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Schlicht und notwendig
Spectrum

Was sich von keinem Katheder aus lehren lässt: das Erlebnis nicht entfremdeter, nützlicher Arbeit. Architekturstudenten aus Linz und Wien planen und bauen für Bedürftige in Südafrika und im Senegal.

22. Oktober 2005 - Walter Zschokke
Problemlösungskompetenz in der Überflussgesellschaft, Teamfähigkeit unter den Bedingungen des Starprinzips und Praxisbezug in einer zunehmend medial geprägten und automatisierten Welt: Wie sollen sich Studierende der Architektur diese für das spätere Berufsleben wesentlichen Kenntnisse und Erfahrungen aneignen, wenn bloß Geniekult, Individualitätswahn und oft zynische Arroganz den Lehrbetrieb bestimmen? Den Anstoß zu einem Semesterprojekt der anderen Art gab im vorigen Jahr Christoph Chorherr mit seinem Unternehmen für soziale und nachhaltige Architektur (sarch). Nach einer Zusammenarbeit mit Lehrenden und Studierenden der Technischen Universität Wien kontaktierte er Roland Gnaiger, Leiter der Studienrichtung Architektur an der Kunstuniversität Linz. Dieser war selber überrascht, wie viele Studierende sich in der Folge für das Thema interessierten.

In viereinhalb Monaten Vorbereitungs-, Planungs- und Bauzeit errichteten zwei Dutzend angehende Architektinnen und Architekten unter Anleitung von Lotte Schreiber, Richard Steger, Anna Heringer und Sigi Atteneder sowie unterstützt von Oskar Pankratz (Solararchitektur) und Martin Rauch (Lehmbau) für das Behindertenheim Tebago in der Township Orange Farm bei Johannesburg zwei Häuser mit je etwa 70 Quadratmeter Nutzfläche sowie eine Gartenhalle und gestalteten auch die umgebenden Außenflächen. Begeisterung und Einsatzfreude stießen auf eine Aufgabe, die im vergleichsweise reichen Mitteleuropa in Vergessenheit geraten zu sein scheint: das Bauen aus purer Notwendigkeit, die Lösung der Behausungsfrage auf unterster Stufe. Dabei konnten primäre Erfahrungen gemacht und fundamentale Erkenntnisse gesammelt und vermittelt werden, wie sie weder Zeichentisch noch Bildschirm bieten.

Wenn der Mangel den Kapitaleinsatz begrenzt und die Materialwahl drastisch einschränkt, sind praktische Problemlösungskompetenz und Improvisationsvermögen gefragt. Und die Einsicht in die Notwendigkeit bestimmt den Planungs- und Bauprozess. So viel Grundsätzliches, bezogen auf so viele Aspekte des Bauens, lässt sich vom Katheder aus gar nicht dozieren, wie im Rahmen eines solchen Projekts gleichsam selbstverständlich für jeden Einzelnen an Verständnisgewinn entsteht. Dabei mag das reale Produkt, gemessen an der unsäglichen Armut und den gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten, als Tropfen auf den heißen Stein erscheinen, doch verkennt man die Vorbildwirkung, wenn die Einheimischen die Vorteile einer angepassten, einfachen Bauweise funktional und technisch nachvollziehen und mit den vorhandenen Materialien auch kopieren können. Da sie von ihren kulturellen Wurzeln getrennt wurden, sind sie wegen sozialer, hygienischer und zahlreicher anderer Probleme in den Townships kaum aus eigener Kraft in der Lage, die Stufe der hoffnungslos unpraktischen, im Südsommer zu heißen und im Südwinter zu kalten Blechhütten zu überwinden.

So mag der Ertrag kurzfristig für die Studierenden sogar höher sein, weil sie ihn optimal in ihre Ausbildung zu integrieren vermögen und das Erlebnis der nicht entfremdeten, unmittelbar nützlichen Arbeit ein bleibendes für das ganze spätere (Berufs-)Leben sein wird. Aber längerfristig kann ihr Einsatz über den Kreis der unmittelbar Begünstigten des Behindertenheims hinaus nachhaltige Wirkung entwickeln und als Folge des gezielten Einbezugs einheimischer Arbeitender die Selbsthilfe anregen und fördern. Die Freude in jeder Phase der Projektarbeit drückt sich in den Gebäuden aus: Sie strahlen so viel positive Kraft und bescheidene Schönheit aus, dass daneben all die modisch gestylten Nutzlosigkeiten unserer Überflussgesellschaft verblassen. Es ist dies der Glanz, der gleichsam als Nebenprodukt eines intensiven sozialen wie materiell-technischen Prozesses zu entstehen vermag. Wenn die Studierenden diesen Vorgang begriffen haben und im weiteren Verlauf ihres Berufslebens anzuwenden und umzusetzen wissen, dann ist für sie und die Architektur viel gewonnen.

Noch nicht so weit gediehen ist das von Richard Vakaj an der Akademie der bildenden Künste initiierte Projekt von Behausungen für Straßenkinder im Senegal, nachdem er vor acht Jahren mit Schülern der Camillo-Sitte-Lehranstalt für Straßenkinder in Rumänien einfache Behausungen errichtet hatte („Spectrum“ vom 15. März 1997). Auch diesmal geht es um einfachste Schlafmöglichkeiten, zusammengefügt aus vorgefertigten Holztafeln. Eine Studentin schreibt dazu: „So waren vor allem die finanziellen Mittel sehr eingeschränkt und ließen uns bald von zu aufwendigen Ideen zu sehr einfachen, aber zweckdienlichen übergehen.“ Als Vermittler der senegalesischen Verhältnisse wirkte der von dort stammende Pater Bonaventura, Pfarrer in Horn, der seit längerem Hilfsprojekte organisiert. Je zwei quaderförmigen Raumzellen mit vier Schlafplätzen in Stockbetten und einem breiten Fensterbrett als Tischplatte sind eine Toiletten- und eine Duschkabine zugeordnet. Eine Gruppe von mehreren derartigen Paaren bildet einen Hof, ergänzt durch einen Gemeinschaftsraum und eine Küche.

Vorerst haben vier Studierende zusammen mit Richard Vakaj einen Prototyp gebaut, an dem eine weitere Vereinfachung studiert wurde. Es zeigte sich, dass die unterschiedliche Vorbildung - einer war nach Tischlerlehre und Arbeit über die Studienberechtigungsprüfung an die Akademie gekommen, für einen anderen war die Lehrerpersönlichkeit Carl Pruscha wichtig, der seine Erfahrungen aus Nepal mit dem dortigen einfachen Bauen vermittelt hatte. Dazu schreibt die Studentin: „Meine Studienkollegen, die länger an der Akademie studieren, haben mir in Momenten der Unsicherheit geholfen und mir viel beigebracht.“ Wieder erweist sich der Nutzen der praktischen Arbeit nicht bloß als Hilfe für andere, sondern als Effekt gegenseitiger Unterstützung auch in der eigenen Fachausbildung.

Obwohl einiges schon gesponsert wurde, benötigt das engagierte Projekt noch einen weiteren materiellen Schub, damit die Teile für etwa 40 Schlafplätze gefertigt werden können. Sie sollen dann in Containern an den Bestimmungsort Ziguinchor in Senegal transportiert und von den Studierenden aufgebaut werden.

Man kann sich von der Globalisierung bedroht fühlen und sich einbunkern, oder man kann, wie die Studierenden in Linz und Wien es vormachen, aktiv damit umgehen, seine Kräfte, die in diesem Alter unerschöpflich scheinen, zum Nutzen von Mitmenschen in extrem bedürftigen Verhältnissen einsetzen und daraus für die eigene Aus- und Charakterbildung einen fundamentalen Nutzen ziehen.

[ Die Ausstellung „Living Tebogo“ im Architekturforum Oberösterreich ist bis zum 28. Oktober zu sehen: Mittwoch bis Samstag, 14 bis 17 Uhr, Freitag 14 bis 20 Uhr. Kontakt zur Unterstützung des Senegal-Projekts: Pater Bonaventura, Horn; Richard Vakaj, Wien. ]

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