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Der Ingenieur-Designer
Neue Zürcher Zeitung

Ein Besuch beim Zürcher Gestalter Christophe Marchand

4. November 2005 - Andrea Eschbach
Christophe Marchands Atelier liegt auf einer Anhöhe über dem Zürichsee, einige hundert Meter hinter dem Bahnhof Tiefenbrunnen. In den Räumen des ehemaligen Schweizer Elektrovereins ist nicht nur CMD - Christophe Marchand Design tätig. Produkt- und Möbeldesigner, Modeschöpfer und Fotografen arbeiten hier Tür an Tür in einem kreativen Zentrum. Die offenen Regale in Marchands Büro sind voll gepackt mit Designbüchern und Fachzeitschriften, in den Räumen finden sich Modelle und Prototypen seiner Entwürfe, eine Materialbibliothek umfasst Produktfragmente und Muster.

Materialexperimente

«Mein Büro ist eine Materialkiste», sagt Marchand. Vor fünf Jahren hatte der gebürtige Freiburger sein eigenes Atelier gegründet. Nach Abschluss seines Studiums der Produktgestaltung und Innenarchitektur an der Zürcher Hochschule für Gestaltung war der gelernte Möbelschreiner zunächst durch ungewöhnliche Ausstellungsinszenierungen aufgefallen. Heute ist der 40-Jährige einer der gefragtesten Produktdesigner der Schweiz, seine Arbeiten wurden mehrfach preisgekrönt. «Design ist keine schnelle Skizze, sondern analytische Arbeit», erklärt er seinen Erfolg auf dem internationalen Parkett. Er will kein Gestalter sein, der nur die ästhetische Hülle schafft. Sein Ziel ist es, Formgebung mit Konstruktions- und Ingenieursarbeit zu verbinden.

Das Zusammenspiel von Material, Technik und Konstruktion interessiert ihn seit je. Als Inspiration dienen ihm dabei anonyme, oft unspektakuläre Gegenstände - Werkzeuge, Keramikgefässe oder Kleiderbügel. Sie sind ihm Motivation dafür, was machbar ist im Entwurfsprozess: «Wenn ich ein Objekt sehe, kann ich erkennen, mit welcher Technologie es gefertigt ist.» Die gewonnenen Erkenntnisse überträgt er auf seine eigenen Entwürfe. So untersuchte er bei einem Stuhl für den italienischen Hersteller Ycami die Eigenschaften eines Taucheranzugs: Die Widerstandsfähigkeit, Elastizität und unkonventionelle Ästhetik von Neopren inspirierten ihn zum Entwurf «Jelly». Neben dem Experiment mit neuen Werkstoffen reizt Marchand auch die Neuinterpretation alter Materialien. Im Bürostuhl «4040» für die Firma Embru verwandte er beispielsweise ein in Vergessenheit geratenes Kunstharzpressholz. Von Marchands Ansatz des Technologietransfers als Methode profitieren auch die Auftraggeber, unter denen man Firmen wie Alias, Thonet, Wittmann, Wogg und Zanotta findet. Dabei will Marchand immer wieder Neuland betreten. Seine Vielseitigkeit spiegelt auch sein Portfolio; derzeit arbeitet er an einer Uhr, einem Bürostuhl, einem Regal, einem Sofa und einem Lounge-Sessel. «Ideen habe ich häufig unterwegs oder beim Rudern auf dem See», sagt Marchand. Eine gemeinsame Handschrift tragen seine Produkte, die er mit seinem fünfköpfigen Team entwickelt, nicht. «Ich habe keine formale Sprache», gibt er zu. Er will sich nicht als Autor in den Vordergrund stellen. Ihn fasziniert die Kombination von Autoren- und Industriearbeit. Massenprodukte versteht er als Herausforderung. Für Marchand muss ein Produkt industriell realisierbar sein: «Die optische Gestaltung entsteht erst im Laufe des Entwicklungsprozesses.»

Seine Objekte sind schlicht, funktional und intelligent. «Wo es geht, versuche ich die Ironie zu pflegen.» Ein Spielfeld dafür ist seine langjährige Tätigkeit als Dozent an der Ecole cantonale d'art (Ecal) in Lausanne. Nicht nur seinen Studenten an der Westschweizer Talentschmiede gewährt Marchand Narrenfreiheit. Auch er selbst zeigt, dass funktionale Objekte humorvoll sein dürfen. Als die Ecal Studenten und Designer einlud, den Taktstock neu zu interpretieren, steuerte Marchand ein Mehrfachmodell für hitzige Dirigenten bei: Bricht der Stab beim Dirigieren entzwei, lässt sich schnell der nächste Stab abknicken und das Orchester weiter leiten.

Das Unerwartete immer von neuem herausfordern ist Marchands Devise. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die konservative Büromöbelwelt aufzufrischen. Den Anfang machte 2002 der Bürostuhl «Pac Chair»: Mit dem Entwurf für den italienischen Hersteller ICF wollte Marchand die Verbindung zwischen Sport- und Bürowelt herstellen: «Mir schwebte ein Stuhl für die jüngere, sportliche Generation vor.» Dank einem transparenten, aus dem Kunststoff PET hergestellten Rahmen wirkt das Modell sehr leicht, Rücken und Sitz sind aus einem perforierten, elastischen Gummi, der mit einem dreidimensionalem Gewebe bespannt ist. Das modische, gleichwohl funktionale Konzept ging auf: Der Stuhl verhalf ihm zum internationalen Durchbruch.

Zusammenarbeit mit Designfirmen

Auch sein jüngstes Büromöbelprodukt, «Happening», wurde - kaum auf dem Markt - bereits mit dem renommierten Preis «Janus de l'industrie» des Institut français du design ausgezeichnet. Drei Jahre lang entwickelte Marchand in Teamarbeit mit dem amerikanischen Büromöbelhersteller Steelcase ein Stauraumsystem. Ein Auftrag ganz in Marchands Sinn, schätzt er doch Alleingänge nicht: «Erfahrungsaustausch, die gegenseitige Inspiration, die Motivation und persönliche Beziehungen, all das sind Faktoren, die zum Gelingen eines Projekts beitragen.» Das Resultat basiert auf einer Stahlbox mit abgerundeten Ecken. Die Türfronten sind aus transluzentem oder undurchsichtigem Kunststoff, die Boxen in verschiedenen Grössen lassen sich zu Türmen stapeln, über der Arbeitsfläche als Ablage anbringen, als Raumtrenner einsetzen, unter Tische rollen und als Sitzbank nutzen.

Steelcase hatte schon lange auf Marchands Kundenwunschliste gestanden. «Mich reizt die langfristige Zusammenarbeit mit einem Unternehmen», hält der Designer fest. Mit Wogg, ICF und auch Wellis ist ein gemeinsamer Weg bereits zurückgelegt. Der Möbelproduzent Wellis brachte vor vier Jahren Marchands schmale, spartanisch anmutende Liege «MaRe» auf den Markt, ein Möbel mit einer ausgeklügelten Mechanik. Im vergangenen Frühjahr präsentierte der Willisauer Hersteller das zweite Produkt aus Marchands Feder: das Sofa «MaMo», das sich bei Bedarf vom kompakten Sofa in eine komfortable Liege verwandeln lässt.

«In jungen Jahren entwirft man als Designer Produkte, die ein Unternehmen industriell herstellen kann», blickt Marchand zurück. Nun will er einen anderen Weg einschlagen: «Ich möchte Unternehmen animieren, in neue Verfahren zu investieren.» Er hat bereits konkrete Pläne. Für den Faserzementhersteller Eternit tüftelt er an einer neuen Technologie, die glatte Oberflächen und scharfe Kanten bei Pflanzentöpfen ermöglichen soll - wieder einmal erkundet Marchand unbekanntes Terrain.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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