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Die Rückeroberung der Tagebau-Gruben
Halbzeit bei der Internationalen Bauausstellung im Lausitzer Braunkohlegebiet
Seit die meisten Tagebau-Gruben der DDR stillgelegt worden sind, wird an ihrer Rekultivierung gearbeitet. In der Lausitz entsteht durch die Flutung der Gruben die grösste Seenplatte Deutschlands. Ein Naherholungsgebiet allerdings würde kaum Arbeitsplätze schaffen. Deshalb arbeitet die Internationale Bauausstellung (IBA) seit fünf Jahren an Projekten, welche die Region für Besucher von ausserhalb attraktiv machen sollen.
11. Juli 2005 - Sieglinde Geisel
In Grossräschen ist alles für den Ilse-See bereit. Die ehemalige Ernst-Thälmann-Strasse, die zur Grubenkante führt, heisst Seestrasse, und eine Seebrücke ragt bereits in die leere Grube hinaus. Auch die Strandpromenade ist längst fertig. Legt man sich in einen der Liegestühle auf den Terrassen, blickt man in die karge, bizarre Mondlandschaft der stillgelegten Grube. Bei der Umnutzung von Landschaften hat man es mit grossen Zeiträumen zu tun: Zehn Jahre wird es dauern, bis der Ilse-See geflutet ist. Auf zehn Jahre ist auch die Internationale Bauausstellung (IBA) angelegt, die nun mit der Werkschau «Bewegtes Land» eine Halbzeitbilanz zieht. Noch bis Oktober ist sie in der IBA-Zentrale in Grossräschen zu sehen. Es ist nicht leicht, sich eine Vorstellung von 24 Projekten zu machen, die auf acht «Landschaftsinseln» verteilt sind. Der kürzlich eingeweihte «Fürst-Pückler-Weg» verbindet die einzelnen Projekte zu einer Velorundfahrt. Das Kraftwerk Plessa, die Slawenburg Raddusch, die Biotürme in Lauchhammer, schwimmende Häuser in Tagebauseen, der Stadtumbau in Cottbus, ein Naturschutzgebiet - stolze fünfhundert Kilometer lang ist die Velotour, wenn man alles sehen will.
Ökologisches Notstandsgebiet
«Wer von der Industrie geprägt ist, hofft auf eine neue Industrie», erklärt der Architekt Rolf Kuhn, Initiator und Geschäftsführer der IBA. Für einmal findet man an der Spitze eines Grossprojekts im Osten keinen Westler: Rolf Kuhn hatte zu DDR-Zeiten in Weimar einen Lehrstuhl für Stadtsoziologie aufgebaut und war ab 1987 Leiter des Bauhauses in Dessau, wo mit dem «Industriellen Gartenreich» auch ein grossangelegtes Umnutzungsprojekt für Industriebrachen erprobt wurde. Bis Mitte der neunziger Jahre habe sich in der Bevölkerung die Hoffnung gehalten, dass sich der Auto- oder Flugzeugbau hier ansiedeln könnte, doch nach spektakulären Fehlinvestitionen wie dem Lausitz-Ring, auf dem keine Formel-1-Rennen gefahren werden können, herrscht Perspektivlosigkeit. «Da die DDR eine autarke Energieversorgung anstrebte, war der Kohlebergbau die wichtigste Industrie», meint Kuhn. Er erinnert sich an die «Winterschlachten» - Soldaten halfen den Kumpels, die Republik im Winter mit Wärme zu versorgen. «Und dieses Gefühl des Wichtigseins für die Republik brach nach der Wende auf einmal ab, ohne Vorankündigung.» Nun galt das einstige Energiezentrum der DDR als ökologisches Notstandsgebiet.
Tourismus hat viel mit Image zu tun. Ob eine Landschaft attraktiv wirkt, ist eine Frage der Wahrnehmung. «Wer mit dem Tagebau aufgewachsen ist, kann sich gar nicht vorstellen, dass das irgendjemanden interessieren könnte», erzählt Karsten Feucht, der schon bei der IBA 1984-87 in Berlin Stadtführungen organisiert hatte. «Es braucht Zeit, bis die Menschen sich daran gewöhnen, ihren Schandfleck - das Dreckloch, wie sie es nannten - als Touristenattraktion zu sehen. Doch die Berliner fliegen in die Sahara, um Wüste zu erleben, und das können wir ihnen hier viel näher bieten.» Die samstäglichen Touren (mit attraktiven Titeln wie «Steppe, Canyons und Giganten aus Stahl» oder «Reise zum Mars») sind regelmässig ausgebucht. Wer diese Zwischennutzung des zukünftigen Seebodens noch erleben will, muss sich allerdings beeilen: Ab November beginnt die Flutung.
Fürst Pückler als Markenname
Schon zu DDR-Zeiten wurden Tagebau-Gruben rekultiviert; der Senftenberger See etwa ist seit dreissig Jahren ein beliebtes Naherholungsgebiet. Fürst Hermann Heinrich von Pückler- Muskau hatte in seinen Parks sogar bereits im 19. Jahrhundert Rekultivierung betrieben. Einen besseren Namenspatron als den Skandalfürsten, der in Berlin mit einem weissen Hirsch-Gespann herumzufahren pflegte, hätte sich die IBA für ihren Landschaftsumbau nicht wünschen können. Der Gourmet, Frauenheld, Globetrotter und Bankrotteur Pückler war von der Idee besessen, dort Landschaften zu schaffen, wo ohne ihn nichts gewesen wäre. In Muskau und Branitz liess er Seen und Kanäle ausheben, Hügel anlegen und Bäume verpflanzen. Sein berühmtestes Gartenbauwerk ist der Tumulus im Branitzer Park: eine grasbewachsene Seepyramide, in welcher der «grüne Fürst» begraben liegt. Dass man den (oft boshaften) Exzentriker im heutigen Land Brandenburg in persona schätzen würde, darf man bezweifeln, doch als Markenname erfreut er sich unter Politikern grösster Beliebtheit.
Im Gegensatz zu Pückler können seine Nachfahren nicht schalten und walten, wie sie wollen. Jedes Projekt erfordert Überzeugungsarbeit, umso mehr, als dies die erste IBA ist, die in einem ländlichen Raum stattfindet. Hier treffen Welten aufeinander. So hat etwa der Frankfurter Architekt Ferdinand Heide für die IBA-Terrassen den Brandenburger Architekturpreis erhalten, während sich die Grossräschener mit dem modernen Bau schwer tun. Sie hätten statt Sichtbeton, Glas und schwarz lackierten Stahl lieber einen traditionellen Klinkerbau gehabt - falls sie nicht ohnehin der Meinung sind, dass man das Geld besser in den Strassenbau gesteckt hätte.
Die Träger der einzelnen Projekte sind oft Gemeinden mit ein paar hundert Einwohnern. «Da verhandelt man dann mit dem ehrenamtlichen Bürgermeister, der im Dorf sonst der Bäcker ist», meint Karsten Feucht. Das Besucherbergwerk der Förderbrücke F60 ist das erfolgreichste IBA-Projekt. Das weltweit grösste mobile Arbeitsgerät ging knapp an der Verschrottung vorbei, als die Grube stillgelegt wurde. Zuerst habe niemand geglaubt, dass jemand Eintritt bezahlen werde, um ein Tagebaugerät zu besichtigen, doch als jemand auf die Idee kam, die 500 Meter lange Förderbrücke als «liegenden Eiffelturm» zu bezeichnen, sei die Stimmung umgeschlagen, berichtet Feucht. Die Gemeinde Lichterfeld riskierte den Besucherbetrieb und hatte Glück: Statt der 25 000 Besucher pro Jahr, mit denen der Betrieb selbsttragend ist, werden dieses Jahr bereits 100 000 erwartet, und der Kanzler war auch schon da. Aus den Einnahmen konnte Lichterfeld inzwischen die Dorfstrasse sanieren.
Doch nicht immer läuft es so glatt. In Welzow stösst das Projekt «Wüste/Oase» bei den Anwohnern auf Widerstand. Geplant ist eine Wüstenlandschaft mit Hügelzügen, kleinen Schluchten und Sandkegeln. Die Anwohner jedoch wünschen einen See; sie fürchten den Staub - wenn man draussen Wäsche aufhängt, wird sie schwarz. «Allein das Wort Wüste wirkt als Provokation», meint die Projektleiterin Brigitte Scholz. «Natürlich kann man nicht rücksichtslos eine Landschaft einzig im Hinblick auf die Urlauber planen, die nur zwei oder drei Tage da sind. Doch wenn man sich auf die Wünsche der Anwohner beschränkt, ist auch nichts gewonnen.» Brigitte Scholz stammt aus Giessen, was übrigens kein Nachteil sei. «Die Leute erzählen mir mehr, denn ich weiss ja nichts. Ausserdem wird hier Identität sehr kleinräumig gedacht. Was die Lauchhammeraner über das Wüstenprojekt sagen, hat für die Welzower kein Gewicht - wer in Lauchhammer wohnt, habe ja keine Ahnung, was es heisse, hier zu leben.» Doch sei es für ihre Arbeit wichtig, den Alltag der Region zu kennen. Brigitte Scholz wohnt in Cottbus und weiss aus eigener Erfahrung, was es in der einzigen grösseren Stadt in der Lausitz etwa an Einkaufsmöglichkeiten und kulturellem Angebot gibt und was nicht. «Viele Assistenten der Technischen Universität sind nur Dienstag bis Donnerstag in Cottbus, und damit tragen sie nichts zur Urbanität der Stadt bei. Wenn sie weiterhin in Berlin ins Kino gehen, muss man sich nicht wundern, dass in Cottbus nichts los ist.»
Schwache Dienstleistungsmentalität
«Es wäre eine wirtschaftliche Katastrophe, wenn die Niederlausitz ein blosses Naherholungsgebiet würde», warnt Rolf Kuhn. Die IBA versucht Ideen zu entwickeln, die Besucher aus Berlin und Dresden herlocken. Im Projekt «Wüste/ Oase» könnten zwanzig bis fünfzig Stellen entstehen - allerdings nur, wenn sich ein Investor für einen Freizeitbereich mit Wellnesshotel und vielleicht gar Kamelen für die Wüstensafari findet. Das Besucherbergwerk F60 hat bisher sechs Arbeitsplätze geschaffen, nächstes Jahr sollen vier weitere dazukommen. Selbst wenn man allfällige Übernachtungen und Restaurantbesuche dazurechnet, darf man kaum auf Wunder hoffen - zumal es in der Niederlausitz bis anhin kaum eine touristische Infrastruktur gibt. Auch IBA-Geschäftsführer Rolf Kuhn macht sich keine Illusionen. Hierher kamen die Menschen seit je, um zu arbeiten, und nicht, um sich zu erholen, ganz abgesehen davon, dass es in der DDR kein Bewusstsein dafür gegeben habe, dass Dienstleistung ein Wirtschaftszweig ist: «Das war etwas zum Geldausgeben, nicht zum Geldverdienen. Dienstleistungsmentalität braucht viel Zeit und Weiterbildung. Man kann nicht erwarten, dass die Menschen gleich ein Lächeln auf dem Gesicht haben, wenn sie jemanden vor sich sehen.»
Michael Richter ist einer der sechs Festangestellten auf der F60. Früher hat er hier als Bergmann gearbeitet, heute führt er an manchen Tagen Hunderte von Menschen auf den liegenden Eiffelturm. Anfangs sei ihm die Arbeit mit Menschen nicht leicht gefallen. «Irgendwann aber habe ich gemerkt: Die Menschen wollen was von mir, und sie wollen hier was sehen. Ab dem Punkt hatte ich keine Schwierigkeiten mehr.» Michael Richter stammt aus dem Dorf Bergheide, das hier vom Tagebau abgebaggert wurde; nun schaut er jeden Tag auf die Grube, wo sich der Bergheider See allmählich mit Wasser füllt. In der Kantine zeigt er Schwarzweissaufnahmen des unscheinbaren Dorfs: ungeteerte Strassen, eine alte Mühle, von Blumen umwachsen, und ein stattliches Wohnhaus, das von Bild zu Bild zerfällt, bis schliesslich die Bagger kommen. «War 'n schönes Fleckchen, Bergheide», meint Richter, der sich mit dem Verlust längst abgefunden hat. Die Kohle gibt, die Kohle nimmt, so sagt man hier. Unter den 80 Dörfern, die dem Braunkohleabbau seit den sechziger Jahren zum Opfer fielen, waren auch viele Dörfer der sorbischen Minderheit - heute würde man sie als touristisches Kapital dringend brauchen.
Auch heute gibt es noch Dörfer, deren Schicksal besiegelt ist. In vier Gruben wird noch bis 2030 Kohle gefördert. Einige Häuser stehen bereits leer in Haidemühl, doch gleich nebenan ist der Garten gepflegt, und überall stehen Topfpflanzen auf dem Fensterbrett, sorgsam hinter die Gardinen zur Strassenseite hin gestellt. Es hat etwas Gespenstisches, durch totgesagte Ortschaften zu fahren, in denen der Alltag noch ganz selbstverständlich vor sich geht.
Abgebaggerte Dörfer
Alle vierzehn Tage kommt die pensionierte Lehrerin Helga Lehnigk auf die IBA-Terrassen und blickt in die Grube hinunter, wo früher das Dorf Bückgen war, in dem sie aufgewachsen ist. Zusammen mit dem Stadtteil Grossräschen-Süd wurde Bückgen 1989 abgebaggert - die grösste Umsiedlungsaktion der DDR, von der 4000 Menschen betroffen waren. Widerstand habe es nicht gegeben, erzählt Helga Lehnigk, man habe ja eingesehen, dass es notwendig war. Doch nach zehn Jahren ist die Kohle abgebaut. «Und da fragt man sich dann doch: War's das wirklich wert?» Auch Dorothea Miottke, die Pächterin des Cafés auf den IBA-Terrassen, hat früher im verschwundenen Stadtteil gelebt. Sie schwärmt von dieser «kompletten kleinen Stadt», in der nichts gefehlt habe - Hallenbad, Bibliothek, Spielwarenfabrik, zwei Parks und eine schöne Schule mit Lichthof. «Am schlimmsten ist für mich, dass ich meinen Kindern nicht zeigen kann, wo ich aufgewachsen bin. Ich kann ihnen nur sagen: Da hinten, am Grubenrand, da stand unser Haus.»
Dieses Jahr hatte Bückgen ein Comeback. Im Massstab 1:100 wurden die Dorfstrassen mit weissem Kies in die schwarze Grubenerde gestreut. Wo früher Häuser standen, wurden Stühle hingestellt, auf denen ehemalige Bückgener in konzentrierten Texten aus dem Dorfleben erzählten. Die Idee zu diesem Theaterprojekt war dem in Berlin lebenden Schweizer Regisseur Jürg Montalta auf einer Tagebauführung gekommen. «Wir gingen eine Strecke mit verbundenen Augen, und plötzlich begann ein alter Mann zu erzählen: Hier stand die Kirche, da ging ich zur Schule - es sprudelte nur so aus ihm heraus. Eine Frau wollte erzählen und konnte nicht, weil ihr die Tränen kamen.» Um die Zukunft gestalten zu können, müsse man sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen, meint Montalta, der in der freien Wirtschaft als Coach von Führungskräften tätig ist. Die Freiluftinszenierung in der Grube habe ihnen ein Stück Heimat vermittelt, meinten die Jugendlichen, die keine Erinnerungen an den verschwundenen Stadtteil haben. Den Jugendlichen will sich Montalta in der nächsten Phase des langfristig angelegten Projekts widmen. Die Stimmung habe mit dem Alter der Jugendlichen zu tun: «Die Vierzehnjährigen haben noch ein positives Bild von der Zukunft. Sie freuen sich auf den See, wollen eine Familie und ein Auto. Die Älteren jedoch haben die Erfahrung gemacht, dass sie trotz Ausbildung und Umschulung keine Arbeit finden, und das ist sehr hart.» Keiner geht freiwillig weg.
Informationen zur IBA unter:www.iba-see.de; sowie zur Förderbrücke F60 unter:www.f60.de.
Ökologisches Notstandsgebiet
«Wer von der Industrie geprägt ist, hofft auf eine neue Industrie», erklärt der Architekt Rolf Kuhn, Initiator und Geschäftsführer der IBA. Für einmal findet man an der Spitze eines Grossprojekts im Osten keinen Westler: Rolf Kuhn hatte zu DDR-Zeiten in Weimar einen Lehrstuhl für Stadtsoziologie aufgebaut und war ab 1987 Leiter des Bauhauses in Dessau, wo mit dem «Industriellen Gartenreich» auch ein grossangelegtes Umnutzungsprojekt für Industriebrachen erprobt wurde. Bis Mitte der neunziger Jahre habe sich in der Bevölkerung die Hoffnung gehalten, dass sich der Auto- oder Flugzeugbau hier ansiedeln könnte, doch nach spektakulären Fehlinvestitionen wie dem Lausitz-Ring, auf dem keine Formel-1-Rennen gefahren werden können, herrscht Perspektivlosigkeit. «Da die DDR eine autarke Energieversorgung anstrebte, war der Kohlebergbau die wichtigste Industrie», meint Kuhn. Er erinnert sich an die «Winterschlachten» - Soldaten halfen den Kumpels, die Republik im Winter mit Wärme zu versorgen. «Und dieses Gefühl des Wichtigseins für die Republik brach nach der Wende auf einmal ab, ohne Vorankündigung.» Nun galt das einstige Energiezentrum der DDR als ökologisches Notstandsgebiet.
Tourismus hat viel mit Image zu tun. Ob eine Landschaft attraktiv wirkt, ist eine Frage der Wahrnehmung. «Wer mit dem Tagebau aufgewachsen ist, kann sich gar nicht vorstellen, dass das irgendjemanden interessieren könnte», erzählt Karsten Feucht, der schon bei der IBA 1984-87 in Berlin Stadtführungen organisiert hatte. «Es braucht Zeit, bis die Menschen sich daran gewöhnen, ihren Schandfleck - das Dreckloch, wie sie es nannten - als Touristenattraktion zu sehen. Doch die Berliner fliegen in die Sahara, um Wüste zu erleben, und das können wir ihnen hier viel näher bieten.» Die samstäglichen Touren (mit attraktiven Titeln wie «Steppe, Canyons und Giganten aus Stahl» oder «Reise zum Mars») sind regelmässig ausgebucht. Wer diese Zwischennutzung des zukünftigen Seebodens noch erleben will, muss sich allerdings beeilen: Ab November beginnt die Flutung.
Fürst Pückler als Markenname
Schon zu DDR-Zeiten wurden Tagebau-Gruben rekultiviert; der Senftenberger See etwa ist seit dreissig Jahren ein beliebtes Naherholungsgebiet. Fürst Hermann Heinrich von Pückler- Muskau hatte in seinen Parks sogar bereits im 19. Jahrhundert Rekultivierung betrieben. Einen besseren Namenspatron als den Skandalfürsten, der in Berlin mit einem weissen Hirsch-Gespann herumzufahren pflegte, hätte sich die IBA für ihren Landschaftsumbau nicht wünschen können. Der Gourmet, Frauenheld, Globetrotter und Bankrotteur Pückler war von der Idee besessen, dort Landschaften zu schaffen, wo ohne ihn nichts gewesen wäre. In Muskau und Branitz liess er Seen und Kanäle ausheben, Hügel anlegen und Bäume verpflanzen. Sein berühmtestes Gartenbauwerk ist der Tumulus im Branitzer Park: eine grasbewachsene Seepyramide, in welcher der «grüne Fürst» begraben liegt. Dass man den (oft boshaften) Exzentriker im heutigen Land Brandenburg in persona schätzen würde, darf man bezweifeln, doch als Markenname erfreut er sich unter Politikern grösster Beliebtheit.
Im Gegensatz zu Pückler können seine Nachfahren nicht schalten und walten, wie sie wollen. Jedes Projekt erfordert Überzeugungsarbeit, umso mehr, als dies die erste IBA ist, die in einem ländlichen Raum stattfindet. Hier treffen Welten aufeinander. So hat etwa der Frankfurter Architekt Ferdinand Heide für die IBA-Terrassen den Brandenburger Architekturpreis erhalten, während sich die Grossräschener mit dem modernen Bau schwer tun. Sie hätten statt Sichtbeton, Glas und schwarz lackierten Stahl lieber einen traditionellen Klinkerbau gehabt - falls sie nicht ohnehin der Meinung sind, dass man das Geld besser in den Strassenbau gesteckt hätte.
Die Träger der einzelnen Projekte sind oft Gemeinden mit ein paar hundert Einwohnern. «Da verhandelt man dann mit dem ehrenamtlichen Bürgermeister, der im Dorf sonst der Bäcker ist», meint Karsten Feucht. Das Besucherbergwerk der Förderbrücke F60 ist das erfolgreichste IBA-Projekt. Das weltweit grösste mobile Arbeitsgerät ging knapp an der Verschrottung vorbei, als die Grube stillgelegt wurde. Zuerst habe niemand geglaubt, dass jemand Eintritt bezahlen werde, um ein Tagebaugerät zu besichtigen, doch als jemand auf die Idee kam, die 500 Meter lange Förderbrücke als «liegenden Eiffelturm» zu bezeichnen, sei die Stimmung umgeschlagen, berichtet Feucht. Die Gemeinde Lichterfeld riskierte den Besucherbetrieb und hatte Glück: Statt der 25 000 Besucher pro Jahr, mit denen der Betrieb selbsttragend ist, werden dieses Jahr bereits 100 000 erwartet, und der Kanzler war auch schon da. Aus den Einnahmen konnte Lichterfeld inzwischen die Dorfstrasse sanieren.
Doch nicht immer läuft es so glatt. In Welzow stösst das Projekt «Wüste/Oase» bei den Anwohnern auf Widerstand. Geplant ist eine Wüstenlandschaft mit Hügelzügen, kleinen Schluchten und Sandkegeln. Die Anwohner jedoch wünschen einen See; sie fürchten den Staub - wenn man draussen Wäsche aufhängt, wird sie schwarz. «Allein das Wort Wüste wirkt als Provokation», meint die Projektleiterin Brigitte Scholz. «Natürlich kann man nicht rücksichtslos eine Landschaft einzig im Hinblick auf die Urlauber planen, die nur zwei oder drei Tage da sind. Doch wenn man sich auf die Wünsche der Anwohner beschränkt, ist auch nichts gewonnen.» Brigitte Scholz stammt aus Giessen, was übrigens kein Nachteil sei. «Die Leute erzählen mir mehr, denn ich weiss ja nichts. Ausserdem wird hier Identität sehr kleinräumig gedacht. Was die Lauchhammeraner über das Wüstenprojekt sagen, hat für die Welzower kein Gewicht - wer in Lauchhammer wohnt, habe ja keine Ahnung, was es heisse, hier zu leben.» Doch sei es für ihre Arbeit wichtig, den Alltag der Region zu kennen. Brigitte Scholz wohnt in Cottbus und weiss aus eigener Erfahrung, was es in der einzigen grösseren Stadt in der Lausitz etwa an Einkaufsmöglichkeiten und kulturellem Angebot gibt und was nicht. «Viele Assistenten der Technischen Universität sind nur Dienstag bis Donnerstag in Cottbus, und damit tragen sie nichts zur Urbanität der Stadt bei. Wenn sie weiterhin in Berlin ins Kino gehen, muss man sich nicht wundern, dass in Cottbus nichts los ist.»
Schwache Dienstleistungsmentalität
«Es wäre eine wirtschaftliche Katastrophe, wenn die Niederlausitz ein blosses Naherholungsgebiet würde», warnt Rolf Kuhn. Die IBA versucht Ideen zu entwickeln, die Besucher aus Berlin und Dresden herlocken. Im Projekt «Wüste/ Oase» könnten zwanzig bis fünfzig Stellen entstehen - allerdings nur, wenn sich ein Investor für einen Freizeitbereich mit Wellnesshotel und vielleicht gar Kamelen für die Wüstensafari findet. Das Besucherbergwerk F60 hat bisher sechs Arbeitsplätze geschaffen, nächstes Jahr sollen vier weitere dazukommen. Selbst wenn man allfällige Übernachtungen und Restaurantbesuche dazurechnet, darf man kaum auf Wunder hoffen - zumal es in der Niederlausitz bis anhin kaum eine touristische Infrastruktur gibt. Auch IBA-Geschäftsführer Rolf Kuhn macht sich keine Illusionen. Hierher kamen die Menschen seit je, um zu arbeiten, und nicht, um sich zu erholen, ganz abgesehen davon, dass es in der DDR kein Bewusstsein dafür gegeben habe, dass Dienstleistung ein Wirtschaftszweig ist: «Das war etwas zum Geldausgeben, nicht zum Geldverdienen. Dienstleistungsmentalität braucht viel Zeit und Weiterbildung. Man kann nicht erwarten, dass die Menschen gleich ein Lächeln auf dem Gesicht haben, wenn sie jemanden vor sich sehen.»
Michael Richter ist einer der sechs Festangestellten auf der F60. Früher hat er hier als Bergmann gearbeitet, heute führt er an manchen Tagen Hunderte von Menschen auf den liegenden Eiffelturm. Anfangs sei ihm die Arbeit mit Menschen nicht leicht gefallen. «Irgendwann aber habe ich gemerkt: Die Menschen wollen was von mir, und sie wollen hier was sehen. Ab dem Punkt hatte ich keine Schwierigkeiten mehr.» Michael Richter stammt aus dem Dorf Bergheide, das hier vom Tagebau abgebaggert wurde; nun schaut er jeden Tag auf die Grube, wo sich der Bergheider See allmählich mit Wasser füllt. In der Kantine zeigt er Schwarzweissaufnahmen des unscheinbaren Dorfs: ungeteerte Strassen, eine alte Mühle, von Blumen umwachsen, und ein stattliches Wohnhaus, das von Bild zu Bild zerfällt, bis schliesslich die Bagger kommen. «War 'n schönes Fleckchen, Bergheide», meint Richter, der sich mit dem Verlust längst abgefunden hat. Die Kohle gibt, die Kohle nimmt, so sagt man hier. Unter den 80 Dörfern, die dem Braunkohleabbau seit den sechziger Jahren zum Opfer fielen, waren auch viele Dörfer der sorbischen Minderheit - heute würde man sie als touristisches Kapital dringend brauchen.
Auch heute gibt es noch Dörfer, deren Schicksal besiegelt ist. In vier Gruben wird noch bis 2030 Kohle gefördert. Einige Häuser stehen bereits leer in Haidemühl, doch gleich nebenan ist der Garten gepflegt, und überall stehen Topfpflanzen auf dem Fensterbrett, sorgsam hinter die Gardinen zur Strassenseite hin gestellt. Es hat etwas Gespenstisches, durch totgesagte Ortschaften zu fahren, in denen der Alltag noch ganz selbstverständlich vor sich geht.
Abgebaggerte Dörfer
Alle vierzehn Tage kommt die pensionierte Lehrerin Helga Lehnigk auf die IBA-Terrassen und blickt in die Grube hinunter, wo früher das Dorf Bückgen war, in dem sie aufgewachsen ist. Zusammen mit dem Stadtteil Grossräschen-Süd wurde Bückgen 1989 abgebaggert - die grösste Umsiedlungsaktion der DDR, von der 4000 Menschen betroffen waren. Widerstand habe es nicht gegeben, erzählt Helga Lehnigk, man habe ja eingesehen, dass es notwendig war. Doch nach zehn Jahren ist die Kohle abgebaut. «Und da fragt man sich dann doch: War's das wirklich wert?» Auch Dorothea Miottke, die Pächterin des Cafés auf den IBA-Terrassen, hat früher im verschwundenen Stadtteil gelebt. Sie schwärmt von dieser «kompletten kleinen Stadt», in der nichts gefehlt habe - Hallenbad, Bibliothek, Spielwarenfabrik, zwei Parks und eine schöne Schule mit Lichthof. «Am schlimmsten ist für mich, dass ich meinen Kindern nicht zeigen kann, wo ich aufgewachsen bin. Ich kann ihnen nur sagen: Da hinten, am Grubenrand, da stand unser Haus.»
Dieses Jahr hatte Bückgen ein Comeback. Im Massstab 1:100 wurden die Dorfstrassen mit weissem Kies in die schwarze Grubenerde gestreut. Wo früher Häuser standen, wurden Stühle hingestellt, auf denen ehemalige Bückgener in konzentrierten Texten aus dem Dorfleben erzählten. Die Idee zu diesem Theaterprojekt war dem in Berlin lebenden Schweizer Regisseur Jürg Montalta auf einer Tagebauführung gekommen. «Wir gingen eine Strecke mit verbundenen Augen, und plötzlich begann ein alter Mann zu erzählen: Hier stand die Kirche, da ging ich zur Schule - es sprudelte nur so aus ihm heraus. Eine Frau wollte erzählen und konnte nicht, weil ihr die Tränen kamen.» Um die Zukunft gestalten zu können, müsse man sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen, meint Montalta, der in der freien Wirtschaft als Coach von Führungskräften tätig ist. Die Freiluftinszenierung in der Grube habe ihnen ein Stück Heimat vermittelt, meinten die Jugendlichen, die keine Erinnerungen an den verschwundenen Stadtteil haben. Den Jugendlichen will sich Montalta in der nächsten Phase des langfristig angelegten Projekts widmen. Die Stimmung habe mit dem Alter der Jugendlichen zu tun: «Die Vierzehnjährigen haben noch ein positives Bild von der Zukunft. Sie freuen sich auf den See, wollen eine Familie und ein Auto. Die Älteren jedoch haben die Erfahrung gemacht, dass sie trotz Ausbildung und Umschulung keine Arbeit finden, und das ist sehr hart.» Keiner geht freiwillig weg.
Informationen zur IBA unter:www.iba-see.de; sowie zur Förderbrücke F60 unter:www.f60.de.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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