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Der Sommer ist super!
Falter

DER BAUKASTEN. Anmerkungen zur Architektur

Diesmal: Wie in das MuseumsQuartier doch noch der Sommer einzog, und wie er fast so super wurde wie vor 27 Jahren

16. Juli 2003 - Jan Tabor
Ob in der Frühe oder am Abend, ob an den Winter oder den Sommer denkend: Wolfgang Waldner ist nicht zu beneiden. Als Direktor des MuseumsQuartiers Wien muss er dafür sorgen, dass endlich etwas los ist in den geräumigen Höfen seiner Domäne. Neuerdings unternimmt er den Versuch, die Architekturmumie MQ mit regem urbanem Sommerleben zu füllen. In dem Magazin MQ Site wird darüber berichtet. Als ich es kürzlich aufschlug, erschrak ich. Ein junger Mann war vom Flachdach des Museums Leopold gesprungen und drohte jeden Augenblick auf der Monumentalstiege zu zerschellen.

Zum Glück täuscht der erste Eindruck oft. Der junge Mann auf dem Bild, einer Annonce der Wiener Stadtwerke, fiel nicht runter, er sprang hoch; so hoch, dass es schien, er würde fallen. Er sprang vor lauter Freude über die „60.000 m² Freiheit“, die ihm - und uns - im MQ zur Verfügung stehen. „MuseumsQuartier ist eine Bastion künstlerischer Freiheit. Und zwar gleich eine der größten Europas.“ Offensichtlich hatte der Werbetexter das MQ zum letzten Mal besucht, als es noch Baustelle war. Sonst würde er wissen, dass hinter den denkmalgeschützten Mauern nicht Freiheit, sondern peinliche Ordnung und die metaphysische Reglosigkeit einer plötzlich entleerten Kaserne herrscht. Doch der Eindruck trügt. In Wirklichkeit werden hier harte Direktorenkämpfe ausgefochten. Die Subdirektoren gegen den Supradirektor. Und umgekehrt. Kämpfe um Befugnisse, Territorien, Informationen, Leistungen, Entgelte, Werbeflächen, Außenmöbel und Publikum. AzW-Direktor Dietmar Steiner und MQ-Direktor Wolfgang Waldner etwa streiten darüber, ob Bewilligungs- und Entgeltpflicht besteht, wenn das Architekturzentrum Wien anlässlich einer Ausstellungseröffnung draußen vorm Tor etwas veranstalten will; und ob Waldner den AzW-Hof mit blauen Iglusegmenten möblieren darf, auch wenn sie dem AzW-Direktor nicht gefallen.

Die ästhetischen Kriege sind die schönsten, ich aber bleibe neutral. Ich lache darüber, aber nur heimlich und um dem Sprichwort vom lachenden Dritten zu entsprechen. Unvoreingenommen also, dennoch mit großer Freude, stelle ich fest, dass beide Hofbelebungsmaßnahmen, die Waldner neuerdings gesetzt hat, zu wirken beginnen: Die neuen Boccia-Bahnen werden intensiv bespielt, und die alten, zu Sitz- oder Liegemöbeln umfunktionierten Iglu-Segmente werden überaus gern besetzt. Das ist kein Wunder, denn die festen Steinbänke von Ortner & Ortner eignen sich nicht zum Sitzen. Ein Wunder hingegen ist, was die einfachen und robusten, um nicht zu sagen plumpen Iglusegmente von PPAG (Anna Popelka und Georg Poduschka) alles zu bewirken vermögen, obwohl sie nur in Werbeprospekthimmelblau umgemalt und im MuseumsQuartier verteilt wurden. Aber sie beleben, ergänzen und verändern das Areal derart vorteilhaft, dass man feststellen kann: Die Waldner-Offensive „MuseumsQuartier-Sommer“ hat super begonnen.

Für einen „Supersommer“ wie jenen legendären Supersommer von 1976 reicht es allerdings nicht aus. Damals stellte Coop Himmelb(l)au (damals noch Himmelblau) am Naschmarkt vier 13 Meter hohe Gerüsttürme auf und spannte darin die 17 mal 17 Meter „Große Wolkenkulisse“ auf - ein architektonischer Beitrag zum Festival „Supersommer“, ein Stadterlebnis sondergleichen. Damals gab es allerdings in Wien noch keine Bastion künstlerischer Freiheit, für die geworben werden musste. Es gab eine Avantgarde, die sich die Freiheit nahm, in der Stadt radikal zu agieren. Ihr Schlachtruf „Architektur muss brennen“, 1980 von Coop Himmelblau formuliert, ist zum beflügelten Wort der Weltarchitektur geworden. Heutzutage muss nur Weihnachtspunsch heiß sein. Die Architektur bleibt kühl.

Vor zwei Jahren, als an der Ecke Mariahilfer Straße und MQ-Vorplatz die Baucontainer standen, machten Eichinger oder Knechtl die Festwochendirektion auf die urbane Brisanz dieses kleinen, aber exponierten Stück Niemandslandes aufmerksam. Ihr Vorschlag: Okkupieren! Heuer haben die Festwochen zugegriffen. Eichinger oder Knechtl wurden beauftragt, das umkämpfte Eck mit temporärer Architektur zu bestücken. Ein Ensemble aus einer Freilichtbühne, einer Gerüstbühne und einem Zelthangar mit Kassen, Informationsschaltern und einem Meinl-Café entstand. Zwischen der Rahlstiege und dem MQ-Eck wurde über die Mariahilfer Straße mit Gerüst ein Festwochentor errichtet - was für ein sommerliches Super-Déjà-vu! Das Ganze erinnert an die ephemere Coop-Himmelblau-Stadtarchitektur von 1976. Und daran, dass radikale Ideen in der Architektur einen Zeitabstand von mindestens zwei Generationen benötigen, damit sie theoretisch begriffen und praktisch angewandt werden. Wie es sich für die temporäre Architektur gehört, wurde das Festwochenlager wieder abgebrochen, nur das Déjà-vu-Tor steht noch, sodass wir beides haben, was gute ephemere Architektur ausmacht: bleibende Erinnerungen und ein Architektursegment, das länger bestehen bleibt.

Diese vortreffliche Bespielung des MQ-Eckes war die beste Antwort auf die Frage, wie es mit dem prominenten Stück des von vielen Architekten als ihre potenzielle Baustelle hart umkämpften öffentlichen Niemandsraumes städtebaulich weitergehen sollte: ohne Dauerverbauung. Freihalten für Architekturexperimente junger Architekten am Rande der Festwochen. Jeden Sommer andere. Jeder Sommer ein neuer „Supersommer“.

Wie damals, an der Wende der Sechzigerjahre, als Wien mit Architekturrebellen namens Coop Himmelblau, Haus Rucker Co (wie Ortner & Ortner früher geheißen haben), Missing Link oder Zünd-up geradezu gesegnet war. Über Zünd-up ist vor einiger Zeit ein Buch erschienen.1 Auf Seite 69 ist „The Great Vienna Auto-Expander“ abgebildet. Die Collage aus einem zum riesigen Bauwerk vergrößerten Automotor und einem Gerüst hoch über den Karlsplatz ist 1969 entstanden. Auch sie kann als eine Vorläuferidee für die jetzige Festwochen-Brücke gesehen werden.

Auf Seite 272, der allerletzten des lesenswerten Buches, befindet sich eine rührende Liebesbekundung der Liebestreue der 68er-Veteranen: „Himmelblau liebt Zünd-up noch immer, noch immer schade um die Architektur.“ An der Tür des dicht beschrifteten und bemalten Herrenklos auf der Universität für angewandte Kunst (1., Oskar-Kokoschka-Platz 2, Neubau, 1. Stock rechts vom Aufzug) ist dieser Ausspruch zu lesen: „Hätte Wolf Prix Architektur im Arsch, würde er dann immer noch sagen, sie müsse brennen?“ Ein Protest der 03er-Generation.

[ Martina Kandeler-Fritsch (Hrsg.): Zünd-up. Acme Hot Tar and Level. Dokumentation eines Architekturexperiments an der Wende der Sechzigerjahre. Wien, New York 2001 (Springer). 272 S., m. zahlr. Abb, E 35,- ]

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