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„Biedermeier-Jugendstil“
Das Jüdische Museum erinnert an Ernst Epstein, der als Baumeister das Looshaus errichtete und als Architekt viel zu wenig bekannt ist.
11. September 2002 - Jan Tabor
Der Wiener Baukünstler Loos ist weltberühmt, den Wiener Baumeister Epstein kennen nur Spezialisten. Ich kennen ihn seit dem 17. Oktober 1968, dem dritten Tag meines Aufenthalts in Wien. Für Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei wie mich hatte die hilfsbereite amerikanische Church of Christ in ihrer Wiener Dependance in der Schleifmühlgasse eine Herberge errichtet. Gegenüber, auf der Schleifmühlgasse 3 und 5, fielen mir sogleich zwei Jugendstilhäuser auf, die - verglichen mit dem Prager Jugendstil, der an Frankreich orientiert war und daher auch zu einer blumenhaften Ausgelassenheit tendierte - von eigenartig gelassener Eleganz waren. Als wären sie statt dem Barock dem Klassizismus verpflichtet, einer Abart der Moderne, die man „Biedermeier-Jugendstil“ nennen und der man auch das Frühwerk von Loos, das Haus am Michaelerplatz etwa, zuschlagen könnte.
Es waren nicht nur die Bay Windows, die ersten wirklichen Bay Windows, die ich je sah. Ich bewunderte vor allem die schräg gestellten Innenfenster, die in der engen Gasse den bestmöglichen Ausblick und die bestmögliche Beleuchtung der Wohnzimmer gewährleisten. Als ich die Häuser betrat, staunte ich - Eleganz und Gediegenheit sondergleichen: das Dekor fast abstrakt und stark auf Materialwirkung bedacht, Gänge mit Oberlicht, die Wände mit Marmorplatten getäfelt. Kürzlich ließ Georg Kargl, der sich im mittlerweile unwirtlich und schmuddelig wirkenden Epstein-Haus in der Schleifmühlgasse Nummer 5 mit seiner Kunstgalerie niedergelassen hat, die Marmorplattenumrahmung der Erdgeschoßlokale reinigen. Jetzt strahlt das Portal wieder honigbraun und lässt erahnen, wie schön die Häuser früher waren; und bezeugt, wie stark der Einfluss von Loos auf Epstein war.
Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und verwandtschaftlichen Verflechtungen in Wien um 1909/10 waren furchtbar kompliziert, aber ungemein fruchtbar. Karl Kraus, dessen wohl engster Freund Adolf Loos war, hatte einen Cousin, der Ernst Epstein hieß und Baumeister war. Obgleich nicht akademisch ausgebildet, entwarf er auch rund hundert, allesamt gediegene Häuser, von denen etwa ein Dutzend auch architekturgeschichtlich bemerkenswert, aber leider wenig bekannt sind.
Loos und Epstein errichteten gemeinsam eines der wichtigsten Bauwerke der Wiener Moderne, das so genannte „Looshaus“ am Michaelerplatz, vormals Goldman & Salatsch, später, nach der Arisierung im Jahr 1938, Opel & Beyschlag. Nach 1945 befand sich dort ein Sportartikelgeschäft, später stand das Haus, das inzwischen mehrmals umgebaut und ziemlich lädiert ist, lange Zeit leer.
Mittlerweile gehört das berühmte Bauwerk der Raiffeisen Bank, die es von dem vortrefflichen Loos-Biografen Burkhardt Rukschcio hat rekonstruieren lassen - originalgetreu und penibel bis ins letzte Detail. Bis auf eine Kleinigkeit: die Aufschrift GOLDMAN & SALATSCH an der Fassade. Stattdessen ließ die Bank in originalgetreuen eleganten Blechbuchstaben ihren eigenen Firmennamen anbringen und beansprucht so für sich das Verdienst der beiden mährisch-jüdischen Schneider, die den Mut hatten, dieses revolutionäre Bauwerk errichten zu lassen.
1938, kurz nach dem Anschluss, nahm sich Ernst Epstein das Leben.
[ Die Ausstellung „Ernst Epstein (1881-1938).
Der Bauleiter des Looshauses als Architekt“ ist bis 27.10. im Jüdischen Museum (1., Dorotheergasse 11) zu sehen. ]
Es waren nicht nur die Bay Windows, die ersten wirklichen Bay Windows, die ich je sah. Ich bewunderte vor allem die schräg gestellten Innenfenster, die in der engen Gasse den bestmöglichen Ausblick und die bestmögliche Beleuchtung der Wohnzimmer gewährleisten. Als ich die Häuser betrat, staunte ich - Eleganz und Gediegenheit sondergleichen: das Dekor fast abstrakt und stark auf Materialwirkung bedacht, Gänge mit Oberlicht, die Wände mit Marmorplatten getäfelt. Kürzlich ließ Georg Kargl, der sich im mittlerweile unwirtlich und schmuddelig wirkenden Epstein-Haus in der Schleifmühlgasse Nummer 5 mit seiner Kunstgalerie niedergelassen hat, die Marmorplattenumrahmung der Erdgeschoßlokale reinigen. Jetzt strahlt das Portal wieder honigbraun und lässt erahnen, wie schön die Häuser früher waren; und bezeugt, wie stark der Einfluss von Loos auf Epstein war.
Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und verwandtschaftlichen Verflechtungen in Wien um 1909/10 waren furchtbar kompliziert, aber ungemein fruchtbar. Karl Kraus, dessen wohl engster Freund Adolf Loos war, hatte einen Cousin, der Ernst Epstein hieß und Baumeister war. Obgleich nicht akademisch ausgebildet, entwarf er auch rund hundert, allesamt gediegene Häuser, von denen etwa ein Dutzend auch architekturgeschichtlich bemerkenswert, aber leider wenig bekannt sind.
Loos und Epstein errichteten gemeinsam eines der wichtigsten Bauwerke der Wiener Moderne, das so genannte „Looshaus“ am Michaelerplatz, vormals Goldman & Salatsch, später, nach der Arisierung im Jahr 1938, Opel & Beyschlag. Nach 1945 befand sich dort ein Sportartikelgeschäft, später stand das Haus, das inzwischen mehrmals umgebaut und ziemlich lädiert ist, lange Zeit leer.
Mittlerweile gehört das berühmte Bauwerk der Raiffeisen Bank, die es von dem vortrefflichen Loos-Biografen Burkhardt Rukschcio hat rekonstruieren lassen - originalgetreu und penibel bis ins letzte Detail. Bis auf eine Kleinigkeit: die Aufschrift GOLDMAN & SALATSCH an der Fassade. Stattdessen ließ die Bank in originalgetreuen eleganten Blechbuchstaben ihren eigenen Firmennamen anbringen und beansprucht so für sich das Verdienst der beiden mährisch-jüdischen Schneider, die den Mut hatten, dieses revolutionäre Bauwerk errichten zu lassen.
1938, kurz nach dem Anschluss, nahm sich Ernst Epstein das Leben.
[ Die Ausstellung „Ernst Epstein (1881-1938).
Der Bauleiter des Looshauses als Architekt“ ist bis 27.10. im Jüdischen Museum (1., Dorotheergasse 11) zu sehen. ]
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