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Schlagobers on the Roof
Vom Flugdach zum Ausflug: Wie Architekturstudenten - im Unterschied zu Hans Hollein - ein kompromisslos zeitgemäßes Werk geschaffen haben.
18. Juli 2001 - Jan Tabor
Trauriger Nachtrag: Dem News/Generali-Turm von Hans Hollein wurden neulich zwei weitere Bestandteile hinzugefügt, das Meisterbauwerk damit vollendet. Die beiden Hinzufügungen beeinträchtigen den architektonischen Eindruck dieses ansonst vortrefflichen Bauwerkes beträchlich. Auf den seitlichen Pylon wurde ein Alu-Markuslöwe als Generali-Firmenzeichen derart kunstwollend gesetzt, dass man das für Werbezwecke entwendete Wahrzeichen Venedigs für ein Stück missratener Kunst am Bau halten könnte. Nicht so schlimm. Wirklich arg ist der rokokohaft geformte Dachpavillon mit seinem zoomorph gekrümmten Flugdach. Diese Krönung ist derart überflüssig, dass man wieder einmal feststellen muss: Selbst die allerbeste Moderne von Hollein gerät im allerletzten Augenblick zur Moderne mit Schlagobers.
Schornsteine, riesige Fabrikhallen, hohe Kühltürme, lange Brücken und Bürohochhäuser fliegen in die Luft, gelegentlich auch Wohnhäuser und jede Baumassenmengen von Kriegsruinen, unter anderen auch jene des Stadtschlosses in Berlin, das man heute wieder aufbauen will. Sprengungen nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Fortsetzung des Krieges mit gleichen Mitteln. Diesem Thema hat Heinrich Böll einen der Schlüsselromane der deutschen Nachkriegszeit gewidmet: „Billard um halb zehn“. Vereinfacht dargelegt, läuft die spannende Geschichte so ab: Ein Architekt stellt jene Bauwerke wieder her, die sein Großvater errichtet hatte und die sein Vater im Auftrag der Wehrmacht in die Luft jagen musste.
Was heißt in die Luft jagen? Die wirtschaftlich oder ideologisch ausgedienten Bauwerke fallen stets geordnet in sich zusammen und genau dorthin, wohin sie die deutschen Sprengungsmeister hinlegen wollen. Manchmal laufen die verschiedenen, aus Archiven der Nachkriegszeit entnommenen Aufnahmen der Sprengungen still, meist aber kommt es zu einer lauten Detonation - je nachdem, wie es die deutschen Videokünstler Julian Rosefeldt und Piero Steinle wollten. „Detonation Deutschland“ sei nicht die erste Ausstellung im neuen Architektur Zentrum Wien, meint der AzW-Direktor Dietmar Steiner, der das bereits reichlich verstaubte Kunstwerk nach Wien geholt hat. Es sei die letzte im alten Architektur Zentrum Wien, das nun, nach dem Vorbild von MuQua, Mumok und LeMu, AzW genannt wird. Das MuQua wurde eröffnet und die Besucher, meint Steiner, sollen nicht überall auf geschlossene Türen stoßen. Dass diese langweilige und verstaubte Detonationsinstallation aus München ausgerechnet jetzt nach Wien geholt wurde, dürfte nicht ganz ohne wohl überlegte Hinterhältigkeit geschehen sein. Der deutsche Edel-Kulturkritiker Claudius Seidl (immerhin der künftige Kulturchef der FAZ), den das profil eingeladen hat, das profil-Urteil über das MuQua zu verfassen, beendet seine satirische Auftragsbetrachtung in dem feige gewordenen Wiener Magazin mit der Empfehlung an die zeitgenössischen Künstler, zum Sprengstoff zu greifen. Das Sprengen dürfte eine deutsche Leidenschaft sein.
Während rundherum in Wien architektonische Probleme - Towersinvasion, MuQuamalheur, Gasometerdesaster - gleichsam detonieren, wird im profil die Neuauflage von Tom Wolfes „Mit dem Bauhaus leben“ mit einer Rezension gefeiert. Wolfes satirische Abrechnung mit dem Einfluss der Bauhausarchitekten Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius auf die amerikanische Architektur nach dem Zweiten Weltkrieg ist eines der dümmsten Bücher über Architektur, die je erschienen sind. DasBuch ist vor zwanzig Jahren unter dem Titel „From Bauhaus to Our House“ erschienen.
Das schräge Bauwerk, das neuerdings einen Teil des Robert-Stolz-Platzes erheblich ausfüllt und das auf den ersten Blick wie ein Bauwrack aussieht, heißt „Ausflug“. Wobei das „s“ auf der Einladung aus dem Layout-Lot verschoben wurde - so, als sei es im Begriff, gänzlich auszufallen, um aus dem „Ausflug“ den „Au flug“ zu bilden. Die typographische S-Verschiebung ist eine dekonstruktivistische Geste.
Das extrem konzipierte Bauwerk weist viele Schrägen auf. Auf der Einladung zur Ausstellungseröffnung wird darauf hingewiesen, wo sich der sonst kaum bekannte Robert-Stolz-Platz befindet, nämlich „zwischen Schillerplatz und Burggarten“. Oder „zwischen Schiller und Goethe“, wo Einzi und Robert Stolz voller Stolz die Wohnung in ihren gemeinsam verfassten Memoiren situiert haben. Über das Ehepaar Stolz und dessen Wohnung kann man viel Interessantes in einem Videofilm von Christian Mayer erfahren. Seine Video-Kunstrecherche über Robert Stolz ist als Endlosprojektion in einer schrankartigen Nische zu sehen, man muss nur hineinkriechen.
Christian Mayer ist einer der 21 Kunststudenten der Akademie am Schillerplatz, die zusammen mit den Architekturstudenten Andrea Börner, Tom Gombotz, Eva Prevlosek und Robert Schmitz-Michels das Bauwerk errichtet haben, das wie das Wrack einer dekonstruktivistischen Arche Noah aus Alurahmen und Bauholzplatten aussieht. Kiosk, Ausstellungspavillon, Bar, Podium, Plattform, Bude, Urhütte, Würstelstand, Altar, Gartenlaube, Robinsonspielplatz, Skulptur, Installation, Raumstudie, architektonische Stadtintervention, Architekturexperiment, ephemere Architektur, Crossover-Kunst, Kunst im öffentlichen Raum - was auch immer. Von all dem etwas.
Die Aufgabe, die den Studenten der Akademie-Architekturklassen Rüdiger Lainer und Nasrine Seraji gestellt wurde, war der Entwurf eines Ausstellungspavillons, für den präfabrizierte Aluminiumprofile verwendet werden sollten. Das Indoor-Projekt unter der Leitung von Sandrine von Klot hat eine eigene Dynamik entwickelt. Es wurde um die Zusammenarbeit mit Kunststudenten der Akademie erweitert, ist dem Planungspapier und den Zeichensälen in die zu bauende Wirklichkeit entwichen und schließlich auf dem Robert-Stolz-Platz gelandet, diesem hässlichen Niemandsland zwischen Goethe- und Schillerdenkmal.
Ein seltener Fall: Kunst und Architektur haben gemeinsam die Akademie verlassen, um draußen frische Luft zu schnappen. Der Titel „Ausflug“ kann daher als Kritik verstanden werden. Kritik an jenen Ausbildungsusancen, die eine solche Zusammenarbeit, wie sie bei dem Projekt „Ausflug“ praktiziert wurde, zu einer raren Ausnahme machen: Kritik am kulturpolitischen Selbstverständnis Wiens, das zwar die hemmungslose Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes erlaubt, die zeitgenössische Kulturäußerungen aber nicht wünscht und nicht duldet.
Das Projekt „Ausflug“ ist eine singuläre Erscheinung. Nach vielen Jahren erscheint im Wiener Stadtbild wieder ein kompromisslos zeitgemäßes, radikal konzipiertes und zudem auch perfekt ausgeführtes Bauwerk/Kunstwerk. Hervorragend. Gratulation! Aber leider doch kein Anlass für Hoffnungen, die öffentlichen Räume Wiens könnten für öffentliche Gegenwartskunst wieder geöffnet werden. Der bemerkenswerte Ausflug findet nur bis Ende August statt. An dieser prominenten Stelle nur als Lückenfüller. Danach soll mit einem weiteren Akt der brutalsten aller Kommerzialisierungen des städtischen Raumes begonnen werden: mit dem Bau einer weiteren Tiefgarage.
Schornsteine, riesige Fabrikhallen, hohe Kühltürme, lange Brücken und Bürohochhäuser fliegen in die Luft, gelegentlich auch Wohnhäuser und jede Baumassenmengen von Kriegsruinen, unter anderen auch jene des Stadtschlosses in Berlin, das man heute wieder aufbauen will. Sprengungen nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Fortsetzung des Krieges mit gleichen Mitteln. Diesem Thema hat Heinrich Böll einen der Schlüsselromane der deutschen Nachkriegszeit gewidmet: „Billard um halb zehn“. Vereinfacht dargelegt, läuft die spannende Geschichte so ab: Ein Architekt stellt jene Bauwerke wieder her, die sein Großvater errichtet hatte und die sein Vater im Auftrag der Wehrmacht in die Luft jagen musste.
Was heißt in die Luft jagen? Die wirtschaftlich oder ideologisch ausgedienten Bauwerke fallen stets geordnet in sich zusammen und genau dorthin, wohin sie die deutschen Sprengungsmeister hinlegen wollen. Manchmal laufen die verschiedenen, aus Archiven der Nachkriegszeit entnommenen Aufnahmen der Sprengungen still, meist aber kommt es zu einer lauten Detonation - je nachdem, wie es die deutschen Videokünstler Julian Rosefeldt und Piero Steinle wollten. „Detonation Deutschland“ sei nicht die erste Ausstellung im neuen Architektur Zentrum Wien, meint der AzW-Direktor Dietmar Steiner, der das bereits reichlich verstaubte Kunstwerk nach Wien geholt hat. Es sei die letzte im alten Architektur Zentrum Wien, das nun, nach dem Vorbild von MuQua, Mumok und LeMu, AzW genannt wird. Das MuQua wurde eröffnet und die Besucher, meint Steiner, sollen nicht überall auf geschlossene Türen stoßen. Dass diese langweilige und verstaubte Detonationsinstallation aus München ausgerechnet jetzt nach Wien geholt wurde, dürfte nicht ganz ohne wohl überlegte Hinterhältigkeit geschehen sein. Der deutsche Edel-Kulturkritiker Claudius Seidl (immerhin der künftige Kulturchef der FAZ), den das profil eingeladen hat, das profil-Urteil über das MuQua zu verfassen, beendet seine satirische Auftragsbetrachtung in dem feige gewordenen Wiener Magazin mit der Empfehlung an die zeitgenössischen Künstler, zum Sprengstoff zu greifen. Das Sprengen dürfte eine deutsche Leidenschaft sein.
Während rundherum in Wien architektonische Probleme - Towersinvasion, MuQuamalheur, Gasometerdesaster - gleichsam detonieren, wird im profil die Neuauflage von Tom Wolfes „Mit dem Bauhaus leben“ mit einer Rezension gefeiert. Wolfes satirische Abrechnung mit dem Einfluss der Bauhausarchitekten Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius auf die amerikanische Architektur nach dem Zweiten Weltkrieg ist eines der dümmsten Bücher über Architektur, die je erschienen sind. DasBuch ist vor zwanzig Jahren unter dem Titel „From Bauhaus to Our House“ erschienen.
Das schräge Bauwerk, das neuerdings einen Teil des Robert-Stolz-Platzes erheblich ausfüllt und das auf den ersten Blick wie ein Bauwrack aussieht, heißt „Ausflug“. Wobei das „s“ auf der Einladung aus dem Layout-Lot verschoben wurde - so, als sei es im Begriff, gänzlich auszufallen, um aus dem „Ausflug“ den „Au flug“ zu bilden. Die typographische S-Verschiebung ist eine dekonstruktivistische Geste.
Das extrem konzipierte Bauwerk weist viele Schrägen auf. Auf der Einladung zur Ausstellungseröffnung wird darauf hingewiesen, wo sich der sonst kaum bekannte Robert-Stolz-Platz befindet, nämlich „zwischen Schillerplatz und Burggarten“. Oder „zwischen Schiller und Goethe“, wo Einzi und Robert Stolz voller Stolz die Wohnung in ihren gemeinsam verfassten Memoiren situiert haben. Über das Ehepaar Stolz und dessen Wohnung kann man viel Interessantes in einem Videofilm von Christian Mayer erfahren. Seine Video-Kunstrecherche über Robert Stolz ist als Endlosprojektion in einer schrankartigen Nische zu sehen, man muss nur hineinkriechen.
Christian Mayer ist einer der 21 Kunststudenten der Akademie am Schillerplatz, die zusammen mit den Architekturstudenten Andrea Börner, Tom Gombotz, Eva Prevlosek und Robert Schmitz-Michels das Bauwerk errichtet haben, das wie das Wrack einer dekonstruktivistischen Arche Noah aus Alurahmen und Bauholzplatten aussieht. Kiosk, Ausstellungspavillon, Bar, Podium, Plattform, Bude, Urhütte, Würstelstand, Altar, Gartenlaube, Robinsonspielplatz, Skulptur, Installation, Raumstudie, architektonische Stadtintervention, Architekturexperiment, ephemere Architektur, Crossover-Kunst, Kunst im öffentlichen Raum - was auch immer. Von all dem etwas.
Die Aufgabe, die den Studenten der Akademie-Architekturklassen Rüdiger Lainer und Nasrine Seraji gestellt wurde, war der Entwurf eines Ausstellungspavillons, für den präfabrizierte Aluminiumprofile verwendet werden sollten. Das Indoor-Projekt unter der Leitung von Sandrine von Klot hat eine eigene Dynamik entwickelt. Es wurde um die Zusammenarbeit mit Kunststudenten der Akademie erweitert, ist dem Planungspapier und den Zeichensälen in die zu bauende Wirklichkeit entwichen und schließlich auf dem Robert-Stolz-Platz gelandet, diesem hässlichen Niemandsland zwischen Goethe- und Schillerdenkmal.
Ein seltener Fall: Kunst und Architektur haben gemeinsam die Akademie verlassen, um draußen frische Luft zu schnappen. Der Titel „Ausflug“ kann daher als Kritik verstanden werden. Kritik an jenen Ausbildungsusancen, die eine solche Zusammenarbeit, wie sie bei dem Projekt „Ausflug“ praktiziert wurde, zu einer raren Ausnahme machen: Kritik am kulturpolitischen Selbstverständnis Wiens, das zwar die hemmungslose Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes erlaubt, die zeitgenössische Kulturäußerungen aber nicht wünscht und nicht duldet.
Das Projekt „Ausflug“ ist eine singuläre Erscheinung. Nach vielen Jahren erscheint im Wiener Stadtbild wieder ein kompromisslos zeitgemäßes, radikal konzipiertes und zudem auch perfekt ausgeführtes Bauwerk/Kunstwerk. Hervorragend. Gratulation! Aber leider doch kein Anlass für Hoffnungen, die öffentlichen Räume Wiens könnten für öffentliche Gegenwartskunst wieder geöffnet werden. Der bemerkenswerte Ausflug findet nur bis Ende August statt. An dieser prominenten Stelle nur als Lückenfüller. Danach soll mit einem weiteren Akt der brutalsten aller Kommerzialisierungen des städtischen Raumes begonnen werden: mit dem Bau einer weiteren Tiefgarage.
Für den Beitrag verantwortlich: Falter
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