Wiener konzipierten ein Ensemble aus drei- bis viergeschossigen Gebäuden, die einen kontrastreichen Wechsel von einfachen Prismen und ondulierenden Baukörpern mit rhythmischer Fassadengestaltung bilden. Das Forum, das Ende 2007 fertig sein wird, soll der Stadt zusätzlich 57 000 Quadratmeter Verkaufsfläche sowie überdachte Passagen, Arkaden, Plätze und Terrassen mit grossstädtischem Flair bringen. Mit diesem «grössten in einer deutschen Innenstadt realisierten Projekt» begibt man sich in Konkurrenz zu Essen, Oberhausen und Dortmund, die bereits um die grössten Shopping-Malls wetteifern.

Nach der Entscheidung für die Neugestaltung der Innenstadt muss es den Duisburger Planern gedämmert haben, dass sich das glitzernd neue Zentrum stark vom städtischen Umfeld abheben wird. Der Bereich zwischen dem König-Heinrich- Platz und dem seit den neunziger Jahren durch Wohn-, Büro- und Kulturbauten aufgewerteten Innenhafen blieb bis heute unverändert öde. Dem soll nun abgeholfen werden. Schaut man sich die Pläne an, liegt die Vermutung nahe, die Duisburger seien auf dem besten Weg, ihre Stadt in eine Foster-City zu verwandeln. Die Begeisterung für Norman Foster begann, als der britische Lord 1991 den Masterplan für den neuen Innenhafen vorlegte und wenig später das Microelectronic- Center sowie das Haus der Wirtschaftsförderung baute. Nun soll auch das damals konzipierte Eurogate, ein markantes Office-Center am Holzhafen, folgen. Vor wenigen Tagen nun stellte Foster in Duisburg seinen Masterplan für die Innenstadt vor.

Eigentlich wollte der Duisburger Stadtentwicklungsdezernent den Entwurf des neuen Masterplans für den Stadtraum zwischen Innenhafen und Zentrum jüngeren Architekten anvertrauen. Doch die Liebe der Duisburger zu Foster war grösser. Foster möchte nun die Verkehrsflächen reduzieren, eine umweltfreundliche Mobilität stärken und die alte Montanstadt in eine «pulsierende, grüne und umweltbewusste Stadt umwandeln». Sicherlich profitiert Foster davon, dass er an seinen alten Masterplan für den Innenhafen anknüpfen kann. Dieser hatte die klare Vorgabe, die alten Getreidespeicher zu erhalten, eine Mischnutzung mit hochwertiger Infrastruktur sowie anspruchsvolle baukünstlerische Akzente durchzusetzen. Foster liess Grachten anlegen und entlang der Kanäle Zeilenbauten mit ausgedehnten Innenhöfen errichten. Diese Wohnbauten, die unter anderem von Foster, von Auer & Weber sowie von Ingenhoven & Overdiek stammten, wurden international gelobt. Breite Unterstützung bekam Foster auch für seinen Plan, die Bebauung und Umnutzung des Innenhafens in kleinen Schritten vorzunehmen. Unter den Gesichtspunkten Diversität und kontinuierliches Wachstum entstanden so unterschiedliche Einrichtungen wie Zvi Heckers Synagoge, Dani Karavans «Garten der Erinnerung» oder die Küppersmühle, ein nach den Plänen von Herzog & de Meuron für die Sammlung Hans Grothe umgenutzter Industriebau.

Vielfältiges Erscheinungsbild

Die angestrebte Diversität lässt sich vornehmlich an den neuen Bürogebäuden der beiden Hamburger Büros Bothe Richter Teherani sowie von Gerkan, Marg & Partner ablesen. Das eine steht für Investorenarchitektur mit einprägsamer, symbolhafter Fassadengestaltung, das andere für moderne Klinkerbaukunst, die sich den Kubaturen, Materialeigenschaften und Traufhöhen der alten Getreidesilos anpasst. Foster setzte bewusst auf unterschiedliche Handschriften, die den Innenhafen beleben. Beispielhaft sind die Five Boats seines Landsmanns Nicholas Grimshaw.

Das langgestreckte Glasprisma mit den fünf abgerundeten Querriegeln, die an angelegte Boote erinnern, avancierte mit seiner nächtlichen Beleuchtung zum werbewirksamen Stadtsignet. Neben den Five Boats soll sich demnächst Fosters Eurogate erheben, auf das die Duisburger nun schon seit 15 Jahren warten. Für Dieter Steffen, Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Innenhafen, ist der Foster-Bau, der Hotel, Shopping-Mall und Büros vereinen wird, «ein Symbol für den Duisburger Strukturwandel». Er soll als grosse Sichel den Bogen des Holzhafens umschliessen. Mit der Wahl Fosters setzten die Duisburger auf Nummer sicher. Bedenklich ist demgegenüber der politische Beschluss, trotz dem Bevölkerungsschwund im Ruhrgebiet weiter auf Shopping-Malls zu setzen und den Renditeversprechungen der Investoren zu vertrauen. Woher all die Kunden für City Palais, Forum und Eurogate kommen sollen, ist unklar.

2. März 2007 deutsche bauzeitung

Inneres Glühen

Am Fuß der spanischen Pyrenäen errichteten die ortsansässigen Architekten in minimalistischer Glasarchitektur fünf außergewöhnliche Hotelpavillons. In den Innenräumen der meditativen Unterkünfte stört nichts den Eindruck von Klarheit, Ruhe, Einsamkeit.

Mit weit über fünf Millionen Besuchern jährlich verzeichnet Barcelona derzeit die höchste touristische Zuwachsrate unter den europäischen Städten. Die Hotelbranche hat sich bereitwillig auf diese Entwicklung eingestellt und reagiert mit bemerkenswerten Neubauten: Vom Meeresufer bis weit über Barcelonas neues Stadtsignet – Jean Nouvels Torre Agbar für die Wasserwerke »Aguas Barcelona« – hinaus, bis in die südliche »zona franca« zwischen den Vororten der Metropole und dem Flughafen hinein, entstehen Hotels namhafter Architekten. So baut zum Beispiel Dominique Perrault an der Avenida Diagonal das »Habitat Sky«, ein 120 Meter hohes, mit einer metallisch glänzenden Haut überzogenes Zweischeiben-Haus, und Enric Ruiz-Gelis das »Hotel Hábitat«, dessen Fassade in der Nacht von einem Netz aus Fotovoltaikzellen erleuchtet werden soll.
Doch auch Reisende, die es vorziehen, eher außerhalb des städtischen Trubels zu wohnen, kommen auf ihre Kosten: Weit entfernt vom Zweitresidenz-Gürtel deutscher Touristen am Meer empfiehlt sich das Städtchen Olot inmitten des Vulkangebiets Garrotxa als Refugium für den Großstadtflüchtling. Die intimen Hotelpavillons »Les Cols« des heimischen Architekturbüros RCR sind eine überzeugende Alternative zu den Designhotels Barcelonas.

Architektur im Vulkangebiet

Hinter dem Kürzel RCR verbergen sich die Architekten Rafael Aranda, Carme Pigem und Ramón Vilalta. Die drei hatten sich während des Studiums an der renommierten Architekturfakultät in Barcelona kennengelernt und entgegen der Ratschläge ihrer Professoren und Kollegen entschieden, der Karriereschmiede der katalonischen Metropole den Rücken zu kehren und in ihrer gemeinsamen Heimatstadt Olot ein Büro zu gründen. Dabei bauten sie eine lebendige Arbeitsgemeinschaft auf, die auf kollektive Entscheidungen setzt. Seit Ende der neunziger Jahre entstanden fast alle Projekte von RCR im Vulkangebiet La Garrotxa. So zum Beispiel ein schmaler, lang gestreckter Badepavillon, der wie selbstverständlich am Ufer des Río Fluvia steht, oder das Stadion Tussols-Basil, eine Leichtathletikanlage, die sich in die Lichtung eines Eichenwaldes einfügt und sich als gelungene Verbindung von Natur und Architektur erweist.

Im letzten Jahr hat das Büro zwei weitere Projekte am östlichen Stadtrand von Olot realisiert: ein Restaurant, das in ein altes katalonisches Bauernhaus eingefügt wurde, und fünf Gästepavillons, die auf dem angrenzenden Grundstück entstanden sind. »Les Cols« (katalanisch: die Kohlköpfe) ist in Spanien bereits zu einem Geheimtip geworden; die Küche verbindet lokale Tradition mit ausgetüftelter Finesse, und die Architektur zeigt, dass RCR einem spanischen »paisajismo« folgen, der keineswegs orthodox ist, sondern immer wieder für originelle Raumlösungen sorgt. So haben sie den traditionellen Gemeinschaftsraum des Bauernhauses in einen goldlackierten Bankettsaal mit einem zwanzig Meter langen goldenen Tisch, goldenen Stühlen und Wänden verwandelt.

Ganz aus Glas

Nach diesem Farbenrausch überraschen die Pavillons durch ihre nüchterne, fast unauffällige Erscheinung und Konstruktion. Doch die Architektur ist hier längst nicht alles, auch das Zelebrieren von Ritualen gehört dazu: Der Hotelgast wird von der jungen Hotelbesitzerin Judit Planells in ein kleines, schummriges Vestibül geleitet, in dessen Mitte lediglich ein Tisch mit Kohlköpfen und brennenden Kerzen steht. Hier wird der Gast charmant mit den Gesetzen des Hauses vertraut gemacht, den Hotel- und Zimmercodes sowie den Servicezeiten. Das ist in der Tat notwendig, denn in »Les Cols« ticken die Uhren etwas anders. In Begleitung von Judit Planells gelangt man nun auf einem eingefassten Pfad mit schwarzem vulkanischen Kieselboden, vorbei an Palisaden aus grünlich schimmernden Glaslamellen, zum eigenen Pavillon, dessen Tür sich nur mit dem selbst gewählten Zahlencode öffnen lässt. Jede Wohnstatt besitzt einen eigenen Patio aus vulkanischem Gestein, einem ausschließlich fürs Auge geschaffenen Meditationsgarten. Doch der intime Innenhof ist keineswegs das Überraschendste an dieser Anlage: Von einem Vestibül, das lediglich durch eine gläserne Schiebetür vom Wohnbereich getrennt ist, gleitet der Blick ins Innere, und schon kommen erste Zweifel auf: »Und hier soll ich wohnen?« Ist dieser transparente und grünlich schimmernde Zen-Raum, in dem es weder Tisch noch Stuhl und auch keinen High-Tech-Flachbildschirm gibt, tatsächlich bewohnbar? Sichtbar sind nur die Membranen der Matratze, alles andere ist hinter der Wand verborgen. Über Touchscreens im Durchgang zwischen Wohn- und Badezimmer lassen sich in diesem intelligenten Haus sowohl die Beleuchtung als auch Raumteiler und Jalousien bewegen. Nichts stört den atmosphärischen Eindruck von Klarheit, Ruhe und Einsamkeit.

Die Pavillons wirken nie völlig transparent, sondern wie eingetaucht in ein grünliches Dämmerlicht. Es gibt keine Zentralbeleuchtung, sondern viele kleine Lichtquellen, die sich zum Glück ohne längeres Suchen und Probieren an- und ausschalten lassen. In der Nacht kann man dann sehen, dass sich unterhalb des gläsernen Bodens winzige, nach unten gerichtete Strahler befinden. Der gesamte Gebäudekörper hängt an L-förmigen Stahlstützen, von denen die Stahlrahmenkonstruktion abgehängt ist. Diese Konstruktionstechnik erlaubt eine Glasarchitektur bei der, neben gläsernen Wänden, auch gläserne Böden und Decken dominieren. Alles zusammen mit den leicht verspiegelten, stählernen Oberflächen von Wänden und Sanitäreinrichtung verstärkt die immaterielle Ausstrahlung des Pavillons. Allerdings rührt diese Atmosphäre nicht allein von der durchgehenden Transparenz und den Spiegeleffekten her, sondern auch von der klaren räumlichen Ordnungsstruktur, die RCR geradezu mit mönchischer Rigidität eingehalten haben. Stets sind es Kubus und Quader, von denen sich die Architekten inspirieren ließen. Diese Regel setzten sie auch konsequent im Badezimmer, bei der Gestaltung von Duschzone und Badebecken um.

Duschen im Kiesbett

Selten haben sich Architekten mit mehr Sorgfalt dem Badekabinett zugewandt. Es ist eine kompositorische wie ästhetische Meisterleistung, auch wenn man einräumen muss, dass dafür bei einigen Details funktionale Anforderungen geopfert worden sind. Das Wasser im grün schimmernden Waschbecken ist ein gemächlich fließender Fluss und gerät immer dann in Bewegung, wenn sich der Benutzer nähert. Unter der genial einfachen Dusche fühlt man sich wie unter einem Wasserfall, während die Füße in einem seichten Flussbett aus schwarzen Marmorkieseln zu stehen kommen. Nach dem Duschen empfiehlt es sich, in das angrenzende, in den Boden eingelassene Becken – ein sprudelndes japanisches Bad – zu steigen, um sich langsam in den Tag hineinzuträumen. Das ständig zirkulierende Wasser macht es möglich, dass diese Wanne auch für Bademuffel eine Wonne ist.

Alsbald ertönt, etwas unsanft, die Klingel an der Pavillontür und gemahnt an die Gesetze des Hauses. Judit Planells bringt das Frühstückstablett mit Oloter Spezialitäten. Am besten setzt man sich auf die Stufe des Vestibüls, schaut hinaus auf die sanften, gleichmäßigen Linien des Steingartens und genießt beim Frühstück die ruhige Morgenstimmung.

Peu à peu fügt sich der Gast bereitwillig der Ordnung dieser ostasiatisch anmutenden »Mönchszellen« und fragt erst gar nicht nach, was alles fehlt. »Les Cols« dürfte das einzige Hotel der Welt sein, in dem man sich in der Dämmerung auf die Matratze legen und durchs Oberlicht die vorbeiflatternden Fledermäuse beobachten kann. Währenddessen plätschert im Badezimmer sanft das Wasser, und durch die geöffnete Schiebetür strömt frische Luft. Spätestens wenn man des frei umherfliegenden Federviehs im Restaurants gewahr wird, ist klar, dass man sich mitten auf dem Land befindet. Kein Zweifel, in diesem Hotel ist alles unvergleichlich.

31. August 2006 Neue Zürcher Zeitung

Von der Kohlenwäsche zum Design der Zukunft

Die Ausstellung «Entry 2006» in der Zeche Zollverein in Essen

Mit der neuen Designschule von Sanaa und der umgebauten Kohlenwäsche von Rem Koolhaas versucht Essen in der Kulturszene zu punkten. Als Blickfang dient die Designausstellung «Entry 2006».

Noch 1989 stand die Essener Zeche Zollverein kurz vor dem Abriss. Die Zeugen von mehr als hundert Jahren Industriegeschichte sollten neuen Arbeitsplätzen weichen. Doch es kam anders: Im selben Jahr setzte die IBA Emscher Park die Erhaltung der Zeche Zollverein durch. Es brauchte zwar einige Zeit, bis die Bevölkerung den Wert der Anlage erkannte, doch heute, zwanzig Jahre nach Stilllegung von Zollverein, sind die Essener stolz auf ihr neues Weltkulturerbe. Die Weichen für eine neue Zukunft der Zeche Zollverein wurden 2001 gestellt, als die Kommune für einen Designstandort optierte, eine Entwicklungsgesellschaft für die architektonische und wirtschaftliche Transformation des Areals gegründet wurde und Rem Koolhaas' Rotterdamer Office for Metropolitan Architecture (OMA) einen Masterplan erarbeitete. Dieser sah im Wesentlichen drei «Attraktoren» vor: eine Designschule, den Umbau der Kohlenwäsche zum Ruhrmuseum und ein (später aufgegebenes) Kongresszentrum. Den internationalen Wettbewerb für die Designschule gewann das japanische Büro Sanaa von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa mit dem verblüffend einfachen Entwurf eines monumentalen Betonkubus.
Der durchlöcherte Kubus

Die Essener Designschule (offiziell «Zollverein School of Management and Design») ist das erste europäische Gebäude von Sanaa. Sie ragt - laut Sejima - wie eine «Landmarke» aus den alten Bergarbeiterhäusern an der Gelsenkirchener Strasse heraus. Nähert man sich dem Neubau jedoch von der Zeche Zollverein her, wird zudem deutlich, dass der Betonwürfel mit einer Grundfläche von 35 mal 35 und einer Höhe von 34 Metern bestens auf die massive Kubatur der nahe gelegenen Kohlenwäsche reagiert. Dabei wollten Sejima und Nishizawa, die in Japan durch leichte und filigrane Architekturen bekannt wurden, die monumentale Industriearchitektur auf Zollverein nicht einfach kopieren. Sie entschieden sich für eine Zwischenlösung: keine vollends transparente Glasfassade, keine massive, undurchdringliche Betonwand. Sejima spricht von einer «abstrakten Mauer»: Sie wird von insgesamt 136 unregelmässig angeordneten Öffnungen durchstossen, ohne dass dem Aussenstehenden sofort die Geschosseinteilung einleuchtet.

Aus Beton eine leichte Hülle zu konstruieren, verstanden die beiden japanischen Architekten als eigentliche Herausforderung. Sie schufen eine minimalistische Architektur mit reduzierter Materialpalette, einheitlich grauer Farbgestaltung, klarer Raumordnung und freien Grundrissen. Überraschend in dem faszinierenden Betonkubus ist der durch doppelte Glaswände abgetrennte Vortragssaal im Erdgeschoss. Die Produktionsebene im ersten Stock bietet einen überwältigenden Raum mit zahlreichen mehrreihig angeordneten Fenstern und setzt auf grösstmögliche Gestaltungsfreiheit der Benutzer. Seminarräume, locker um eine Bibliothek gruppiert, strukturieren die zweite Etage, während im obersten Stockwerk gläserne Bürokuben neben Patios angeordnet sind, die den Blick hinauf zum schön gestalteten Dachgarten lenken.

Maschinenästhetik und Glamour

Fast gleichzeitig mit der jüngst erfolgten Einweihung der Designschule war auch die Umbauphase der benachbarten Kohlenwäsche beendet - eines beeindruckenden industriellen Fossils aus Stahlfachwerk mit Ziegel- und Glasausfachung von 45 Metern Höhe und einer Nutzfläche von 12 000 Quadratmetern. Die Transformation wurde vom Gezänk mit der Denkmalschutzbehörde begleitet. Zunächst lehnte sie den Vorschlag von Diener & Diener aus Basel ab, das Industriedenkmal durch einen gläsernen Kopfbau aufzustocken. Dann scheiterte Rem Koolhaas' Entwurf eines Annexes am Veto der Denkmalschützer. Dabei wollten beide Entwürfe das Weltkulturerbe unversehrt lassen.

Umso unverständlicher mutete die vom Denkmalschutz akzeptierte Entscheidung an, neue Geschosse einzuziehen sowie Arbeitsbühnen und Maschinen teilweise wegzuräumen, um Platz für Ruhrmuseum und Besucherzentrum zu schaffen. Koolhaas, der mit dem Essener Architekturbüro Heinrich Böll den späteren Entwurf ausarbeitete, sagte damals: «Wir wollen eine Konfrontation, eine kreative Spannung zwischen der Maschinenwelt und den Ausstellungsflächen herstellen.»

Seit der Eröffnung der mit allerlei Vorschusslorbeeren zur «Weltmesse» erkorenen Designschau «Entry 2006» vor wenigen Tagen in den Räumen des in der Kohlenwäsche untergebrachten Ruhrmuseums kann man prüfen, ob Koolhaas' Konzept tatsächlich aufgeht. Es war vorhersehbar, dass seine Formel eines «pushing the building and pushing the program» kaum mit den strengen Kriterien des Welterbebüros harmonieren würde. Tatsächlich kollidiert das museale Grundkonzept, dem Besucher den Weg der Kohle nachvollziehbar zu machen, mit den architektonischen Eingriffen ins Gebäude. Beispielsweise wurden die zur Kohlesortierung hergerichteten Betonbunker aufgeschnitten, um sie in Ausstellungskabinette zu verwandeln.

Doch bei aller funktionalen Überfrachtung des Industriemonuments: Die schräge Stahl-Glas- Gangway, welche die Besucher zum 24 Meter hoch gelegenen Besucherzentrum befördert, ist eine Augenweide. Die leuchtend orange angestrichene Rolltreppe nimmt das Kantenprofil der zahlreichen Bandbrücken auf, die das Zechenareal dominieren. Die Popfarbe erleuchtet auch den grandiosen, im nördlichen Kohlesilo eingebauten Treppenschacht. Koolhaas und Böll gelang es, das ehemals dunkel und abweisend wirkende Gebäude durch diese Lichtregie völlig umzudeuten. Auch der gläserne Aussichtspavillon auf dem Dach der Kohlenwäsche gehört zur «kreativen Spannung», von der Koolhaas sprach.

Leichtgewichtiges Design

Für die Ausstellungsmacher der «Entry 2006» stellte sich zwangsläufig die Frage: Wie lässt sich in der Kohlenwäsche, deren Erscheinung so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, eine «Ausstellung zur Zukunft des Designs» realisieren? Ergebnis der über fünf Jahre dauernden Vorarbeit, die 8,3 Millionen Euro verschlang, ist eine etwas konfus konzipierte Megaveranstaltung, die sich in vier Einzelausstellungen gliedert: «Second Skin» präsentiert Innovationen aus der Design-Branche, «Open House» zeigt neue Tendenzen computergesteuerter Architektur, «Groundswell» widmet sich Problemen der Landschaftsgestaltung, und «Talking Cities» beschäftigt sich mit den urbanen Rändern, den Industriebrachen und den vergessenen Stadtlandschaften. Francesca Ferguson, Kuratorin von «Talking Cities» und demnächst Direktorin des Architekturmuseums Basel, beleuchtet dabei auch das Entwicklungspotenzial ehemals unzugänglicher Industrieareale. Die Zeche Zollverein im armen Essener Norden ist einer dieser Orte.

Mag sein, dass es für die Ausstellungsmacher ein nahezu auswegloses Unterfangen war, gegen den stählernen Riesen Kohlenwäsche anzukommen. Gleichwohl erwiesen sich die «Entry»-Kuratoren als zu leichtgewichtig: Ihnen fehlt das klare, einprägsame Konzept, um gegenüber diesen Industriegiganten bestehen zu können.

[ «Entry 2006» in der Kohlenwäsche Essen dauert bis 3. Dezember. Die im stadt.bau.raum Gelsenkirchen untergebrachte Begleitveranstaltung «Designcity» dauert vom 2. bis 22. September. Die Kataloge «Entry Paradise. Neue Welten des Designs» (Euro 29.90) und «Talking Cities. Die Mikropolitik des urbanen Raums» (Euro 14.90) sind im Birkhäuser-Verlag, Basel, erschienen. ]

7. Juli 2006 Neue Zürcher Zeitung

«Les Halles» am Rhein

Stadtumbau in Düsseldorf

«Die neuen Düsseldorfer Stadtquartiere - ein Areal, auf dem sich Chic, Charme und Lebensgefühl entwickeln werden.» So lautet der Werbeslogan für das neue Stadtprojekt im Herzen Düsseldorfs. Gemeint ist allerdings nicht die vornehme Königsallee. Die Marketingstrategen der Immobiliengesellschaft Aurelis denken vielmehr an das nördlich des Hauptbahnhofs gelegene alte Gleisareal, das sie derzeit in ein hochwertiges innerstädtisches Gebiet für Wohnen, Dienstleistung und Geschäfte verwandeln. Einst gab es hier einen Güterbahnhof, von dem während der Kriegsjahre 6000 Düsseldorfer jüdischen Glaubens deportiert wurden. Nach dessen alten Hallen wird das neue Stadtquartier, das auf dem historisch bedeutsamen Standort entsteht, «Les Halles» genannt.

Bereits steht ein von Düsseldorfer Architekten entlang eines 700 Meter langen Stadtgartens angeordnetes Wohnviertel. Es handelt sich dabei um das mittlere von drei Stadtquartieren, die auf den Masterplan von Kees Christiaanse / ASTOC, Eckhard Gerber und Cornelia Müller / Jan Wehberg aus dem Jahre 2000 zurückgehen. Den Architekten und Planern, die eine grössere städtische Dichte und Kohärenz anstreben, stehen insgesamt 35 Hektaren Grundfläche zur Verfügung. Für die einzelnen Stadtquartiere sieht der Masterplan eine Abfolge von Bandstrukturen vor - Gebäudereihen für Mischnutzung und parallel dazu angeordnete Grünstreifen. Das ehrgeizige Projekt profitiert davon, dass eine riesige Brache in unmittelbarer Nähe von Königsallee, Schadowstrasse und Hofgarten neu erschlossen wird und urbane Qualitäten erhält. Gewinnen werden dadurch auch einige innerstädtische Vorhaben, beispielsweise der Umbau des Kö-Bogens, der eine verbesserte Verbindung zum Hofgarten vorsieht.

28. April 2006 deutsche bauzeitung

Licht im Dunkel

Beim Ausbau der Bahnsteighalle gelang es, den typischen Charakter der unterirdischen Tunnelröhre zu bewahren und trotzdem Weite und Großzügigkeit spürbar werden zu lassen. Die Haltestelle bietet das Erlebnis einer ganz eigenen Welt unter Tage.

Es ist nicht gerade üblich, dass renommierte Architekten, die gewöhnlich repräsentative Bauwerke im städtischen Umfeld errichten, auch einmal „unter Tage“ arbeiten. Eines der Beispiele ist Norman Foster, der in Bilbao eine hochmoderne U-Bahnstation konstruierte. Sie entstand etwa zu jener Zeit, als Frank Gehry der grauen Industriestadt ein glitzerndes Museum baute und damit den „Bilbao-Effekt“ begründete. An Fosters aluminiumverkleidete und großräumige U-Bahnstation erinnert sich leider kaum jemand, obgleich sie die modernste in ganz Spanien ist. In Porto griff Eduardo Souto de Moura nicht auf das High-Tech des britischen Lord, sondern auf Granit zurück, den traditionellen Baustoff, mit dem die italienischen Barockbaumeister die dortige Kathedrale errichteten. Souto de Moura verwendete bei der Gestaltung der Metrostation, die unmittelbar hinter Rem Koolhaas' „Casa da Música“ liegt, matt geschliffene Granitplatten, zudem setzte er in dem äußerst klar geschnittenen Raum linear verlaufendes Kunstlicht und Glasplatten für Lifte und Brüstungen ein.

Die Sensibilität für klare Raumgestaltung und überzeugende Materialwahl ist auch dem Team von Rübsamen + Partner zueigen. Das bewiesen die Architekten bei der überaus gelungenen Gestaltung des Bochumer U-Bahnhofs Lohring, den sie Ende Januar, neun Jahre nach dem gewonnenen Wettbewerb, endlich fertig stellen konnten. Man kann sich durchaus dem euphorischen Kommentar des Bochumer Stadtbaurats Martin zur Nedden anschließen, der während der Eröffnung des U-Bahnhofs sagte: „Das ist ein Meilenstein für die Stadtentwicklung.“ Zunächst fällt auf, dass die Konzeptionen für die Erschließung der beiden U-Bahnhöfe in Bochum und Porto durchaus vergleichbar sind. Dies wird deutlich, wenn man die Treppe hinunter zur Zwischenebene und zu den Bahnsteigen wählt, vorbei an geschliffenen, anthrazitfarbenen Granitplatten und bündig angebrachten Lichtbändern. Dem klaren Raumkonzept gesellt sich ein Farbenspiel hinzu, das unmittelbar verdeutlicht, dass Architektur nicht nur nach Ordnungsverhältnissen ausgerichtet sein soll, sondern auch, wenn sie wirklich gelungen und überzeugend ist, die sinnlichen Reize anspricht.

Holger Rübsamen, der bei Oswald M. Ungers, dem strengsten Verfechter kubischer und orthogonaler Architektur, in die Lehre ging, spricht begeistert vom „grünen Lichtsee“. In diesen Lichtsee taucht der Fahrgast ein, wenn er von der Zwischenebene, unter der roten Ausleuchtung der Betondecke hinweg, die Rolltreppe hinab zum Bahnsteig benutzt. Plötzlich wird er eingehüllt von einer zwölf Meter hohen Halbröhre, vormals ein kahles Betongewölbe, das nun mit schimmernden Aluminiumplatten verkleidet ist. Die Reflexionen auf den Metallplatten entstehen durch die raffinierte Bodenformation, rechteckige Glasplatten, die die Leuchtkörper unterhalb der Oberfläche verbergen. So ist der Fahrgast nirgendwo direkten Lichtquellen ausgesetzt, er nimmt allenfalls das aus dem Boden kommende gefilterte Licht und die Reflexionen an der Decke wahr.

Lichtkunstwerk

Unterhalb der Decke verlaufen schlangenartig gewundene Neonröhren, entworfen von der Düsseldorfer Künstlerin Eva-Maria Joeressen. Von ihr stammt auch ein gelbes Lichtkreuz, das sie am Ende des Bahnsteigs in eine knallrote Wand integrierte, hinter der sich die Gebäudetechnik verbirgt. Das Lichtkunstwerk ist eine komplexe Farbkomposition, bestehend aus dem „grünen Lichtsee“, den grell erleuchteten Schlangenlinien und der abstrakt gestalteten Wandtafel. Nicht umsonst schrieb die Bochumer Lokalpresse nach der Eröffnung des Bahnhofs von einem „Erlebnisraum“, und Holger Rübsamen fügte hinzu: „Das ist nicht einfach eine U-Bahnstation für uns, sondern mehr.“ Mit diesem „Mehr“ meint er nicht nur den künstlerischen Beitrag von Eva-Maria Joeressen, sondern auch Klaus Kessners Klanginstallation, die durch die Verarbeitung von „in situ“ aufgenommenen Geräuschen den wartenden Fahrgast mit stets veränderten Lauteindrücken überrascht. Holger Rübsamen schwärmt von dem vorgefundenen Betongewölbe, einem völlig stützenfreien Gewölbe mit einem der größten Querschnitte, die jemals in Deutschland unterirdisch gebaut worden sind. Die Raummaße der einseitig erschlossenen, röhrenartigen Halle weisen immerhin eine Höhe von acht, eine Breite von 18 und eine Länge von 97 Metern auf. Für Rübsamen galt es nicht nur, die Gewölbearchitektur zu bewahren, sondern gleichsam ihren Erlebnischarakter zu steigern - „den herabsteigenden Passanten eine eindrucksvolle Perspektive“ zu bieten. Während die Bochumer Architekten die Decke von allen Installationen freihielten, konzentrierten sie sich darauf, den räumlichen Eindruck durch halbtransparente und reflektierende Oberflächen zu steigern. Besonders stolz sind Rübsamen und sein Partner Boris E. Biskamp auf die ungewöhnliche Bodenkonstruktion, die wesentlich das Ambiente des Ortes prägt. Da die Oberfläche der dreilagigen Sicherheits-Glasplatten extrem rutschfest und widerstandfähig sein musste, war es notwendig, das Material einer Sonderbehandlung zu unterziehen, für die eine holländische Firma aus Voorhuizen bei Amsterdam eine besonders effiziente Methode entwickelte. Im Grunde ist das Verfahren relativ einfach, denn die Holländer legen die Glasplatten in ein Quartz-Sandbett und lassen sie dann in einem Ofen erhitzen, bis sich die Schicht aus Quartz und Sand mit den Glasplatten verbindet. Das Resultat ist eine verblüffend rauhe und stumpfe Oberfläche, die sich bestens für begehbare Flächen im städtischen Raum eignet. Weil sich Rübsamen und Biskamp für eine indirekte Bodenbeleuchtung entschieden, befestigten sie die Leuchtkörper unterhalb von Aluminiumgussplatten, die entlang des Gleiskörpers angebracht wurden. Die Glas- und Aluminiumplatten mussten notgedrungen durch kleine „Stempelchen“ aufgeständert werden, um Raum für die Beleuchtung zu schaffen. So hat man den Eindruck einer vollständig illuminierten Bodenformation.

Entscheidend für den atmosphärischen Raumeindruck ist die Verkleidung des Betongewölbes mit schmalen Aluminiumblechen, die die Biegung des Raumkörpers nachzeichnen. Diese perforierten Aluminiumplättchen haben zunächst die Eigenschaft, den Schall aufzunehmen, der schließlich durch ein dahinter liegendes, zwei Millimeter dickes Schallschluckflies vollständig absorbiert wird. Die atmosphärische Natur der Aluminiumbleche entsteht aber erst durch ein, erstmals im Automobilbau angewandtes Eloxierverfahren, das durch den Einsatz von Spectrocolor die Oberflächen leicht changieren lässt. Im U-Bahnhof Lohring strahlt das Licht hinauf und wird von der schimmernden Aluminiumhaut reflektiert, die mit der Längsausrichtung des Fugenschnitts die Gestrecktheit des Tonnendachs hervorhebt. Holger Rübsamen meint, dass die Farben von Glas- und Aluminiumplatten selbstverständlich abgestimmt sein mussten: „Wir konnten erreichen, dass niemals gleiche Lichtreflexionen an der Decke entstehen. Wir wollten keine sterile Oberfläche.“

Es wäre geradezu frevelhaft, wenn Bahnbedienstete auch hier für das handelsübliche Mobiliar gesorgt hätten. Zum Glück konnten sich Rübsamen und Biskamp mit der Stadtverwaltung einigen, den homogenen Raumeindruck zu bewahren und auf konventionelle Bänke und Werbung zu verzichten. Bei der Unterbringung von Fahrkartenautomaten wurde darauf geachtet, die Geräte möglichst bündig anzubringen. Damit ist den Bochumer Architekten in Zusammenarbeit mit Eva-Maria Joeressen und Klaus Kessner ein eindrucksvolles Raumkunstwerk gelungen, das hoffentlich Anreiz bei vergleichbaren Projekten schaffen wird.

24. Januar 2006 Neue Zürcher Zeitung

Zusammenklang von Alt und Neu

Max Dudlers Diözesanbibliothek in Münster

Wenn man vom Ruhrgebiet ins westfälische Münster fährt, ist man immer wieder aufs Neue überrascht von dieser Schatzkammer des Mittelalters. Der romanisch-gotische Dom und das Rathaus aus der Zeit der Hochgotik gehören zu den Juwelen der Stadt. Doch Münster hat sich nicht zur Musealisierung seiner Innenstadt entschlossen. So konnte der Schweizer Architekt Max Dudler in unmittelbarer Nähe des Doms drei Neubauten für das Bischöfliche Generalvikariat errichten. Der Ort im Zentrum der Altstadt wird dominiert vom hoch aufragenden Turm der gotischen Liebfrauenkirche Überwasser und dem langgestreckten Gebäude des Priesterseminars. Der Wettbewerb sah die Erweiterung des vorhandenen Ensembles vor mit der parallel zum Seminargebäude zu errichtenden Diözesanbibliothek und zwei zusätzlichen Baukörpern für Büros.

Stadträumliche Konzeption

Der 1949 in Altenrhein im St. Galler Rheintal geborene Dudler löste die Aufgabe mit jener Selbstverständlichkeit, mit der er vor wenigen Jahren in Bonn das monumental wirkende Gebäude für die Hochschulrektorenkonferenz errichtete. In beiden Fällen wählte er einen rationalistischen Raster, der gleichermassen Fassade und Grundriss bestimmt. Auch die viergeschossige Lochfassade, welche durch hohe, rhythmisierte Fensterschlitze geprägt ist, findet sich in Münster wieder. Trotz dem gleichen Grundvokabular ist die Bibliothek alles andere als eine Kopie des Bonner Verwaltungsgebäudes. Wer solches vorschnell vermutet, verkennt die Sensibilität Dudlers für die jeweils unterschiedlichen urbanen Zusammenhänge.

Dem neuen Gebäudeensemble aus Diözesanbibliothek und Büroriegel liegt nämlich eine klare stadträumliche Konzeption zugrunde, die sich aus der axialen Ausrichtung der parallel zum Seminargebäude errichteten, langgestreckten Bibliothek ergibt. Dudler suchte mit der Traufhöhe und der Auswahl des örtlichen Sandsteins den Dialog zum Nachbargebäude. Die neuen Bürobauten, die sich um einen rückwärtigen Flügelbau gruppieren, variierte er in den Proportionen, wodurch ihm eine Anpassung von neuer und alter Bausubstanz gelang. Dudler besann sich sogar auf die Tradition des Klosterbaus und fügte den neuen Blocks Höfe an, die zu einer merklichen Auflockerung des Ensembles beitragen. Neben dem alten Flügelbau, der eine kleine Kapelle beherbergt, liess er sogar einen modernen Kreuzgang errichten, der in seiner minimalistischen Strenge wohl einzigartig ist.

Zwar wird den Bauten Dudlers oft ein Hang zur monumentalen Geste nachgesagt, doch gerade im Münsteraner Ensemble vermeidet Dudler zum Glück den rigiden Monumentalismus seines Lehrers Oswald Mathias Ungers, der allzu häufig wie eine starre Umsetzung palladianischer Ideale wirkt. Dudler lässt sich von derlei Ideen nicht beirren. In den Bauten von Münster vereint sich das rationalistische Vorbild Ungers' mit Schweizer Einfachheit zu einem Minimalismus, der sich den funktionalen Erfordernissen bestens anpasst. In der Diözesanbibliothek gibt es kein Detail, das störend oder überflüssig wäre. Selbst die in die Wand eingelassenen Handläufe des Treppenhauses fügen sich nahtlos ins architektonische Konzept ein und wirken dabei unauffällig. Alles andere würde die Wahrnehmung der geometrischen Kubatur des Raums beeinträchtigen.
Transparenz

Vorzüglich gelang Dudler die Gestaltung des schlauchförmigen Bibliothekssaals, der beim ersten Anblick fast wie eine Offenbarung wirkt. Als scharfen Kontrast zur kalten Natursteinfassade wählte er hier den warmen Ton der Eichenholzverkleidung. Der traditionelle Baustoff beherrscht den Lesesaal und die als Galerietrakt angegliederte Präsenzbibliothek, eine Welt des Wissens, die sich quasi in einen Weltinnenraum zurückgezogen hat.

Und doch ist die Bibliothek kein zurückgezogener Ort wie jene Klosterbibliotheken, wo sich die Mönche in die heiligen Schriften versenkten. Die Diözesanbibliothek erscheint zugleich als sakraler und säkularer Ort - hermetisch abgeschirmt und doch mit der Aussenwelt kommunizierend. Dieses prima vista eher abweisend wirkende Gebäude überrascht nämlich durch eine Transparenz, die Blickkontakte zwischen innen und aussen ermöglicht.

Das Aufbrechen der Monumentalität durch die Herstellung von Kontakten zwischen dem Innen und dem Aussen scheint Max Dudler immer wieder zu faszinieren. Dabei könnte das gerade eröffnete Museum Ritter im schwäbischen Waldenbuch andeuten, welche Entwicklung von Dudlers Architektur in Zukunft zu erwarten ist.

18. November 2005 Neue Zürcher Zeitung

Der konservierte Protest

Die neue Kunstakademie München von Coop Himmelb(l)au

Coop Himmelb(l)au, die Himmelsstürmer aus dem barocken Wien, gefallen sich als notorische Spielverderber. Angetreten ist das Team um Chefdenker Wolf Prix in den revolutionären Wirren von 1968, als man sich der Idee verschrieb, «Architektur veränderbar wie Wolken zu machen». Ihr erstes architektonisches Manifest wider die «pragmatisierte Mittelmässigkeit» (Prix) war vor knapp zwanzig Jahren ein Dachausbau in Wien, ein gläsernes Gebilde, das einem lauernden Insekt ähnelt. Seither wurden die geneigten Ebenen, sich kreuzenden Winkel und Lichtpyramiden, die gekippten Wände und sich verschiebenden Böden zum Markenzeichen von Coop Himmelb(l)au. 1988 machte Philip Johnsons Dekonstruktivismus-Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art die Wiener weltweit bekannt. Spätestens als sie vor fünf Jahren sogar den Grossen Österreichischen Staatspreis erhielten, war klar, dass der löckende Stachel ihres Revoluzzertums stumpf geworden ist. Spätestens seitdem die dekonstruktivistische Attitüde staatlicherseits honoriert wird, hätten die Wiener Architekten an eine Weiterentwicklung ihres Stils denken können. Aber nein, ihre Manier haben sie gefunden, und ihr blieben sie treu.

Zahmer Erweiterungsbau

Diese konservierte Protesthaltung merkt man dem neuesten Werk von Coop Himmelb(l)au, dem Erweiterungsbau der Münchner Akademie der Bildenden Künste, deutlich an. Deswegen wetterten einige Münchner Architekten, der Annex neben der alten Akademie, Gottfried von Neureuthers Neorenaissance-Palast von 1886, käme etliche Jahre zu spät, die Erweiterung des Risalit-Gebäudes mute heute etwas fahl und abgestanden an. Dazu muss man aber wissen, dass der Wettbewerb 1992 entschieden wurde, also zu einer Zeit, als der Dekonstruktivismus seinen Zenit gerade überschritten hatte.

Trotz aller Kritik lässt sich schwerlich verleugnen, dass der neueste Wurf von Coop Himmelb(l)au im kleinteiligen Schwabing mit seiner alten Bausubstanz noch immer wie eine gebaute Provokation erscheint. Vielleicht liegt dies ja daran, dass München derlei Provokationen kaum zu bieten hat. Selbst die «Fünf Höfe» von Herzog & de Meuron an der Theatinerstrasse wurden von der Münchner Bürgerschaft zurechtgestutzt und erscheinen heute fast nur im Blockinneren als Neubau. Und in Stefan Braunfels «Pinakothek der Moderne», einer mit viel majestätischem Pomp aufgeblähten Herrschaftsarchitektur, umweht einen der kühle Geist des bayrischen Freistaats.

Zu diesem «Nationalsymbol» haben sich Coop Himmelb(l)au an der Ecke von Türken- und Akademiestrasse den geeigneten Gegenpol ausgedacht. Das gesamte Gebilde wirkt zunächst neben dem Neureuther-Bau wie eine verwegene architektonische Skulptur mit kastenförmiger Auskragung und hoch aufragendem, schrägem Glasschild, das an massiven Rohren aufgehängt ist. Frappierend auch das betonierte Vordach, das so gar nicht mit der gestuften, aus Holzplanken gefertigten Terrasse harmonieren will. Selbst im Foyer setzt sich der erste Eindruck fort. Der überraschend noble Parkettboden kontrastiert mit den Sichtbetonwänden und den gewalzten Stahlblechplatten der Fassade. Die Wiener haben offenbar alles darangesetzt, der Kunstakademie jegliche kreative Atmosphäre auszutreiben.

Industrieller Charme

Die Eingangshalle versprüht den industriellen Charme einer Ruhrgebietszeche mit ihren charakteristischen Förderbändern. Blechtunnel durchstossen die Wände, durchziehen kreuz und quer den Lichthof des Foyers und verschwinden wieder in den gegenüberliegenden Geschossebenen. Dabei werden die kastenförmigen Stege von massiven, windschief stehenden Rundpfeilern abgestützt und versperren damit die mögliche Nutzung der Halle für Veranstaltungen. Wer dem Stiegenhaus folgt, vorbei an tief liegenden Fensterschlitzen, an Künstlerateliers und bestechenden Ausblicken auf den Akademiepark sowie die Münchner Kirchen, erreicht über dem Glasdach des Lichthofs die Panorama-Terrasse mit den Gästeappartements. Ein Steg führt hinab auf einen metallenen Gitterboden, inmitten einer chaotischen Dachlandschaft.

Trotz seiner verwirrenden Konstruktion hat der selbstverliebt wirkende skulpturale Block stadträumliche Vorzüge. Er öffnet nicht nur klare Sichtbezüge zum Neureuther-Altbau und zum städtischen Kontext, er nutzt auch sinnvoll die frei gewordene Ecksituation und lässt genügend Raum für einen kleinen Vorplatz. Hier, auf der Terrasse des Akademie-Cafés, zeigt sich der widerspenstige Koloss von seiner besten Seite, hier lässt es sich in der angenehmen Jahreszeit gut aushalten.

17. August 2005 Neue Zürcher Zeitung

Wallfahrtsort für Architekturfreunde

Madrid lockt mit einem Design-Hotel der Superklasse

Vor wenigen Tagen konnte in Madrid das Design-Hotel «Puerta América» eröffnet werden. Insgesamt neunzehn bekannte Architekten und Designer gestalteten die Bars, Restaurants und Zimmer des zwölfgeschossigen Gebäudes. Dabei wurde die baukünstlerische Kreativität ganz gezielt in den Dienst von Werbung und Marketing gestellt.

Der Weg zu Madrids «Puerta América», einem Design-Hotel der Superlative, führt mitten in die Unwirtlichkeit der Grossstadt. Das Auge hat sich schnell an die urbanistische Einöde rund um die lärmige Avenida de América und die verwahrlosten Torres Blancas von Saénz de Oíza gewöhnt, die einst einen Meilenstein der spanischen Moderne darstellten. Beim Passieren dieser organisch gewundenen Wohntürme entdeckt man plötzlich eine architektonisch nicht besonders anspruchsvolle, dafür aber umso bizarrer gestaltete Hochhausscheibe, über deren Fensteröffnungen orangefarbene Markisen wie Wimpern kleben. Die Markisen - so wollte es der französische Architekt Jean Nouvel - sind der Blickfang des 12-geschossigen Hotels «Puerta América». Sie wurden angebracht, um in allen möglichen Sprachen die Freiheit zu preisen. Bei einem Fünfsternehotel mag dies überraschen. Aber das Etablissement sollte nun einmal in jeglicher Hinsicht aussergewöhnlich sein. So aussergewöhnlich wie die Vermählung von Architektur und Poesie. Deshalb liess Nouvel Fragmente von Paul Eluards Gedicht «Liberté», geschrieben in krakeliger Kinderschrift, auf die Markisen drucken. Vom antifaschistischen Freiheitsdrang des französischen Dichters blieb dabei nur noch eine blasse Marketingidee übrig - ein babylonisches Verwirrspiel von sprachlichen Versatzstücken.

Ein gigantischer Werbegag

Dank Nouvel stand in den letzten Wochen die Freiheit in Madrids wirtschaftlichen Kreisen hoch im Kurs. Als Erster hob der Präsident der Hotelgruppe Silken, zu der das 75 Millionen Euro teure Hotel gehört, in metaphysische Sphären ab, als er die Architekten lobte, die das neue Haus in eine «Hommage an die Freiheit, an die Verbindung der Völker, Kulturen und Religionen» verwandelt hätten. In den Chor der Preisungen reihte sich sodann die Direktorin der spanischen Kunstmesse Arco ein mit dem Refrain: «Das Hotel ist ein Symbol kreativer Freiheit und ein Schmelztiegel der Kulturen.» Wie gut die Marketingstrategie läuft, zeigt sich daran, dass selbst die Politiker mitspielten. Im Beisein der Architekten Nouvel, Arata Isozaki, David Chipperfield und anderen «estrellas» der internationalen Architektenszene verkündete Bürgermeister Alberto Ruiz-Gallardón, durch das prestigeträchtige «Puerta América» habe Madrid den Titel «Welthauptstadt der Architektur» verdient.

Die Anregung zum Bau des «Puerta América» lieferte offenbar der New Yorker Hotel-Tycoon Ian Schrager, der vor fünf Jahren Herzog & de Meuron zusammen mit Rem Koolhaas zu einem aussergewöhnlichen, aber schliesslich doch nicht ausgeführten Hotelprojekt in Manhattan animiert hatte. Von einer Wiederbelebung der Idee von Schrager kann aber in Madrid nicht die Rede sein. Denn die beiden Pritzker-Preisträger sind diesmal nicht dabei. Doch die Silken-Manager haben aus der Not eine Tugend gemacht und flugs mit Norman Foster und Zaha Hadid zwei andere Pritzker-Preisträger eingespannt, dazu siebzehn weitere Stars und Sternchen, die fortan wie Kometen am Madrider Himmel leuchten sollen. Ob die Rechnung aufgeht, wird sich zeigen. Offensichtlich glaubt man an Donald Trumps Motto: «Trendige Hotels, von renommierten Architekten entworfen, vermarkten sich besser.» Diesen Spruch jedenfalls haben sich die Madrider Manager an die Brust geheftet. Und die vermeintlichen Stararchitekten und Stardesigner konnten gar nicht den Blick davon lassen. Ihre Aufgabe, jeweils einen Gemeinschaftsbereich oder gar ein ganzes Stockwerk nach ihren eigensten Vorstellungen zu gestalten, haben zwar einige nicht ohne Bravour gemeistert. Eher unter den Erwartungen blieben die Beiträge von Chipperfield, Foster, Hadid, Isozaki und Nouvel, die zu den gefragtesten ausländischen Architekten in Spanien zählen.

Zwischen Barock und Minimalismus

Als einen der Lichtblicke im Potpourri des internationalen Staraufgebots darf man die Arbeit des britischen Minimalisten John Pawson bezeichnen. Ihm gelang im Foyer mit geschwungenen, perforierten Holzwänden und einem meditativ anmutenden Wasserlauf eine klare Raumaufteilung von nahezu buddhistischer Einfachheit und Strenge. Der australische Designer Marc Newson nutzte die Raumflucht der angrenzenden Bar, indem er in eine Nische eine acht Meter lange Theke stellte, die aus einem sechs Tonnen schweren Block weissen Carrara-Marmors besteht und - will man der Anekdote glauben - vor dem Bau der Fassade installiert werden musste. Wie aber schnitten die umworbenen Stars ab? Zaha Hadid schuf fürs Vestibül futuristisch kantige Lampen und blieb sonst ihrem barocken Hang zu verspielten Formen treu. In den von ihr gestalteten Zimmern liess sie märchenhaft organische Gebilde aus weissen Acrylbauteilen kreieren. Amerikanische Gäste werden dabei wohl an Disneyland denken. Nur die spanische Putzfrau, die eigens aufs Waschbecken klettern muss, um den Spiegel zu reinigen, dürfte weniger vergnügliche Assoziationen haben.

Foster setzte einmal mehr auf erlesene Materialien, gediegene Formen und technologische Zitate, Chipperfield wählte luxuriöse Stoffe und klare Raumkonzepte, während Isozaki die japanische Karte spielte und seine Hotelzimmer in formenstrenge «black boxes» verwandelte. Auch wenn die von Isozaki ausgewählten Materialien beeindrucken, dürften seine Dunkelkammern wohl nur während des sonnigen Madrider Sommers zu ertragen sein. Fast klaustrophobische, an den Expressionismus von Schwitters Merzbau erinnernde Räume aus kaltem rostfreiem Stahl schufen Holger Kehne und Eva Castro vom Londoner «Plasmastudio». In ihren Zimmern dürfte einem der Schlummer schwer fallen.

Schon ein kurzer Rundgang durch das Haus macht deutlich, dass in Madrid die Gattung Luxushotel, die einst durch Eleganz zu überzeugen suchte, mit dem «Puerta América» zum Sinnbild kakophonischer Dissonanzen geworden ist. Hier scheint gestalterisch alles erlaubt zu sein, sofern es nur von einem der Grossen der Architektenzunft stammt. Diese Art von Publicity wirkt im harten Kampf um die Hotelgäste ganz offensichtlich.

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