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Gebaute Kontraste
Die BAR Architecten aus Rotterdam
Mit Projekten wie dem Utrechter «Junkie-Hostel» oder einem Brückenwärterhaus in Middelburg avancierten die Rotterdamer BAR Architecten um Joost Glissenaar und Klaas van der Molen zu einem der erfolgreichsten jungen Planungsbüros der Niederlande. Mit oft einfachen Mitteln schaffen sie überraschende Kontraste.
2. September 2005 - Robert Uhde
Die Utrechter Maliebaan gehört zu den vornehmsten Adressen der Stadt. Hinter den prachtvoll verzierten neoklassizistischen Fassaden liegen die Kanzleien von Steuerbüros, Rechtsanwälten und Unternehmensberatern. Mitten in dieser noblen Gegend wurde Ende 2003 in einem dreigeschossigen Haus das durch die BAR Architecten gestaltete «Junkie-Hostel» für obdachlose Rauschgiftsüchtige eröffnet. Als wichtiger Baustein eines umfangreichen kommunalen Programms bietet die Einrichtung jedem ihrer insgesamt 28 Bewohner einen eigenen Schlafraum sowie mehrere Gemeinschaftsräume. Von aussen lässt nichts auf die an diesem Ort recht ungewöhnliche Funktion schliessen; die umgebaute Villa reiht sich nach wie vor nahtlos in die prachtvolle Allee ein. Umso überraschender präsentiert sich das Innere des Hauses, in dem die Architekten zwischen den vorder- und rückseitig gelegenen Wohnräumen zwei unregelmässige «Stapel» mit jeweils drei übereinander geschichteten, bis unter das Dach reichenden Service-Einheiten placiert haben. Und als sei diese Raumkomposition nicht schon ungewöhnlich genug, wurden die Oberflächen der Boxen durchgehend mit einem Fotoprint gestaltet, der übergrosse, fast schon psychedelisch wirkende Efeublätter zeigt - «nicht als ein Verweis auf eine durch Drogen verursachte Halluzination, sondern zusammen mit den himmelblau gestrichenen Wänden im Treppenhaus als ein Mittel, um den Übergang vom Leben auf der Strasse zum Leben unter einem Dach zu erleichtern», wie die BAR Architekten einleuchtend erklären.
Die Gründung des in einem Gewerbebau unweit des Rotterdamer Schiehavens ansässigen Büros BAR Architecten geht zurück auf den Europan-Wettbewerb von 1998, den Joost Glissenaar (1965) und Klaas van der Molen (1966) mit einem städtebaulichen Entwurf für ein Wohnquartier in Amsterdam Ost für sich entscheiden konnten. Das Projekt wurde zwar nicht realisiert, aber der Erfolg ermutigte das Duo, von dem Glissenaar zuvor bei MVRDV und van der Molen bei Kraaijvanger Urbis tätig war, kurz darauf zur Eröffnung eines eigenen Büros, wobei der Name BAR auf die Barcode-artige Anordnung der Wohnblöcke des Europan-Entwurfes zurückgeht.
Radikale Interieurs
«Wir verfolgen eine Entwurfsstrategie, mit der wir eine Art ursprünglicher Architektur erreichen wollen», erklären die Architekten im Gespräch und betrachten die unvoreingenommene Analyse der jeweiligen Funktion als ihr zentrales Leitmotiv. Eine eindeutige Formensprache ist ihnen dabei weniger wichtig. Als roter Faden hat sich stattdessen das bisweilen ironische Aufzeigen von Widersprüchen herauskristallisiert. Ein fast programmatisches Beispiel für dieses Vorgehen bietet das flexibel einsetzbare und unter anderem als Stadtteilzentrum in Leidsche Rijn eingesetzte Projekt «Mies meets Granpré» (2003) - eine Art Kreuzung aus Barcelona-Pavillon, einem gewöhnlichen Ziegelhaus und einem banalen Wohnwagen, mit der die Architekten einen gelungenen Kommentar auf die in der niederländischen Architektur kursierende Diskussion über das Verhältnis von Tradition (vertreten hier durch Granpré Molière) und Moderne (Mies van der Rohe) geschaffen haben.
Weitere Überraschungen bieten das Druckereigebäude «Plantijn Casparie» in Utrecht (2003) - ein aus drei flachen Volumina zusammengesetzter funktionaler Bau, dessen scheinbar massive Hauptfassade sich beim Näherkommen als weitgehend transparente, durch 80 Holzstützen getragene Glaskonstruktion erweist - und vor allem der Umbau eines ebenfalls in Utrecht gelegenen Altbaus von 1643 zum Sitz des Kunstzentrums BAK. Ähnlich wie beim «Junkie-Hostel» kontrastierten die Architekten dabei eine historische Altbaufassade mit einem radikal umgestalteten Interieur und entwickelten so eine sinnfällige architektonische Umsetzung des Konzeptes des Hauses, das sich als Mittler aktueller Kunstformen wie Multimedia und Performances versteht. Zentrales Element innerhalb der weiss gestrichenen Innenräume ist ein zwei Meter hinter der Aussenfassade eingefügtes, gebäudehohes Raumobjekt mit «Wänden» und Brücken aus perforiertem Stahl sowie Böden aus Glas, das Treppen, Toiletten, Empfangsraum, Bibliothek und Garderobe integriert und dabei ein labyrinthisches Spiel zwischen Realität und optischer Täuschung schafft.
Spannung zwischen Alt und Neu
Einen ähnlich gelungenen Kontrast zwischen Alt und Neu zeigt das Ende 2004 eröffnete Brückenwärterhaus in Middelburg, das als deutlicher Gegenpol zur pittoresken Innenstadtkulisse eine elegant detaillierte kristalline Glasarchitektur zeigt und dabei ein wichtiges städtebauliches Scharnier zwischen Innenstadt und Peripherie schafft. Tatsächlich durch einen Brückenwärter genutzt wird der Bau jedoch nur rund sechsmal im Jahr - zu Inspektionen etwa. Die restliche Zeit über dient er lediglich als automatisierte Schaltstation. Trotz dieser eingeschränkten Nutzung entschied sich die Stadt Middelburg dazu, den Bau nicht lediglich als funktionales Objekt zu betrachten, sondern bewilligte immerhin 300 000 Euro, um mit ihm gleichzeitig eine städtebauliche Aufwertung des Bahnhofareals zu erreichen. Die BAR Architecten (www.bararchitects.com) entwickelten daraufhin einen ambitionierten, markant geschnittenen Bau mit dreieckigem Grundriss, dessen zum Wasser hin schräg abfallendes Untergeschoss auf einem wuchtigen Betonsockel ruht. Von innen bietet die durchgehende Glashülle ein 360-Grad- Panorama, nach aussen hin zeigt sie je nach Tageszeit, Wetter und Blickwinkel die innen liegenden Installationen, oder sie spiegelt die Umgebung wider. Die Architekten selbst beschreiben den Bau deshalb als einen «auf einem Punkt ausbalancierten Diamanten, der erst nachts seine volle Ausstrahlung erreicht. Denn dann wird er von innen her beleuchtet und taucht das Wasser und die umgebende Bebauung durch das mit Siebdrucken bedeckte Glas hindurch in ein fast magisches Licht.»
Die Gründung des in einem Gewerbebau unweit des Rotterdamer Schiehavens ansässigen Büros BAR Architecten geht zurück auf den Europan-Wettbewerb von 1998, den Joost Glissenaar (1965) und Klaas van der Molen (1966) mit einem städtebaulichen Entwurf für ein Wohnquartier in Amsterdam Ost für sich entscheiden konnten. Das Projekt wurde zwar nicht realisiert, aber der Erfolg ermutigte das Duo, von dem Glissenaar zuvor bei MVRDV und van der Molen bei Kraaijvanger Urbis tätig war, kurz darauf zur Eröffnung eines eigenen Büros, wobei der Name BAR auf die Barcode-artige Anordnung der Wohnblöcke des Europan-Entwurfes zurückgeht.
Radikale Interieurs
«Wir verfolgen eine Entwurfsstrategie, mit der wir eine Art ursprünglicher Architektur erreichen wollen», erklären die Architekten im Gespräch und betrachten die unvoreingenommene Analyse der jeweiligen Funktion als ihr zentrales Leitmotiv. Eine eindeutige Formensprache ist ihnen dabei weniger wichtig. Als roter Faden hat sich stattdessen das bisweilen ironische Aufzeigen von Widersprüchen herauskristallisiert. Ein fast programmatisches Beispiel für dieses Vorgehen bietet das flexibel einsetzbare und unter anderem als Stadtteilzentrum in Leidsche Rijn eingesetzte Projekt «Mies meets Granpré» (2003) - eine Art Kreuzung aus Barcelona-Pavillon, einem gewöhnlichen Ziegelhaus und einem banalen Wohnwagen, mit der die Architekten einen gelungenen Kommentar auf die in der niederländischen Architektur kursierende Diskussion über das Verhältnis von Tradition (vertreten hier durch Granpré Molière) und Moderne (Mies van der Rohe) geschaffen haben.
Weitere Überraschungen bieten das Druckereigebäude «Plantijn Casparie» in Utrecht (2003) - ein aus drei flachen Volumina zusammengesetzter funktionaler Bau, dessen scheinbar massive Hauptfassade sich beim Näherkommen als weitgehend transparente, durch 80 Holzstützen getragene Glaskonstruktion erweist - und vor allem der Umbau eines ebenfalls in Utrecht gelegenen Altbaus von 1643 zum Sitz des Kunstzentrums BAK. Ähnlich wie beim «Junkie-Hostel» kontrastierten die Architekten dabei eine historische Altbaufassade mit einem radikal umgestalteten Interieur und entwickelten so eine sinnfällige architektonische Umsetzung des Konzeptes des Hauses, das sich als Mittler aktueller Kunstformen wie Multimedia und Performances versteht. Zentrales Element innerhalb der weiss gestrichenen Innenräume ist ein zwei Meter hinter der Aussenfassade eingefügtes, gebäudehohes Raumobjekt mit «Wänden» und Brücken aus perforiertem Stahl sowie Böden aus Glas, das Treppen, Toiletten, Empfangsraum, Bibliothek und Garderobe integriert und dabei ein labyrinthisches Spiel zwischen Realität und optischer Täuschung schafft.
Spannung zwischen Alt und Neu
Einen ähnlich gelungenen Kontrast zwischen Alt und Neu zeigt das Ende 2004 eröffnete Brückenwärterhaus in Middelburg, das als deutlicher Gegenpol zur pittoresken Innenstadtkulisse eine elegant detaillierte kristalline Glasarchitektur zeigt und dabei ein wichtiges städtebauliches Scharnier zwischen Innenstadt und Peripherie schafft. Tatsächlich durch einen Brückenwärter genutzt wird der Bau jedoch nur rund sechsmal im Jahr - zu Inspektionen etwa. Die restliche Zeit über dient er lediglich als automatisierte Schaltstation. Trotz dieser eingeschränkten Nutzung entschied sich die Stadt Middelburg dazu, den Bau nicht lediglich als funktionales Objekt zu betrachten, sondern bewilligte immerhin 300 000 Euro, um mit ihm gleichzeitig eine städtebauliche Aufwertung des Bahnhofareals zu erreichen. Die BAR Architecten (www.bararchitects.com) entwickelten daraufhin einen ambitionierten, markant geschnittenen Bau mit dreieckigem Grundriss, dessen zum Wasser hin schräg abfallendes Untergeschoss auf einem wuchtigen Betonsockel ruht. Von innen bietet die durchgehende Glashülle ein 360-Grad- Panorama, nach aussen hin zeigt sie je nach Tageszeit, Wetter und Blickwinkel die innen liegenden Installationen, oder sie spiegelt die Umgebung wider. Die Architekten selbst beschreiben den Bau deshalb als einen «auf einem Punkt ausbalancierten Diamanten, der erst nachts seine volle Ausstrahlung erreicht. Denn dann wird er von innen her beleuchtet und taucht das Wasser und die umgebende Bebauung durch das mit Siebdrucken bedeckte Glas hindurch in ein fast magisches Licht.»
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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