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Das Weltstadteinkaufswagerl
Architektur Endlich haben „News“- und „Format“-Leser das Weltstadtkaufhaus, das sie verdienen: den neu eröffneten Meinl am Graben.
12. Januar 2005 - Jan Tabor
Neuerdings bin ich nicht nur bloß Gourmand, sondern auch Gourmet. Feinschmecker. Auch ich. Dieses stolze und dank der modernen Sozialdemokraten selbst in breiten Bevölkerungsschichten populär gewordene Attribut habe ich unlängst schwarz auf weiß erhalten: auf dem Kassenzettel meines gründlich erneuerten Stamm-Meinl. Das Verkaufslokal sei nun noch angenehmer geworden, als es ohnehin bereits gewesen sei, hat der sozialkritische Schriftsteller Gustav Ernst, mein Freund und Nachbar, zu mir gesagt, als ich ihn am 31. Dezember zufällig in unserer gemeinsam bevorzugten Filiale getroffen habe.
Vor dem Umbau waren die massiven, freistehenden Regale so gestellt, dass das langgestreckte Verkaufslokal in der Mitte barrierenartig versperrt wurde. Jetzt sind die Regale wesentlich kürzer, filigraner und doch geräumiger; sie lassen die Mitte frei und lenken die Blicke der Kunden zum Stehcafe am anderen Ende der Halle. Die offenbar von einem fähigen Designer entworfenen Regale sind aus leichten, normierten Gitterelementen zusammenmontiert. Die neue Farbgebung, welche die einstige Meinl-Kennfarbe Gelb durch eine dunkelbraungraue Edelstahltönung ersetzt, bringt die Buntheit der Verpackungen zur Geltung, wirkt beruhigend, ist elegant. Im selben mattglänzenden Farbton sind auch die neuen Einkaufswagerl gehalten. Dass man für sie jetzt Münzen braucht, ist die einzige Neuerung in meiner Filiale, die keine Verbesserung, sondern eine Veschlechterung darstellt.
Die gleichen Einkaufswagerl stehen auch im neuen Gourmet-Tempel in der Wiener Innenstadt, dem angeblich erlesensten im ganzen Österreich, im renovierten Meinl am Graben. Das Graben-Meinlwagerl unterscheidet sich vom Taborstraßen-Meinlwagerl in zwei Merkmalen: es hat keine Münzverschließung, und die Handgriffe sind nicht mit Plastik, sondern mit Leder bezogen. Mit echtem Leder. Bereits im Zugriff aufs Wagerl ist also das Ergreifen des wahren Luxus enthalten - hier, am Graben, nur hier. Diese Ledergriffe dürften so wertvoll sein, dass sie in dem mit abgestellten Wagerln vollgestopften Entree stets von einem athletischen, kämpferisch uniformierten Jungmann eines privaten Security-Dienstes bewacht werden müssen.
Der neue Meinl am Graben - ein „Weltstadtfeinkosthaus?“. Das „Format muss man haben“-Magazin Format, Abteilung „Modernes Leben“, Unterabteilung „Reportage“, ist am Tag der Eröffnung in Wort und Bild dieser Frage nachgegangen. „Die Besucher sind sich einig: Ja, ist es, und sie scheuen sich nicht, Harrod's in London, Fouchon und Hedinard in Paris im gleichen Atemzug zu nennen.“ Wobei die Format-Urteilseinigkeit durch folgende für die Formatierung einer neuen Genuss- und Geschmackskultur des österreichischen Volkes wichtige Leute illustriert wird: den Ex-Bürgermeister Helmut Zilk, den Bildhauer Alfred Hrdlicka, den Ballettchef Michael Birkmayer und - selbstredend - durch Agnes Husslein, die Geschäftsführerin von Sotheby's in Wien. Sie alle machen einen glücklichen Eindruck: Endlich auch in Wien!
Ich hingegen, ein eingefleischter Gourmand, der hier eigentlich nichts zu suchen hat, kann meinen Augen nicht glauben: ein Weltstadtfeinkosthaus? Dies? Ich gehe mehrmals hin. Der Nahkampfmann von der Security hat viel zu tun. Er muss den Besuchern erklären, wie sie in den Gourmet-Tempel gelangen: nicht geradeaus, sondern gleichsam zweimal ums Eck. Beim dritten Besuch treffe ich endlich auch hier einen alten Freund: den renommierten, sozialkritischen Kulturhistoriker Christian Ehalt. Er meint, der renovierte Meinl illustriere, was sich sonst in der Gesellschaft abspielt: allgemeine Verunsicherung bezüglich der Werte, des Geschmacks, der Bedeutungen. Ein Abbild des globalen Durcheinanders. Meine Bemerkung, hier werde der Luxus so dargeboten, wie sich Wiener Hausmeister Harrod's in London vorstellten, bezeichnet Christian, der ein aufrechter 68er ist, als präpotent. Zu Recht. Im Aquarium der Fischabteilung (mit einem dürftigen Angebot) schwimmen munter prachtvolle Zierfische. Sie sind ebenso computergeneriert wie die riesige weihnachtliche Kaminflamme auf dem Plasmascreen im Stiegenhaus (jetzt gibt es ein anderes Bild). Der echte Hausmeister würde hier ein echtes Aquarium und nicht diese Aufrichtigkeit erwarten, mit der auf die virtuelle Qualität der Fische in der Verkaufskühlbox hingewiesen wird, die wirklich echt aussehen.
Hier, im Meinl am Graben, ist so gut wie alles Surrogat, ist fast alles daneben geplant, entworfen, ausgeführt und das meiste durcheinander geraten. Die Außengestaltung ist architektonisch banal. Das Entree erinnert an einen verstellten Hinterhof. Der eigentliche Eingang befindet sich in einem altnachgemachten Holzportal und sieht wie ein eingemauertes Schaufenster aus. Das Lokal ist unübersichtlich. Die Gänge zwischen den Regalen sind eng und labyrinthisch. Die Stiege ist falsch situiert und hässlich. Die vier Aufzüge hält man für den Durchgang zu der Gemüse-Stehbar im Hintergrund. Der Weinkeller sieht aus wie eine Tenne in der Buckligen Welt, die zur rustikalen Disco umgestaltet wurde. Bei den Regalen herrscht ein buntes Durcheinander, die meisten sind plump, vor allem die aus dem Quasimahagoniholz. Die Abteilungen für die verschiedenen Warengruppen (Obst und Gemüse, Brot und Semmeln et cetera) sind kitschig. Aber nicht richtig mutig kitschig, sondern gehoben kitschig, urban-rustikal, damit sich hier neben den neu dazugekommenen neureichen Hausmeistern und News-Lesern auch das ortsansässige, gehobene, wertkonservative (von Thomas Bernhard so vortrefflich beschriebene) Graben-Kohlmarkt-Lodenpublikum weiterhin wohl fühlt.
Die Vielfalt gleicht einer Ansammlung von künstlichen EU-Rustikalitäten. Die Decken mit den mächtigen Leitungen sind nur notdürftig hinter abgehängten plumpen Holzrosten versteckt. Die handwerkliche Bearbeitung der Möblierung ist ungewöhnlich schlampig. Noch schlampiger allerdings ist das Design selbst. Reiner Pfusch. Die Beleuchtung ist dilettantisch. Die Spotlampen blenden. Im Cafe duftet es nicht nach frisch geröstetem Kaffee, sondern es stinkt nach überreifem Käse, denn die Käseabteilung befindet sich gleich neben der im weißen Rosenkavalier-Stil eingerichteten Quasizuckerbäckerei und dem dunkelbraunen Quasicafe, einer Mischung aus englischem Pub, Wiener Cafe und der Lobby eines 3-Sterne-Hotels. Hier hängt eine billige Farbdruck-Kopie von Vermeers „Mädchen mit der Perle“, die Polstersitze sind zu niedrig, der enge Gang ist mit Einkaufswagerln mit Echtleder-Griffen verstopft.
Das Kaufhaus ist das Museum des kleinen Mannes, meint Walter Benjamin. So wie der neue Meinl am Graben an eines der neugestalteten österreichischen Museen erinnert, am ehesten an das MAK, so gleichen die ermatteten Kunden in dem ungemütlichen Meinl-Cafe den erschöpften Ausstellungsbesuchern in einer unwirtlichen Museumsrestauration. Heutzutage zeitgemäß zu sein, kann fürchterlich anstrengend sein. Wirklich zu bedauern ist das Personal: Der Meinl am Graben ist eine furchtbare Arbeitsstätte. Auch das gilt neuerdings als zeitgemäß.
Vor dem Umbau waren die massiven, freistehenden Regale so gestellt, dass das langgestreckte Verkaufslokal in der Mitte barrierenartig versperrt wurde. Jetzt sind die Regale wesentlich kürzer, filigraner und doch geräumiger; sie lassen die Mitte frei und lenken die Blicke der Kunden zum Stehcafe am anderen Ende der Halle. Die offenbar von einem fähigen Designer entworfenen Regale sind aus leichten, normierten Gitterelementen zusammenmontiert. Die neue Farbgebung, welche die einstige Meinl-Kennfarbe Gelb durch eine dunkelbraungraue Edelstahltönung ersetzt, bringt die Buntheit der Verpackungen zur Geltung, wirkt beruhigend, ist elegant. Im selben mattglänzenden Farbton sind auch die neuen Einkaufswagerl gehalten. Dass man für sie jetzt Münzen braucht, ist die einzige Neuerung in meiner Filiale, die keine Verbesserung, sondern eine Veschlechterung darstellt.
Die gleichen Einkaufswagerl stehen auch im neuen Gourmet-Tempel in der Wiener Innenstadt, dem angeblich erlesensten im ganzen Österreich, im renovierten Meinl am Graben. Das Graben-Meinlwagerl unterscheidet sich vom Taborstraßen-Meinlwagerl in zwei Merkmalen: es hat keine Münzverschließung, und die Handgriffe sind nicht mit Plastik, sondern mit Leder bezogen. Mit echtem Leder. Bereits im Zugriff aufs Wagerl ist also das Ergreifen des wahren Luxus enthalten - hier, am Graben, nur hier. Diese Ledergriffe dürften so wertvoll sein, dass sie in dem mit abgestellten Wagerln vollgestopften Entree stets von einem athletischen, kämpferisch uniformierten Jungmann eines privaten Security-Dienstes bewacht werden müssen.
Der neue Meinl am Graben - ein „Weltstadtfeinkosthaus?“. Das „Format muss man haben“-Magazin Format, Abteilung „Modernes Leben“, Unterabteilung „Reportage“, ist am Tag der Eröffnung in Wort und Bild dieser Frage nachgegangen. „Die Besucher sind sich einig: Ja, ist es, und sie scheuen sich nicht, Harrod's in London, Fouchon und Hedinard in Paris im gleichen Atemzug zu nennen.“ Wobei die Format-Urteilseinigkeit durch folgende für die Formatierung einer neuen Genuss- und Geschmackskultur des österreichischen Volkes wichtige Leute illustriert wird: den Ex-Bürgermeister Helmut Zilk, den Bildhauer Alfred Hrdlicka, den Ballettchef Michael Birkmayer und - selbstredend - durch Agnes Husslein, die Geschäftsführerin von Sotheby's in Wien. Sie alle machen einen glücklichen Eindruck: Endlich auch in Wien!
Ich hingegen, ein eingefleischter Gourmand, der hier eigentlich nichts zu suchen hat, kann meinen Augen nicht glauben: ein Weltstadtfeinkosthaus? Dies? Ich gehe mehrmals hin. Der Nahkampfmann von der Security hat viel zu tun. Er muss den Besuchern erklären, wie sie in den Gourmet-Tempel gelangen: nicht geradeaus, sondern gleichsam zweimal ums Eck. Beim dritten Besuch treffe ich endlich auch hier einen alten Freund: den renommierten, sozialkritischen Kulturhistoriker Christian Ehalt. Er meint, der renovierte Meinl illustriere, was sich sonst in der Gesellschaft abspielt: allgemeine Verunsicherung bezüglich der Werte, des Geschmacks, der Bedeutungen. Ein Abbild des globalen Durcheinanders. Meine Bemerkung, hier werde der Luxus so dargeboten, wie sich Wiener Hausmeister Harrod's in London vorstellten, bezeichnet Christian, der ein aufrechter 68er ist, als präpotent. Zu Recht. Im Aquarium der Fischabteilung (mit einem dürftigen Angebot) schwimmen munter prachtvolle Zierfische. Sie sind ebenso computergeneriert wie die riesige weihnachtliche Kaminflamme auf dem Plasmascreen im Stiegenhaus (jetzt gibt es ein anderes Bild). Der echte Hausmeister würde hier ein echtes Aquarium und nicht diese Aufrichtigkeit erwarten, mit der auf die virtuelle Qualität der Fische in der Verkaufskühlbox hingewiesen wird, die wirklich echt aussehen.
Hier, im Meinl am Graben, ist so gut wie alles Surrogat, ist fast alles daneben geplant, entworfen, ausgeführt und das meiste durcheinander geraten. Die Außengestaltung ist architektonisch banal. Das Entree erinnert an einen verstellten Hinterhof. Der eigentliche Eingang befindet sich in einem altnachgemachten Holzportal und sieht wie ein eingemauertes Schaufenster aus. Das Lokal ist unübersichtlich. Die Gänge zwischen den Regalen sind eng und labyrinthisch. Die Stiege ist falsch situiert und hässlich. Die vier Aufzüge hält man für den Durchgang zu der Gemüse-Stehbar im Hintergrund. Der Weinkeller sieht aus wie eine Tenne in der Buckligen Welt, die zur rustikalen Disco umgestaltet wurde. Bei den Regalen herrscht ein buntes Durcheinander, die meisten sind plump, vor allem die aus dem Quasimahagoniholz. Die Abteilungen für die verschiedenen Warengruppen (Obst und Gemüse, Brot und Semmeln et cetera) sind kitschig. Aber nicht richtig mutig kitschig, sondern gehoben kitschig, urban-rustikal, damit sich hier neben den neu dazugekommenen neureichen Hausmeistern und News-Lesern auch das ortsansässige, gehobene, wertkonservative (von Thomas Bernhard so vortrefflich beschriebene) Graben-Kohlmarkt-Lodenpublikum weiterhin wohl fühlt.
Die Vielfalt gleicht einer Ansammlung von künstlichen EU-Rustikalitäten. Die Decken mit den mächtigen Leitungen sind nur notdürftig hinter abgehängten plumpen Holzrosten versteckt. Die handwerkliche Bearbeitung der Möblierung ist ungewöhnlich schlampig. Noch schlampiger allerdings ist das Design selbst. Reiner Pfusch. Die Beleuchtung ist dilettantisch. Die Spotlampen blenden. Im Cafe duftet es nicht nach frisch geröstetem Kaffee, sondern es stinkt nach überreifem Käse, denn die Käseabteilung befindet sich gleich neben der im weißen Rosenkavalier-Stil eingerichteten Quasizuckerbäckerei und dem dunkelbraunen Quasicafe, einer Mischung aus englischem Pub, Wiener Cafe und der Lobby eines 3-Sterne-Hotels. Hier hängt eine billige Farbdruck-Kopie von Vermeers „Mädchen mit der Perle“, die Polstersitze sind zu niedrig, der enge Gang ist mit Einkaufswagerln mit Echtleder-Griffen verstopft.
Das Kaufhaus ist das Museum des kleinen Mannes, meint Walter Benjamin. So wie der neue Meinl am Graben an eines der neugestalteten österreichischen Museen erinnert, am ehesten an das MAK, so gleichen die ermatteten Kunden in dem ungemütlichen Meinl-Cafe den erschöpften Ausstellungsbesuchern in einer unwirtlichen Museumsrestauration. Heutzutage zeitgemäß zu sein, kann fürchterlich anstrengend sein. Wirklich zu bedauern ist das Personal: Der Meinl am Graben ist eine furchtbare Arbeitsstätte. Auch das gilt neuerdings als zeitgemäß.
Für den Beitrag verantwortlich: Falter
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