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Die drei Türme
DER BAUKASTEN. Anmerkungen zur Architektur
Diesmal: Das Wiener Hochhausdilemma auf einen Blick
23. Juli 2003 - Jan Tabor
Auf der Ringstraße, in unmittelbarer Nähe zur Angewandten, gibt es einen einzigartigen Aussichtspunkt. Ich nenne ihn „The Three Towers Point of View“. Er befindet sich genau auf der Fahrbahnmitte der Ringstraße, dort, wo sich die Rosenbursenstraße und der Kokoschkaplatz (der eigentlich eine Straße ist) kreuzen und die Ampelphasen für die Fußgänger bedrohlich kurz bemessen sind. Von hier aus wird - für einen kurzen Moment - die ganze Misere der gegenwärtigen Stadtplanung in Wien sichtbar.
Zunächst erblickt man - in Richtung Donaukanal schauend - zwei Türme, die miteinander zu streiten scheinen, wer die prestigeträchtige Stelle an der Blickachse der Ringstraße besetzt hält. Bis vor kurzem hat das alte Galaxie-Haus allein einen der beiden wichtigsten points de vue des Wiener Prachtboulevards beherrschen können, jetzt drängt sich der Neubau des Uniqua-Bürohauses derart penetrant in den Vordergrund, dass das Galaxie beinahe verschämt wirkt.
Das Galaxie war lange Zeit das einzige Hochhaus im näheren Blickumfeld der Innenstadt. Es tauchte Anfang der Achtzigerjahre plötzlich genau an jener Stelle auf der Praterstraße auf, an der die NS-Planer den Schnittpunkt zwischen der weiter geführten Ringstraße und der anstelle der demolierten Leopoldstadt vorgesehenen Gauanlage geplant hatten. Da das Bürohaus in einer Zeit des strengen Hochhausverbots von einem kaum bekannte Architekten (Josef Becvar) im Auftrag einer ominösen ausländischen Finanzgruppe errichtet wurde, auffallend, um nicht zu sagen unanständig, hässlich war und lange leer stand, galt es als Inbegriff der dunklen Machenschaften der damaligen Stadtplanung. Kürzlich hat das Galaxie-Haus eine gänzlich neue, im Ganzen wenig aufregende, aber sozusagen anständige Gestalt bekommen. Martin Kohlbauer hat den kantigen Baukörper neu - weiß und leicht technoid - verkleidet und ihn als Sockel für die Aufstockung durch einen zylindrischen Bau verwendet, dessen lapidare und doch pathetische Form im deutlichen Gegensatz zum ganzen Vorbau steht. Die Umgestaltung ist formal so eigenwillig und urbanistisch so richtig, dass der Umbau als Neubau erscheint, der trotz erheblicher Aufstockung als Bereicherung für das Stadtbild gelten muss. Dass er aus allen Blickwinkeln hübsch anzuschauen ist, verdankt der Bau einem einfachen, aber wirksamen barocken Trick: Er ist kein Zylinder, sondern ein Ellipsoid.
Während der Bau des Ur-Galaxie-Hauses am Nestroyplatz als dubios gilt, ist dem Entstehen des Uniqa-Turmes am Donaukanal eine makellos demokratische Vorgangsweise zu bescheinigen. Im Jahr 2000 wurde ein Gutachterverfahren ausgeschrieben, zu dem namhafte Architekten wie Peichl, Holzbauer, Piva, Beneder/Fischer, Nouvel, Grimshaw und Feichtinger geladen wurden. Das Problem der Wettbewerbe liegt meist weniger in der Qualität der Einreichungen als in derjenigen der Juroren. So auch hier. Als Gedächnisstütze ist das Architekturjournal wettbewerbe unüberbietbar. Nimmt man das Heft vom Mai 2000 in die Hand, dann kann man über das ausgewählte und nun im Rohbau fertig gestellte Projekt von Heinz Neumann und Partner im Juryprotokoll nachlesen: „Der Grundriss des Hochhauses ist von einem Oval abgeleitet, das auf der Westseite aufgeklappt ist. Hierdurch entsteht eine expressive Gebäudefigur, die durch eine Neigung nach außen in ihrer Wirkung noch erheblich gesteigert wird. Diese Geste - unterstützt durch schräge Außenstützen in den unteren Geschoßen - wie auch die Rundform insgesamt machen das Hochhaus zu einem Solitärgebäude, das im Kontext schwer integrierbar ist.“ In der Tat. Schwerstens integrierbar. Außerdem weist die Zeichnung sehr dünne, um nicht zu sagen graziöse Außenstützen auf, die sich in der gebauten Wirklichkeit des Rohbaus als ungemein plumpe Stelzen erweisen.
Obwohl die Jury zuerst richtig erkannt hat, was wir jetzt von allen Blickwinkeln, hauptsächlich aber vom „Three Towers Point of View“ aus sehen: nämlich wie penetrant sich Neumanns Bürobau in den Vordergrund drängt, machte dieser schließlich das Rennen. Wohl wegen der anbiedernden Ähnlichkeit mit dem News-Generali-Turm am Eingang der Taborstraße von Hans Hollein, einem der Jurymitglieder. Damals, im Jahr 2000, befand sich die Wiener Turmneurose und der Second-Hand-Dekonstruktivismus auf dem Höhepunkt. Heute würde man sich vermutlich für einen architektonisch und städtebaulich so feinsinnigen Entwurf wie jenen von Helmut Richter entscheiden, dessen Qualität vor allem in der passagenartigen, großzügig bemessenen und öffentlich zugänglichen Halle gelegen hätte. Aber warten wir ab. Der Neumann-Turm ist ein Rohbau, und noch immer besteht eine gewisse Hoffnung, dass eine feine Fassade dessen Hässlichkeit gnädig verhüllen wird.
Unverständlich, dass auf einem der wichtigsten Blickpunkte der Weltkulturerbe-Innenstadt Wien ein derart monströses Bauwerk errichtet wird, ohne dass sich jemand aufregt. Stattdessen echauffierte man sich über die vier Hochhäuser, die Neumann und Partner mit Ortner & Ortner auf dem ÖBB-Gelände der Landstraßer Hauptstraße errichten sollten. Das Vorhaben wurde kürzlich gestoppt, weil die Drohung des Internationalen Denkmalrates (ICOMOS), das im Dezember 2001 erteilte UNESCO-Prädikat „Weltkulturerbe“ für die Wiener Innenstadt wieder abzuerkennen, ernst gemeint war. Das Bauvorhaben soll noch einmal ausgeschrieben werden. Warten wir ab.
Wie man vom „Three Towers Point of View“ aus sehen kann, haben Ortner & Ortner einen Turm in Wien-Mitte doch verwirklichen können, den dritten der hier erwähnten Türme: City Tower heißt er. Ob die anderen, mittlerweile verhinderten Wien-Mitte-Hochhäuser auch derart belanglos geworden wären wie der CT, ist schwer zu sagen, weil die präsentierten Modelle davon nichts verrieten. Der weitgehend fertig gestellte City Turm sieht jedenfalls aus wie ein später Gruß aus den Achtzigerjahren. Ortner & Ortner haben aus der Schublade das Projekt für ein Wohn- und Geschäftshaus in der Uhlandstraße in Berlin geholt, es entstaubt, vergrößert und durch vielfältig verdrehte und verschnittene Baumassen aufgestockt. Auch die Verkleidung mit braunroten Sandsteinplatten wurde übernommen. Von der Ringstraße aus betrachtet, steht der Turm städtebaulich perfekt, gar keine Frage. Die Kante des Straßenraumes ist wie geschnitten. Von der anderen Seite, der Invalidenstraße, aus gesehen, geraten die verschachtelten Baumassen zu einem räumlichen Durcheinander, das in deutlichem Widerspruch zu der Gelassenheit der Ringstraßenansicht steht. Außerdem merkt man von hier, dass der City Turm mit seinen 87 Metern niedrig ist. Eine größere Höhe, selbst nur zwei, drei Geschoße mehr, hätte dem Bauwerk gut getan. Diesbezüglich haben Ortner & Ortner Pech. In Wien gerät ihnen alles zu kurz.
Zunächst erblickt man - in Richtung Donaukanal schauend - zwei Türme, die miteinander zu streiten scheinen, wer die prestigeträchtige Stelle an der Blickachse der Ringstraße besetzt hält. Bis vor kurzem hat das alte Galaxie-Haus allein einen der beiden wichtigsten points de vue des Wiener Prachtboulevards beherrschen können, jetzt drängt sich der Neubau des Uniqua-Bürohauses derart penetrant in den Vordergrund, dass das Galaxie beinahe verschämt wirkt.
Das Galaxie war lange Zeit das einzige Hochhaus im näheren Blickumfeld der Innenstadt. Es tauchte Anfang der Achtzigerjahre plötzlich genau an jener Stelle auf der Praterstraße auf, an der die NS-Planer den Schnittpunkt zwischen der weiter geführten Ringstraße und der anstelle der demolierten Leopoldstadt vorgesehenen Gauanlage geplant hatten. Da das Bürohaus in einer Zeit des strengen Hochhausverbots von einem kaum bekannte Architekten (Josef Becvar) im Auftrag einer ominösen ausländischen Finanzgruppe errichtet wurde, auffallend, um nicht zu sagen unanständig, hässlich war und lange leer stand, galt es als Inbegriff der dunklen Machenschaften der damaligen Stadtplanung. Kürzlich hat das Galaxie-Haus eine gänzlich neue, im Ganzen wenig aufregende, aber sozusagen anständige Gestalt bekommen. Martin Kohlbauer hat den kantigen Baukörper neu - weiß und leicht technoid - verkleidet und ihn als Sockel für die Aufstockung durch einen zylindrischen Bau verwendet, dessen lapidare und doch pathetische Form im deutlichen Gegensatz zum ganzen Vorbau steht. Die Umgestaltung ist formal so eigenwillig und urbanistisch so richtig, dass der Umbau als Neubau erscheint, der trotz erheblicher Aufstockung als Bereicherung für das Stadtbild gelten muss. Dass er aus allen Blickwinkeln hübsch anzuschauen ist, verdankt der Bau einem einfachen, aber wirksamen barocken Trick: Er ist kein Zylinder, sondern ein Ellipsoid.
Während der Bau des Ur-Galaxie-Hauses am Nestroyplatz als dubios gilt, ist dem Entstehen des Uniqa-Turmes am Donaukanal eine makellos demokratische Vorgangsweise zu bescheinigen. Im Jahr 2000 wurde ein Gutachterverfahren ausgeschrieben, zu dem namhafte Architekten wie Peichl, Holzbauer, Piva, Beneder/Fischer, Nouvel, Grimshaw und Feichtinger geladen wurden. Das Problem der Wettbewerbe liegt meist weniger in der Qualität der Einreichungen als in derjenigen der Juroren. So auch hier. Als Gedächnisstütze ist das Architekturjournal wettbewerbe unüberbietbar. Nimmt man das Heft vom Mai 2000 in die Hand, dann kann man über das ausgewählte und nun im Rohbau fertig gestellte Projekt von Heinz Neumann und Partner im Juryprotokoll nachlesen: „Der Grundriss des Hochhauses ist von einem Oval abgeleitet, das auf der Westseite aufgeklappt ist. Hierdurch entsteht eine expressive Gebäudefigur, die durch eine Neigung nach außen in ihrer Wirkung noch erheblich gesteigert wird. Diese Geste - unterstützt durch schräge Außenstützen in den unteren Geschoßen - wie auch die Rundform insgesamt machen das Hochhaus zu einem Solitärgebäude, das im Kontext schwer integrierbar ist.“ In der Tat. Schwerstens integrierbar. Außerdem weist die Zeichnung sehr dünne, um nicht zu sagen graziöse Außenstützen auf, die sich in der gebauten Wirklichkeit des Rohbaus als ungemein plumpe Stelzen erweisen.
Obwohl die Jury zuerst richtig erkannt hat, was wir jetzt von allen Blickwinkeln, hauptsächlich aber vom „Three Towers Point of View“ aus sehen: nämlich wie penetrant sich Neumanns Bürobau in den Vordergrund drängt, machte dieser schließlich das Rennen. Wohl wegen der anbiedernden Ähnlichkeit mit dem News-Generali-Turm am Eingang der Taborstraße von Hans Hollein, einem der Jurymitglieder. Damals, im Jahr 2000, befand sich die Wiener Turmneurose und der Second-Hand-Dekonstruktivismus auf dem Höhepunkt. Heute würde man sich vermutlich für einen architektonisch und städtebaulich so feinsinnigen Entwurf wie jenen von Helmut Richter entscheiden, dessen Qualität vor allem in der passagenartigen, großzügig bemessenen und öffentlich zugänglichen Halle gelegen hätte. Aber warten wir ab. Der Neumann-Turm ist ein Rohbau, und noch immer besteht eine gewisse Hoffnung, dass eine feine Fassade dessen Hässlichkeit gnädig verhüllen wird.
Unverständlich, dass auf einem der wichtigsten Blickpunkte der Weltkulturerbe-Innenstadt Wien ein derart monströses Bauwerk errichtet wird, ohne dass sich jemand aufregt. Stattdessen echauffierte man sich über die vier Hochhäuser, die Neumann und Partner mit Ortner & Ortner auf dem ÖBB-Gelände der Landstraßer Hauptstraße errichten sollten. Das Vorhaben wurde kürzlich gestoppt, weil die Drohung des Internationalen Denkmalrates (ICOMOS), das im Dezember 2001 erteilte UNESCO-Prädikat „Weltkulturerbe“ für die Wiener Innenstadt wieder abzuerkennen, ernst gemeint war. Das Bauvorhaben soll noch einmal ausgeschrieben werden. Warten wir ab.
Wie man vom „Three Towers Point of View“ aus sehen kann, haben Ortner & Ortner einen Turm in Wien-Mitte doch verwirklichen können, den dritten der hier erwähnten Türme: City Tower heißt er. Ob die anderen, mittlerweile verhinderten Wien-Mitte-Hochhäuser auch derart belanglos geworden wären wie der CT, ist schwer zu sagen, weil die präsentierten Modelle davon nichts verrieten. Der weitgehend fertig gestellte City Turm sieht jedenfalls aus wie ein später Gruß aus den Achtzigerjahren. Ortner & Ortner haben aus der Schublade das Projekt für ein Wohn- und Geschäftshaus in der Uhlandstraße in Berlin geholt, es entstaubt, vergrößert und durch vielfältig verdrehte und verschnittene Baumassen aufgestockt. Auch die Verkleidung mit braunroten Sandsteinplatten wurde übernommen. Von der Ringstraße aus betrachtet, steht der Turm städtebaulich perfekt, gar keine Frage. Die Kante des Straßenraumes ist wie geschnitten. Von der anderen Seite, der Invalidenstraße, aus gesehen, geraten die verschachtelten Baumassen zu einem räumlichen Durcheinander, das in deutlichem Widerspruch zu der Gelassenheit der Ringstraßenansicht steht. Außerdem merkt man von hier, dass der City Turm mit seinen 87 Metern niedrig ist. Eine größere Höhe, selbst nur zwei, drei Geschoße mehr, hätte dem Bauwerk gut getan. Diesbezüglich haben Ortner & Ortner Pech. In Wien gerät ihnen alles zu kurz.
Für den Beitrag verantwortlich: Falter
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