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Autofahrer unterwegs
In der Lothringerstraße feiert die autogerechte Stadtplanung ein seltsames Comeback, und Jean Nouvel droht den Donaukanal zu behübschen.
13. Juli 2005 - Jan Tabor
Es fährt sich gut durch die Lothringerstraße, sowohl auf dem Rad als auch mit dem Auto. Und es geht sich gut unter den Platanen auf dem Gehsteig der beruhigten Nebenfahrbahn. Alles probiert. Fabelhaft. Die Lothringerstraße, die davor mehr ein langer schmaler Platz denn eine Straße war, mit dem Grünstreifen in der Mitte eine Art verkehrte Ringstraße, ein Missing Link zwischen dem militärisch strengen Schwarzenbergplatz und dem mondänen Stadtpark, eine städtebauliche Rarität, diese vergessene Prachtstraße ist zu einer modernen, leistungsfähigen Schnellstraße durch weiterhin schmucke Gegend geworden.
Flott bis zu der Ampel, die sich an der Kreuzung Am Heumarkt befindet. Hier setzt die Gegenfahrtrichtung an, hier erfährt man, wie schwer die Neuordnung der Verkehrsströme auf der Strecke zwischen dem Karlsplatz und dem Donaukanal zu bewerkstelligen ist. Bis zur Urania reicht nun der Karlsplatz. Er ist endgültig eine „Gegend“ (Otto Wagner) geworden, durch die ein Autobahnzubringer führt.
Diese Topomorphose zu erreichen, war nicht schwer. Die hier siegreichen Verkehrsplaner griffen auf ein einfaches und lang bewährtes, wiewohl längst in Verruf geratenes Mittel zurück: die Trennung der Funktionen. Das Auseinandernehmen und -halten von fundamentalen Stadtfunktionen wurde in der von Le Corbusier initiierten berüchtigten Charta von Athen 1933 kategorisch verlangt. Im Konzept der „autogerechten Stadt“, der vorherrschenden Stadtplanungsdoktrin der Nachkriegszeit, wurde die Trennung perfektioniert und bis in die Achtzigerjahre praktiziert. Mit den bekannten Folgen: der Zerstörung der vorhandenen oder möglichen Urbanität.
Die autoungerechte Phase währte nicht lange. Bei der Neugestaltung der Lothringerstraße haben wir es mit einem Musterbeispiel für die in Wien seit etwa 1990 dominierende Retro-Stadtplanung zu tun. Verkehrsplanung ist wieder Stadtplanung, vereint unter einem Stadtrathut.
Das Auffälligste an Neugestaltung sind der Geländebuckel beim Hotel Intercontinental und die Gräben, die in Form und malerischer Wirkung ziemlich getreu jenen Gräben gleichen, die einst überall in den Dörfern die Straße von den Vorgärten der Häuser trennten. Längst sind diese mit Gras bewachsenen Mulden unter Parkplätzen oder Straßenerweiterungen verschwunden. Ursprünglich wollte Johann Georg Gsteu, der Architekt der Lothringerstraße, den versunkenen Wienfluss wenigstens stückweise freilegen. Das durfte oder wollte er nicht mehr. Die seltsamen Straßengräben in der Lothringerstraße sind als Erinnerung an den unglücklichen Fluss unter dem Straßenbelag zu verstehen. Nicht an die verschwundenen Straßengräben in den österreichischen Dörfern, obwohl die Lothringerstraße fast zur Hälfte wie ein Dorfanger in einer Marchfeldgemeinde ausschaut.
Die Podiumsdiskussion, die unter dem seltsamen Titel „Die Krise in der Kiste“ und einer glücklichen Almkuh auf dem groß projizierten Plakat vorige Woche im Architekturzentrum Wien abgehalten wurde, war selbst für diese an Esprit arme Institution ungewöhnlich langweilig geraten. Kurze Auffrischung brachte nur ein Streitgespräch darüber, ob das Interunfall-Bürohaus, das Jean Nouvel 1996 in Bregenz errichtete, ein miserables oder ein hervorragendes Bauwerk sei.
Der Vorarlberger Architekt Much Untertrifaller am Podium meinte, das Nouvel-Gebäude sei schlecht. Richard Manahl, ein Wiener Architekt aus Vorarlberg im Publikum, fand es hervorragend. Möglicherweise irrt er sich. Denn in dem von Otto Kapfinger 1999 herausgegeben Architekturführer „Baukunst in Vorarlberg seit 1980“ wird das Nouvel-Gebäude nicht verzeichnet. Auf Kapfingers Urteil ist Verlass. Er hat die Ausstellung „Konstruktive Provokation. Neues Bauen in Vorarlberg“, auf deren Plakat sich die fette Kuh befindet, zusammengestellt (bis 29.8. im Architekturzentrum). Bei der Diskussion ging es darum, ob der weltberühmte Architekturregionalismus (deshalb wohl die schöne Kuh auf dem Plakat) in Vorarlberg mit seiner Vorliebe für orthogonale Formen (deshalb wohl die Kiste im Diskussionstitel) bereits passé sei. Resümee: Die nach Wien ausgewanderten Vorarlberger bejahen die Untergangsthese, die heimattreuen verneinen sie. Die Auffassung der Heimattreuen wird von der Kapfinger-Ausstellung überzeugend illustriert.
Nach zwei Bauten an der Wiener Peripherie wird es dem Weltstar Jean Nouvel nun doch gelingen, mit seiner Architektur bis ins Zentrum der Weltstadt Wien vorzudringen. Fast bis ins Zentrum. Am Donaukanal, auf dem kleinen, durch Planungen bis zur Unerkennbarkeit misshandelten Platz am Brückenkopf der Schwedenbrücke, soll er neben dem Medientower einen weiteren Turm errichten.
Es ist Nouvels zweiter Versuch, diesen einprägsamen Ort zu beschmücken. Schon am Wettbewerb für die Neubebauung des abgerissenen ÖMV-Hauses hat er teilgenommen, den Hans Hollein mit dem Medientower gewann. Nouvel hatte damals eine Version seiner 1996 fertiggestellten, mittlerweile legendären Galeries Lafayette in der Berliner Friedrichstraße vorgelegt, ein mit einer weich modulierten Glashaut umhülltes Kaufhaus. Diesmal legte er harte Kanten vor und siegte.
Jean Nouvel ist ein vorzeitig verblühter Star, ein Architekt, auf den man sich nicht ganz verlassen kann. Es kann gut werden, sehr gut sogar. Oder auch schlecht. Auf den Bildern, die in den Zeitungen abgebildet wurden, wirkt das Hochhaus städtebaulich plump und formal diffus, eine fade Kiste. Aber gut. Wir können nur hoffen, dass lediglich die Fotocollagen und Renderings so schlecht sind, die in den Zeitungen oder im Internet veröffentlich wurden, nicht die Architektur selbst.
Wie wichtig die neuen Perlen am Donaukanal sind, zeigt sich an der Tatsache, dass Rudolf Schicker, der zuständige Planungsstadtrat, sich selbst zum Juroren ernannt hatte, um mitentscheiden zu können. So locker sind die Wettbewerbssitten mittlerweile geworden.
Flott bis zu der Ampel, die sich an der Kreuzung Am Heumarkt befindet. Hier setzt die Gegenfahrtrichtung an, hier erfährt man, wie schwer die Neuordnung der Verkehrsströme auf der Strecke zwischen dem Karlsplatz und dem Donaukanal zu bewerkstelligen ist. Bis zur Urania reicht nun der Karlsplatz. Er ist endgültig eine „Gegend“ (Otto Wagner) geworden, durch die ein Autobahnzubringer führt.
Diese Topomorphose zu erreichen, war nicht schwer. Die hier siegreichen Verkehrsplaner griffen auf ein einfaches und lang bewährtes, wiewohl längst in Verruf geratenes Mittel zurück: die Trennung der Funktionen. Das Auseinandernehmen und -halten von fundamentalen Stadtfunktionen wurde in der von Le Corbusier initiierten berüchtigten Charta von Athen 1933 kategorisch verlangt. Im Konzept der „autogerechten Stadt“, der vorherrschenden Stadtplanungsdoktrin der Nachkriegszeit, wurde die Trennung perfektioniert und bis in die Achtzigerjahre praktiziert. Mit den bekannten Folgen: der Zerstörung der vorhandenen oder möglichen Urbanität.
Die autoungerechte Phase währte nicht lange. Bei der Neugestaltung der Lothringerstraße haben wir es mit einem Musterbeispiel für die in Wien seit etwa 1990 dominierende Retro-Stadtplanung zu tun. Verkehrsplanung ist wieder Stadtplanung, vereint unter einem Stadtrathut.
Das Auffälligste an Neugestaltung sind der Geländebuckel beim Hotel Intercontinental und die Gräben, die in Form und malerischer Wirkung ziemlich getreu jenen Gräben gleichen, die einst überall in den Dörfern die Straße von den Vorgärten der Häuser trennten. Längst sind diese mit Gras bewachsenen Mulden unter Parkplätzen oder Straßenerweiterungen verschwunden. Ursprünglich wollte Johann Georg Gsteu, der Architekt der Lothringerstraße, den versunkenen Wienfluss wenigstens stückweise freilegen. Das durfte oder wollte er nicht mehr. Die seltsamen Straßengräben in der Lothringerstraße sind als Erinnerung an den unglücklichen Fluss unter dem Straßenbelag zu verstehen. Nicht an die verschwundenen Straßengräben in den österreichischen Dörfern, obwohl die Lothringerstraße fast zur Hälfte wie ein Dorfanger in einer Marchfeldgemeinde ausschaut.
Die Podiumsdiskussion, die unter dem seltsamen Titel „Die Krise in der Kiste“ und einer glücklichen Almkuh auf dem groß projizierten Plakat vorige Woche im Architekturzentrum Wien abgehalten wurde, war selbst für diese an Esprit arme Institution ungewöhnlich langweilig geraten. Kurze Auffrischung brachte nur ein Streitgespräch darüber, ob das Interunfall-Bürohaus, das Jean Nouvel 1996 in Bregenz errichtete, ein miserables oder ein hervorragendes Bauwerk sei.
Der Vorarlberger Architekt Much Untertrifaller am Podium meinte, das Nouvel-Gebäude sei schlecht. Richard Manahl, ein Wiener Architekt aus Vorarlberg im Publikum, fand es hervorragend. Möglicherweise irrt er sich. Denn in dem von Otto Kapfinger 1999 herausgegeben Architekturführer „Baukunst in Vorarlberg seit 1980“ wird das Nouvel-Gebäude nicht verzeichnet. Auf Kapfingers Urteil ist Verlass. Er hat die Ausstellung „Konstruktive Provokation. Neues Bauen in Vorarlberg“, auf deren Plakat sich die fette Kuh befindet, zusammengestellt (bis 29.8. im Architekturzentrum). Bei der Diskussion ging es darum, ob der weltberühmte Architekturregionalismus (deshalb wohl die schöne Kuh auf dem Plakat) in Vorarlberg mit seiner Vorliebe für orthogonale Formen (deshalb wohl die Kiste im Diskussionstitel) bereits passé sei. Resümee: Die nach Wien ausgewanderten Vorarlberger bejahen die Untergangsthese, die heimattreuen verneinen sie. Die Auffassung der Heimattreuen wird von der Kapfinger-Ausstellung überzeugend illustriert.
Nach zwei Bauten an der Wiener Peripherie wird es dem Weltstar Jean Nouvel nun doch gelingen, mit seiner Architektur bis ins Zentrum der Weltstadt Wien vorzudringen. Fast bis ins Zentrum. Am Donaukanal, auf dem kleinen, durch Planungen bis zur Unerkennbarkeit misshandelten Platz am Brückenkopf der Schwedenbrücke, soll er neben dem Medientower einen weiteren Turm errichten.
Es ist Nouvels zweiter Versuch, diesen einprägsamen Ort zu beschmücken. Schon am Wettbewerb für die Neubebauung des abgerissenen ÖMV-Hauses hat er teilgenommen, den Hans Hollein mit dem Medientower gewann. Nouvel hatte damals eine Version seiner 1996 fertiggestellten, mittlerweile legendären Galeries Lafayette in der Berliner Friedrichstraße vorgelegt, ein mit einer weich modulierten Glashaut umhülltes Kaufhaus. Diesmal legte er harte Kanten vor und siegte.
Jean Nouvel ist ein vorzeitig verblühter Star, ein Architekt, auf den man sich nicht ganz verlassen kann. Es kann gut werden, sehr gut sogar. Oder auch schlecht. Auf den Bildern, die in den Zeitungen abgebildet wurden, wirkt das Hochhaus städtebaulich plump und formal diffus, eine fade Kiste. Aber gut. Wir können nur hoffen, dass lediglich die Fotocollagen und Renderings so schlecht sind, die in den Zeitungen oder im Internet veröffentlich wurden, nicht die Architektur selbst.
Wie wichtig die neuen Perlen am Donaukanal sind, zeigt sich an der Tatsache, dass Rudolf Schicker, der zuständige Planungsstadtrat, sich selbst zum Juroren ernannt hatte, um mitentscheiden zu können. So locker sind die Wettbewerbssitten mittlerweile geworden.
Für den Beitrag verantwortlich: Falter
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