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Alte Villen, neue Hallen
Falter

Wie die Tschechen wieder einmal alles kaputtgemacht haben und der Direktor eine neue Kunsthalle gekriegt hat.

12. Februar 2002 - Jan Tabor
Ein Dorf, irgendwo in Russland. Man schreibt das Jahr 1965. Die in die Erde gegrabenen, mit Stroh und Reisig gedeckten Blockhäuser werden „Zemljanky“, also „Erdhäuser“ genannt. Zwei schwarz gekleidete Babuschky in Gummistiefeln treffen im tiefen Morast auf dem weiten Dorfanger aufeinander. „Haben Sie es schon gehört, Jewgenija Iwanowna?!? Le Corbusier ist gestorben!“

Ein Museum, irgendwo in Wien. Man schreibt den 5. Februar 2002. Hinter dem Podium hängt ein riesiges Transparent mit der Vergrößerung jener Plakate, die in ganz Wien affichiert wurden, um zu der Pressekonferenz einzuladen, in der ich nun, völlig fasziniert, sitze. An den alten antirussischen Witz, den ich 1965 in Brno gehört habe, erinnere ich mich, als einer der Experten auf dem Podium beginnt, die obligate Geschichte von den Pferden der Roten Armee zu erzählen, die im Frühjahr 1945 in Mies van der Rohes Villa Tugendhat untergebracht waren. Die Geschichte ist so schön, als hätte sie der Dichter der „Reiterarmee“, Isaak Babel, selbst erfunden. Noch in Brno bin ich, ein maßloser Verehrer des in einem sowjetischen Lager ermordeten Schriftstellers, der Sache in der Hoffnung nachgegangen, dass die Geschichte von der fürsorglichen Liebe der russischen Soldaten zu ihren Pferden wahr sei. Leider ohne Erfolg. Bis jetzt. Nun schöpfe ich wieder Hoffnung.

Es liegt das Pressefoto eines Details mit haardicken Rissen und abgeblätterter Dispersionsfarbe vor, die laut Aufschrift an der „Flanke der Außentreppe“ zu sehen sind. Der Museumsdirektor, der in seinem weißen, also zum Bild der modernen weißen Villa passenden modernen Anzug (sonst bevorzugt er Schwarz) aussieht wie einst der Generalissimus Stalin auf dem Lenin-Mausoleum, begleitet die Ausführungen des Pferdeerzählers mit zustimmendem Nicken. Dann nimmt er, vorsichtig jedes Wort abwägend, das zurück, was in seinem Pressetext behauptet wird - nämlich dass die „Statik des Baus gefährdet“ sei. Ein weiterer Experte, der Brünner Architekt und ausgewiesene Villa-Tugendhat-Experte Jan Sapák, zeigt auf die Überschrift „VILLA TUGENDHAT WELTKULTURERBE IN GEFAHR“ und erklärt immerhin, dass die Behauptung nicht stimme.

Als sich dann herausstellt, dass für die Renovierung 120 Millionen Kronen vorgesehen sind, wird die MAKtionistische Pressekonferenz vollends obskur. Die Experten werden sich schnell darüber einig, dass diese Summe, die etwa der Kaufkraft von 14,5 bis 21,8 Millionen Euro (200 bis 300 Millionen Schilling) entspricht, viel zu hoch ist; ja dass eigentlich gerade diese riesige Summe die eigentliche Gefahr für die große Villa bedeute - die „Gefahr, dass dieses Haus von unschätzbarem architektonischem und kulturellem Wert zu einem kommerziellen Mausoleum verkommt“ (wie es denn im Pressetext auch zu lesen steht). Als Orientierung bezüglich des Finanzbedarfs diene die kürzlich abgeschlossene Renovierung von Adolf Loos' Villa Müller in Prag. Ein weiterer Experte, diesmal aus dem Publikum, behauptet, dass der für die Renovierung der Loos-Villa verantwortliche tschechische Architekt die Frage, ob er die Schriften von Adolf Loos gelesen habe, mit dem Hinweis verneinte, dass er kein Deutsch spreche.

Ha, da hamma's! Kein Deutsch können, aber die Villa Müller (deren Besitzer ein Tscheche war) von Loos (der die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft besaß und eine tschechoslowakische Staatspension bekam, damit er nicht in Österreich krepieren musste) reparieren wollen! Das geht nicht! An der Restaurierung der Villa Tugendhat müsse, verlangen die Podiumsexperten - dem vorbildhaften Verhalten der österreichischen Politik gegenüber den Temelín-Tschechen folgend -, ein internationales Expertenkomitee beteiligt werden.

In angesehenen deutschen Wochenzeitungen - man schreibt den 7. Februar 2002 - ist unter der Überschrift „Spaxen mer mal“ (was immer das bedeuten mag) folgender Untertitel zu lesen: „Vandalismus in Wien. Das Haus, das Ludwig Wittgenstein für seine Schwester entwarf, wird systematisch ruiniert.“ Ich wage zu behaupten, dass das Haus Wittgenstein architektonisch bedeutender ist als die Villa Tugendhat. Dass im Museum für angewandte Kunst in Prag am 5. März 2002 eine Pressekonferenz mit dem Titel „HAUS WITTGENSTEIN WELTKULTURERBE IN GEFAHR“ stattfindet, erfinde ich nun deshalb, um darauf hinzuweisen, dass die Tschechen keine richtige Baukultur kennen und damit auch kein Verantwortungsgefühl für das Weltkulturerbe entwickeln können.

Ein weitläufiger Anger in Wien. Man schreibt das Frühjahr 2002. Jetzt hat Gerald Matt wieder eine neue Kunsthalle. Sie steht ihm sehr gut. Sie ist elegant, vornehm zurückhaltend im urbanen Kontext, perfekt in ihrem Zuschnitt, sentimental in ihrer offensichtlichen Modernität und rätselhaft, was ihren Typus betrifft.Vom Naschmarkt kommend, das heißt fahrend, sieht der flache Glaswürfel aus wie ein Informationspavillon der Stadt Wien für die auf der Westautobahn anreisenden Touristen. Von der Wiedner Hauptstraße herkommend, sieht man zuerst fast nichts. Dort, wo vor kurzem noch die gelbe, verschlossene Blechschachtel so selbstbewusst aus der öden Gstätten herausragte, reicht die neue Kunsthalle nun kaum mehr übers Gebüsch. Näher gekommen, glaubt man zuerst den gläsernen Vorbau der alten Container-Kunsthalle zu erblicken. Vor dem Café unter den Platanen befindet sich ein Schanigarten, eine große Plattform aus rostartig gelegten Holzlatten, die dem Café und dem Ort das Flair einer Bar in einem mondän-modernen italienischen Seestrandbad verleihen, die von einem ungemein begabten Schüler von Ludwig Mies van der Rohe entworfen wurde.

Der Mies-Kenner erkennt eine Art Meta-Hommage: Die Hommage an das Haus Johnson in New Canaan von Philip Johnson (1949), das eine Hommage an das Haus Farnworth in Plano von Mies van der Rohe (1945) war. Eine Art Messepavillon im Stil der Fünfzigerjahre - der eleganteste und zugleich schlechteste und sinnloseste Bau von Adolf Krischanitz. Sentimentale Moderne. Ein Sinnbild der Wiener Kulturpolitik der Neunziger. Antithese zu der abgerissenen Kunsthalle, die eine geniale Antithese zu dem durch die verschiedenen Stadtplanungen schwer lädierten Karlsplatz war. Ein Parkcafé bloß, dem ein riesiges Schaufenster nur deshalb zugefügt wurde, um Werbung für die hinter den Gemäuern des MuseumsQuartiers doppelt unsichtbare neue Kunsthalle zu machen.

Als Präsentationsort der zeitgenössischen Kunst ist die neue Kunsthalle nur bedingt funktionsfähig. Als Auftrittsort für Gerald Matt aber ist der Bau hervorragend geeignet. Kürzlich bin ich in der Dunkelheit um den Pavillon geschlichen. Den doppelt glücklichen Direktor der beiden neuen Kunsthallen konnte ich von allen Seiten erblicken. Er trug einen schwarz-weiß gestreiften Einreiher, der ihm gut stand. Das sagte ich ihm auch. Nur 120 Schilling, antwortete er erfreut, am Flohmarkt gekauft. Auch seine neue Kunsthalle gefalle ihm ausgesprochen gut.

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