Artikel
Eine Welt im Umbruch
Einschneidende architektonische und städtebauliche Entwicklungen in Iran
Die Städte in Iran durchleben derzeit dramatische Veränderungen. In Teheran werden ganze Quartiere der Bauspekulation geopfert. Hochhäuser und monströse Stadtautobahnen zerstören traditionelle Strukturen und prägen das Stadtbild immer mehr. Auch in der Provinz wird wenig gegen den Wildwuchs unternommen. Zwar soll das historische Zentrum von Yazd, einer der ältesten Städte Persiens, zum Weltkulturerbe ernannt werden. Gegen den Verfall der Altstadt aber wird dennoch kaum etwas unternommen.
3. Oktober 2005 - Reinhard Seiß
Wie viele Menschen in Teheran leben, lässt sich - wie bei den meisten Metropolen der Zweiten und Dritten Welt - auch bei der iranischen Hauptstadt nicht genau feststellen. Bei der Volkszählung von 1992 waren es offiziell 7,2 Millionen, heute dürfte die Zahl knapp doppelt so hoch sein. Zudem pendeln täglich ungezählte Menschen aus der umliegenden Region in die Megacity. Hunderttausende kommen allein aus dem vierzig Kilometer entfernten Karaj - noch vor zwanzig Jahren eine Kleinstadt, heute ein Siedlungsbrei mit 3 Millionen Einwohnern. Anders als die demographische Entwicklung ist die Zunahme des Autobestands in Teheran relativ exakt dokumentiert: Rund 230 000 Fahrzeuge werden pro Jahr neu in Betrieb genommen. Sie verschärfen die Situation in der ohnehin schon verkehrsüberlasteten Stadt zusehends. Dabei ist Teheran, das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Irans, ein durch und durch modernes Gebilde, das nicht von Altstadtgassen, sondern von einem grosszügigen Strassenraster geprägt wird. Trotzdem sind selbst am späteren Abend noch fünfspurige Einbahnstrassen heillos verstopft.
Vom Auto erstickte Urbanität
Die Autos verdrängen das Leben aus dem öffentlichen Raum: Vielerorts bilden hohe Fussgängerbrücken die einzige Möglichkeit für Passanten, die Fahrbahn sicher zu queren. Radfahren wird zum Vabanquespiel. «Der Verkehr hat totale Formen angenommen», so schildert die auf Architektur und Stadtplanung spezialisierte Publizistin Soheila Beski die dramatische Entwicklung. «Die vielen Autos haben Teheran so gross und gleichzeitig so klein gemacht, dass man an einem Tag nirgendwo anders mehr hinfahren kann als von zu Hause zur Arbeit und wieder zurück.» Der Autoverkehr bringt die Stadt um das, was sie attraktiv macht - um ihr vielfältiges Angebot, um ihre Urbanität.
Was noch schwerer wiegt, sind die Folgen für Umwelt und Gesundheit. Die vorherrschende Wetterlage in Teheran heisst seit Jahren schon Smog. So gilt der erste morgendliche Blick vieler Bürger den über 5000 Meter hohen Gipfeln des Elburs-Gebirges, über dessen Abhänge sich die iranische Hauptstadt erstreckt. In den südlichen, auf 1100 Metern über Meer liegenden Stadtteilen nimmt man die schneebedeckten Bergspitzen ohnehin meist nur schemenhaft wahr. Ist die nahe Gebirgskette aber auch in den nördlichen, reicheren, auf bis zu 1800 Höhenmetern gelegenen Wohnvierteln kaum sichtbar, dann empfiehlt es sich, zumindest die Kinder im Haus zu lassen. Die ökologischen Massnahmen der Stadtregierung beschränken sich im Wesentlichen auf eine Prämie für jene, die ihr altes Auto durch ein neues ersetzen. Dass die zahllosen Russschleudern der Marken Paykan oder Peugeot 405 deshalb von den Strassen verschwinden, ist jedoch eine Illusion. Bei Benzinpreisen von umgerechnet 35 Rappen pro Liter können sich auch weniger begüterte Teheraner einen fahrbaren Untersatz leisten; und für Tausende illegaler Taxifahrer stellt das eigene Auto die einzige Einkommensquelle dar. Deren Service kompensiert das schlechte Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln in Teheran.
Omnibusse stecken noch länger im Stau als Privatautos, da sie nicht spontan auf weniger verstopfte Routen ausweichen können. Und das Metronetz der Stadt beschränkt sich auf eine 2003 fertiggestellte Nord-Süd-Achse und eine noch im Bau befindliche Ost-West-Verbindung. Dazu kommt die eingleisige Regionalbahn nach Karaj. «Eine seriöse Verkehrspolitik für den Grossraum Teheran gibt es ebenso wenig wie eine brauchbare Siedlungspolitik», stellt Firuz Tofigh, vor der Machtübernahme Khomeinys 1979 Minister für Stadtentwicklung, fest. Seit 2002 leitet er das neu gegründete Center of Planning and Studies, das für die Stadt Teheran Daten und Modelle zum Aufbau einer strategischen Stadtentwicklungs-, Verkehrs- und Umweltpolitik erarbeiten soll. «Solch ein Planning Support System bestand in anderer Form schon vor der Revolution, als die Stadtplanung noch stärker von kompetenten Beamten bestimmt war. Seit 1979 wird die Stadtentwicklung aber von der Politik dominiert - und von Ad-hoc-Lösungen, da der Masterplan von 1993 nichts mit der Realität zu tun hat.»
Eine Realität ist, dass die Stadtplanung nicht mehr an den Grenzen Teherans enden darf, sondern den gesamten Ballungsraum einbeziehen muss. Denn nicht nur die Hauptstadt erlebte (vor allem seit dem Iran-Irak-Krieg 1980-1988) einen steten Zuzug aus den ländlichen Gebieten des heute 70 Millionen Einwohner zählenden Staates: Auch und vor allem in der Peripherie von Teheran fanden die Migranten Bauland. «Das Fatale daran ist, dass nur 15 bis 20 Prozent des Staatsgebiets fruchtbar sind - insbesondere natürlich das Land rings um die gewachsenen Zentren», erklärt Firuz Tofigh. «Damit frisst die Ausdehnung unserer Stadtregionen die kostbarsten Böden auf.» So werden Teheran und Karaj mittelfristig zusammenwachsen. Gemeinsame Planungen lassen sich deshalb aber nicht unbedingt leichter gestalten, zumal die iranische Hauptstadt keinen politischen Einfluss auf die sie umgebenden Städte und Provinzen geltend machen kann. Dennoch arbeitete die Teheraner Stadtplanung jüngst erstmals einen umfassenden Agglomerationsplan aus, der auch fünf bereits in Bau befindliche Neustädte für jeweils 500 000 Menschen im Umkreis der Metropole umfasst.
«Ändern wird auch dieser Plan nichts an den Problemen Teherans», meint Jahanshah Pakzad, Professor für Stadtgestaltung an der Shahid- Beheshti-Universität Teheran, skeptisch. Wirkliche Verbesserungen sind für den Planer, der sein Studium in Hannover absolvierte, nur durch eine Demokratisierung der Stadtplanung möglich: «Vor einigen Jahren wurde den Stadtbezirken bis hinunter zu den einzelnen Nachbarschaften mehr Selbstbestimmung eingeräumt - allerdings nur auf dem Papier. Denn die direkten Wahlen der lokalen Ratsversammlungen fanden bis heute nicht statt.» Der Sieg der Konservativen bei den Kommunalwahlen 2003 hat auch in der Stadtentwicklung jene Aufbruchstimmung, die zunächst herrschte, als es schien, dass die Anliegen der Bevölkerung stärker Berücksichtigung fänden, fast gänzlich abklingen - und die urbanistischen Missstände weiter bestehen lassen. «Das grundlegende Übel ist der Ausverkauf Teherans an Investoren und Spekulanten, der unter Bürgermeister Karbastshi begann und bis heute andauert», urteilt Jahanshah Pakzad. «Dadurch verliert die Stadt mehr und mehr ihren Charakter.»
Blindwütiger Hochhausbau
In Karbastshis Amtszeit (1987-1997) fielen der Bau monströser Stadtautobahnen, dem unter anderem ein ganzer Bezirk südlich des Basars geopfert wurde, sowie die Errichtung zahlreicher Hochhäuser, die in völligem Wildwuchs traditionelle Strukturen zerstörten. «Wenn die Pläne für ein Gebiet eine Überbauung von maximal 100 Prozent vorsahen, ein Projektentwickler aber eine Dichte von 400 Prozent wollte, erhielt er gegen eine entsprechende Abgeltung flugs die gewünschte Genehmigung», so illustriert Pakzad die Stadtplanung nach Teheraner Art. Andererseits sorgte Karbastshi für die Errichtung von Kulturzentren und öffentlichen Parks, wodurch auch ärmere Bezirke aufgewertet wurden. Kennzeichnend war in jedem Fall seine «pragmatische» Vorgehensweise - oft informell und an den Mühlen der Bürokratie vorbei. Dies erlaubte ihm, die im postrevolutionären Iran übliche Vorlaufzeit von Grossprojekten von durchschnittlich 14 Jahren zu verkürzen - brachte aber schliesslich den allmächtigen Staatsapparat gegen den eigenwilligen Kommunalpolitiker auf: 1998 wurde der Bürgermeister wegen «Missbrauchs öffentlicher Mittel» und «schlechter Amtsführung» zu fünf Jahren Haft, 60 Peitschenhieben sowie einer hohen Geldstrafe verurteilt - und mit einem zwanzigjährigen Arbeitsverbot für öffentliche Ämter bestraft.
An der Stadtentwicklung änderte sich durch die Ablösung Karbastshis erwartungsgemäss wenig. Nach wie vor werden Strassenschneisen durch die Stadt geschlagen - ohne Beachtung der Topographie, ohne Rücksicht auf die bestehende Bebauung. Inmitten von Siedlungen finden sich in Teheran und Umgebung Brückenbauten als Vorboten neuer Autobahnen, denen die hier Ansässigen wohl schon bald weichen müssen. Der Sinn immer neuer Zubringer und Verteiler für noch mehr Autos ist angesichts des täglich vor dem Infarkt stehenden Strassennetzes jedenfalls mehr als zweifelhaft. Auch Wolkenkratzer wachsen weiter aus dem Boden, ungeachtet der steigenden Zahl an Invest-Ruinen: Gleich an mehreren Orten der Stadt ragen turmhohe Stahlskelette empor, die aus Spekulation begonnen wurden - aber mangels ausreichender Finanzierung und Nachfrage wohl nie vollendet werden. «Erst vor kurzem wieder hat man einige Villen aus den fünfziger Jahren im amerikanischen Stil unweit des ehemaligen Schah-Palasts weggerissen, um Platz für Hochhäuser zu schaffen», wie Soheila Beski den blindwütigen Kahlschlag beklagt. Zwar berichtet die Herausgeberin der Stadtplanungszeitschrift «Shahr» und des Architekturmagazins «Me'mar» über urbanistische Fehlentwicklungen wie diese - was vor dem Wahlsieg von Staatspräsident Khatami 1997 völlig undenkbar gewesen wäre. Mediale Kritik an den verantwortlichen Planungspolitikern ist aber nach wie vor kaum möglich.
Bedrohtes Bauerbe in der Provinz
«Etwas offener verlaufen die fachlichen Debatten abseits der geistlichen und politischen Zentren des Landes», sagt Stephan Schwarz. Der österreichische Architekt und sein persischer Kollege Nariman Mansouri betreiben die wissenschaftlich-kulturelle Initiative «X-Change», die sich unter anderem für architektonischen und stadtplanerischen Erfahrungsaustausch zwischen Europa und dem seit 25 Jahren isolierten Iran engagiert. Eines ihrer jüngsten Projekte fand in der rund 400 000 Einwohner zählenden Wüstenstadt Yazd, 700 Kilometer südöstlich von Teheran, statt. Yazd ist eine der ältesten Städte Persiens und hat seit dem verheerenden Erdbeben in Bam 2003 noch mehr an baugeschichtlicher Bedeutung gewonnen. So bemühen sich Kommunalpolitik und Verwaltung um die Ernennung des historischen Zentrums zum Weltkulturerbe durch die Unesco. «Gleichzeitig unternehmen sie aber nichts, um den Verfall der Altstadt zu stoppen», bemängelt der 1984 nach Wien emigrierte Mansouri. «Im Gegenteil, sie tragen zum Niedergang des baulichen Erbes bei.»
Auf den ersten Blick wirkt die kleinteilige Innenstadt mit ihren 700 bis 800 Lehmhäusern noch weitgehend intakt. Die engen Strassen verzweigen sich in verwinkelte Gassen, die in kleine Quartiere mit gemeinschaftlich genutzten Brunnen führen. Da sich die Wohnbauten - wie in allen Wüstengebieten - gegenüber dem öffentlichen Raum abschotten, fällt erst nach genauerem Hinsehen auf, dass hinter vielen noch unversehrten Aussenmauern nur mehr Schutthaufen vom einstigen Leben zeugen. In günstigen Lagen, etwa im Umfeld der Freitagsmoschee oder nahe dem grossen Basar, sind die Lehmhäuser noch bewohnt. Mit zunehmender Entfernung von den Zentren steigt allerdings die Zahl verlassener und verfallener Bauten. Die Gründe, warum diese traditionelle Wohn- und Siedlungsform von immer mehr Iranern - nicht allein in Yazd - aufgegeben wird, sind vielfältig. Zum einen müssen Lehmhäuser regelmässig instand gehalten werden: Bei all seinen klimatechnischen, ökologischen und ökonomischen Vorzügen ist das Lehm-Stroh-Gemenge selbstverständlich nicht das dauerhafteste und witterungsbeständigste Baumaterial. Zum anderen haben heute viele Menschen oft nicht mehr die Zeit und auch nicht die Fertigkeit, ihre Häuser zu warten. Und um sie von anderen erhalten zu lassen, dazu reicht das Geld nicht aus.
Schliesslich wünschen sich die Bewohner natürlich auch zeitgemässen Komfort - von modernen Elektro-, Wasser- und Abwasserinstallationen über Telefon und Fernsehen bis hin zum Internetanschluss. Dies in den alten Lehmhäusern nachzurüsten, ist oft schwieriger, als ein neues Häuschen am Stadtrand zu bauen. Von manchen wird auch als Problem genannt, dass die dunklen Altstadtgassen unsicher seien - und dass im Notfall nicht einmal ein Rettungswagen durchfahren könne. Dies führt zu einem weiteren, offenbar wesentlichen Manko des traditionellen, für Fussgänger konzipierten Städtebaus: Die engen, zwei bis höchstens drei Meter breiten Strassen sind für das zunehmend beliebte Automobil völlig ungeeignet. Durch die Altstadt von Yazd zu fahren, ohne die eine oder andere Hauskante zu beschädigen, ist schier unmöglich - von einer Zufahrt bis zur Haustür oder einem Parkplatz ganz zu schweigen.
Eine letzte Ursache für den Niedergang der Altstadt lag in der Zuteilung leerstehender Häuser an afghanische Kriegsflüchtlinge - ohne jegliche Betreuung oder Unterstützung. Diese Fremden hatten keine Erfahrung in der Pflege der Bauten; zudem fehlten ihnen Mittel und Motivation, in den Erhalt ihrer Unterkünfte zu investieren - denn die Dauer ihres Aufenthalts in Iran war ungewiss. Der fortschreitende Verfall dieser Flüchtlingsquartiere beeinträchtigte schliesslich auch benachbarte Wohnbauten. - «Die Kommune zeigte sich über die grossflächige Verödung der Altstadt zunächst gar nicht so unglücklich, da ihr dadurch der Ankauf und die Sanierung ganzer Baublöcke möglich schienen», erinnert sich Stephan Schwarz. «Dann aber erkannte man, dass eine dauerhafte Rettung alter Bausubstanz private Initiative und vor allem wirtschaftliche Nutzungen braucht.» Trotzdem gibt es nach wie vor keinerlei Subventionen für Renovierungen durch Private. Lediglich im Falle museal genutzter Baudenkmäler sowie einiger für den Tourismus adaptierter Bauten gelangen bisher erfolgreiche Rekonstruktionen. «So konzentrierte sich die Stadtverwaltung zuletzt auf die Modernisierung des öffentlichen Raums», berichtet Architekt Nariman Mansouri nicht ohne Verbitterung. «Manche Strassen hat man um mehr als das Doppelte verbreitert, wofür marode Lehmhäuser zeilenweise weggeschoben wurden - nur damit nun Autos ungehindert fahren und parken können.»
Nach demselben Schema wurden grosse Plätze inmitten der Altstadt geschaffen: Spielplätze, begrünte Plätze, aber auch Parkplätze - obwohl die kaum beschatteten Flächen im langen Sommer tagsüber nicht nutzbar sind. Entlang der breiten Strassen und Plätze wird mittlerweile höher (dreigeschossig statt bisher überwiegend eingeschossig) und auch anders gebaut: mit gebrannten Ziegeln und grossen Fensteröffnungen, was wiederum energieintensive Klimaanlagen erfordert. Damit geht mit der Zeit nicht nur der einheitliche Charakter der Altstadt von Yazd verloren, dies bedeutet auch das Ende eines über Jahrhunderte bewährten nachhaltigen Stadtmodells.
[ Reinhard Seiss ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien. ]
Vom Auto erstickte Urbanität
Die Autos verdrängen das Leben aus dem öffentlichen Raum: Vielerorts bilden hohe Fussgängerbrücken die einzige Möglichkeit für Passanten, die Fahrbahn sicher zu queren. Radfahren wird zum Vabanquespiel. «Der Verkehr hat totale Formen angenommen», so schildert die auf Architektur und Stadtplanung spezialisierte Publizistin Soheila Beski die dramatische Entwicklung. «Die vielen Autos haben Teheran so gross und gleichzeitig so klein gemacht, dass man an einem Tag nirgendwo anders mehr hinfahren kann als von zu Hause zur Arbeit und wieder zurück.» Der Autoverkehr bringt die Stadt um das, was sie attraktiv macht - um ihr vielfältiges Angebot, um ihre Urbanität.
Was noch schwerer wiegt, sind die Folgen für Umwelt und Gesundheit. Die vorherrschende Wetterlage in Teheran heisst seit Jahren schon Smog. So gilt der erste morgendliche Blick vieler Bürger den über 5000 Meter hohen Gipfeln des Elburs-Gebirges, über dessen Abhänge sich die iranische Hauptstadt erstreckt. In den südlichen, auf 1100 Metern über Meer liegenden Stadtteilen nimmt man die schneebedeckten Bergspitzen ohnehin meist nur schemenhaft wahr. Ist die nahe Gebirgskette aber auch in den nördlichen, reicheren, auf bis zu 1800 Höhenmetern gelegenen Wohnvierteln kaum sichtbar, dann empfiehlt es sich, zumindest die Kinder im Haus zu lassen. Die ökologischen Massnahmen der Stadtregierung beschränken sich im Wesentlichen auf eine Prämie für jene, die ihr altes Auto durch ein neues ersetzen. Dass die zahllosen Russschleudern der Marken Paykan oder Peugeot 405 deshalb von den Strassen verschwinden, ist jedoch eine Illusion. Bei Benzinpreisen von umgerechnet 35 Rappen pro Liter können sich auch weniger begüterte Teheraner einen fahrbaren Untersatz leisten; und für Tausende illegaler Taxifahrer stellt das eigene Auto die einzige Einkommensquelle dar. Deren Service kompensiert das schlechte Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln in Teheran.
Omnibusse stecken noch länger im Stau als Privatautos, da sie nicht spontan auf weniger verstopfte Routen ausweichen können. Und das Metronetz der Stadt beschränkt sich auf eine 2003 fertiggestellte Nord-Süd-Achse und eine noch im Bau befindliche Ost-West-Verbindung. Dazu kommt die eingleisige Regionalbahn nach Karaj. «Eine seriöse Verkehrspolitik für den Grossraum Teheran gibt es ebenso wenig wie eine brauchbare Siedlungspolitik», stellt Firuz Tofigh, vor der Machtübernahme Khomeinys 1979 Minister für Stadtentwicklung, fest. Seit 2002 leitet er das neu gegründete Center of Planning and Studies, das für die Stadt Teheran Daten und Modelle zum Aufbau einer strategischen Stadtentwicklungs-, Verkehrs- und Umweltpolitik erarbeiten soll. «Solch ein Planning Support System bestand in anderer Form schon vor der Revolution, als die Stadtplanung noch stärker von kompetenten Beamten bestimmt war. Seit 1979 wird die Stadtentwicklung aber von der Politik dominiert - und von Ad-hoc-Lösungen, da der Masterplan von 1993 nichts mit der Realität zu tun hat.»
Eine Realität ist, dass die Stadtplanung nicht mehr an den Grenzen Teherans enden darf, sondern den gesamten Ballungsraum einbeziehen muss. Denn nicht nur die Hauptstadt erlebte (vor allem seit dem Iran-Irak-Krieg 1980-1988) einen steten Zuzug aus den ländlichen Gebieten des heute 70 Millionen Einwohner zählenden Staates: Auch und vor allem in der Peripherie von Teheran fanden die Migranten Bauland. «Das Fatale daran ist, dass nur 15 bis 20 Prozent des Staatsgebiets fruchtbar sind - insbesondere natürlich das Land rings um die gewachsenen Zentren», erklärt Firuz Tofigh. «Damit frisst die Ausdehnung unserer Stadtregionen die kostbarsten Böden auf.» So werden Teheran und Karaj mittelfristig zusammenwachsen. Gemeinsame Planungen lassen sich deshalb aber nicht unbedingt leichter gestalten, zumal die iranische Hauptstadt keinen politischen Einfluss auf die sie umgebenden Städte und Provinzen geltend machen kann. Dennoch arbeitete die Teheraner Stadtplanung jüngst erstmals einen umfassenden Agglomerationsplan aus, der auch fünf bereits in Bau befindliche Neustädte für jeweils 500 000 Menschen im Umkreis der Metropole umfasst.
«Ändern wird auch dieser Plan nichts an den Problemen Teherans», meint Jahanshah Pakzad, Professor für Stadtgestaltung an der Shahid- Beheshti-Universität Teheran, skeptisch. Wirkliche Verbesserungen sind für den Planer, der sein Studium in Hannover absolvierte, nur durch eine Demokratisierung der Stadtplanung möglich: «Vor einigen Jahren wurde den Stadtbezirken bis hinunter zu den einzelnen Nachbarschaften mehr Selbstbestimmung eingeräumt - allerdings nur auf dem Papier. Denn die direkten Wahlen der lokalen Ratsversammlungen fanden bis heute nicht statt.» Der Sieg der Konservativen bei den Kommunalwahlen 2003 hat auch in der Stadtentwicklung jene Aufbruchstimmung, die zunächst herrschte, als es schien, dass die Anliegen der Bevölkerung stärker Berücksichtigung fänden, fast gänzlich abklingen - und die urbanistischen Missstände weiter bestehen lassen. «Das grundlegende Übel ist der Ausverkauf Teherans an Investoren und Spekulanten, der unter Bürgermeister Karbastshi begann und bis heute andauert», urteilt Jahanshah Pakzad. «Dadurch verliert die Stadt mehr und mehr ihren Charakter.»
Blindwütiger Hochhausbau
In Karbastshis Amtszeit (1987-1997) fielen der Bau monströser Stadtautobahnen, dem unter anderem ein ganzer Bezirk südlich des Basars geopfert wurde, sowie die Errichtung zahlreicher Hochhäuser, die in völligem Wildwuchs traditionelle Strukturen zerstörten. «Wenn die Pläne für ein Gebiet eine Überbauung von maximal 100 Prozent vorsahen, ein Projektentwickler aber eine Dichte von 400 Prozent wollte, erhielt er gegen eine entsprechende Abgeltung flugs die gewünschte Genehmigung», so illustriert Pakzad die Stadtplanung nach Teheraner Art. Andererseits sorgte Karbastshi für die Errichtung von Kulturzentren und öffentlichen Parks, wodurch auch ärmere Bezirke aufgewertet wurden. Kennzeichnend war in jedem Fall seine «pragmatische» Vorgehensweise - oft informell und an den Mühlen der Bürokratie vorbei. Dies erlaubte ihm, die im postrevolutionären Iran übliche Vorlaufzeit von Grossprojekten von durchschnittlich 14 Jahren zu verkürzen - brachte aber schliesslich den allmächtigen Staatsapparat gegen den eigenwilligen Kommunalpolitiker auf: 1998 wurde der Bürgermeister wegen «Missbrauchs öffentlicher Mittel» und «schlechter Amtsführung» zu fünf Jahren Haft, 60 Peitschenhieben sowie einer hohen Geldstrafe verurteilt - und mit einem zwanzigjährigen Arbeitsverbot für öffentliche Ämter bestraft.
An der Stadtentwicklung änderte sich durch die Ablösung Karbastshis erwartungsgemäss wenig. Nach wie vor werden Strassenschneisen durch die Stadt geschlagen - ohne Beachtung der Topographie, ohne Rücksicht auf die bestehende Bebauung. Inmitten von Siedlungen finden sich in Teheran und Umgebung Brückenbauten als Vorboten neuer Autobahnen, denen die hier Ansässigen wohl schon bald weichen müssen. Der Sinn immer neuer Zubringer und Verteiler für noch mehr Autos ist angesichts des täglich vor dem Infarkt stehenden Strassennetzes jedenfalls mehr als zweifelhaft. Auch Wolkenkratzer wachsen weiter aus dem Boden, ungeachtet der steigenden Zahl an Invest-Ruinen: Gleich an mehreren Orten der Stadt ragen turmhohe Stahlskelette empor, die aus Spekulation begonnen wurden - aber mangels ausreichender Finanzierung und Nachfrage wohl nie vollendet werden. «Erst vor kurzem wieder hat man einige Villen aus den fünfziger Jahren im amerikanischen Stil unweit des ehemaligen Schah-Palasts weggerissen, um Platz für Hochhäuser zu schaffen», wie Soheila Beski den blindwütigen Kahlschlag beklagt. Zwar berichtet die Herausgeberin der Stadtplanungszeitschrift «Shahr» und des Architekturmagazins «Me'mar» über urbanistische Fehlentwicklungen wie diese - was vor dem Wahlsieg von Staatspräsident Khatami 1997 völlig undenkbar gewesen wäre. Mediale Kritik an den verantwortlichen Planungspolitikern ist aber nach wie vor kaum möglich.
Bedrohtes Bauerbe in der Provinz
«Etwas offener verlaufen die fachlichen Debatten abseits der geistlichen und politischen Zentren des Landes», sagt Stephan Schwarz. Der österreichische Architekt und sein persischer Kollege Nariman Mansouri betreiben die wissenschaftlich-kulturelle Initiative «X-Change», die sich unter anderem für architektonischen und stadtplanerischen Erfahrungsaustausch zwischen Europa und dem seit 25 Jahren isolierten Iran engagiert. Eines ihrer jüngsten Projekte fand in der rund 400 000 Einwohner zählenden Wüstenstadt Yazd, 700 Kilometer südöstlich von Teheran, statt. Yazd ist eine der ältesten Städte Persiens und hat seit dem verheerenden Erdbeben in Bam 2003 noch mehr an baugeschichtlicher Bedeutung gewonnen. So bemühen sich Kommunalpolitik und Verwaltung um die Ernennung des historischen Zentrums zum Weltkulturerbe durch die Unesco. «Gleichzeitig unternehmen sie aber nichts, um den Verfall der Altstadt zu stoppen», bemängelt der 1984 nach Wien emigrierte Mansouri. «Im Gegenteil, sie tragen zum Niedergang des baulichen Erbes bei.»
Auf den ersten Blick wirkt die kleinteilige Innenstadt mit ihren 700 bis 800 Lehmhäusern noch weitgehend intakt. Die engen Strassen verzweigen sich in verwinkelte Gassen, die in kleine Quartiere mit gemeinschaftlich genutzten Brunnen führen. Da sich die Wohnbauten - wie in allen Wüstengebieten - gegenüber dem öffentlichen Raum abschotten, fällt erst nach genauerem Hinsehen auf, dass hinter vielen noch unversehrten Aussenmauern nur mehr Schutthaufen vom einstigen Leben zeugen. In günstigen Lagen, etwa im Umfeld der Freitagsmoschee oder nahe dem grossen Basar, sind die Lehmhäuser noch bewohnt. Mit zunehmender Entfernung von den Zentren steigt allerdings die Zahl verlassener und verfallener Bauten. Die Gründe, warum diese traditionelle Wohn- und Siedlungsform von immer mehr Iranern - nicht allein in Yazd - aufgegeben wird, sind vielfältig. Zum einen müssen Lehmhäuser regelmässig instand gehalten werden: Bei all seinen klimatechnischen, ökologischen und ökonomischen Vorzügen ist das Lehm-Stroh-Gemenge selbstverständlich nicht das dauerhafteste und witterungsbeständigste Baumaterial. Zum anderen haben heute viele Menschen oft nicht mehr die Zeit und auch nicht die Fertigkeit, ihre Häuser zu warten. Und um sie von anderen erhalten zu lassen, dazu reicht das Geld nicht aus.
Schliesslich wünschen sich die Bewohner natürlich auch zeitgemässen Komfort - von modernen Elektro-, Wasser- und Abwasserinstallationen über Telefon und Fernsehen bis hin zum Internetanschluss. Dies in den alten Lehmhäusern nachzurüsten, ist oft schwieriger, als ein neues Häuschen am Stadtrand zu bauen. Von manchen wird auch als Problem genannt, dass die dunklen Altstadtgassen unsicher seien - und dass im Notfall nicht einmal ein Rettungswagen durchfahren könne. Dies führt zu einem weiteren, offenbar wesentlichen Manko des traditionellen, für Fussgänger konzipierten Städtebaus: Die engen, zwei bis höchstens drei Meter breiten Strassen sind für das zunehmend beliebte Automobil völlig ungeeignet. Durch die Altstadt von Yazd zu fahren, ohne die eine oder andere Hauskante zu beschädigen, ist schier unmöglich - von einer Zufahrt bis zur Haustür oder einem Parkplatz ganz zu schweigen.
Eine letzte Ursache für den Niedergang der Altstadt lag in der Zuteilung leerstehender Häuser an afghanische Kriegsflüchtlinge - ohne jegliche Betreuung oder Unterstützung. Diese Fremden hatten keine Erfahrung in der Pflege der Bauten; zudem fehlten ihnen Mittel und Motivation, in den Erhalt ihrer Unterkünfte zu investieren - denn die Dauer ihres Aufenthalts in Iran war ungewiss. Der fortschreitende Verfall dieser Flüchtlingsquartiere beeinträchtigte schliesslich auch benachbarte Wohnbauten. - «Die Kommune zeigte sich über die grossflächige Verödung der Altstadt zunächst gar nicht so unglücklich, da ihr dadurch der Ankauf und die Sanierung ganzer Baublöcke möglich schienen», erinnert sich Stephan Schwarz. «Dann aber erkannte man, dass eine dauerhafte Rettung alter Bausubstanz private Initiative und vor allem wirtschaftliche Nutzungen braucht.» Trotzdem gibt es nach wie vor keinerlei Subventionen für Renovierungen durch Private. Lediglich im Falle museal genutzter Baudenkmäler sowie einiger für den Tourismus adaptierter Bauten gelangen bisher erfolgreiche Rekonstruktionen. «So konzentrierte sich die Stadtverwaltung zuletzt auf die Modernisierung des öffentlichen Raums», berichtet Architekt Nariman Mansouri nicht ohne Verbitterung. «Manche Strassen hat man um mehr als das Doppelte verbreitert, wofür marode Lehmhäuser zeilenweise weggeschoben wurden - nur damit nun Autos ungehindert fahren und parken können.»
Nach demselben Schema wurden grosse Plätze inmitten der Altstadt geschaffen: Spielplätze, begrünte Plätze, aber auch Parkplätze - obwohl die kaum beschatteten Flächen im langen Sommer tagsüber nicht nutzbar sind. Entlang der breiten Strassen und Plätze wird mittlerweile höher (dreigeschossig statt bisher überwiegend eingeschossig) und auch anders gebaut: mit gebrannten Ziegeln und grossen Fensteröffnungen, was wiederum energieintensive Klimaanlagen erfordert. Damit geht mit der Zeit nicht nur der einheitliche Charakter der Altstadt von Yazd verloren, dies bedeutet auch das Ende eines über Jahrhunderte bewährten nachhaltigen Stadtmodells.
[ Reinhard Seiss ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom